2020
Geh den engen und schmalen Weg, nicht den breiten
Juli 2020


Geh den engen und schmalen Weg, nicht den breiten

Vor mir befanden sich zwei Wege, und ich wusste, dass ich nur eines tun konnte, um herauszufinden, welchen ich einschlagen sollte.

illustration of family standing in the street

Illustrationen von Chris Ede

Ich bin in Nagano in Japan bei meinen Eltern aufgewachsen. Religion war in meiner Familie allgegenwärtig. Jeden Morgen und jeden Abend kniete mein Vater vor dem buddhistischen Altar nieder. In meinen Augen war Buddhismus keine Religion, sondern unsere Lebensweise. Es wäre leicht gewesen, mein übriges Leben als Buddhist zu verbringen, aber Gott hat mir oft gezeigt, dass der leichte, beliebte Weg nicht immer der beste ist.

Lehrbuch oder heiliges Buch?

Als Jugendlicher zerbrach ich mir oft den Kopf darüber, wer ich eigentlich war. Ich fragte mich, warum ich auf dieser Erde war und was einmal aus mir werden sollte. Als ich etwa dreizehn Jahre alt war, schenkte der Schulleiter jedem Schüler ein Neues Testament, in dem neben der englischen Fassung auch die japanische stand. „Es geht mir nicht um Religion“, erklärte er. „Aber die Übersetzung ist sehr gut, also nutzt es, um Englisch zu lernen.“ Doch als ich es aufschlug, fand ich Schriftstellen, die einem helfen, wenn man einsam ist, Antworten auf Fragen braucht oder Probleme hat. All dies traf doch auch auf mich zu!

Ich las von Jesus Christus. „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.“ (Matthäus 11:28.) „[Nimm dein] Kreuz auf [dich] und folge mir nach.“ (Matthäus 16:24.) Diese Worte gingen mir zu Herzen, auch wenn ich sie noch nicht voll und ganz verstand. Ich fragte mich, wer Jesus Christus war und was es wohl bedeutete, ihn als Erretter zu haben. Ich fragte mich, ob ich der Einzige war, der sich zu dem vermeintlichen Lehrbuch so stark hingezogen fühlte.

building and a book

Weglaufen oder bleiben und zuhören?

Ein paar Jahre später traf ich zum ersten Mal Missionare. Meine Eltern hatten mich vor den jungen Christen gewarnt, die in der Gegend predigten. Auf dem Heimweg kam ein großer Missionar aus Amerika mit einem freundlichen Lächeln auf mich zu. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich befürchtete, er wolle mit mir über seine Kirche sprechen. In dem Fall wäre ich einfach weggelaufen! Aber er fragte mich lediglich, wo das Postamt sei. Ich erklärte es ihm und ging dann nach Hause.

Unterwegs spürte ich etwas. Wenn ich den Missionaren erneut begegne, werde ich mit ihnen sprechen, beschloss ich.

Kurze Zeit später traf ich zwei andere Missionare. Ich war perplex, dass Gott das Gebet eines Jungen wie mir hörte und erhörte, jedenfalls bis ich von Joseph Smith las. Ich hatte ja im Neuen Testament gelesen, dass man immer beten soll, aber sollte Gott wirklich einem Menschen erschienen sein? Das erschien mir krass – und doch richtig. Ich lief nicht fort, sondern vereinbarte mit ihnen einen Termin, damit sie mich unterwiesen.

meeting with missionaries

Ausreden erfinden oder die Wahrheit herausfinden?

Nachdem ich mich einen Monat lang mit den Missionaren getroffen hatte, forderten sie mich auf, mich taufen zu lassen. Ich wollte ihnen keine Abfuhr erteilen, hatte jedoch Bedenken, die Traditionen meiner Eltern, Freunde und Bekannten aufzugeben. Vor mir befanden sich zwei Wege, und ich wusste, dass ich nur eines tun konnte, um herauszufinden, welchen ich einschlagen sollte: Wie Joseph Smith musste ich beten. Ich fragte den Vater im Himmel im Namen Jesu Christi, ob das, was mir die Missionare erzählt hatten, wahr sei.

Das war mein Wendepunkt. Nun hatte ich selbst die Gewissheit erlangt, dass das wiederhergestellte Evangelium wahr ist. Dieses Wissen konnte mir niemand nehmen. Ich wusste, welchen Weg ich einschlagen musste, und nichts würde mich davon abbringen.

Als Kind hatten mich viele Fragen beschäftigt. Nun erfuhr ich, dass ich ein Kind Gottes bin, dass er mich liebt, dass er einen Plan für mich hat und dass er meine Gebete erhören möchte. Diese Erkenntnis änderte meine Lebenseinstellung von Grund auf. Ich erfuhr, dass es von Bedeutung ist, wer ich bin und was ich tue.

praying

Dazugehören oder auffallen?

Bevor ich erfuhr, dass ich ein Kind Gottes bin, wollte ich einfach dazugehören. Ich hatte Angst, irgendwie aufzufallen. Jetzt, da ich wusste, dass ich ein Kind Gottes bin, wurde mir klar, dass ich auffallen darf – dass ich anders sein darf.

Als ich betete und erkannte, dass ich ein Sohn Gottes bin, erlangte ich den nötigen Mut, mich meinen Eltern zu offenbaren. Allerdings verstanden sie mich nicht so recht. In ihren Augen war ich ein Rebell und zu unreif für die Entscheidung, mich taufen zu lassen. Sie schämten sich, dass ihr Sohn dieser seltsamen Religion und nicht ihren Traditionen nacheifern wollte. Ich wusste, wer ich war und was ich wollte, aber ich wollte auch meinen Eltern Respekt erweisen und hoffte, sie würden auch meiner Religion Respekt erweisen.

people standing in a line

Meine Eltern ehren oder ihre Bedenken ignorieren?

Ich schilderte den Missionarinnen, die mich mittlerweile unterwiesen, meine Situation. Sie hatten eine Idee: Sie konnten doch mit meinen Eltern sprechen, damit sie ein besseres Bild von dieser Religion bekamen. Ich erwiderte, dass ich befürchtete, meine Eltern würden nicht mit ihnen sprechen wollen. Dann schlug eine der Missionarinnen vor, wir könnten doch gemeinsam fasten.

Als ich kein Frühstück zu mir nahm, machte sich meine Mutter Sorgen. „Warum isst du nichts?“, fragte sie. Ich erklärte ihr, dass ich fastete, was ihre Sorge verstärkte.

„Erst diese Religion, die dich nirgendwo hinbringt, und jetzt isst du nichts mehr. Ich mache mir Sorgen. Ich bin entsetzt! Ich rufe diese Missionarinnen jetzt an!“

worried mother

Sie rief die Missionarinnen tatsächlich an, und irgendwie gelang es den beiden, dass meine Mutter sie zum Abendessen einlud.

Wir verlebten einen schönen Abend miteinander. Die Missionarinnen brachten meinen Eltern das Kirchenlied „Ich bin ein Kind von Gott“ bei (Gesangbuch, Nr. 202), und wir sangen es gemeinsam. Meinem Vater gefiel dies sehr. Nach dem Abendessen mit den Missionarinnen waren weder meine Mutter noch mein Vater länger besorgt, weil ich in die Kirche ging. Ich meinerseits spürte, dass ich sie ehrte, indem ich das Evangelium lebte, denn letztlich umfasste es alles, was sie mich gelehrt hatten. Wenn ich ihnen lang genug meine Liebe erwies und sie liebevoll behandelte, würden sie mich letzten Endes verstehen können. Dies dauerte ab dem Zeitpunkt meiner Taufe noch 35 Jahre, aber vor ein paar Jahren schließlich ließ sich meine Mutter taufen und ging in den Tempel.

Das Wissen, dass ich ein Kind Gottes bin, hat viele wichtige Entscheidungen in meinem Leben beeinflusst. Auch weiß ich: Sofern wir dem Heiligen Geist folgen und das tun, was der Vater im Himmel von uns verlangt – so schwer dies auch erscheinen mag –, segnet der Herr uns. Und das ist immer die beste Entscheidung.