„Willy Binene – Demokratische Republik Kongo“, Geschichten aus der Reihe „Heilige“, 2024
Willy Binene – Demokratische Republik Kongo
Ein junger Mann in Zentralafrika lernt, auf Gottes Zeitplan zu vertrauen
Woher kommt denn dieser plötzliche Sinneswandel?
Im August 1992 strebte der dreiundzwanzigjährige Willy Sabwe Binene einen Beruf im Bereich Elektrotechnik an. Seine Ausbildung am Institut Supérieur Technique et Commerciale in Lubumbashi, einer Stadt im zentralafrikanischen Zaire, verlief gut. Er hatte gerade sein erstes Studienjahr beendet und freute sich schon auf das zweite.
In den Semesterferien kehrte Willy in seine Heimatstadt Kolwezi zurück, die etwa dreihundert Kilometer nordwestlich von Lubumbashi lag. Er und weitere Verwandte gehörten zum Zweig Kolwezi. Nach der Offenbarung über das Priestertum im Jahr 1978 hatte sich das wiederhergestellte Evangelium über Nigeria, Ghana, Südafrika und Simbabwe hinaus in mehr als ein Dutzend weitere afrikanische Länder ausgebreitet: Liberia, Sierra Leone, Elfenbeinküste, Kamerun, die Republik Kongo, Uganda, Kenia, Namibia, Botsuana, Swasiland, Lesotho, Madagaskar und Mauritius. Die ersten Missionare der Kirche waren 1986 nach Zaire gekommen. Inzwischen gab es dort etwa viertausend Heilige.
Kurz nachdem Willy in Kolwezi angekommen war, rief ihn der Zweigpräsident zu einem Gespräch zu sich. „Wir müssen dich darauf vorbereiten, auf Vollzeitmission zu gehen“, erklärte er.
„Ich muss doch mein Studium fortsetzen“, erwiderte Willy verblüfft. Er erklärte, sein Studium der Elektrotechnik werde noch drei Jahre dauern.
„Du solltest zuerst auf Mission gehen“, beharrte der Zweigpräsident. Er wies darauf hin, dass Willy der erste junge Mann aus dem Zweig sei, der für eine Vollzeitmission in Frage kam.
„Nein“, meinte Willy, „das geht nicht. Ich werde erst meinen Abschluss machen.“
Willys Eltern waren nicht sonderlich erfreut, als sie erfuhren, dass er die Aufforderung des Zweigpräsidenten abgelehnt hatte. Seine Mutter, von Natur aus eigentlich eher zurückhaltend, fragte ihn direkt: „Wieso gehst du nicht?“
Eines Tages gab der Heilige Geist Willy ein, seinen Onkel Simon Mukadi zu besuchen. Im Wohnzimmer seines Onkels sah er ein Buch auf einem Tisch liegen. Etwas daran zog ihn unwiderstehlich an. Er trat näher und las den Titel: Le miracle du pardon, die französische Ausgabe von Spencer W. Kimballs Buch Das Wunder der Vergebung. Fasziniert nahm Willy das Buch zur Hand, schlug es aufs Geratewohl auf und begann zu lesen.
Auf der Seite ging es um Götzendienst. Willy war schnell von dem Text gefesselt. Elder Kimball schrieb, dass Menschen sich nicht nur vor Götzen aus Holz, Stein und Ton verneigten, sondern auch ihren eigenen Besitz anbeteten. Und manche Götzen hatten überhaupt keine greifbare Form.
Die Worte ließen Willy erzittern. Er hatte das Gefühl, der Herr spräche direkt zu ihm. In diesem Augenblick entschwand ihm jeglicher Wunsch, die Uni noch vor seiner Mission zu beenden. Er suchte seinen Zweigpräsidenten auf und teilte ihm mit, dass er seine Meinung geändert habe.
„Woher kommt denn dieser plötzliche Sinneswandel?“, wollte der Zweigpräsident wissen.
Nachdem ihm Willy die Geschichte erzählt hatte, zog der Zweigpräsident die Missionspapiere aus der Schublade. Er sagte: „Gut, legen wir los, und gehen wir alles von Anfang an durch.“
Während Willy sich auf seine Mission vorbereitete, kam es in der Region, in der er lebte, jedoch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Zaire lag im afrikanischen Kongobecken, wo verschiedene einheimische und ethnische Gruppen schon seit Generationen gegeneinander kämpften. Kürzlich hatte der Gouverneur von Willys Provinz die Katangesen, die die ethnische Mehrheit stellten, gedrängt, die Minderheit der Kasaianer zu vertreiben.
Im März 1993 griff die Gewaltwelle auf Kolwezi über. Militante Katangesen zogen durch die Straßen und schwangen Macheten, Stöcke, Peitschen und sonstige Waffen. Sie terrorisierten kasaianische Familien und brannten deren Häuser nieder, ohne sich um die darin befindlichen Menschen oder Habseligkeiten zu kümmern. Aus Angst um ihr Leben versteckten sich viele Kasaianer vor den Plünderern oder flohen aus der Stadt.
Willy war Kasaianer und wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die militante Gruppe auch Jagd auf ihn und seine Familie machen würde. Um Schaden abzuwenden, unterbrach er daher seine Missionsvorbereitungen und half seiner Familie bei der Flucht nach Luputa, einer gut 600 Kilometer entfernten kasaianischen Stadt, wo bereits einige Verwandte lebten.
Da aus Katanga nur selten Züge verkehrten, hatten hunderte von kasaianischen Flüchtlingen vor dem Bahnhof von Kolwezi ein ausgedehntes Lager errichtet. Als Willy und seine Familie dort ankamen, blieb ihnen nichts anderes übrig, als unter dem Sternenhimmel zu schlafen, bis sich ein Dach über dem Kopf finden ließ. Die Kirche, das Rote Kreuz und andere humanitäre Organisationen waren vor Ort, um den Flüchtlingen Lebensmittel, Zelte und medizinische Versorgung bereitzustellen. Es gab jedoch keine ausreichenden sanitären Einrichtungen, und das Lager stank nach menschlichen Ausscheidungen und brennendem Müll.
Nach einigen Wochen im Lager erhielten die Binenes die Nachricht, dass ein Zug einen Teil der Frauen und Kinder aus dem Lager bringen könne. Willys Mutter und seine vier Schwestern wollten mit anderen Angehörigen diesen Zug nehmen. Unterdessen half Willy seinem Vater und seinem älteren Bruder, einen kaputten offenen Güterwagen zu reparieren. Als der reisefertig war, hängten sie ihn an einen abfahrenden Zug und verließen so das Lager.
Als sie einige Wochen später in Luputa ankamen, konnte Willy nicht umhin, das Städtchen mit Kolwezi zu vergleichen. Die Ortschaft war klein, und es gab dort keinen Strom. Seine Ausbildung in Elektrotechnik nutzte ihm hier also so gut wie gar nichts bei der Jobsuche. Und es gab keinen Zweig der Kirche.
„Was sollen wir hier nur machen?“, fragte er sich.
Glaubenstreue in Luputa
Das Leben in Luputa war nicht so, wie es sich Willy Binene als junger Student der Elektrotechnik in Lubumbashi vorgestellt hatte. Luputa war ein Dorf auf dem Lande. Doch solange bei ihnen in Kolwezi ethnische Unruhen herrschten, würden seine Familie und er eben in Luputa bleiben und in der Landwirtschaft arbeiten.
Glücklicherweise hatte Willys Vater ihm schon als Junge Landarbeit beigebracht, sodass er bereits die Grundlagen des Anbaus von Bohnen, Mais, Maniok und Erdnüssen kannte. Bis zur ersten Bohnenernte hatte die Familie jedoch nur sehr wenig zu essen. Sie betrieben Ackerbau für den Eigenbedarf. Das wenige, das ihnen von der Ernte übrigblieb, verkauften sie, um sich Salz, Öl, Seife und etwas Fleisch zu beschaffen.
Von den Mitgliedern der Kirche, die sich aus Kolwezi hierher in Sicherheit gebracht hatten, ließen sich etwa fünfzig in Luputa nieder. Im Dorf gab es zwar keinen Zweig, aber sie kamen jede Woche in einem großen Haus zum Gottesdienst zusammen. Obwohl mehrere Männer aus der Gruppe das Priestertum trugen, unter ihnen etwa auch der frühere Distriktspräsident von Kolwezi, fühlten sie sich nicht befugt, die Abendmahlsversammlung abzuhalten. Stattdessen richteten sie eine Sonntagsschulklasse ein, die abwechselnd von einem der Ältesten geleitet wurde.
Während dieser Zeit bemühten sich Willy und seine Glaubensbrüder und -schwestern mehrfach um Kontaktaufnahme mit dem Missionsbüro in Kinshasa, jedoch ohne Erfolg. Trotz alledem legten die Mitglieder, wann immer sie Geld verdienten, ihren Zehnten beiseite und warteten auf einen Zeitpunkt, da sie ihn einem bevollmächtigten Führer der Kirche aushändigen könnten.
Eines Tages im Jahr 1995 beschloss Willys Familie, er solle nach Kolwezi zurückfahren und versuchen, ihr altes Haus zu verkaufen. Die Heiligen in Luputa wussten, dass er dort den Distriktspräsidenten treffen würde, und sahen darin also eine gute Gelegenheit, ihren Zehnten abzuliefern. So steckten sie das Geld in Umschläge, die sie Willy und einem weiteren Mitglied aushändigten, das mit ihm reiste, und schickten die beiden los.
Auf der viertägigen Zugfahrt nach Kolwezi versteckte Willy die Tasche mit den Zehntenumschlägen unter seiner Kleidung. Sein Reisebegleiter und er waren während der Fahrt nervös und ängstlich. Sie schliefen im Zug und stiegen an den Bahnhöfen nur aus, um Fufu und andere Lebensmittel zu kaufen. Sie waren auch besorgt, was sie wohl in Kolwezi erwartete, wo man den Kasaianern immer noch feindlich gesinnt war. Aber sie fanden Trost in der Geschichte von Nephi, der ja die Messingplatten auch unter schwierigen Umständen geholt hatte, und vertrauten darauf, dass der Herr sie und die Zehntenspenden beschützen würde.
Als sie schließlich in Kolwezi ankamen, gingen sie zum Haus des Distriktspräsidenten, der ihnen sogleich bei sich ein Dach über dem Kopf anbot. Einige Tage später kamen die neuen Leiter der Zaire-Mission Kinshasa, Roberto und Jeanine Tavella, in die Stadt. Der Distriktspräsident stellte ihnen Willy und seinen Reisebegleiter vor.
„Sie gehörten früher dem Zweig Kolwezi an“, erklärte der Distriktspräsident den Tavellas. „Aufgrund der Geschehnisse hier sind sie nach Luputa geflüchtet. Und jetzt sind sie zurückgekommen. Sie wollten Sie kennenlernen.“
„Erzählen Sie mir mehr“, forderte Präsident Tavella sie auf. „Sie sind aus Luputa?“
Willy erzählte dem Präsidenten von ihrem Schicksal und wie weit sie gereist waren. Dann zog er die Zehntenumschläge hervor. „Das ist der Zehnte der Mitglieder in Luputa“, sagte er. „Sie haben ihren Zehnten aufgehoben, weil sie nicht wussten, wo sie ihn abliefern sollten.“
Präsident Tavella und seine Frau brachten kein Wort heraus. Tränen liefen ihnen über die Wange. „Welch unfassbar großen Glauben Sie haben!“, sagte der Missionspräsident schließlich mit zitternder Stimme.
Willy wurde von Freude und innerem Frieden erfüllt. Er glaubte daran, dass Gott die Mitglieder in Luputa für das Zahlen des Zehnten segnen würde. Präsident Tavella riet ihnen, geduldig zu sein. „Richten Sie, wenn Sie zurückkehren, allen in Luputa aus, dass ich sie liebhabe“, trug er ihnen auf. „Sie alle haben den Segen des ewigen Vaters, denn einen solchen Glauben habe ich noch nie erlebt.“
Er versprach, so bald wie möglich einen seiner Ratgeber nach Luputa zu schicken. „Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird“, erklärte er, „aber der Ratgeber kommt ganz bestimmt.“
Meine Mission ist hier
Im Mai 1997 kam es nach langen Jahren des Kriegs und der politischen Unruhen zum Sturz der Regierung von Zaire. Präsident Mobutu Sese Seko, der über drei Jahrzehnte lang über das Land geherrscht hatte, lag im Sterben und verfügte nicht mehr über die Macht, den Untergang seines Regimes aufzuhalten. Bewaffnete Kräfte aus Ruanda, dem östlichen Nachbarland, waren auf der Suche nach Rebellen aus dem Bürgerkrieg ihres eigenen Landes in Zaire eingedrungen. Weitere ostafrikanische Staaten folgten bald und schlossen sich schließlich mit weiteren Gruppen zusammen, um den geschwächten Präsidenten zu stürzen und durch ein neues Staatsoberhaupt zu ersetzen. Das Land erhielt den Namen Demokratische Republik Kongo, kurz DR Kongo.
Trotz des tobenden Konflikts war die Kirche in der Region weiterhin für die Heiligen da. In der DR Kongo lebten etwa sechstausend Mitglieder der Kirche. Die Mission Kinshasa umfasste fünf Länder mit insgesamt siebzehn Vollzeitmissionaren. Im Juli 1996 hatten mehrere Ehepaare aus der Region an die 2800 Kilometer zurückgelegt und waren zum Johannesburg-Tempel in Südafrika gereist, um die Segnungen des Tempels für sich zu empfangen. Einige Monate darauf, am 3. November, gründeten die Führer der Kirche den Pfahl Kinshasa, den ersten Pfahl in der DR Kongo und den ersten französischsprachigen Pfahl in Afrika. Außerdem gab es im Missionsgebiet noch fünf Distrikte und sechsundzwanzig Zweige.
In Luputa hoffte Willy Binene, inzwischen siebenundzwanzig Jahre alt, immer noch darauf, trotz der politischen Unruhen in seinem Land eine Vollzeitmission antreten zu können. Doch als er Ntambwe Kabwika, einem Ratgeber in der Missionspräsidentschaft, von seinen Hoffnungen erzählte, erhielt er eine enttäuschende Nachricht.
„Mein Bruder“, sagte Präsident Kabwika zu ihm, „die Altersgrenze liegt bei fünfundzwanzig Jahren. Es gibt keine Möglichkeit, dich auf Mission zu berufen.“ Dann fügte er, um ihn zu trösten, hinzu: „Du bist noch jung. Du kannst studieren, und heiraten kannst du auch.“
Das machte es für Willy jedoch nicht besser. Enttäuschung machte sich in ihm breit. Es schien ihm ungerecht, dass ihn sein Alter daran hindern sollte, auf Mission zu gehen. Warum konnte man nicht eine Ausnahme machen, insbesondere angesichts all dessen, was er durchgemacht hatte? Er fragte sich, warum der Herr ihn überhaupt dazu inspiriert hatte, auf Mission zu gehen. Er hatte seine Ausbildung und seine Karriere aufgeschoben, um dieser Eingebung zu folgen – und wozu das alles?
„Das darf dich nicht aus der Fassung bringen“, sagte er sich schließlich. „Du darfst Gott keinesfalls aburteilen.“ Er beschloss also, dort zu bleiben, wo er war, und alles zu tun, was der Herr von ihm erwartete.
Im Juli 1997 wurde aus der Gruppe Mitglieder in Luputa offiziell ein Zweig. Willy wurde als Finanzsekretär und als Zweigmissionar berufen und erkannte schließlich, dass der Herr ihn darauf vorbereitet hatte, an seinem Wohnort die Kirche aufzubauen. „Nun denn“, sagte er, „meine Mission ist also hier.“
Ein paar andere Mitglieder des Zweiges Luputa wurden ebenfalls als Zweigmissionare berufen. Drei Tage pro Woche kümmerte sich Willy um seine Landwirtschaft. An den anderen Tagen ging er von Tür zu Tür und erzählte den Menschen vom Evangelium. Danach wusch Willy seine einzige Hose, damit sie am nächsten Tag wieder sauber war. Er war sich nicht ganz sicher, was ihn dazu trieb, das Evangelium so eifrig zu verkünden – vor allem auch, da er mitunter mit leerem Magen losziehen musste. Aber ihm war klar, dass er das Evangelium liebte, und er wünschte sich, dass sein Volk – und eines Tages auch seine Vorfahren – die Segnungen erhalten sollte, die er genoss.
Die Arbeit ging bisweilen allerdings nicht ohne Probleme voran. Einige Leute bedrohten die Zweigmissionare sogar oder überredeten andere, sie zu meiden. Ein paar Dorfbewohner rotteten sich einmal zusammen und wollten Bücher Mormon verbrennen. „Weg mit dem Buch Mormon“, riefen sie, „und die Kirche wird verschwinden!“
Trotz allem sah Willy, wie der Herr durch seine Bemühungen Wunder wirkte. Als sein Mitarbeiter und er einmal an eine Tür klopften, öffnete sich diese, und aus dem Haus schlug ihnen ein übler Geruch entgegen. Von drinnen hörten sie eine leise Stimme, die ihnen etwas zurief. „Treten Sie ein“, flüsterte jemand. „Ich bin krank.“
Willy und sein Mitarbeiter trauten sich eigentlich kaum, das Haus zu betreten. Sie taten es dennoch und fanden einen Mann vor, der dahinzusiechen schien. „Können wir beten?“, fragten sie.
Der Mann stimmte zu, und so sprachen sie ein Gebet und segneten ihn, dass seine Krankheit verschwinden möge. „Morgen kommen wir wieder“, versprachen sie ihm.
Am nächsten Tag trafen sie den Mann vor seinem Haus an. „Sie sind Männer Gottes“, stellte er fest. Seit ihrem Gebet ging es ihm besser. Er wollte vor Freude springen.
Dieser Mann war noch nicht bereit, sich der Kirche anzuschließen – andere hingegen schon. Willy und die anderen Missionare fanden jede Woche Menschen – zuweilen ganze Familien –, die zusammen mit den Heiligen Gott verehren wollten. An manchen Samstagen tauften sie bis zu dreißig Neubekehrte.
Die Kirche begann in Luputa zu wachsen.
Der Herr hatte einen anderen Plan
Anfang 2006 freute sich Willy Binene schon sehr darauf, nach Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, zu ziehen und dort endlich seine Ausbildung als Elektrotechniker fortzusetzen. Dreizehn Jahre lang war er in dem gut eintausendfünfhundert Kilometer entfernten Dorf Luputa Bauer gewesen.
Nun war er mit einer jungen Frau namens Lilly verheiratet, die er in seiner Zeit als Zweigmissionar getauft hatte. Das Paar hatte zwei Kinder. In den letzten beiden Jahren hatten Lilly und die Kinder bereits in Kinshasa gewohnt, Willy allerdings hatte zunächst noch Geld für den Umzug und seine Ausbildung verdienen wollen.
Am 26. März gründete Missionspräsident William Maycock in Luputa jedoch den ersten Distrikt und berief Willy zum Distriktspräsidenten. Willy steckte in einer Zwickmühle, doch er ließ die Umzugspläne fallen und nahm die Berufung an. Schon bald kehrten auch Lilly und die Kinder nach Luputa zurück, und Willy nahm seine neuen Aufgaben nun mit seiner Frau an der Seite wahr.
Im Tempel war es wie im Himmel
Im Juni 2008 nahmen Willy und Lilly Binene mit ihren drei Kindern den Bus zum Flughafen von Mbuji-Mayi, der etwa 160 Kilometer nördlich von ihrem Zuhause in Luputa in der Demokratischen Republik Kongo lag. Von dort flogen sie weiter nach Kinshasa, wo sie die Nacht verbrachten und danach in ein Flugzeug nach Südafrika stiegen. Die Reise war zwar lang, doch die Kinder fanden sie spannend und waren vergnügt. Die Familie war unterwegs zum Johannesburg-Tempel, wo sie alle für die Ewigkeit aneinander gesiegelt werden wollten.
Zwei Jahre waren bereits vergangen, seit Willys Berufung als Präsident des Distrikts Luputa die Familie wieder vereint hatte. Nach der Rückkehr nach Luputa hatte Lilly dort einen Kindergarten eröffnet. Der erwies sich sogleich als Erfolg, worauf sie bald danach auch eine Grundschule aufmachte. Willy hatte seinen Traum, Elektroingenieur zu werden, endgültig an den Nagel gehängt und machte im Krankenhaus eine Ausbildung zum Krankenpfleger. Diese Arbeit brachte er mit den Anforderungen seiner Berufung in Einklang und stützte sich auch auf seine Ratgeber in der Distriktspräsidentschaft, die sich mit den neuen Aufgaben vertraut machten, die Führungsverantwortlichen schulten und die Heiligen besuchten.
Vor kurzem hatte die Präsidentschaft eine zusätzliche Aufgabe übernommen: Sie engagierte sich bei einem auf drei Jahre ausgelegten, von der Kirche finanzierten Projekt des Baus einer Trinkwasserleitung nach Luputa. Die dortige Einwohnerschaft war, was die Wasserversorgung betraf, lange Zeit auf diverse Teiche, Quellen und Entwässerungsgräben in der Nähe angewiesen gewesen. Zweimal täglich legten Frauen und Kinder den mehr als zwei Kilometer weiten Weg zu einer dieser Wasserstellen zurück, füllten dort das Wasser in irgendwelche Behälter und schafften diese nach Hause. In den Wasserstellen wimmelte es freilich nur so von gefährlichen Parasiten, und fast jeder kannte Fälle, in denen jemand an verseuchtem Wasser gestorben war – besonders oft traf es Kleinkinder. Mitunter wurden Frauen auf dem Hin- oder Rückweg zur Wasserquelle sogar angegriffen.
Schon jahrelang hatte ADIR, eine humanitäre Organisation in der Demokratischen Republik Kongo, sich zum Ziel gesetzt, die rund 260.000 Menschen in und um Luputa mit Trinkwasser zu versorgen. Das beste Quellgebiet befand sich allerdings auf einer Hügelkette zirka dreißig Kilometer weit weg, und ADIR verfügte nicht über die 2,6 Millionen Dollar für den Bau der Wasserleitung. Der Geschäftsführer hörte jedoch von Latter-day Saint Charities, kontaktierte die Missionare im humanitären Dienst vor Ort und erkundigte sich nach einer möglichen Zusammenarbeit bei dem Projekt.
Latter-day Saint Charities war 1996 auf Weisung der Ersten Präsidentschaft gegründet worden und unterstützte Jahr für Jahr hunderte humanitäre Projekte der Kirche in aller Welt. Auch wenn die Leistungen je nach Bedarf ganz unterschiedlich waren, so waren die Hauptinitiativen in jüngster Zeit vor allem Impfprojekte, die Beschaffung von Rollstühlen, Augenbehandlungen, Säuglingspflege und Trinkwasserversorgung gewesen. Als daher bekannt wurde, dass Luputa eine Wasserleitung brauchte, spendete Latter-day Saint Charities die nötigen finanziellen Mittel, und aus Luputa und den umliegenden Ortschaften erklärte sich so mancher Bewohner bereit, bei den Grabungsarbeiten mitzuhelfen.
Als Distriktspräsidentschaft arbeiteten Willy und seine Ratgeber mit ADIR sowie mit Daniel Kazadi zusammen, einem ortsansässigen Mitglied der Kirche, das als Bauleiter angestellt worden war. Auch die Distriktspräsidentschaft meldete sich zur freiwilligen Mithilfe bei dem Projekt.
Nachdem das Flugzeug der Binenes in Johannesburg gelandet war, konnten sie all das geschäftige Treiben endlich zurückstellen und sich ganz auf das Haus des Herrn konzentrieren. Direkt am Flughafen wurden sie von einer Familie abgeholt und zur Tempelherberge gleich neben dem Tempel gefahren. Später gingen Willy und Lilly in den Tempel, wo sie sich weiße Kleidung anzogen. Ihre Kinder konnten sie in der von der Kirche betriebenen Kinderbetreuung beaufsichtigen lassen.
Bevor sich die Binenes von Luputa auf den Weg machten, hatten sie zur Vorbereitung auf den Tempel den von der Kirche herausgegebenen Leitfaden Kraft aus der Höhe durchgearbeitet und das Buch Das Haus des Herrn von Apostel James E. Talmage gelesen. Dennoch waren sie ein wenig orientierungslos, als sie zum Tempel kamen, da ja alles neu für sie war und niemand Französisch sprach. Aber durch Gesten verstanden sie, wohin sie gehen und was sie tun mussten.
Im Siegelungsraum waren sie dann so glücklich, ihre drei Kinder wieder bei sich zu haben. Sie betraten den Raum, ganz in Weiß gekleidet, und sahen aus wie Engel. Willy war so ergriffen, dass er eine Gänsehaut bekam. Seine Familie und er schienen sich gar nicht mehr auf der Erde zu befinden – es war, als stünden sie in Gottes Gegenwart.
„Unglaublich!“, staunte er.
Auch Lilly hatte das Gefühl, sie seien im Himmel. Das Wissen, dass sie für die Ewigkeit miteinander verbunden waren, schien die gegenseitige Liebe um ein Vielfaches wachsen zu lassen. Nun waren sie unzertrennlich. Nicht einmal der Tod konnte sie voneinander scheiden.
Das Wunder der Trinkwasserversorgung
Im September 2010 waren die Einwohner von Luputa in der Demokratischen Republik Kongo mit der Verlegung der Trinkwasserleitung, die von der Kirche finanziert wurde, fast fertig. Im Gespräch mit einem Journalisten wies Distriktspräsident Willy Binene auf die Bedeutung der Wasserleitung hin.
„Ohne elektrischen Strom kann der Mensch leben“, stellte er fest. „Aber der Mangel an sauberem Wasser ist eine Last, die fast zu schwer zu ertragen ist.“
Ob es dem Reporter bewusst war oder nicht – Willy sprach jedenfalls aus lebenslanger Erfahrung. Als Student der Elektrotechnik hatte er ja niemals vorgehabt, in der Ortschaft Luputa zu leben, wo es gar keine Elektrizität gab. Seine Pläne hatten sich geändert – doch er war gut ohne Strom ausgekommen und sogar aufgeblüht. Allerdings litten seine Familie und er sowie jede andere Familie in der Gegend unter den schmerzhaften Auswirkungen von Krankheiten, die auf verunreinigtes Wasser zurückzuführen waren. Um sich in der Kirche zu schützen, hatten sie sogar Geld ausgegeben und sauberes Trinkwasser in Flaschen für das Abendmahl gekauft.
Noch ein paar abschließende Arbeiten – dann würde sich das Leben in Luputa ändern. Zu Projektbeginn waren jedem Stadtteil und auch den benachbarten Dörfern Tage zugewiesen worden, an denen die Bevölkerung an der Wasserleitung arbeiten musste. Am betreffenden Tag kamen Lastwagen der Trägerorganisation ADIR in aller Frühe im jeweiligen Stadtteil an, holten die freiwilligen Helfer ab und brachten sie zu ihrem Einsatzort.
Als Distriktspräsident wollte Willy mit gutem Beispiel vorangehen. An den Tagen, an denen sein Stadtteil zum Arbeiten eingeteilt war, tauschte er also seine Aufgaben als Krankenpfleger gegen die eines Bauarbeiters. Zwischen Luputa und der Trinkwasserquelle lagen kilometerweit Hügel und Täler. Da die Wasserleitung allein durch Schwerkraft funktionieren sollte, mussten die Freiwilligen den Graben so ausheben und das Rohr genau so legen, dass das Wasser auch fließen konnte.
Willy und die übrigen Freiwilligen mussten die Erde von Hand wegschaufeln. Die Rinne musste fast einen halben Meter breit und einen Meter tief sein. Mancherorts war der Boden sandig, und die Arbeit ging daher zügig voran. An anderen Stellen gab es ineinander verflochtene Baumwurzeln und Fels, was das Graben äußerst beschwerlich machte. Die Arbeitstrupps konnten bloß beten, dass sie nicht noch durch ein Buschfeuer oder Nester stechender Insekten von der Arbeit abgehalten wurden. An einem guten Tag schafften sie vielleicht einhundertfünfzig Meter.
Die Heiligen aus dem Distrikt Luputa arbeiteten zusätzlich zur gewöhnlichen Schicht ihres Stadtteils auch noch in Sonderschichten. An solchen Tagen hoben die Brüder gemeinsam mit den regulären Helfern weiter den Graben aus, und die Schwestern von der Frauenhilfsvereinigung kochten für die Arbeitenden.
Das Engagement der Heiligen für das Projekt trug dazu bei, dass ihr Glaube allgemein bekannter wurde. Die Menschen in der Gegend sahen in der Kirche nunmehr eine Institution, die nicht nur auf die eigenen Mitglieder schaute, sondern auf das Wohl der Allgemeinheit bedacht war.
Der Bau der Wasserleitung wurde im November 2010 fertiggestellt. Viele Schaulustige kamen nach Luputa und wollten miterleben, wie erstmals Wasser aus den Rohren floss. In der Stadt hatte man auf hohen Stelzen große Zisternen zur Wasserspeicherung errichtet. Dennoch fragten sich einige, ob die Durchflussmenge denn wirklich genügen werde, um die Speicher zu füllen. Auch Willy selbst hegte da seine Zweifel.
Doch als die Schleusen geöffnet wurden, rauschte das Wasser für alle vernehmlich und füllte die Zisternen. Die Menge jubelte vor Freude. Dutzende kleiner Wasserentnahmestellen aus Beton, die jeweils mit mehreren Wasserhähnen ausgestattet waren, versorgten nun ganz Luputa mit Trinkwasser.
Die Stadt feierte den Anlass gebührend. Fünfzehntausend Menschen aus Luputa und den umliegenden Dörfern ließen es sich nicht nehmen, der Feier beizuwohnen. Unter den Ehrengästen befanden sich Würdenträger der Regierung und von Stammesverbänden, Vertreter von ADIR sowie ein Mitglied der Präsidentschaft des Gebiets Afrika Südost. An einem Wasserspeicher hing ein großes Banner mit leuchtend blauen Buchstaben:
Bei der Ankunft der Ehrengäste und während diese unter dem eigens dafür errichteten Sonnenschutz Platz nahmen, sang ein Chor junger Heiliger der Letzten Tage Kirchenlieder.
Nachdem jeder seinen Platz gefunden hatte und sich der Trubel gelegt hatte, griff Willy zum Mikrofon. In seiner Eigenschaft als örtlicher Vertreter der Kirche verkündete er den Anwesenden: „So wie Jesus viele Wunder vollbracht hat, ist auch heute ein Wunder geschehen – Wasser ist nach Luputa gekommen.“ Er gab bekannt, dass die Kirche diese Wasserleitung für die gesamte Bevölkerung finanziert habe, und forderte alle auf, sie pfleglich zu behandeln.
Und jedem, der wissen wollte, wieso sich die Kirche denn so sehr für einen Ort wie Luputa interessiere, gab er die einfache Antwort:
„Wir alle sind Kinder des Vaters im Himmel.“ Weiter bekräftigte er: „Wir müssen jedermann Gutes tun.“
Freude in Luputa
Am 2. Oktober 2011 erwachte im Gemeindehaus von Luputa in der Demokratischen Republik Kongo ein benzinbetriebener Generator ratternd zum Leben. Etwa zweihundert Heilige, unter ihnen auch Willy und Lilly Binene, suchten sich einen Sitzplatz vor dem Fernseher in der Kapelle. In wenigen Augenblicken sollte die Übertragung der Sonntagabendversammlung der 181. Herbst-Generalkonferenz der Kirche beginnen, übersetzt ins Französische, also in eine der einundfünfzig Sprachen, in denen die Konferenz den Heiligen in aller Welt nun zur Verfügung stand. Es war die erste Generalkonferenz, die sich die Heiligen in Luputa als Mitglieder eines Zionspfahles ansehen konnten.
Drei Monate zuvor war der Pfahl Luputa gegründet worden – das war für niemanden, der das rasante Wachstum der Kirche in der Stadt miterlebt hatte, eine Überraschung. 2008, nämlich in dem Jahr, als Familie Binene im Tempel gesiegelt wurde, lebten mehr als zwölfhundert Heilige in Luputa. Damals gab es dort keine Vollzeitmissionare. Dennoch hatten Willy und weitere Führer der Kirche in den darauffolgenden drei Jahren gemeinsam mit treuen Zweigmissionaren dazu beigetragen, dass sich die Zahl der Heiligen im Distrikt mehr als verdoppelte. Zweifellos hatte auch die tatkräftige Hilfe der Kirche bei der Trinkwasserversorgung für die Stadt ihren Anteil daran. Aus dem Distrikt waren sogar vierunddreißig Vollzeitmissionare in andere Gegenden der Demokratischen Republik Kongo, andere afrikanische Länder oder weitere Regionen der Welt entsandt worden.
Nichtsdestotrotz hatte es Willy überrascht, als Elder Paul E. Koelliker und Elder Alfred Kyungu von den Siebzigern ihn als Präsidenten des neuen Pfahles berufen hatten. In Luputa gab es doch auch andere erfahrene Priestertumsführer, von denen jeder für das Amt des Pfahlpräsidenten geeignet gewesen wäre. Wäre es denn nicht an der Zeit, dass nun ein anderer die Zügel in die Hand nähme?
Der Pfahl wurde am 26. Juni gegründet, und Willy war an diesem Tag Elder Koelliker und Elder Kyungu behilflich, die soeben fünfzehn jungen Frauen und Männern im Pfahl ihre Berufung als Vollzeitmissionar zukommen ließen. Anschließend posierte Willy lächelnd für ein Foto mit der Gruppe. Zwei Jahrzehnte war es jetzt schon her, seit ihn ethnische Unruhen und Blutvergießen aus seiner Heimat vertrieben und ihn der Möglichkeit beraubt hatten, selbst eine Vollzeitmission für den Herrn zu erfüllen. Doch sein jahrelanger engagierter Dienst in der Kirche in Luputa hatte dazu beigetragen, dass sich nun der heranwachsenden Generation Gelegenheiten eröffneten, die ihm selbst verwehrt geblieben waren.
Zu Beginn der Konferenzübertragung lehnte sich Willy entspannt zurück und hörte den Rednern zu. Eigentlich wäre Präsident Monson ja bei der Eröffnungsversammlung der erste Redner gewesen, doch wegen eines gesundheitlichen Problems hatte er erst später ins Konferenzzentrum kommen können. Nach dem Zwischenlied trat er jedoch ans Rednerpult und begrüßte die Anwesenden mit einem fröhlichen „Hallo“.
„Wenn man viel zu tun hat, scheint die Zeit viel zu schnell zu verfliegen“, sagte er, „und die vergangenen sechs Monate waren da für mich keine Ausnahme.“
Präsident Monson sprach über die Weihung des Tempels in El Salvador sowie über die erneute Weihung des Tempels in Atlanta im Süden der Vereinigten Staaten. „Der Bau von Tempeln wird ununterbrochen fortgesetzt, Brüder und Schwestern“, bestätigte er. „Ich freue mich, heute mehrere neue Tempel ankündigen zu können.“
Willy lauschte aufmerksam. In letzter Zeit war der Tempel unter den Führern der Kirche in Luputa ein Thema gewesen, das ihnen nicht aus dem Kopf ging. Gleich bei der ersten Pfahlkonferenz in der Stadt hatten sich viele Ansprachen darum gedreht, wie man die Heiligen auf das Haus des Herrn vorbereiten könne. Außer den Binenes hatten nur ganz wenige Mitglieder aus Luputa den Tempel in Johannesburg besuchen können. Reisepässe waren in der Demokratischen Republik Kongo ziemlich einfach zu bekommen, ein Reisevisum nach Südafrika hingegen nicht. Das bedeutete, dass viele Mitglieder aus der Demokratischen Republik Kongo sozusagen in der Warteschleife hingen und befürchten mussten, ihr Pass werde ablaufen, bevor sie überhaupt das Visum erhalten und in den Tempel gehen konnten.
Der erste Tempel, den Präsident Monson ankündigte, war der zweite für Provo in Utah. Vor kurzem war das historische Tabernakel der Stadt durch unglückliche Umstände in Brand geraten. Bis auf die Außenmauern war fast alles ein Raub der Flammen geworden. Jetzt wollte die Kirche das Tabernakel wieder aufbauen und zu einem Haus des Herrn umfunktionieren.
„Ich freue mich, auch an den folgenden Standorten neue Tempel ankündigen zu dürfen“, fuhr Präsident Monson fort. „Barranquilla in Kolumbien, Durban in Südafrika, Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo und …“
Bei der Namensnennung „Kinshasa“ sprangen Willy und alle anderen im Raum wie elektrisiert auf und jubelten. Die Nachricht kam für sie völlig überraschend. Schon bald mussten sich die dortigen Heiligen also keine Sorgen mehr wegen des Visums oder eines ablaufenden Reisepasses machen. Die schlichte Ankündigung des Propheten hatte alles verändert.
Es hatte weder Gerüchte noch Andeutungen gegeben, dass die Kirche in der Demokratischen Republik Kongo einen Tempel bauen wolle. Es hatte nur ihre Hoffnung gegeben – die Hoffnung nämlich, dass der Herr in ihrem Land eines Tages doch sein Haus errichten werde.
Und nun war es so weit. Endlich war es jetzt so weit!
Legen wir den Zeitplan doch ganz in Gottes Hand
Am 28. Mai 2017 gab Willy Binene im Gemeindehaus von Luputa Zeugnis. Für seine Familie war es der letzte Sonntag dort – zumindest für die nächste Zeit. Lilly und er waren kurz zuvor von der Ersten Präsidentschaft zu Führern der Elfenbeinküste-Mission Abidjan berufen worden. Da Willy als junger Mann nicht die Chance gehabt hatte, eine Vollzeitmission zu erfüllen, hatte er immer gehofft, eines Tages an der Seite seiner Frau auf Mission gehen zu können. Doch dass die Berufung so bald kommen würde, damit hatten die beiden denn doch nicht gerechnet.
Ein Jahr zuvor war Elder Neil L. Andersen vom Kollegium der Zwölf Apostel in die Demokratische Republik Kongo gekommen und hatte den ersten Spatenstich für den Tempel in Kinshasa vorgenommen. Er und seine Frau Kathy reisten auch nach Mbuji-Mayi, einer Stadt etwa einhundertfünfzig Kilometer nördlich von Luputa, und kamen mit den dortigen Heiligen zusammen. Willy hatte Elder Andersen bei dieser Gelegenheit kennengelernt und ihm seine Lebensgeschichte erzählt.
Einige Monate nach diesem Besuch überraschte Elder Andersen Willy und Lilly mit einem Videoanruf. Er sagte ihnen, der Herr habe eine neue Aufgabe für sie, und stellte ihnen einige Fragen zu ihrem Leben und ihren beruflichen Aufgaben. Dann fragte er Lilly: „Würden Sie Ihre Heimat verlassen und dem Herrn anderswo dienen?“
„Ja“, erwiderte Lilly. „Wir sind dazu bereit.“
Etwa eine Woche später sprach Präsident Dieter F. Uchtdorf ihre Berufung als Missionsführer aus. Sie nahmen die Aufgabe mit einer Mischung aus Freude und Besorgnis an. Beide waren sich nicht sicher, ob sie der neuen Aufgabe tatsächlich gewachsen waren. Doch es war ja nicht das erste Mal, dass der Herr sie zu etwas Schwierigem berief, und sie waren bereit, sich voll und ganz in seinen Dienst zu stellen.
„Wenn es Gott ist, der uns beruft“, dachte sich Lilly, „wird er selbst sich kundtun und uns für das Werk befähigen.“
Ihre vier Kinder im Alter von fünf bis sechzehn Jahren nahmen die Nachricht positiv auf. Die Heiligen in Luputa konnten jedoch ihre Traurigkeit nicht verbergen, als Willys und Lillys Berufung bekanntgegeben wurde. Über zwei Jahrzehnte lang hatte Willy dazu beigetragen, dass sich die Kirche in Luputa erfreulich entwickelte und dass aus einem Grüppchen vertriebener Gläubiger ein blühender Zionspfahl wurde. Die Heiligen sahen in ihm nicht bloß den ehemaligen Distrikts- oder Pfahlpräsidenten. Durch das wiederhergestellte Evangelium hatten sie gelernt, einander als Brüder und Schwestern zu betrachten – folglich gehörten Willy, Lilly und die Kinder ja zur Familie.
Willy gab den Mitgliedern seiner Gemeinde Zeugnis. Sein Herz war von Liebe zu ihnen allen erfüllt, doch seine Augen blieben trocken, obgleich Lilly, die Chorsänger und alle anderen um ihn herum weinten. Kaum etwas war in seinem Leben so verlaufen wie erwartet. Es hatte den Anschein, als ob jedes Mal, wenn er einen Plan aufgestellt hatte – für seine Berufsausbildung, für eine Vollzeitmission, für sein berufliches Weiterkommen –, etwas eintrat, das ihn in eine andere Richtung lenkte. Doch rückblickend erkannte er, dass der Herr immer schon einen Plan für ihn gehabt hatte.
Nach der Versammlung war Willy allerdings so tief gerührt, dass er seinen Tränen freien Lauf ließ. Für ihn sah es nicht so aus, als hätte er jemals etwas Besonderes geleistet. Eigentlich maß er sich wenig Bedeutung zu – war er doch bloß ein einzelner Wassertropfen inmitten des großen Ozeans. Ihm war jedoch bewusst, dass ihn der Herr lenkte und auf seinem Lebensweg in eine bestimmte Richtung drängte und dass der Plan somit immer klarer und konkreter wurde.
Daheim verabschiedeten sich Lilly und er sowie die Kinder von ihren Freunden. Dann stieg die Familie in das Auto, das sie zu ihrem nächsten Einsatzgebiet bringen sollte.
„Man sollte nie etwas überstürzen“, stellte Willy fest. „Legen wir den Zeitplan doch ganz in Gottes Hand.“