Was zerbrochen ist, soll repariert werden
Wenn er zu denen, die arm sind im Geist, sagt: „Kommt zu mir“, meint er, dass er den Ausweg kennt, und er kennt auch den Weg nach oben.
Die ersten Worte, die Jesus in seiner erhabenen Bergpredigt sprach, galten den Bedrängten, den Entmutigten und den Niedergeschlagenen: „Selig, die arm sind vor Gott“, sagte er, „denn ihnen gehört das Himmelreich.“1 Ob Sie nun Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage sind oder zu den Zehntausenden zählen, die heute Morgen zuhören, aber nicht unserem Glauben angehören: Ich spreche zu denen, die persönlichen Prüfungen und familiären Problemen gegenüberstehen, zu denen, die Konflikte in den einsamen Höhlen ihres Herzens ausfechten, zu denen, die die Fluten der Verzweiflung aufhalten wollen, die manchmal über uns hinwegrollen wie ein Tsunami der Seele. Ich möchte besonders zu denen sprechen, die das Gefühl haben, ihr Leben sei zerstört, anscheinend irreparabel.
Ihnen allen biete ich die beste und süßeste Medizin an, die ich kenne. Man findet sie in dem schallenden Ruf, den der Erretter der Welt selbst aussandte. Er sagte dies zu Beginn seines Wirkens und er sagte es am Ende. Er sagte es den Gläubigen, und er sagte es denen, die sich nicht so sicher waren. Er sagte jedem, was auch immer sein Problem gewesen sein mag:
„Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.
Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele.“2
Bei dieser Verheißung ist die Einleitung „Kommt alle zu mir“ entscheidend. Sie ist der Schlüssel zu dem Frieden und zu der Ruhe, die wir suchen. Auch als der auferstandene Erretter seine Predigt am Tempel der Nephiten in der Neuen Welt hielt, begann er: „Gesegnet sind die im Geist Armen, die zu mir kommen, denn ihnen gehört das Himmelreich.“3
Als Andreas und Johannes zum ersten Mal Christus reden hörten, waren sie so bewegt, dass sie ihm nachgingen, als er sich von der Menge entfernte. Als er merkte, dass ihm jemand folgte, wandte sich Jesus um und fragte die zwei Männer: „Was wollt ihr?“ Sie entgegneten: „Wo wohnst du?“ Und Christus antwortete: „Kommt und seht.“ Am nächsten Tag fand er einen weiteren Jünger, Philippus, und sagte zu ihm: „Folge mir nach!“4 Nur wenig später berief er Petrus und weitere der neuen Apostel mit der gleichen Einladung. „Kommt her, folgt mir nach!“5, sagte er.
Es scheint offensichtlich, dass unsere wichtigste Aufgabe und die grundlegende Anforderung an unser sterbliches Leben in diesen kurzen Sätzen aus verschiedenen Situationen im Erdenleben des Erretters erfasst sind. Er sagt uns: „Vertrau mir, lerne von mir, tue, was ich tue. Dann, wenn du dort hingehst, wo ich hingehe“, sagt er, „können wir darüber reden, wohin du gehst und vor welchen Problemen und Schwierigkeiten du stehst. Wenn du mir nachfolgst, werde ich dich aus der Finsternis herausführen“, verspricht er. „Ich werde dir Antwort auf deine Gebete geben. Ich werde deiner Seele Ruhe schenken.“
Meine lieben Freunde, ich kenne für uns keinen anderen Weg zum Erfolg oder zur Sicherheit inmitten der vielen Fallen und Probleme des Lebens. Ich kenne keinen anderen Weg für uns, unsere Last zu tragen oder das zu finden, was Jakob im Buch Mormon als „jenes Glücklichsein, das für die Heiligen bereitet ist“,6 bezeichnet.
Wie kommt man also „zu Christus“ als Reaktion auf diese wiederholte Einladung? Die heiligen Schriften bieten etliche Beispiele und Wege dorthin. Die grundlegendsten kennen Sie ganz genau. Das Leichteste und Erste ist ganz einfach der Wunsch unseres Herzens, die einfachste Form des Glaubens, die wir kennen. „Wenn ihr nicht mehr könnt, als dass ihr den Wunsch habt zu glauben“, sagt Alma, „und zu einem kleinen Teil Glauben ausübt, … sodass ihr [ein wenig] … Raum geben könnt“7, für die Verheißung Gottes also Platz schafft, dann ist das für den Anfang genug. Nur zu glauben, nur ein winziges Stück Glauben zu haben – einfach auf etwas zu hoffen, was wir zwar noch nicht gesehen haben, was aber dennoch bereitet ist, damit wir es empfangen8 – dieser einfache Schritt war und wird immer, wenn man auf den Herrn Jesus Christus schaut, der erste Grundsatz seines ewigen Evangeliums sein, der erste Schritt aus der Verzweiflung.
Zweitens: Wir müssen alles ändern, was wir ändern können und was zu dem Problem gehören könnte. Kurz: Wir müssen umkehren – vielleicht das hoffnungsvollste und ermutigendste Wort im christlichen Wortschatz. Wir danken unserem Vater im Himmel, dass es uns erlaubt ist, etwas zu ändern. Wir danken Jesus, dass wir etwas ändern können, und das können wir letztlich nur durch ihre göttliche Hilfe. Mit Sicherheit ist nicht alles, wogegen wir ankämpfen, ein Ergebnis unseres Tuns. Oft sind es Folgen des Tuns anderer oder einfach Ereignisse im irdischen Leben. Aber alles, was wir ändern können, sollten wir ändern, und für den Rest müssen wir Vergebung üben. So können wir ungehindert das Sühnopfer des Erretters in Anspruch nehmen – in dem Maße, wie es uns mit unserer Unvollkommenheit möglich ist. Und an der Stelle holt er uns dann ab.
Drittens: So weit wie möglich versuchen wir, das Wesen Jesu anzunehmen, und den Anfang machen wir damit, dass wir seinen Namen auf uns nehmen. Dieser Name wird formell mit den Bündnissen der errettenden Verordnungen des Evangeliums verliehen. Das geht von der Taufe bis hin zu den Tempelbündnissen, und es gehören viele andere dazu, wie die Teilnahme am Abendmahl, die unser Leben als zusätzliche Segnungen und Erinnerungshilfen durchziehen. Als er die Menschen seiner Zeit über die Botschaft belehrte, die wir heute Morgen verkünden, sagte Nephi: „[Folgt] dem Sohn mit voller Herzensabsicht [nach], … mit wirklichem Vorsatz, [nehmt] den Namen Christi auf euch. … Tut das, wovon ich euch gesagt habe, ich hätte gesehen, dass euer Herr und euer Erlöser es tun werde.“9
Wenn man diese grundlegenden Lehren befolgt, eröffnen sich einem ungeahnte und vielfältige Verbindungen zu Christus. Beten und Fasten und über seine Absichten nachsinnen. Die Schriften genießen, anderen dienen. „Steh den Schwachen bei, hebe die herabgesunkenen Hände empor, und stärke die müden Knie.“10 Vor allem aber mit der „reinen Christusliebe“ lieben, der Gabe, die niemals aufhört, die alles erträgt, alles glaubt, alles hofft, alles erduldet.11 Wenn wir diese Liebe haben, erkennen wir bald, dass unsere Tage eine Vielzahl von Wegen zu unserem Meister bieten. Und wenn wir uns, und sei es noch so schwach, nach ihm ausstrecken, stellen wir fest, dass er sich schon lange intensiv bemüht hat, uns zu erreichen. So gehen wir vorwärts, bemühen uns, suchen und geben nicht nach.12
Mein Wunsch heute für uns alle – nicht nur für die „im Geist Armen“, sondern für uns alle – ist, dass wir mehr direkte persönliche Erfahrungen mit dem Beispiel des Erretters sammeln. Manchmal suchen wir den Himmel zu indirekt, indem wir uns auf Programme, Geschichte oder die Erfahrungen anderer konzentrieren. Das ist wichtig, aber nicht so wichtig wie persönliche Erfahrungen, wahre Gefolgschaft und die Stärke, die dadurch entsteht, dass man selbst erlebt, wie erhaben sein Einfluss auf uns ist.
Kämpfen Sie gegen einen Dämonen der Sucht an – Tabak oder Drogen oder Spielsucht oder die üble Plage Pornografie, die heute so um sich greift? Haben Sie Eheprobleme oder ist Ihr Kind in Gefahr? Sind Sie verwirrt, was Ihr Geschlecht betrifft, oder sind Sie auf der Suche nach Selbstachtung? Stehen Sie – oder jemand, den Sie lieben – Krankheit oder Depression oder Tod gegenüber? Welche anderen Schritte Sie auch immer gehen müssen, um diese Probleme zu lösen, kommen sie zuerst zum Evangelium Jesu Christi. Vertrauen Sie den Verheißungen des Himmels. Was das betrifft, ist Almas Zeugnis auch meines: „Ich weiß sicher“, sagt er, „wer auch immer sein Vertrauen in Gott setzt, der wird in seinen Prüfungen und seinen Mühen und seinen Bedrängnissen gestärkt.“13
Dieses Vertrauen auf die barmherzige Natur Gottes ist der Mittelpunkt des Evangeliums, das Christus lehrte. Ich bezeuge, dass das Sühnopfer des Erretters uns nicht nur von der Last unserer Sünden befreit, sondern auch von der Last, die wir aufgrund von Enttäuschung und Leid, Kummer und Verzweiflung tragen.14 Von Anfang an gab es dieses Vertrauen in so eine Hilfe, um uns sowohl einen Grund als auch einen Weg zu zeigen, uns zu bessern, einen Anreiz, unsere Last abzulegen und Errettung aufzunehmen. Es kann und wird viele Schwierigkeiten im Leben geben. Doch die Seele, die zu Christus kommt, die seine Stimme kennt und sich bemüht, so zu handeln wie er, findet Stärke, wie es in einem Kirchenlied heißt, „über die eigene hinaus“.15 Der Erretter erinnert uns daran, dass er uns „auf die Flächen [seiner] Hände gezeichnet“16 hat. Wenn man sich den unvorstellbaren Preis für seine Kreuzigung und das Sühnopfer vorstellt, kann ich Ihnen versichern, dass er sich auch jetzt nicht von uns abwendenwird. Wenn er zu denen, die arm sind im Geist, sagt: „Kommt zu mir“, meint er, dass er den Ausweg kennt, und er kennt auch den Weg nach oben. Er kennt ihn, weil er den Weg gegangen ist. Er kennt den Weg, weil er der Weg ist.
Brüder und Schwestern, was auch immer Ihre Not ist, bitte geben Sie nicht auf und bitte geben Sie der Angst nicht nach. Es hat mich immer berührt, wie sich Bruder Bryant S. Hinckley von seinem Sohn verabschiedete, als dieser sich auf den Weg zu seiner Mission in England machte. Er umarmte den jungen Gordon und steckte ihm eine handschriftliche Notiz zu, auf der nur fünf Worte aus dem fünften Kapitel in Markus standen: „Sei ohne Furcht; glaube nur!“17 Ich denke auch an die Nacht, in der Christus seinen ängstlichen Jüngern zu Hilfe eilte. Er ging ihnen auf dem Wasser entgegen und rief ihnen zu: „Ich bin es; fürchtet euch nicht!“ Petrus erwiderte: „Herr, wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme.“ Darauf antwortete Christus das, was er immer sagte, jedes Mal: „Komm!“ Sofort, wie es seiner Natur entsprach, sprang Petrus aus dem Boot auf das aufgewühlte Wasser. Während seine Augen auf den Herrn gerichtet waren, konnte der Wind durchseine Haare wehen und die Gischt konnte seine Kleidung durchnässen, aber alles war wohl – er kam zu Christus. Erst als sein Glaube wankte und Angst ihn überkam, erst als er seinen Blick vom Meister abwandte, um die wilden Wellen und die unheilvolle Tiefe unter sich zu betrachten, erst dann begann er, im Wasser zu versinken. Voller Angst rief er jetzt: „Herr, rette mich!“
Der Herr über jedes Problem und jede Angst, er, der die Lösung für jede Entmutigung und Enttäuschung ist, streckte zweifellos mit einer gewissen Traurigkeit seine Hand aus und griff nach dem untergehenden Jünger mit dem sanften Tadel: „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“18
Wenn Sie einsam sind, sollen Sie wissen, dass Sie Trost finden können. Wenn Sie entmutigt sind, sollen Sie wissen, dass Sie Hoffnung finden können. Wenn Sie arm sind im Geist, sollen Sie wissen, dass Sie gestärkt werden können. Wenn Sie den Eindruck haben, Sie seien gebrochen, sollen Sie wissen, dass es Heilung gibt.
Die Straße führt durch Nazaret,
die Kraft und Atem nehmen kann,
vorbei am Haus, wo einst gelebt
von Nazaret der Zimmermann.
Hinauf, hinab den staub’gen Weg
das Volk des Dorfes zu ihm eilt;
und auf die Werkbank man ihm legt
Zerbrochnes, dass er’s wieder heilt.
Zerbrochnes Spielzeug bringt das Kind,
die Frau schleppt einen Stuhl heran,
der Mann Pflug oder Joch fürs Rind –
„Machst du’s uns heil, o Zimmermann?“
Voll Hoffnung auf den Weg gemacht:
Ob Spielzeug, Stuhl, Pflug oder Joch,
zerbrochen zwar, als sie’s gebracht,
erhalten ganz und heil sie’s doch.
Jahraus, jahrein den Berg hinauf
mit schwerem Schritt, beladen schwer,
voll Sehnsucht schreit manch Seele auf,
die sich gequält hat bis hierher:
„O Zimmermann von Nazaret,
dies Herz zerbrochen ist vor Gram,
dies Leben gänzlich ist zerstört –
kannst heilen du es, Zimmermann?“
Und schon verwebt die güt’ge Hand
das eigne Leben, rein und schön,
mit unserm Leben, Band um Band,
und gänzlich neu wir vor ihm stehn.
„Das Herz zerbrochen: Glaube, Glück
und Hoffnung, die es einst belebt –
form daraus ein vollkommnes Stück,
o Zimmermann von Nazaret!“19
Mögen wir alle, insbesondere die, die arm sind im Geiste, zu ihm kommen und geheilt werden, das erbitte ich im Namen von Jesus Christus aus Nazaret. Amen.