2008
Was immer kommen mag – nimm es freudig an
November 2008


Was immer kommen mag – nimm es freudig an

Die Art und Weise, wie wir auf Widrigkeiten reagieren, kann sich stark darauf auswirken, wie glücklich und erfolgreich wir im Leben sind.

Elder Joseph B. Wirthlin

In jungen Jahren war ich sportlich sehr aktiv, und ich denke gern an diese Zeit zurück. Ich habe jedoch nicht nur angenehme Erinnerungen. Eines Tages, nachdem meine Football-Mannschaft ein schweres Spiel verloren hatte, kam ich entmutigt nach Hause. Meine Mutter war da. Sie hörte sich meine traurige Geschichte an. Sie hatte ihre Kinder gelehrt, sich selbst und einander zu vertrauen, andere nicht für das eigene Unglück verantwortlich zu machen und in allem, was sie in Angriff nahmen, ihr Bestes zu geben.

Wenn wir hinfielen, erwartete sie von uns, dass wir uns aufrappelten und wieder auf die Beine kamen. Der Rat, den mir meine Mutter damals gab, kam also ganz gewiss nicht von ungefähr. Er hat mich mein Leben lang begleitet.

„Joseph“, sagte sie, „was immer kommen mag – nimm es freudig an.“

Über diesen Rat habe ich oft nachgedacht.

Ich glaube, sie meinte wohl, dass man im Leben immer Höhen und Tiefen und auch Zeiten durchmacht, in denen scheinbar alles trübe und trist ist. Doch diejenigen, die am glücklichsten sind, scheinen trotz Rückschlägen und Widerständen zu wissen, wie man aus schwierigen Zeiten stärker, klüger und glücklicher hervorgeht.

Der eine oder andere glaubt vielleicht, dass eine Generalautorität nur selten Schmerz, Leid und Kummer erlebt. Wenn dem doch nur so wäre! Ein jeder, der heute zu Ihnen spricht, hat im Leben Freude im Übermaß erlebt, aber auch einen großen Schluck aus dem Becher der Enttäuschung, des Kummers und des Verlusts getrunken. Der Herr bewahrt in seiner Weisheit niemanden vor Leid und Traurigkeit.

Für mich hat der Herr die Schleusen des Himmels geöffnet und so viele Segnungen auf meine Familie herabgeschüttet, dass ich dafür keine Worte finde. Und doch habe ich – wie jeder andere auch – Zeiten erlebt, in denen mein Herz so schwer war, dass ich glaubte, ich könne es nicht mehr ertragen. Während dieser Zeiten denke ich an meine Jugendtage zurück, als die Niederlage bei einem Footballspiel mir noch großen Kummer bereitete.

Damals ahnte ich ja kaum, was mich in späteren Jahren erwarten sollte. Doch wenn mein Weg mich durch Zeiten von Trauer und Leid führte, kamen mir häufig die Worte meiner Mutter in den Sinn: „Was immer kommen mag – nimm es freudig an.“

Wie können wir sorgenvolle Tage freudig annehmen? Wir können es nicht – zumindest nicht im ersten Moment. Ich glaube nicht, dass meine Mutter meinte, man solle Enttäuschung herunterschlucken oder abstreiten, dass es wirklich wehtut. Ich glaube, sie meinte auch nicht, dass man unerfreuliche Wahrheiten mit aufgesetztem Glücklichsein verdecken solle. Ich glaube aber sehr wohl, dass die Art und Weise, wie wir auf Widrigkeiten reagieren, sich stark darauf auswirken kann, wie glücklich und erfolgreich wir im Leben sind.

Wenn wir mit Ungemach klug umgehen, kann unsere schlimmste Durststrecke eine Phase größten Wachstums sein, das wiederum in eine Zeit größten Glücks führen kann.

Im Laufe der Jahre habe ich einiges gelernt, was mir geholfen hat, Prüfungen und Bedrängnisse durchzustehen. Das möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben.

Lernen Sie zu lachen

Erstens können wir lernen zu lachen. Haben Sie schon einmal einen verärgerten Autofahrer gesehen, der – wenn jemand anders einen Fehler macht – so reagiert, als wären soeben seine Ehre, seine Familie, sein Hund und all seine Vorfahren bis hin zu Adam beleidigt worden? Oder haben Sie schon einmal erlebt, wie eine Hängeschranktür am falschen Ort zur falschen Zeit offenstand und das Opfer, das sich an ihr den Kopf angeschlagen hat, sie erst verflucht und verwünscht und dann an ihr seine Wut ausgelassen hat?

Für Momente wie diese gibt es ein Gegenmittel: Lernen Sie zu lachen.

Ich weiß noch, wie wir unsere Kinder in den Kombi luden und nach Los Angeles fuhren. Wir waren mindestens zu neunt im Auto, und ständig verfuhren wir uns. Anstatt uns darüber zu ärgern, lachten wir. Jedes Mal, wenn wir falsch abgebogen waren, lachten wir umso mehr.

Es kam bei uns häufig vor, dass wir uns verfuhren. Einmal waren wir in Richtung Süden nach Cedar City unterwegs und bogen falsch ab. Das merkten wir erst, als wir zwei Stunden später die Schilder „Willkommen in Nevada“ sahen. Wir wurden nicht wütend. Stattdessen lachten wir, und auf diese Weise kamen selten Ärger oder Groll auf. Unser Lachen bescherte uns viele schöne Erinnerungen.

Ich weiß noch, wie eine unserer Töchter einmal zu einem „Blind Date“ ging. Sie hatte sich zurechtgemacht und wartete darauf, abgeholt zu werden, als es an der Tür klingelte. Da stand ein Mann, der bereits ein wenig älter aussah. Sie bemühte sich jedoch, höflich zu sein. Sie stellte ihn meiner Frau und mir sowie ihren Geschwistern vor, dann zog sie ihren Mantel an und verließ das Haus. Wir sahen, wie sie in das Auto stieg, aber das Auto fuhr nicht los. Schließlich stieg unsere Tochter wieder aus dem Auto aus und lief mit hochrotem Kopf zurück ins Haus. Der Mann, von dem sie glaubte, er sei ihr „Blind Date“, war eigentlich gekommen, um eine andere Tochter von uns abzuholen, die ihm und seiner Frau als Babysitterin zugesagt hatte.

Darüber mussten wir alle herzlich lachen. Genau genommen konnten wir mit dem Lachen gar nicht mehr aufhören. Als der junge Mann, mit dem sich unsere Tochter verabredet hatte, schließlich kam, konnte ich nicht hinausgehen und ihn begrüßen, weil ich immer noch in der Küche war und lachte. Heute ist mir klar, dass sich unsere Tochter gedemütigt und beschämt hätte fühlen können. Aber sie lachte mit uns, und daher können wir auch heute noch darüber lachen.

Wenn Sie das nächste Mal am liebsten laut aufstöhnen würden, versuchen sie es stattdessen einfach mit Lachen. Es verlängert nicht nur Ihr Leben, sondern bewirkt auch, dass sich all Ihre Mitmenschen wohler fühlen.

Trachten Sie nach dem, was ewig ist

Zweitens können wir nach dem trachten, was ewig ist. Wenn Ungemach in Ihr Leben tritt, glauben Sie vielleicht, dass nur Sie so etwas erleben. Sie schütteln den Kopf und fragen sich: „Warum gerade ich?“

Doch Kummer ereilt uns alle irgendwann einmal. Irgendwann kommt die Zeit, da jeder Leid erleben muss. Niemand ist davon ausgenommen.

Ich habe die heiligen Schriften gern, weil darin die Beispiele so großer und edler Männer und Frauen wie Abraham, Sara, Henoch, Mose, Joseph, Emma und Brigham gezeigt werden. Sie alle haben Widrigkeiten erlebt, die ihren Charakter geprüft, gestärkt und geläutert haben.

Es gehört zu unserem Ausbildungsprogramm, dass wir lernen, wie wir Zeiten voller Enttäuschung, Leid und Sorgen überstehen. Obwohl Erfahrungen dieser Art im Augenblick oftmals schwer zu verkraften sind, führen doch gerade sie dazu, dass sich unser Verständnis erweitert, unser Charakter sich formt und unser Mitgefühl für andere zunimmt.

Weil Jesus Christus großes Leid widerfahren ist, versteht er unser Leid. Er versteht unseren Kummer. Wir erleben Schwieriges, damit unser Mitgefühl und unser Verständnis für andere gleichfalls zunehmen.

Denken Sie an die erhabenen Worte des Erlösers an den Propheten Joseph Smith, als dieser mit seinen Weggefährten im bedrückenden und finsteren Gefängnis von Liberty schmachtete: „Mein Sohn, Friede sei deiner Seele; dein Ungemach und deine Bedrängnisse werden nur einen kleinen Augenblick dauern, und dann, wenn du gut darin ausharrst, wird Gott dich in der Höhe erhöhen; du wirst über all deine Feinde triumphieren.“1

Mit dieser Aussicht auf die Ewigkeit schöpfte Joseph Trost aus diesen Worten, und das können wir auch. Manchmal ermöglichen uns genau die Momente, in denen wir scheinbar vom Leid erdrückt werden, es schließlich zu überwinden.

Der Grundsatz Wiedergutmachung

Drittens können wir uns den Grundsatz Wiedergutmachung bewusst machen. Die Glaubenstreuen werden vom Herrn für jeden Verlust entschädigt. Das, was denjenigen, die den Herrn lieben, genommen wird, wird ihnen auf seine eigene Weise wieder hinzugefügt werden. Vielleicht geschieht das nicht gerade dann, wenn wir es uns wünschen, doch die Glaubenstreuen wissen, dass jede heute vergossene Träne eines Tages hundertfach mit Tränen der Freude und der Dankbarkeit vergolten wird.

Eine der Segnungen des Evangeliums besteht in der Erkenntnis, dass das Leben auf der anderen Seite des Schleiers weitergeht, wenn das Ende des sterblichen Lebens gekommen ist. Dort erhalten wir neue Gelegenheiten. Nicht einmal der Tod kann uns die ewigen Segnungen nehmen, die uns der himmlische Vater liebevoll verheißen hat.

Da der himmlische Vater barmherzig ist, gibt es den Grundsatz der Wiedergutmachung. Das habe ich selbst erlebt. Mein Enkel Joseph leidet unter Autismus. Für seine Mutter und seinen Vater war es äußerst schwierig, mit den Auswirkungen dieser Krankheit zurechtzukommen.

Sie wussten, dass Joseph wohl nie so wie andere Kinder sein würde. Sie begriffen, was das bedeuten würde – und zwar nicht nur für Joseph, sondern auch für die Familie. Doch wie viel Freude hat er uns immer geschenkt! Für autistische Kinder ist es oft schwierig, Gefühle zu zeigen; aber jedes Mal, wenn ich bei ihm bin, umarmt mich Joseph ganz fest. Trotz mancher Schwierigkeiten hat er unser Leben mit Freude erfüllt.

Seine Eltern haben ihn dazu ermuntert, Sport zu treiben. Als er mit dem Baseballspiel anfing, stand er zwar auf dem Feld, aber ich glaube, er verstand nicht so recht, warum er den Bällen hinterherlaufen sollte. Er dachte sich stattdessen eine weit effizientere Art aus, das Spiel zu gestalten. Wenn ein Ball in seine Richtung geschlagen wurde, sah Joseph zu, wie er an ihm vorbeiflog, zog dann einen anderen Baseball aus seiner Tasche und warf diesen zum Ballwerfer zurück.

Alle Vorbehalte, die seine Familie vielleicht in Bezug auf Josephs Entwicklung gehabt hat, all die Opfer, die sie gebracht hat, wurden zehnfach wieder aufgewogen. Dieser erwählte Geist hat seinen Eltern die Möglichkeit verschafft, viel über Kinder mit einer Behinderung zu lernen. Sie haben die Großzügigkeit und das Mitgefühl von Angehörigen, Nachbarn und Freunden erlebt. Alle haben sich zusammen gefreut, wenn Joseph Fortschritte gemacht hat. Jeder hat über seine Gutherzigkeit gestaunt.

Setzen Sie Ihr Vertrauen in den Vater und den Sohn

Viertens können wir unser Vertrauen in unseren himmlischen Vater und seinen Sohn Jesus Christus setzen.

„Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab.“2 Der Herr Jesus Christus ist unser Partner, Helfer und Fürsprecher. Er möchte, dass wir glücklich sind. Er möchte, dass wir erfolgreich sind. Wenn wir unseren Teil tun, übernimmt er das Übrige.

Er, der hinabgefahren ist unter alles, kommt uns zu Hilfe. Er tröstet uns und hält uns aufrecht. Er stärkt uns, wenn wir schwach sind, und spricht uns in der Not Mut zu. Durch ihn wird Schwaches stark.3

Einmal wurde eine unserer Töchter schwer krank, nachdem sie ein Kind zur Welt gebracht hatte. Wir beteten für sie, gaben ihr einen Segen und unterstützten sie, so gut wir konnten. Wir hofften, dass sie gesegnet würde, wieder zu genesen, doch aus Tagen wurden Monate und aus Monaten Jahre. Einmal sagte ich ihr, dass sie mit diesem Leiden womöglich für den Rest ihres Lebens ringen müsse.

Ich weiß noch, wie ich eines Morgens ein Kärtchen zur Hand nahm und es in meine Schreibmaschine einspannte. Unter anderem schrieb ich diese Worte für sie auf: „Das Geheimnis ist ganz einfach: Vertrau auf den Herrn, tu dein Bestes und überlasse alles andere ihm.“

Sie vertraute in der Tat auf Gott. Aber ihre Krankheit verschwand nicht. Sie machte ihr noch jahrelang zu schaffen, aber irgendwann segnete der Herr sie, und schließlich wurde sie wieder gesund.

Weil ich meine Tochter kenne, glaube ich, dass sie auch dann auf ihren himmlischen Vater vertraut und „alles andere ihm überlassen“ hätte, wenn sich ihr Zustand nicht gebessert hätte.

Zum Abschluss

Obwohl meine Mutter bereits vor langer Zeit ihren ewigen Lohn in Empfang genommen hat, sind ihre Worte noch immer in mir lebendig. Ich muss auch heute noch an den Rat denken, den sie mir vor so langer Zeit gab, als meine Mannschaft ein Footballspiel verloren hatte: „Was immer kommen mag – nimm es freudig an.“

Ich weiß, warum es in allem einen Gegensatz geben muss. Geht man mit Unglück richtig um, kann es sich in unserem Leben als Segen erweisen. Wir können lernen, es freudig anzunehmen.

Wenn wir Humor entwickeln, danach trachten, alles aus dem Blickwinkel der Ewigkeit zu sehen, den Grundsatz der Wiedergutmachung begriffen haben und uns unserem himmlischen Vater nähern, können wir Mühsal und Prüfungen aushalten. Wie meine Mutter können wir dann sagen: „Was immer kommen mag – nimm es freudig an.“ Das bezeuge ich im Namen Jesu Christi. Amen.

Anmerkungen

  1. LuB 121:7,8

  2. Johannes 3:16

  3. Siehe Ether 12:27