2000–2009
Der Ständige Ausbildungsfonds
April 2001


Der Ständige Ausbildungsfonds

“Überall, wo unter unseren Mitgliedern die Armut weit verbreitet ist, müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun und ihnen helfen, sich aufzuschwingen und ihr Leben auf eine selbstständige Grundlage zu stellen, was durch eine Ausbildung geschehen kann. Ausbildung ist ein Schlüssel zu weiteren Chancen.”

Brüder, bevor ich mit meiner Ansprache beginne, möchte ich diesem Chor von Trägern des Melchisedekischen Priestertums von ganzem Herzen danken. Sie stammen aus allen gesellschaftlichen Schichten und singen aus ganzem Herzen und erfüllt vom Zeugnis von den Liedern Zions. Brüder, ganz, ganz herzlichen Dank.

Ich möchte kurz auf ein Thema eingehen, das ich für sehr wichtig halte, und ich hoffe dabei auf Inspiration vom Herrn.

Zunächst möchte ich Sie 150 Jahre und mehr in die Vergangenheit zurückversetzen: 1849 standen unsere Vorfahren vor einem großen Problem. Die Mitglieder lebten seit zwei Jahren im Salt Lake Valley, und die Missionare fanden auf den Britischen Inseln und in Europa immer mehr Menschen, die sich zu Hunderten der Kirche anschlossen. Nach der Taufe wollten diese Menschen sich in Zion sammeln. Ihre Kräfte und Fertigkeiten wurden hier gebraucht, und sie hegten auch den großen Wunsch, hierher zu kommen. Aber viele von ihnen waren entsetzlich arm und hatten kein Geld für die Reise. Wie sollten sie nur hierher kommen?

Mit der Inspiration des Herrn wurde ein Plan ersonnen, und der sogenannte Ständige Auswanderungsfonds wurde eingerichtet. Nach diesem Plan, den die Kirche finanzierte, obwohl sie selbst kaum Geld zur Verfügung hatte, wurde jenen Mitgliedern, die nichts oder fast nichts besaßen, Geld geliehen. Die Darlehen wurden unter der Voraussetzung gegeben, dass sich die neuen Mitglieder nach ihrer Ankunft im Salt Lake Valley um Arbeit bemühten und dann, sobald sie dazu in der Lage waren, das Darlehen zurückzahlten. Das Geld aus den Rückzahlungen wurde dann anderen geliehen, damit auch sie nach Amerika kommen konnten. Da die finanziellen Mittel aus einem Umlauffonds stammten, kann man in der Tat von einem ständigen Auswanderungsfonds sprechen.

Mit Hilfe dieses Fonds konnten schätzungsweise 30 000 neue Mitglieder nach Zion gelangen, was für das Werk eine große Bereicherung darstellte. Etliche verfügten über dringend gebrauchte Fähigkeiten, waren etwa Steinmetz, und andere eigneten sich im Salt Lake Valley neue Kenntnisse an. Diese Menschen konnten aufgrund ihrer Fertigkeiten Gebäude errichten – wie den Salt-Lake-Tempel und das Tabernakel – oder andere Arbeiten verrichten und dadurch hervorragende Dienste leisten. Sie kamen mit Planwagen oder Handkarren hierher. Abgesehen von der furchtbaren Handkarrentragödie im Winter 1856, als etwa 200 Menschen in der Prärie von Wyoming erfroren oder aufgrund von Krankheiten starben, verlief die Reise der Neuankömmlinge in Sicherheit, und sie wurden hier in den Bergen Utahs zu wichtigen Mitgliedern der Kirchenfamilie.

James Moyle beispielsweise war ein Steinmetz aus Plymouth in England, der sich mit 17 Jahren taufen ließ. Über jenen Anlass schrieb er: “Ich gelobte dem Herrn damals, dass ich ihm dienen würde, ganz gleich, ob man mir Gutes oder Schlechtes nachsagen würde. Das war der Wendepunkt in meinem Leben, denn es hielt mich von schlechter Gesellschaft fern.” (In: Hinckley, Gordon B., James Henry Moyle, 1951, 18.)

Er war zwar gelernter Steinmetz, aber er hatte kaum Geld. Er belieh also den Ständigen Auswanderungsfonds und verließ 1854 England. Er kam per Schiff nach Amerika, überquerte die Prärie und fand in Salt Lake City fast umgehend Arbeit, nämlich als Steinmetz am Lion House. Dafür erhielt er pro Tag 3 Dollar. Er sparte sein Geld, und als er 70 Dollar beisammen hatte, was der Summe entsprach, die er dem Ständigen Auswanderungsfonds schuldete, zahlte er diesen Betrag sogleich zurück. Er sagte: “Von da an betrachtete ich mich als freien Mann.” (James Henry Moyle, 24.)

Der Ständige Auswanderungsfonds wurde aufgelöst, als er nicht mehr gebraucht wurde. Ich könnte mir vorstellen, dass viele, die mir heute zuhören, von denen abstammen, denen dieser Fonds zugute kam. Sie leben heute in Wohlstand und Sicherheit, weil Ihren Vorfahren geholfen wurde.

Heute stehen wir in der Kirche wieder vor einem Problem. Es gibt viele junge Missionare und Missionarinnen, die in ihrem Heimatland auf Mission berufen werden. Sie erfüllen ehrenvoll eine Mission – in Mexiko, Mittelamerika, Südamerika, auf den Philippinen oder anderswo. Sie haben kaum Geld, aber sie tragen zu den Kosten ihrer Mission bei, soweit sie können. Zum großen Teil werden sie vom Allgemeinen Missionarsfonds der Kirche unterstützt, in den viele von Ihnen einzahlen, und für diese Spenden sind wir zutiefst dankbar.

Die jungen Leute werden ausgezeichnete Missionare; sie arbeiten mit den Missionaren aus den Vereinigten Staaten und aus Kanada zusammen. Auf Mission lernen sie, wie die Kirche funktioniert. Sie erhalten einen vertieften Einblick ins Evangelium. Sie lernen etwas Englisch. Sie arbeiten voller Glauben und Engagement. Doch dann kommt der Tag, an dem sie entlassen werden. Sie kehren voller Hoffnung nach Hause zurück. Doch für viele ist es ungemein schwierig, Arbeit zu finden, weil sie keine Ausbildung haben. Sie versinken gleich wieder im Sumpf der Armut, aus dem sie gekommen waren.

Wegen ihrer begrenzten Fähigkeiten werden sie kaum Führungspositionen in der Kirche bekleiden. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sie statt dessen Wohlfahrtshilfe benötigen. Sie heiraten und ziehen Kinder groß, und der Kreis der Armut schließt sich für eine neue Generation. Ihre Zukunft sieht wirklich düster aus. Es gibt weitere junge Leute, die nicht auf Mission waren, die sich aber in einer ähnlichen Lage befinden, was die Ausbildung von Fertigkeiten betrifft, mit deren Hilfe sie sich aus der Armut befreien könnten.

Um dem Abhilfe zu schaffen, schlagen wir einen Plan vor – einen Plan, von dem wir glauben, dass er vom Herrn inspiriert ist. Die Kirche richtet einen Fonds ein, der vor allem aus den Spenden glaubenstreuer Heiliger der Letzten Tage gespeist wird, die schon bisher zu diesem Zweck gespendet haben und das auch weiterhin tun werden. Wir sind ihnen sehr dankbar. Da dieser Plan auf ähnlichen Prinzipien beruht wie der Ständige Auswanderungsfonds, wird er Ständiger Ausbildungsfonds heißen.

Aus den Erträgen aus diesem Fonds werden Kredite an ehrgeizige junge Männer und Frauen vergeben. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um zurückgekehrte Missionare, die sich so Geld für ihre Ausbildung leihen können. Es wird von ihnen erwartet, dass sie dann, wenn sie einer geregelten Arbeit nachgehen, das, was ihnen geliehen wurde, zurückzahlen – und dazu noch einen kleinen Zinsbetrag, der sie zur Rückzahlung motivieren soll.

Wir gehen davon aus, dass diese jungen Leute sich an ihrem Wohnort weiterbilden. Sie können dann zu Hause wohnen. In den genannten Ländern gibt es ein ausgezeichnetes Institutsprogramm, so dass sie der Kirche nahe bleiben können. Den jeweiligen Institutsdirektoren sind die Ausbildungsmöglichkeiten vor Ort bekannt. Zunächst werden die meisten Auszubildenden eine technische Lehre absolvieren, werden etwa zum Computertechniker oder Kältetechniker ausgebildet oder erlernen einen anderen Beruf, der gefragt ist und den sie erlernen können. Der Plan ließe sich später auf andere Lehrberufe ausdehnen.

Wir erwarten, dass diese jungen Männer und Frauen das Institut besuchen, wo der Direktor sich über ihren Fortschritt auf dem Laufenden halten kann. Wer an diesem Programm teilnehmen möchte, bewirbt sich beim Institutsdirektor, der seine Zusage erteilt, nachdem der Bischof und der Pfahlpräsident Würdigkeit und Bedürftigkeit festgestellt haben. Die Namen und die erforderlichen Kreditbeträge werden dann nach Salt Lake City gemeldet, wo die Schecks ausgestellt werden, und zwar nicht auf den Betreffenden selbst, sondern auf die Ausbildungsstätte. So kommt niemand in Versuchung, das Geld anderweitig zu verbrauchen.

Wir werden hier in Salt Lake City einen engagierten Aufsichtsrat sowie einen Direktor für das Programm haben – eine emeritierte Generalautorität, einen Mann, der seine geschäftlichen und fachliche Fähigkeiten schon unter Beweis gestellt und sich bereit erklärt hat, diese Aufgabe ehrenamtlich zu übernehmen.

Wir brauchen also keine neue Organisation und keine Angestellten, außer dem ehrenamtlichen Direktor und einer Sekretärin. Es ist praktisch kein Verwaltungsaufwand vonnöten.

Ein bescheidener Anfang soll noch diesen Herbst gemacht werden. Wir können uns gut vorstellen, dass dieses Programm einmal einer beträchtlichen Anzahl junger Leute Hilfestellung geben wird.

Diese jungen Männer und Frauen können sich durch die auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren Fertigkeiten aus der Armut befreien, in der sie und Generationen vor ihnen gelebt haben. Sie werden besser für ihre Familie sorgen können. Sie werden in der Kirche dienen und in Führungsaufgaben hineinwachsen. Sie werden ihren Kredit zurückzahlen, so dass dadurch auch andere in den Genuss dieser Segnungen kommen können. Der Fonds wird als Umlauffonds gehandhabt. Als glaubenstreue Mitglieder der Kirche werden diese Menschen den Zehnten und die sonstigen Spenden zahlen, und die Kirche wird dort, wo sie leben, ihretwegen beträchtlich erstarken.

Es gibt ein altes Sprichwort: Gib einem Menschen einen Fisch, so hat er einen Tag lang zu essen. Bringst du ihm hingegen bei, wie man Fische fängt, so hat er sein Lebtag zu essen.

Dies ist ein kühnes Unterfangen, aber wir glauben, dass es nötig ist und zum Erfolg führen wird. Es wird ein offizielles Programm der Kirche sein – mit allem, was dazugehört. Es wird sich für alle, die damit in Berührung kommen, als Segen erweisen – für die jungen Männer und Frauen, für deren zukünftige Familie und für die Kirche, die mit starken örtlichen Führungskräften gesegnet sein wird.

Es ist erschwinglich. Schon jetzt ist genug Geld für die Anfangsphase eingezahlt worden. Das Programm wird funktionieren, weil es der Priestertumslinie folgt und weil es vor Ort durchgeführt wird. Es geht hier um ganz konkrete Fertigkeiten und Fachkenntnisse, an denen Bedarf besteht. Wer an diesem Programm teilnimmt, dem haftet keinerlei Makel an, ganz im Gegenteil – er kann stolz auf das sein, was hier vor sich geht. Es handelt sich hierbei nicht um ein Wohlfahrtsprogramm, so lobenswert das auch sein mag, sondern um eine Ausbildungsmöglichkeit. Wem es zugute gekommen ist, der zahlt das Geld später zurück, und dadurch genießt er ein wunderbares Gefühl der Freiheit, denn er hat sein Leben nicht durch ein Stipendium oder ein Geschenk bereichert, sondern durch geliehenes Geld, das er wieder zurückzahlt. Er kann also unabhängig das Haupt erheben. Und mit großer Wahrscheinlichkeit wird so jemand sein Leben lang treu und aktiv bleiben.

Vereinzelt führen wir im Rahmen des Wohlfahrtsprogramms der Kirche bereits einen Arbeitsvermittlungsdienst durch. Diese Einrichtung besteht hauptsächlich aus Arbeitsvermittlungsbüros. Der Ausbildungsbereich wird dem Ständigen Ausbildungsfonds zugezählt, doch die Arbeitsvermittlung läuft weiterhin über das Wohlfahrtsprogramm. Diese Arbeitsvermittlungsdienste nehmen sich der Männer und Frauen an, die eine Anstellung suchen und bereits ausgebildet sind, denen jedoch konkrete Stellenangebote fehlen. Das eine ist ein sich erneuernder Ausbildungsfonds, der die Ausbildung von Fertigkeiten erst ermöglicht; das andere ist dazu da, solchen Männern und Frauen eine bessere Stelle zu vermitteln, die bereits über am Markt gefragte Fähigkeiten verfügen.

Präsident Clark hat uns in den allgemeinen Priestertumsversammlungen immer wieder gesagt, dass es nichts gibt, was das Priestertum nicht schaffen kann, wenn wir nur gemeinsam daran arbeiten, ein Programm durchzuführen, das den Menschen ein Segen ist. (Siehe J. Reuben Clark Jr., in Conference Report, 1950, 180.)

Möge der Herr uns die visionäre Kraft und den Weitblick gewähren, das zu tun, was für unsere Mitglieder nicht nur geistig, sondern auch zeitlich von Nutzen ist. Auf uns ruht eine schwerwiegende Verpflichtung. Präsident Joseph F. Smith hat vor beinahe hundert Jahren gesagt, dass eine Religion, die dem Menschen in diesem Leben nicht hilft, wahrscheinlich auch im nächsten Leben nicht viel für ihn tun könne. (Siehe “The Truth about Mormonism”, Out West, September 1905, 242.)

Überall, wo unter unseren Mitgliedern die Armut weit verbreitet ist, müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun und ihnen helfen, sich aufzuschwingen und ihr Leben auf eine selbstständige Grundlage zu stellen, was durch eine Ausbildung geschehen kann. Ausbildung ist ein Schlüssel zu weiteren Chancen. Sie muss dort stattfinden, wo die Betreffenden wohnen. Denn dann ist sie den Möglichkeiten im jeweiligen Gebiet angepasst und kostet auch weit weniger, als wenn die jungen Leute in den Vereinigten Staaten, in Kanada oder in Europa einen Beruf erlernten.

Dies ist kein leerer Traum. Wir haben die Mittel. Wir haben großzügige Freunde. Wir haben die Organisation. Wir haben die Arbeitskraft und die engagierten Knechte des Herrn, die dieses Programm zum Erfolg führen können. Es ist eine rein ehrenamtliche Sache, die die Kirche praktisch nichts kostet. Wir beten voller Demut und Dankbarkeit, dass Gott dieses Unterfangen gedeihen lässt und dass es sich für Tausende als reicher und wunderbarer Segen erweisen wird – genauso wie sein Vorläufer, der Ständige Auswanderungsfonds, zahllose Segnungen im Leben derer wahr werden ließ, die sich an diesem Programm beteiligten.

Wie gesagt, haben einige Gönner bereits beträchtliche Summen gespendet, um den Fonds aufzubauen, aus dessen Erträgen dann das benötigte Geld genommen wird. Aber wir brauchen wesentlich mehr. Wir laden auch andere ein, dazu beizutragen, wenn sie möchten.

Wir haben einkalkuliert, dass der eine oder andere es versäumen wird, seinen Kredit zurückzuzahlen. Wir sind jedoch zuversichtlich, dass die meisten tun werden, was von ihnen erwartet wird, und dass sich dies für Generationen zum Segen erweisen wird. Wir können davon ausgehen, dass auch zukünftige Generationen einen solchen Bedarf haben. Jesus hat gesagt: “Die Armen habt ihr immer bei euch.” (Johannes 12:8.) Darum muss ein solcher Fonds auch immer wieder aufgestockt werden.

Brüder, es ist unsere feierliche Pflicht und unbestreitbar unsere Verantwortung, die Schwachen zu stützen, die herabgesunkenen Hände emporzuheben und die müden Knie zu stärken (siehe LuB 81:5). Wir müssen den Menschen helfen, selbstständig und erfolgreich zu werden.

Ich glaube, der Herr möchte sein Volk nicht zu einem Leben in Armut verurteilt sehen. Ich glaube, er möchte, dass die Glaubenstreuen die guten Dinge der Erde genießen. Er möchte, dass wir alles tun, um ihnen zu helfen. Und er wird auch uns dabei segnen. Ich bete demütig darum, dass dieses Unternehmen erfolgreich wird, und ich bitte Sie um Ihren Glauben, Ihre Gebete und Ihr Interesse dafür. Ich tue das im Namen des Herrn Jesus Christus, amen.