Ein Gegensatz in allem
Damit wir unsere Entscheidungsfreiheit ausüben können, müssen wir gegensätzliche Optionen abwägen können
Als wir kürzlich in einer uns unbekannten Stadt unterwegs waren, bog ich versehentlich falsch ab, woraufhin meine Frau und ich kilometerlang eine Schnellstraße entlangfahren mussten, ohne umkehren zu können. Wir waren von einem Freund zu sich nach Hause eingeladen worden und machten uns Sorgen, dass wir nun viel später ankommen würden als vereinbart.
Während ich auf der Schnellstraße verzweifelt nach einer Ausfahrt suchte, machte ich mir Vorwürfe, dass ich nicht besser auf das Navigationssystem geachtet hatte. Diese Erfahrung hat mich veranlasst, darüber nachzudenken, dass wir in unserem Leben manchmal falsche Entscheidungen treffen und dass wir dann demütig und geduldig mit den Folgen leben müssen, bis wir wieder in der Lage sind, unseren Kurs zu ändern.
Im Leben geht es darum, Entscheidungen zu treffen. Unser Vater im Himmel hat uns die göttliche Gabe der Entscheidungsfreiheit gerade aus dem Grund gegeben, dass wir aus unseren Entscheidungen lernen können – aus den richtigen und auch aus den falschen. Wir korrigieren unsere falschen Entscheidungen, wenn wir umkehren. Das ist der Punkt, an dem wir wachsen. Im Plan des himmlischen Vaters für uns alle geht es darum, zu lernen, sich weiterzuentwickeln und auf dem Weg zum ewigen Leben voranzukommen.
Seit meine Frau und ich vor vielen Jahren von den Missionaren unterwiesen wurden und uns der Kirche anschlossen, bin ich immer wieder von den tiefgründigen Lehren beeindruckt, die Lehi seinem Sohn Jakob im Buch Mormon vermittelt hat. Er erklärte ihm, dass „Gott, der Herr, dem Menschen gewährt [hat], für sich selbst zu handeln“1 und dass es „notwendigerweise so sein [muss], dass es in allem einen Gegensatz gibt“2. Damit wir unsere Entscheidungsfreiheit ausüben können, müssen wir gegensätzliche Optionen abwägen können. Dabei ruft das Buch Mormon uns auch ins Gedächtnis, dass wir „genügend unterwiesen“3 wurden und dass „der Geist Christi“4 jedem von uns gegeben wurde, „um Gut von Böse zu unterscheiden“5.
Im Leben stehen wir unentwegt vor vielen wichtigen Entscheidungen. Hier einige Beispiele:
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die Entscheidung, ob wir Gottes Gebote befolgen oder nicht
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die Entscheidung, zu glauben und Wunder zu erkennen oder skeptisch darauf zu warten, dass etwas geschieht, und nur dann zu glauben
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die Entscheidung, Gottvertrauen zu entwickeln oder ängstlich auf eine weitere Herausforderung am nächsten Tag zu warten
Wie damals, als ich auf der Schnellstraße falsch abbog, kann es oft besonders schmerzlich sein, unter den Folgen unserer eigenen schlechten Entscheidungen zu leiden, denn wir können ja nur uns selbst die Schuld geben. Trotzdem können wir uns immer dafür entscheiden, durch den göttlichen Vorgang der Umkehr Trost zu erhalten, etwas wieder in Ordnung zu bringen und auf diese Weise manche Lektion zu lernen, die unser Leben verändert.
Hin und wieder erleben wir auch Widerstand und Prüfungen durch etwas, was wir nicht beeinflussen können, wie zum Beispiel:
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Phasen der Gesundheit und der Krankheit
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Friedenszeiten und Kriegszeiten
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Tages- und Nachtstunden und die Jahreszeiten Sommer und Winter
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Zeiten der Arbeit, gefolgt von Zeiten des Ausruhens
Auch wenn wir in der Regel nicht zwischen solchen Umständen wählen können, da sie einfach eintreten, steht es uns doch frei zu entscheiden, wie wir darauf reagieren. Wir können dabei eine positive oder eine pessimistische Einstellung haben. Wir können bestrebt sein, aus der jeweiligen Erfahrung zu lernen und unseren Herrn um Hilfe und Unterstützung zu bitten, oder wir können zu dem Schluss kommen, dass wir in dieser Prüfung auf uns selbst gestellt sind und sie allein durchstehen müssen. Wir können unsere Segel an die neuen Gegebenheiten anpassen, oder wir können beschließen, keinerlei Änderungen vorzunehmen. Im Dunkel der Nacht können wir unser Licht anschalten. In Winterskälte entscheiden wir uns am besten dafür, warme Kleidung zu tragen. Bei Krankheit können wir uns um medizinische und geistige Hilfe bemühen. Wir entscheiden, wie wir auf diese Umstände reagieren.
Anpassen, lernen, sich bemühen und sich entscheiden sind alles Tätigkeitsverben. Denken wir daran, dass wir über unser Handeln bestimmen und keine Objekte sind. Vergessen wir nie, dass Jesus verheißen hat, „die Schmerzen und die Krankheiten seines Volkes auf sich [zu] nehmen, … damit er [uns] beistehen“ kann,6 wenn wir uns ihm zuwenden. Wir können uns dafür entscheiden, unsere Grundlage auf Jesus Christus als unseren Felsen zu bauen, damit, wenn der Wirbelsturm kommt, „dies keine Macht über [uns] haben wird“7. Er hat verheißen: „Wer auch immer kommt, den werde ich empfangen; und gesegnet sind jene, die zu mir kommen.“8
Es gibt aber noch einen weiteren Grundsatz, der von großer Bedeutung ist. Lehi hat erklärt, dass es „notwendigerweise … in allem einen Gegensatz“9 geben muss. Das bedeutet, dass Gegensätze nicht getrennt voneinander bestehen können. Sie können sich sogar gegenseitig ergänzen. Wir könnten keine Freude als solche erkennen, wenn wir nicht auch irgendwann mal Trauer erlebt hätten. Wenn wir dann und wann Hunger haben, sind wir besonders dankbar, wenn wir wieder genug zu essen haben. Wir wären nicht in der Lage, Wahrheit zu erkennen, wenn wir nicht auch hier und da auf Lügen stoßen würden.
Diese Gegensätze sind wie die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Beide Seiten sind immer da. Charles Dickens führte mit folgenden Worten ein Beispiel für diesen Gedanken an: „Es war die beste Zeit, es war die schlimmste Zeit.“10
Lassen Sie mich ein Beispiel aus unserem eigenen Leben nennen. Zu heiraten, eine Familie zu gründen und Kinder zu haben, bescherte uns die schönsten Momente der Freude, die wir je im Leben erfahren haben, aber auch die tiefgreifendsten Momente des Schmerzes, des Kummers und der Trauer, wenn einem von uns etwas zustieß. Auf grenzenlose Freude und Glückseligkeit mit unseren Kindern folgten manchmal auch wiederkehrende Phasen der Krankheit, Krankenhausaufenthalte und schlaflose Nächte voller Sorgen, aber dann auch wieder Erleichterung durch Gebete und Priestertumssegen. Diese gegensätzlichen Erfahrungen lehrten uns, dass wir in Momenten des Leidens nie allein sind, und sie zeigten uns auch, wie viel wir mit dem Beistand und der Hilfe des Herrn tragen können. Diese Erfahrungen haben uns auf wunderbare Weise mitgeprägt, und es hat sich in jeder Hinsicht gelohnt. Sind wir nicht genau deshalb hierhergekommen?
Auch in den heiligen Schriften finden wir einige interessante Beispiele:
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Lehi erklärte seinem Sohn Jakob, dass dieser durch die Bedrängnisse, die er in der Wildnis erlitten hatte, die Größe Gottes besser hatte erkennen können und dass Gott ihm seine „Bedrängnisse zum Gewinn weihen“11 werde.
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Während Joseph Smiths grausamer Gefangenschaft im Gefängnis zu Liberty sagte der Herr ihm, „dass dies alles [ihm] Erfahrung bringen und [ihm] zum Guten dienen“12 werde.
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Zu guter Letzt: Das grenzenlose Opfer Jesu Christi ist gewiss das größte Beispiel für Schmerzen und Leiden, das es je gegeben hat, aber es brachte auch für alle Kinder Gottes die wunderbaren Segnungen seines Sühnopfers zustande.
Wo Licht ist, muss es auch Schatten geben. Überschwemmungen können Zerstörung bringen, aber sie bringen für gewöhnlich auch Leben. Tränen der Trauer verwandeln sich oft in Tränen der Erleichterung und des Glücks. Die Traurigkeit über den Abschied von geliebten Menschen wird später durch die Freude über das Wiedersehen aufgewogen. In Zeiten des Krieges und der Zerstörung bemerken diejenigen mit Augen, die sehen, und Ohren, die hören,13 auch viele kleine und liebevolle gute Taten.
Unsere heutige Welt ist oft von Furcht und Angst geprägt – Angst vor dem, was die Zukunft für uns bereithalten könnte. Doch Jesus hat uns aufgefordert, auf ihn zu vertrauen: „Blickt in jedem Gedanken auf mich; zweifelt nicht, fürchtet euch nicht.“14
Bemühen wir uns stets ganz bewusst, uns beide Seiten jeder Medaille anzusehen, die uns das Leben zuteilt. Auch wenn mitunter nicht sofort beide Seiten zu sehen sind, können wir doch wissen und darauf vertrauen, dass es sie immer gibt.
Wir können sicher sein, dass uns unsere Schwierigkeiten, Sorgen, Bedrängnisse und Schmerzen nicht ausmachen – vielmehr hilft uns die Art und Weise, wie wir damit umgehen, zu wachsen und Gott näherzukommen. Unsere Einstellung und unsere Entscheidungen machen uns viel mehr aus als unsere Herausforderungen.
Wenn wir gesund sind, sollten wir jeden Augenblick schätzen und dafür dankbar sein. Wenn wir krank sind, sollten wir bestrebt sein, geduldig daraus zu lernen und uns bewusstzumachen, dass sich dies je nach Gottes Willen wieder ändern kann. Wenn wir traurig sind, sollten wir darauf vertrauen, dass das Glück schon vor der Tür steht; wir können es oft nur noch nicht sehen. Verlagern Sie bewusst den Schwerpunkt, lenken Sie Ihre Gedanken auf eine höhere Ebene und richten sie den Blick auf die positiven Aspekte Ihrer Herausforderungen, denn auch die sind zweifellos immer da! Vergessen Sie nie, dankbar zu sein. Entscheiden Sie sich, zu glauben. Entscheiden Sie sich, Glauben an Jesus Christus zu haben. Entscheiden Sie sich, Gott immer zu vertrauen. Entscheiden Sie sich, „celestial zu denken“, wozu Präsident Russell M. Nelson uns ja unlängst aufgefordert hat.15
Denken wir stets an den wunderbaren Plan, den unser Vater im Himmel für uns hat. Er liebt uns und er hat seinen geliebten Sohn gesandt, um uns bei unseren Prüfungen zu helfen und uns die Tür zur Rückkehr zu ihm zu öffnen. Jesus Christus lebt und ist jederzeit für uns da. Er wartet nur darauf, dass wir uns dafür entscheiden, uns um Beistand, Kraft und Errettung an ihn zu wenden. Dies bezeuge ich im Namen Jesu Christi. Amen.