Vorsorge auf die Weise des Herrn
Die Wohlfahrtsgrundsätze der Kirche sind nicht bloß einfach gute Ideen, sondern vielmehr offenbarte Wahrheiten von Gott – sie sind seine Weise, den Bedürftigen zu helfen.
Vor 65 Jahren, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, erfuhr ich aus erster Hand, welche Segnungen mit dem Wohlfahrtsprogramm der Kirche einhergehen. Ich war zwar noch klein, aber ich erinnere mich noch heute an den süßen Geschmack von eingekochten Pfirsichen mit Weizengrütze und an den ganz eigenen Geruch gespendeter Kleidung, die hilfsbereite Mitglieder der Kirche aus den USA an die Heiligen im Nachkriegsdeutschland geschickt hatten. Was man für uns, die wir in großer Not waren, aus Liebe und Güte getan hat, werde ich nie vergessen und es wird mir immer eine kostbare Erinnerung sein.
Dieses eigene Erlebnis und der 75. Jahrestag des inspirierten Wohlfahrtsplans geben mir Anlass, wieder einmal über diese elementaren Grundsätze nachzudenken: für die Armen und Bedürftigen sorgen, eigenständig werden und unseren Mitmenschen dienen.
Direkt verhaftet mit der Wurzel unseres Glaubens
Zuweilen sehen wir in der Wohlfahrt einfach nur ein weiteres Evangeliumsthema – einen der vielen Zweige am Evangeliumsbaum. Ich glaube jedoch, dass im Plan des Herrn unsere Entschlossenheit, nach den Wohlfahrtsgrundsätzen zu leben, direkt mit der Wurzel unseres Glaubens und mit unserer Hingabe an Gott verhaftet sein sollte.
Seit Anbeginn der Zeit hat unser Vater im Himmel diesbezüglich mit großer Deutlichkeit gesprochen. Von der sanften Bitte „Wenn du mich liebst, … wirst [du] der Armen gedenken und von deinem Eigentum das, was du mit ihnen teilen kannst, ihrer Unterstützung weihen“1 über den unmittelbaren Befehl: „Gedenkt in allem der Armen und der Bedürftigen, der Kranken und der Bedrängten, denn wer das nicht tut, der ist nicht mein Jünger“2 bis hin zur energischen Ermahnung: „Wenn jemand von dem Überfluss nimmt, den ich gemacht habe, und von seinem Teil nicht, gemäß dem Gesetz meines Evangeliums, den Armen und den Bedürftigen abgibt, so wird er zusammen mit den Schlechten in der Hölle seine Augen emporheben in seiner Qual.“3
Zeitliches und Geistiges sind miteinander verbunden
Die beiden wichtigsten Gebote – Gott und unseren Nächsten lieben – sind eine Verknüpfung von Zeitlichem und Geistigem. Beachten wir hierbei, dass diese beiden Gebote als „wichtigste“ bezeichnet werden, weil alle anderen Gebote an ihnen hängen.4 Anders gesagt: Unsere Prioritäten in persönlichen, familiären und kirchlichen Belangen müssen hier ihren Anfang nehmen. Alle anderen Ziele und Unternehmungen sollten diesen beiden wichtigsten Geboten entspringen, nämlich der Liebe zu Gott und zu unserem Nächsten.
Wie die zwei Seiten einer Münze sind auch das Zeitliche und das Geistige untrennbar.
Der Schöpfer allen Lebens hat verkündet: „Für mich ist alles geistig, und niemals, zu keiner Zeit, habe ich euch ein Gesetz gegeben, das zeitlich ist.“5 Für mich bedeutet das, dass „geistiges Leben zunächst einmal ein LebenIT ist. Es ist nicht bloß etwas, was man kennenlernt und studiert, sondern man muss es leben.“6
Leider übersehen einige das Zeitliche, weil sie es für weniger wichtig halten. Sie schätzen das Geistige und setzen das Zeitliche herab. Zwar ist es wichtig, dass wir unsere Gedanken gen Himmel richten, aber das Wesentliche unserer Religion entgeht uns, wenn wir uns nicht auch unseren Mitmenschen zuwenden.
Henoch errichtete zum Beispiel eine Zionsgesellschaft. Dieser ging ein geistiger Wandel voraus, bei dem das Volk immer mehr eines Herzens und eines Sinnes wurde und auch für Zeitliches sorgte, nämlich dafür, dass es unter ihnen keine Armen gab.7
Wie immer können wir auch hier zu unserem vollkommenen Vorbild, Jesus Christus, aufschauen, der uns ein Muster vorgibt. So hat Präsident J. Reuben Clark Jr. erläutert: „Als der Heiland auf die Erde kam, hatte er zwei wichtige Aufgaben: erstens, die ihm bestimmte Rolle des Messias wahrzunehmen, für den Fall zu sühnen und das Gesetz zu erfüllen; zweitens sein Wirken unter seinen Brüdern und Schwestern im Fleische, durch das er ihr Leid linderte.“8
In ähnlicher Weise ist unser geistiger Fortschritt untrennbar mit dem zeitlichen Dienst an anderen verbunden.
Beides ergänzt einander. Eins ohne das andere verfälscht Gottes Plan des Glücklichseins.
Die Weise des Herrn
Es gibt viele gute Menschen und Organisationen auf der Welt, die sich bemühen, den Armen und Bedürftigen überall das zu geben, was sie so dringend benötigen. Dafür sind wir dankbar, und doch unterscheidet sich die Weise des Herrn, für die Bedürftigen zu sorgen, von der Weise der Welt. Der Herr hat gesagt: „Aber es muss notwendigerweise auf meine eigene Weise geschehen.“9 Er ist nicht nur an unseren unmittelbaren Bedürfnissen interessiert, sondern ihm geht es auch um unseren ewigen Fortschritt. Aus diesem Grund haben Eigenständigkeit und Dienst am Nächsten neben der Sorge für die Armen schon immer zur Weise des Herrn gehört.
1941 trat der Gila River über die Ufer und überflutete das Duncan-Tal in Arizona. Ein junger Pfahlpräsident namens Spencer W. Kimball kam mit seinen Ratgebern zusammen. Sie schätzten den Schaden und schickten ein Telegramm nach Salt Lake City, in dem sie um einen hohen Geldbetrag baten.
Statt ihnen Geld zu senden, schickte Präsident Heber J. Grant drei Männer: Henry D. Moyle, Marion G. Romney und Harold B. Lee. Sie trafen sich mit Präsident Kimball und brachten ihm etwas Wichtiges bei: „Bei diesem Programm geht es nicht darum, etwas einzufordern“, erklärten sie. „Bei diesem Programm geht es darum, sich selbst zu helfen.“
Viele Jahre später sagte Präsident Kimball dazu: „Es wäre, glaube ich, ein Leichtes für die Brüder gewesen, uns [das Geld] zu schicken, und mir wäre es nicht allzu schwer gefallen, in meinem Büro zu sitzen und es zu verteilen. Aber wie viel Gutes wurde dadurch bewirkt, dass Hunderte [von uns] nach Duncan kamen, Zäune bauten, Heu schleppten und den Boden ebneten und all das in die Hand nahmen, was gemacht werden musste. Das bedeutet es, sich selbst zu helfen.“10
Indem sie sich an die Weise des Herrn hielten, stillten die Mitglieder von Präsident Kimballs Pfahl nicht nur ihre unmittelbaren Bedürfnisse, sondern sie entwickelten auch Eigenständigkeit, linderten Leid und wuchsen an Liebe und Einigkeit, als sie einander dienten.
Jeder von uns ist gefordert
Gerade in diesem Moment gibt es viele Mitglieder der Kirche, die leiden. Sie sind hungrig, haben finanzielle Sorgen oder kämpfen mit allerlei körperlichen, seelischen oder geistigen Gebrechen. Sie beten mit der ganzen Kraft ihrer Seele um Beistand, um Hilfe.
Brüder, glauben Sie bitte nicht, dass dies die Aufgabe von jemand anderem ist. Es ist meine und es ist Ihre. Wir alle sind gefordert. „Alle“ bedeutet wirklich alle – jeden Träger des Aaronischen oder des Melchisedekischen Priestertums, sei er reich oder arm, in jedem Land. Im Plan des Herrn kann jeder seinen Beitrag leisten.11
Die Lektion, die wir in jeder Generation lernen, besteht darin, dass Reiche und Arme gleichermaßen der heiligen Verpflichtung unterstehen, dem Nächsten zu helfen. Wir alle müssen zusammenarbeiten, um die Grundsätze der Wohlfahrt und Eigenständigkeit erfolgreich in die Tat umzusetzen.
Allzu häufig bemerken wir in unserem Umfeld Not und hoffen, dass jemand aus der Ferne wie von Zauberhand erscheint und die Not lindert. Vielleicht warten wir auf einen Fachmann mit Spezialkenntnissen, der ein konkretes Problem löst. Wenn wir das tun, berauben wir unseren Nächsten der Dienste, die wir leisten könnten, und wir berauben uns selbst der Gelegenheit zu dienen. Natürlich ist nichts gegen Fachleute einzuwenden, aber seien wir doch ehrlich: Es wird nie genug Fachleute geben, um alle Probleme zu lösen. Stattdessen hat der Herr uns sein Priestertum und dessen Organisation in jedem Land, in dem es die Kirche gibt, direkt vor die Tür gelegt. Und gleich daneben hat die Frauenhilfsvereinigung ihren Platz bekommen. Wie wir Priestertumsträger wissen, führt keine Maßnahme im Bereich Wohlfahrt zum Erfolg, wenn wir die bemerkenswerten Gaben und Talente unserer Schwestern nicht berücksichtigen.
Es ist nicht die Weise des Herrn, am Ufer des Flusses zu sitzen und zu warten, bis das ganze Wasser vorbeigeflossen ist, ehe wir ihn überqueren. Es ist seine Weise, zusammenzukommen, die Ärmel hochzukrempeln, an die Arbeit zu gehen und eine Brücke oder ein Boot zu bauen, um die Wasser – unsere Herausforderungen – zu überqueren. Sie als Männer Zions, als Priestertumsträger, sind diejenigen, die die Führung übernehmen und den Heiligen Linderung verschaffen können, indem Sie die inspirierten Grundsätze des Wohlfahrtsprogramms in die Tat umsetzen! Sie haben die Aufgabe, Ihre Augen zu öffnen, Ihr Priestertum zu gebrauchen und auf die Weise des Herrn an die Arbeit zu gehen.
Die größte Organisation auf der Erde
Während der Weltwirtschaftskrise wurde Harold B. Lee, der gerade Pfahlpräsident war, von den führenden Brüdern gebeten, sich um die erdrückende Armut, das Leid und den Hunger, von denen seinerzeit so viele betroffen waren, zu kümmern. Er rang um eine Lösung, brachte die Angelegenheit vor den Herrn und fragte: „Was für eine Organisation brauchen wir …, um dies zu bewerkstelligen?“
Und „es war so, als hätte der Herr [zu ihm] gesagt:, Schau mal, mein Sohn. Du brauchst gar keine andere Organisation. Ich habe dir die großartigste Organisation gegeben, die es auf der Erde gibt. Nichts ist größer als die Organisation des Priestertums. Alles, was du zu tun hast, ist, das Priestertum ins Werk zu setzen. Das ist alles.ʻ“12
Auch in unserer Zeit ist dies der Ausgangspunkt. Die Organisation des Herrn ist bereits vorhanden. Nun müssen wir entscheiden, wie wir davon Gebrauch machen wollen.
Zunächst einmal müssen wir uns mit dem, was der Herr schon offenbart hat, vertraut machen. Wir sollten nicht annehmen, dass wir alles wissen. Wir müssen uns dieser Sache mit der Demut eines Kindes nähern. Jede Generation muss die Lehren neu verinnerlichen, die der Weise des Herrn, für die Bedürftigen zu sorgen, zugrunde liegen. Viele Propheten haben uns in den vergangenen Jahren erläutert, dass die Wohlfahrtsgrundsätze der Kirche nicht bloß einfach gute Ideen sind, sondern vielmehr offenbarte Wahrheiten von Gott – sie sind seine Weise, den Bedürftigen zu helfen.
Brüder, befassen Sie sich zuerst mit den offenbarten Grundsätzen und Lehren. Lesen Sie in den Handbüchern zum Thema Wohlfahrt13 nach; nutzen Sie die Internetseite providentliving.org; lesen Sie sich nochmals den Artikel über den Wohlfahrtsplan der Kirche im Liahona vom Juni 2011 durch. Erfahren Sie mehr darüber, auf welche Weise der Herr für seine Heiligen sorgt. Erkennen Sie, wie die Grundsätze, für die Bedürftigen zu sorgen, dem Nächsten zu dienen und eigenständig zu sein, einander ergänzen. Für den Herrn gehören zur Eigenständigkeit verschiedene Aspekte eines ausgewogenen Lebens, darunter Bildung und Ausbildung, Gesundheit, berufliche Tätigkeit, die Finanzen der Familie und geistige Kraft. Machen Sie sich mit dem heutigen Wohlfahrtsprogramm der Kirche vertraut.14
Wenn Sie sich mit den Lehren und Grundsätzen der Wohlfahrt, die für die ganze Kirche gelten, beschäftigt haben, setzen Sie das Gelernte in die Tat um, um denen, die Ihnen anvertraut worden sind, zu helfen. Was das bedeutet, müssen Sie zu einem Großteil selbst herausfinden. Jede Familie, jede Gemeinde, jedes Gebiet auf der Welt ist anders. Bei der Wohlfahrt in der Kirche wird nicht mit nur einer Schablone gearbeitet. Es ist ein Programm zur Selbsthilfe, bei dem jeder für seine eigene Unabhängigkeit zuständig ist. Unsere Hilfsmittel umfassen das persönliche Gebet, unsere gottgegebenen Talente und Fähigkeiten, alles, was uns dank unserer unmittelbaren Familie und anderer Angehöriger zur Verfügung steht, diverse öffentliche Hilfsangebote und natürlich die liebevolle Unterstützung durch das Priestertumskollegium und die FHV. Dies wird uns durch das inspirierte Programm zur Eigenständigkeit begleiten.
Sie müssen selbst einen Plan entwerfen, der mit der Lehre des Herrn im Einklang steht und den Gegebenheiten bei Ihnen vor Ort gerecht wird. Um göttliche Wohlfahrtsgrundsätze zu verwirklichen, müssen Sie nicht ständig darauf schauen, was sich gerade in Salt Lake City tut. Schauen Sie stattdessen in die Handbücher, in Ihr Herz und gen Himmel. Vertrauen Sie der Inspiration vom Herrn und halten Sie sich an seine Weise.
Zum Schluss müssen Sie bei sich vor Ort das tun, was die Jünger Christi in jeder Evangeliumszeit getan haben: sich beraten, alle vorhandenen Hilfsmittel nutzen, sich um Inspiration vom Heiligen Geist bemühen, den Herrn um Bestätigung bitten und dann die Ärmel hochkrempeln und ans Werk gehen.
Ich verheiße Ihnen: Wenn Sie sich an dieses Muster halten, werden Sie gezielt Führung erhalten und wissen, wem, womit, wann und wo Sie auf die Weise des Herrn dienen sollen.
Segnungen, wenn wir auf die Weise des Herrn vorsorgen
Die prophetischen Verheißungen und Segnungen, die mit der Wohlfahrt in der Kirche verbunden sind und damit, dass man auf die Weise des Herrn vorsorgt, gehören zu den größten und vortrefflichsten, die der Herr seinen Kindern ausgesprochen hat. Er hat gesagt: „Wenn du … dem Hungrigen dein Brot reichst und den Darbenden satt machst, dann geht im Dunkel dein Licht auf und deine Finsternis wird hell wie der Mittag. Der Herr wird dich immer führen.“15
Ob wir reich oder arm sind, und ganz gleich, wo auf dieser Welt wir leben – wir alle brauchen einander. Nur wenn wir unsere Zeit, Talente und Mittel opfern, reift unser Geist und wird geläutert.
Das Werk, auf die Weise des Herrn vorzusorgen, ist nicht lediglich ein Posten im Programmkatalog der Kirche. Wir dürfen es weder ignorieren noch beiseite tun. Es ist in unserer Lehre von zentraler Bedeutung, es ist das Kernstück unserer Religion. Brüder, als Priestertumsträger genießen wir den großen und besonderen Vorzug, das Priestertum ins Werk setzen zu dürfen. Wir dürfen Herz und Verstand nicht davon abbringen, eigenständiger zu werden, besser für die Bedürftigen zu sorgen und voller Mitgefühl zu dienen.
Das Zeitliche ist mit dem Geistigen verwoben. Gott hat uns dieses Erdenleben und die zeitlichen Prüfungen, die damit einhergehen, als Laboratorium gegeben, wo wir uns charakterlich so entwickeln können, wie der Vater im Himmel es wünscht. Mögen wir diese große Aufgabe verstehen und uns des Segens bewusst sein, der folgt, wenn wir uns an die Weise des Herrn halten und entsprechend vorsorgen. Darum bete ich im Namen Jesu Christi. Amen.