2011
Der Mittler Jesus Christus
April 2011


Der Mittler Jesus Christus

Aus „The Mediator“, Ensign, Mai 1977, Seite 54ff.

Jesus Christus, unser Mittler, zahlt den Preis, den wir selbst nicht zahlen können, damit wir zu unserem Vater im Himmel zurückkehren können.

President Boyd K. Packer

Ich möchte euch eine Geschichte erzählen – ein Gleichnis.

Es war einmal ein Mann, der einen großen Wunsch hegte, der ihm wichtiger war als alles andere im Leben. Um sich seinen Wunsch zu erfüllen, machte er ungeheure Schulden.

Man hatte ihn davor gewarnt, so große Schulden zu machen, und ihn besonders wegen seines Gläubigers, der ihm das Geld lieh, zur Vorsicht gemahnt. Aber ihm war es sehr wichtig, das Gewünschte sofort zu haben, und er war sicher, er könne später dafür bezahlen.

Deswegen unterzeichnete er einen Vertrag. Irgendwann in der Zukunft würde er bezahlen. Er machte sich deshalb keine großen Sorgen, denn der Zahltag lag scheinbar in weiter Ferne. Er besaß nun, was er sich so sehr gewünscht hatte, und das war die Hauptsache.

Der Gläubiger tauchte zwar immer wieder in seinen Gedanken auf, und gelegentlich zahlte er auch symbolische [kleine] Beträge zurück, aber er bildete sich irgendwie ein, dass der Tag der Abrechnung [an dem er das ganze Geld zurückzahlen musste] niemals kommen werde.

Gerechtigkeit oder Barmherzigkeit?

Doch es war unvermeidlich, dass dieser Tag kam, und die Zahlung wurde fällig. Die Schuld war noch nicht abgezahlt. Der Gläubiger erschien und forderte die vollständige Zahlung.

Erst jetzt wurde dem Mann klar, dass sein Gläubiger nicht nur die Macht hatte, seinen gesamten Besitz zu pfänden [wegzunehmen], sondern dass er ihn auch ins Gefängnis bringen konnte.

„Ich kann Sie nicht bezahlen, ich bin dazu nicht in der Lage“, gestand er.

„In diesem Fall“, sagte der Gläubiger, „nehme ich, was Sie besitzen, und Sie wandern ins Gefängnis. Sie haben dem zugestimmt. Es war Ihre Entscheidung. Sie haben den Vertrag unterzeichnet, und jetzt mache ich meine Rechte geltend.“

„Können Sie mir die Schuld nicht noch einige Zeit stunden?“, bettelte der Schuldner. „Könnte nicht irgendeine Möglichkeit gefunden werden, dass ich meinen Besitz behalten und auf freiem Fuß bleiben kann? Halten Sie nichts von Barmherzigkeit? Seien Sie doch barmherzig!“

Der Gläubiger gab zur Antwort: „Barmherzigkeit ist immer so einseitig. Den Nutzen davon hätten nur Sie. Wenn ich barmherzig bin, komme ich um meine Bezahlung. Ich fordere Gerechtigkeit. Halten Sie nichts von Gerechtigkeit?“

„Ich war für Gerechtigkeit, als ich den Vertrag unterzeichnete“, sagte der Schuldner. „Damals war sie auf meiner Seite, ich dachte, sie würde mich schützen. Ich brauchte damals keine Barmherzigkeit und dachte auch nicht, dass ich je darauf angewiesen wäre.“

„Die Gerechtigkeit verlangt, dass Sie jetzt entweder Ihre Schuld bezahlen oder die Strafe erleiden“, erwiderte der Gläubiger. „Das ist das Gesetz. Sie waren einverstanden und so muss es nun geschehen. Die Barmherzigkeit kann die Gerechtigkeit nicht berauben.“

So standen sich die beiden gegenüber: Der eine, der Gerechtigkeit forderte, der andere, der um Barmherzigkeit flehte. Keiner von beiden konnte sich durchsetzen, ohne dem anderen zu schaden.

„Wenn Sie mir nicht die Schuld erlassen, wäre es unbarmherzig“, bettelte der Schuldner.

„Wenn ich es täte, wäre es nicht gerecht“, war die Antwort.

Es schien, dass beide Gesetze nicht zugleich eingehalten werden konnten. Es handelt sich um zwei ewige Grundsätze, die einander zu widersprechen scheinen. Gibt es keine Möglichkeit, sowohl die Forderungen der Gerechtigkeit als auch die der Barmherzigkeit ganz zu erfüllen?

Es gibt sie! Das Gesetz der Gerechtigkeit kann vollständig erfüllt werden und Barmherzigkeit kann vollständig ausgeübt werden, aber dazu ist ein Dritter notwendig. Und so geschah es auch hier.

Sein Mittler

Der Schuldner hatte einen Freund. Er kam ihm zu Hilfe. Er kannte den Schuldner gut. Er hielt ihn für töricht, weil er sich in eine so schlimme Lage gebracht hatte. Trotzdem wollte er ihm helfen, denn er hatte ihn sehr gern. Er trat zwischen die beiden, wandte sich an den Gläubiger und machte ihm folgendes Angebot: „Ich bezahle die Schulden, wenn Sie den Schuldner aus diesem Vertrag entlassen. So kann er seinen Besitz behalten und muss nicht ins Gefängnis.“

Als der Gläubiger über das Angebot nachdachte, fügte der Mittler hinzu: „Sie haben Gerechtigkeit verlangt. Er kann zwar nicht bezahlen, aber ich übernehme das für ihn. Sie werden gerecht behandelt und können nicht mehr verlangen. Sonst wäre es nicht gerecht.“

Und so willigte der Gläubiger ein.

Dann wandte sich der Mittler an den Schuldner. „Wenn ich deine Schulden begleiche, akzeptierst du dann mich als Gläubiger?“

„Oh, ja, natürlich“, rief der Schuldner aus. „Du hast mich ja vor dem Gefängnis bewahrt und barmherzig behandelt.“

„Dann“, sagte der Wohltäter, „wirst du mir die Schuld bezahlen, und ich lege die Bedingungen fest. Es wird nicht leicht, aber es ist zu machen. Ich werde dafür eine Möglichkeit schaffen. Du musst nicht ins Gefängnis.“

So kam es, dass der Gläubiger vollständig bezahlt wurde. Er war gerecht behandelt worden. Der Vertrag war eingehalten worden. Dem Schuldner hingegen war Barmherzigkeit widerfahren. Beide Gesetze waren erfüllt worden. Weil es einen Mittler gab, konnte die Gerechtigkeit vollständig erfüllt werden und auch der Barmherzigkeit war Genüge getan.

Unser Mittler

Jeder von uns hat – geistig gesehen – einen Kredit aufgenommen, eine Schuld. Irgendwann kommt der Tag der Abrechnung, man verlangt die Bezahlung der Schuld. Wie leichtfertig wir dies jetzt auch betrachten mögen – wenn dieser Tag kommt und die Vollstreckung nahe ist, werden wir uns in ruheloser Qual nach jemandem umschauen, irgendjemandem, der uns hilft.

Nach ewigem Gesetz kann keine Barmherzigkeit gewährt werden, wenn es nicht jemanden gibt, der sowohl willens als auch fähig ist, unsere Schuld auf sich zu nehmen, den Preis zu zahlen und die Bedingungen unserer Erlösung festzulegen.

Wenn es keinen Mittler gibt, wenn wir keinen Freund haben, wird uns die volle Last der Gerechtigkeit treffen. Der vollständige Preis für jede Übertretung, wie gering oder schwerwiegend sie auch sein mag, wird uns voll und ganz abverlangt werden.

Doch müsst ihr wissen: Die Wahrheit, die herrliche Wahrheit, verkündet, dass es so einen Mittler gibt. „Denn: Einer ist Gott, Einer auch Mittler zwischen Gott und den Menschen: der Mensch Christus Jesus.“ (1 Timotheus 2:5.) Durch ihn kann jedem von uns voll und ganz Barmherzigkeit gewährt werden, ohne dass das ewige Gesetz der Gerechtigkeit verletzt wird.

Barmherzigkeit erlangt man jedoch nicht automatisch, sondern vielmehr durch einen Bund mit Jesus Christus. Man erlangt sie gemäß seinen Bedingungen, seinen großzügigen Bedingungen, zu denen auch, als absolutes Muss, die Taufe durch Untertauchen zur Sündenvergebung gehört.

Alle Menschen können durch das Gesetz der Gerechtigkeit beschützt werden, und gleichzeitig kann jedem Einzelnen von uns die erlösende und heilende Barmherzigkeit gewährt werden.

Illustration von Dan Burr