Wie ich den Herrn in stillen und ruhigen Momenten höre


 

Präsident M. Russell Ballard
Amtierender Präsident des Kollegiums der Zwölf Apostel

 

17. Juli 2020

 

 

Seit meiner Jugend habe ich versucht, die Stimme des Herrn zu hören und zu verstehen, wie er mich an seiner Hand durchs Leben führt. Ein entscheidender Moment bei meinem Bestreben, seine Stimme zu erkennen, ereignete sich, als ich als junger Missionar in England war. Dieses Erlebnis hat mein Leben geprägt. Ich werde diesen Augenblick immer im Gedächtnis behalten, weil ich mich wohl zum ersten Mal dem Himmel sehr, sehr nahe gefühlt habe.

Ich machte in der englischen Stadt Nottingham am Ufer des Flusses Trent einen Spaziergang. Gerade war ich als Distriktspräsident berufen worden und somit verantwortlich für über 30 Missionare, die in neun Zweigen tätig waren. Gemessen an der Größe unserer Mission gab es zu wenig Missionare, und ich hatte keinen Mitarbeiter – das kam in diesen frühen Tagen der Missionsarbeit manchmal vor.

Als ich so ganz allein am Fluss entlangging, betete ich still. Ich wünschte mir, irgendwie die Führung durch den Herrn zu spüren. Ob er mit meinen Bemühungen hier zufrieden war? „Tue ich, was du von mir erwartest?“, fragte ich.

Ich hörte keine Stimme. Ich sah keine Engel. Aber tief in meinem Herzen verspürte ich einen Ruck, einen Impuls, der mich seither belebt. Das war der Moment, in dem ich zum ersten Mal erlebt habe, wie es ist, dem Himmel sehr, sehr nahe zu sein.

Als zwanzigjähriger Missionar habe ich aus dieser Erfahrung gelernt: Was wir vom Himmel hören, fühlen wir meist zuerst im Herzen. Dann bahnt sich dieses Gefühl hoffentlich den Weg in unseren Verstand und hilft uns, der Botschaft zu folgen, die wir hören. Ähnliche Erlebnisse hatte ich seither sehr oft. Darum weiß ich, dass wir von dem, was uns ablenkt, ablassen müssen, um die Stimme des Herrn zu hören. Der Herr hat dies deutlich gesagt: „Lasst ab und erkennt, dass ich Gott bin.“ (Psalm 46:11.)

Ruhig sein

Die moderne Technik war für mich oft sehr nützlich. Sie kann uns aber auch ablenken und uns davon abhalten, die Stimme des Herrn zu hören. Meinen Enkelkindern rate ich, jeden Tag eine Ruhepause einzulegen, in der sie über ihr Leben und das, was der Herr von ihnen erwartet, nachdenken.

Offenbarung zu erhalten wird, zumindest in meinem Fall, erst möglich, wenn ein stiller und ruhiger Moment einkehrt. Ich musste erkennen, dass ich keine Verbindung zum Himmel herstellen kann, wenn alles drunter und drüber geht. Auch Sie müssen in Ihrem Leben diese ruhigen Momente finden, in denen Sie den Geist empfangen können. Meiner Erfahrung nach ist es so, dass ich Eingebungen empfange, wenn ich ruhig bin und mich um inneren Frieden bemühe. Dann kommen mir Gedanken, von denen ich weiß, sie sind vom Himmel.

Zum Beispiel halte ich dank meiner Berufung viele Ansprachen. Normalerweise schreibe ich sie nicht auf, außer wenn ich Zeitvorgaben einhalten muss. Also überlege ich: „Was soll ich sagen?“ Manchmal kommt die Antwort mitten in der Nacht, einem sehr ruhigen Teil meines Tages. Doch ich höre keine Stimme, sondern habe eher eine Empfindung davon, was der Herr mich zu tun und zu sagen veranlasst.

Hören, fühlen, lernen und wissen

Ich habe auch festgestellt, dass wir tiefe geistige Einsichten erhalten, wenn wir lesen oder hören, was die Zeugen des Herrn Jesus Christus über das Evangelium zu sagen haben. Ihre Worte ließen mich Wahrheiten erkennen, die einen wesentlichen Beitrag zu meiner geistigen Bekehrung leisteten.

Ich halte die Missionare immer wieder dazu an, sich bewusst zu machen, dass Bekehrung, Reaktivierung und selbst das Engagement in der Kirche Jesu Christi mehr auf dem beruhen, was die Menschen fühlen, als auf dem, was sie wissen. Den Herrn zu hören und seine Macht zu spüren ist auch deshalb so ein großer Segen, weil wir durch den Heiligen Geist etwas hören, fühlen, lernen und wissen können.

Ich bin ewig dankbar für die prägende Erfahrung, die ich als junger Missionar in England gemacht habe, denn sie hat mir gezeigt, wie mich der Herr an die Hand nimmt und was für ein Gefühl das ist. Heute, 71 Jahre später, kann ich aus vollem Herzen bezeugen, dass es ein Vorzug ist, Gott in unserer modernen Welt „hören“ zu können. Mögen wir alle nach ruhigen Momenten streben, frei von Ablenkung, um die Gegenwart des Herrn in unserem Leben zu spüren.