2021
Die allerbeste Brieffreundin
März 2021


Die allerbeste Brieffreundin

Die Verfasserin lebt in West Midlands in England.

Jane wollte gar keine Brieffreundin sein. Sie wollte einfach, dass ihre Mama nach Hause kam.

Bild
girl writing a letter

Liebe Mama!, schrieb Jane.

Sie hielt inne und klopfte leicht mit dem Kuli gegen den Tisch. Ihr Blick fiel auf den Kühlschrank: Dort war ein aktuelles Foto von ihr und ihrer Mama. Sie hatten die gleiche Kinnpartie, das gleiche dunkle Haar, das gleiche breite Lächeln.

Was sollte sie bloß schreiben? Ihre Mama sollte glauben, dass sie glücklich und stark war, aber ihr fiel nichts ein. Ihr Kopf dröhnte, und ihr fiel es schwer, irgend-etwas zu Papier zu bringen.

Jane, ihr Papa und ihre Geschwister hatten Mama vor zwei Wochen besucht. Mama saß im Gefängnis, und sie mussten fast den ganzen Tag fahren, um sie zu besuchen. Wegen der langen Fahrt ging das nicht so oft. Mama war schon ein Jahr im Gefängnis, und sie hatten sie erst zweimal besucht.

Beim letzten Besuch hatte Mama Jane vorgeschlagen, Brieffreundinnen zu werden. Jane wollte aber gar keine Brieffreundin sein. Sie wollte einfach, dass ihre Mama nach Hause kam.

Gestern war Mamas erster Brief angekommen. Sie hatte ihn ganz säuberlich mit dem Bleistift geschrieben. Unten hatte sie ein Bild davon gemalt, wie sie ihre Heimkehr gemeinsam feierten.

Jane schrieb ein paar Sätze, knüllte dann aber das Papier zusammen. Ihr Kopf sank auf den Tisch, und sie kniff die Augen zusammen, um ihre Tränen zurückzuhalten.

Papa kam vom Einkaufen heim. „Jane, ist alles in Ordnung?“

Jane zuckte mit den Schultern.

Papa setzte sich neben sie und legte den Arm um ihre Schulter. Jane presste sich an seine Brust.

„Wie lange noch?“, fragte sie.

„Wie lange bis wann?“

„Wie lange, bis Mama nach Hause kommt …“

Papa schwieg eine ganze Weile. „Wahrscheinlich dauert es noch mindestens drei Jahre, Jane“, sagte er dann.

Jane glaubte, ihr Herz würde zerreißen. Drei Jahre! Das vergangene Jahr war schon so lang und schwer gewesen. Wie sollte sie drei weitere Jahre ohne Mama überstehen?

„Ich wünsche mir jeden Tag, dass deine Mama hier wäre“, sagte Papa. „Es ist schwer ohne sie, oder?“

Jane nickte.

„Es ist völlig in Ordnung, traurig zu sein“, meinte Papa. „Mir hilft es dann immer, wenn daran denke, wofür ich dankbar bin.“

Jane schluchzte ein wenig. „Wofür bist du denn dankbar?“

Papa lächelte. „Zum Beispiel dafür, dass wir jede Woche mit Mama telefonieren können. Und wenn sie etwas braucht, können wir es ihr schicken. Oder wir schreiben ihr Briefe.“ Papa trommelte mit den Fingern auf dem Notizblock vor ihnen. „Und …?“

„Und …“ Jane überlegte. „Ich kann mit meinen Lehrern und Freunden sprechen. Ashleys Mama hat mich zu einer Muttertagsaktivität mitgenommen. Und ich habe gelernt, eine bessere Freundin zu sein und anderen zu helfen.“

„Ganz genau“, sagte Papa. „Komm, lass uns zusammen beten, und dann überlegst du nochmal, was du schreiben kannst.“

Jane verschränkte die Arme. Sie dankte dem Vater im Himmel, dass sie Mama besuchen konnten und in Sicherheit wieder zuhause angekommen waren. Dann bat sie ihn um Hilfe, damit sie wissen konnte, was sie schreiben sollte.

Sie blieb am Tisch und überlegte erneut. Dann schrieb sie etwas auf, womit sie gar nicht gerechnet hatte: eine Liste, wofür sie dankbar war. Sie schrieb auf, worüber sie mit Papa gesprochen hatte, und noch ein paar weitere Punkte, etwa ihre Geschwister und ihre Nachbarn.

Anschließend malte sie ein Bild davon, wie sie mit ihrer Mama ein Brettspiel spielte. Ihr Herz war noch immer etwas schwer, aber auf eines konnte sie sich auf jeden Fall freuen: In den nächsten drei Jahren würde sie die allerbeste Brieffreundin sein!

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Product Shot from March 2021 Friend Magazine

Illustrationen von Alyssa Tallent

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