2004
Es dämmert … zum schönen Tag
Mai 2004


Es dämmert … zum schönen Tag

Es waren herrliche Zeiten und es sind auch heute herrliche Zeiten. Im Werk des Allmächtigen ist ein neuer Tag angebrochen.

War das nicht absolut herrlich? Vielen Dank an Liriel Domiciano und den Chor! Welch großartiges Glaubensbekenntnis – „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“ Nochmals danke für diese bewegende und wunderbare Musik.

Als Erstes möchte ich allen in der Kirche und vielen anderen für die große Freundlichkeit danken, die Sie meiner Frau und mir erweisen. Sie waren und sind so gütig und großherzig. All das, was Sie für uns tun, berührt uns sehr. Würde die ganze Welt so behandelt, wie wir behandelt werden, wie anders sähe sie aus! Wir würden uns im Sinne des Meisters, der auf andere zuging und sie tröstete und heilte, einander annehmen.

Liebe Brüder und Schwestern, Präsident Packer hat als Großvater zu Ihnen gesprochen. Ich möchte gern einen Faden aus dem Wandteppich, den er gewoben hat, wieder aufnehmen. Auch ich bin mittlerweile ein alter Mann, sogar noch älter als er, falls Sie sich das vorstellen können. Ich bin schon eine ganze Weile hier, bin weit gereist und habe viel von dieser Welt gesehen. In Stunden stiller Besinnung frage ich mich, warum es fast überall so viel Probleme und Leid gibt. Die heutige Zeit ist voller Gefahr. Wir hören häufig die Worte, die Paulus an Timotheus gerichtet hat: „Das sollst du wissen: In den letzten Tagen werden schwere Zeiten anbrechen.“ (2 Timotheus 3:1.) Er beschreibt dann die Zustände, die herrschen werden. Es ist meines Erachtens ganz offensichtlich, dass diese Letzten Tage wirklich schwere und gefährliche Zeiten sind, auf die zutrifft, was Paulus beschrieben hat (siehe 2 Timotheus 3:2-7).

Doch Gefahr ist für die Menschheit nichts Neues. Die Offenbarung berichtet uns: „Da entbrannte im Himmel ein Kampf: Michael und seine Engel erhoben sich, um mit dem Drachen zu kämpfen. Der Drache und seine Engel kämpften,

aber sie konnten sich nicht halten und sie verloren ihren Platz im Himmel.

Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt; der Drache wurde auf die Erde gestürzt, und mit ihm wurden seine Engel hinabgeworfen.“ (Offenbarung 12:7-9.)

Was für gefährliche Zeiten müssen das gewesen sein. Der Allmächtige selbst stand dem Sohn des Morgens gegenüber. Wir waren bei diesem Ereignis dabei. Es muss ein verzweifelter, schwieriger Kampf gewesen sein, der in einem großartigen triumphalen Sieg endete.

Der Herr sprach über diese verzweifelte Zeit aus dem Wettersturm heraus zu Ijob und sagte:

„Wo warst du, als ich die Erde gegründet? …

Als alle Morgensterne jauchzten, als jubelten alle Gottessöhne?“ (Ijob 38:4,7.)

Warum waren wir damals glücklich? Vermutlich, weil das Gute über das Böse triumphiert hatte und die ganze Menschheit auf der Seite des Herrn stand. Wir wandten uns vom Widersacher ab und schlossen uns den Scharen Gottes an, und diese Scharen waren siegreich.

Aber wenn wir diese Entscheidung getroffen haben, warum sollten wir sie dann seit unserer Geburt hier auf der Erde immer wieder treffen?

Mir ist unverständlich, warum so viele im Laufe ihres Lebens dieser Entscheidung, die sie beim großen Kampf im Himmel einmal getroffen haben, untreu werden.

Es ist jedoch offensichtlich, dass der Kampf zwischen Gut und Böse, der damals begonnen hat, noch immer nicht zu Ende ist. Er hat nicht aufgehört, und er reicht bis in die Gegenwart.

Ich glaube, unser Vater muss weinen, weil durch die Zeitalter hindurch so viele seiner Kinder die Entscheidungsfreiheit, die er ihnen gegeben hat, dahingehend nutzten, den Weg des Bösen und nicht den des Guten zu gehen.

Das Böse offenbarte sich früh auf dieser Welt, als nämlich Kain den Abel erschlug. Es nahm bis zu den Tagen Noachs zu: „Der Herr sah, dass auf der Erde die Schlechtigkeit des Menschen zunahm und dass alles Sinnen und Trachten seines Herzens immer nur böse war.

Da reute es den Herrn, auf der Erde den Menschen gemacht zu haben, und es tat seinem Herzen weh.“ (Genesis 6:5,6.)

Er befahl Noach, eine Arche zu bauen, und „in ihr wurden nur wenige, nämlich acht Menschen, … gerettet“ (1 Petrus 3:20).

Die Erde war gereinigt. Die Flut wich zurück. Es herrschte wieder Rechtschaffenheit. Aber es dauerte nicht lange, da kehrten die Menschen, so schrecklich viele von ihnen, auf die alten Wege des Ungehorsams zurück. Die Einwohner der Städte Sodom und Gomorra sind ein Beispiel für die Verderbtheit, zu der die Menschen hinabgesunken waren. Und Gott vernichtete die Städte der Gegend restlos, sie waren von Grund auf zerstört (siehe Genesis 19:29).

Jesaja sagte mit Donnerstimme:

„Was zwischen euch und eurem Gott steht, das sind eure Vergehen; eure Sünden verdecken sein Gesicht, sodass er euch nicht hört.

Denn eure Hände sind mit Blut befleckt, eure Finger mit Unrecht. Eure Lippen lügen, eure Zunge flüstert (Worte voll) Bosheit.“ (Jesaja 59:2,3.)

Genauso war es mit den anderen Propheten des Alten Testaments. Mit ihrer Botschaft prangerten sie in erster Linie die Schlechtigkeit an. Und die Gefahren jener Zeit waren nicht nur der Alten Welt eigen. Das Buch Mormon belegt, dass in der westlichen Hemisphäre die Armeen der Jarediten bis zum Tod kämpften. Die Nephiten und Lamaniten kämpften auch, bis Tausende umgekommen waren, und Moroni war gezwungen, allein weiterzuziehen, um sich in Sicherheit zu bringen (siehe Moroni 1:3). Seine große und letzte Bitte an die Menschen unserer Zeit war ein Aufruf zur Rechtschaffenheit:

„Und weiter möchte ich euch ermahnen, zu Christus zu kommen und jede gute Gabe zu ergreifen und weder die böse Gabe, noch das, was unrein ist, anzurühren.“ (Moroni 10:30.)

Als der Erretter auf Erden wandelte, zog er umher und tat Gutes (siehe Apostelgeschichte 10:38), aber er prangerte auch die Heuchelei der Schriftgelehrten und Pharisäer an und bezeichnete sie als weiß angestrichene Gräber (siehe Matthäus 23:27). Er griff die Geldwechsler im Tempel an und sagte: „Mein Haus soll ein Haus des Gebetes sein. Ihr aber habt daraus eine Räuberhöhle gemacht.“ (Lukas 19:46.) Auch das war eine sehr gefährliche Zeit. Palästina war Teil des Römischen Reichs, das seine Herrschaft mit eiserner Faust und Unterdrückung ausübte und vom Bösen überschattet war.

Die Briefe des Paulus riefen die Nachfolger Christi auf, stark zu sein, damit sie nicht auf die Wege der Schlechten gerieten. Doch letztendlich kam es zum Abfall vom Glauben.

Unwissenheit und Böses bedeckten die Welt; dadurch entstand das, was als finsteres Mittelalter bezeichnet wird. Jesaja hatte vorhergesagt: „Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker.“ (Jesaja 60:2.) Über Jahrhunderte hinweg grassierten Krankheiten, und die Armut regierte. Der schwarze Tod forderte im 14. Jahrhundert etwa 50 Millionen Opfer. War dies keine schrecklich gefährliche Zeit? Ich frage mich, wie die Menschheit das überlebt hat.

Doch irgendwie wurde in der langen, finsteren Zeit eine Kerze angezündet. Die Renaissance brachte eine Blüte der Bildung, der Kunst und der Wissenschaften hervor. Es gab eine Bewegung kühner und mutiger Männer und Frauen, die zum Himmel aufblickten und Gott und seinen göttlichen Sohn anerkannten. Das bezeichnen wir als Reformation.

Und dann, nachdem viele Generationen über die Erde gegangen waren – so viele von ihnen erlebten Konflikte, Hass, Finsternis und Schlechtigkeit –, kam der große, neue Tag der Wiederherstellung. Der erste Schritt zur Wiederherstellung dieses herrlichen Evangeliums war, dass der Vater und der Sohn dem jungen Joseph erschienen. Auf der Welt brach die Evangeliumszeit der Fülle an. Zu dieser besonderen Zeit wurde alles, was in sämtlichen vorangegangenen Evangeliumszeiten gut, schön und göttlich gewesen war, wiederhergestellt.

Aber es gab auch das Böse. Dieses Böse tat sich unter anderem durch Verfolgung kund. Es gab Hass. Menschen wurden vertrieben und mussten sich mitten im Winter auf den Weg machen.

Es war so, wie Charles Dickens es in der Einleitung von Eine Geschichte von zwei Städten beschreibt: „Es war die beste Zeit, es war die schlimmste Zeit, … es war die Zeit des Lichts, es war die Zeit der Finsternis, es war der Frühling der Hoffnung, es war der Winter der Verzweiflung.“

Ungeachtet der großen Schlechtigkeit in jenen Zeiten, waren es doch herrliche Zeiten und es sind auch heute herrliche Zeiten. Im Werk des Allmächtigen ist ein neuer Tag angebrochen. Das Werk ist gewachsen, stärker geworden und hat sich über die Erde ausgebreitet. Es hat das Leben von Millionen zum Besseren verändert, und dies ist erst der Anfang.

Dieses große Morgenrot überflutet die Welt ebenfalls mit einer enormen Menge weltlichen Wissens.

Denken Sie an die zunehmende Lebenserwartung. Denken Sie an die Wunder der modernen Medizin. Ich kann nur staunen. Denken Sie daran, was an Wissen dazugewonnen wurde. Denken Sie an die wunderbaren Fortschritte bei der Fortbewegung und in der Kommunikation. Der Einfallsreichtum des Menschen kennt kein Ende, wenn der Gott des Himmels Inspiration und Licht und Erkenntnis ausgießt.

Trotzdem gibt es noch so viele Konflikte in der Welt. Es gibt schreckliche Armut, Krankheit und Hass. Der Mensch ist noch immer brutal in seiner Unmenschlichkeit dem Menschen gegenüber. Und doch gibt es dieses herrliche Morgenrot. Die „Sonne der Gerechtigkeit“ ist aufgegangen, „ihre Flügel bringen Heilung“ (siehe Maleachi 3:20). Gott und sein geliebter Sohn haben sich offenbart. Wir kennen sie. Wir beten sie „im Geist und in der Wahrheit“ an (Johannes 4:24). Wir lieben sie. Wir ehren sie und sind bestrebt, ihren Willen zu tun.

Die Schlüssel des immerwährenden Priestertums haben die Schlösser der Gefängnisse der Vergangenheit geöffnet.

Der Morgen naht, die Schatten fliehn,

seht, Zions Banner ist enthüllt!

Es dämmert über jenen Höhn, …

zum schönen Tag der ganzen Welt.

(„Der Morgen naht“, Gesangbuch, Nr. 1.)

Gefährliche Zeiten? Ja. Dies sind gefährliche Zeiten. Aber die Menschen haben seit der Zeit vor der Erschaffung der Welt in Gefahr gelebt. Irgendwie hat es in all der Finsternis ein schwaches, aber wunderbares Licht gegeben. Und jetzt scheint es mit zusätzlichem Glanz auf die Welt. Es trägt Gottes Plan des Glücklichseins für seine Kinder mit sich. Es trägt die großen und unfassbaren Wunder des Sühnopfers des Erlösers mit sich.

Wie dankbar sind wir dem Gott im Himmel für seine wohltätige Sorge um seine Kinder, indem er ihnen durch alle Gefahren der Ewigkeit hindurch die Möglichkeit auf Errettung und die Segnungen der Erhöhung in seinem Reich bietet, vorausgesetzt, sie leben rechtschaffen.

Und dies, meine Brüder und Schwestern, erlegt uns allen eine große und anstrengende Pflicht auf. Präsident Wilford Woodruff hat 1894 gesagt:

„Der Allmächtige steht seinem Volk bei. Wir werden alle Offenbarungen erhalten, die wir benötigen, wenn wir unsere Pflicht tun und die Gebote Gottes halten. … Solange ich lebe, will ich meine Pflicht tun. Ich will, dass die Heiligen der Letzten Tage ihre Pflicht tun. Hier befindet sich das heilige Priestertum. … Seine Aufgabe ist groß und machtvoll. Die Augen Gottes und aller heiligen Propheten blicken auf uns. Dies ist die großartige Evangeliumszeit, von der seit Anbeginn der Welt gesprochen worden ist. Wir versammeln uns durch die Macht und das Gebot Gottes. Wir tun das Werk Gottes. … Lassen Sie uns unsere Mission erfüllen.“ (James R. Clark, Hg., Messages of the First Presidency of The Church of Jesus Christ of Latter-day Saints, 6 Bände, 1965–1975, 3:258.)

Dies ist unsere große und anspruchsvolle Herausforderung, liebe Brüder und Schwestern. Dies ist die Wahl, die wir ständig treffen müssen, genau so, wie die Generationen vor uns wählen mussten. Wir müssen uns fragen:

Wer steht zum Herren, wer?

Jetzt heißts entschieden sein;

wir fragen ohne Furcht:

Wer steht zum Herren, wer?

(„Wer steht zum Herren, wer?“, Gesangbuch, 1977, Nr. 208.)

Verstehen wir das wirklich, erkennen wir die außerordentliche Bedeutung dessen, was wir besitzen? Dies ist der Höhepunkt der Menschengeschlechter, das letzte Kapitel im ganzen Panorama der menschlichen Existenz.

Aber das versetzt uns nicht in eine überlegene Position. Es sollte uns vielmehr demütig stimmen. Es erlegt uns die unerlässliche Verantwortung auf, auf alle anderen zuzugehen und uns ihrer anzunehmen, und zwar so wie der Meister, der gelehrt hat: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“ (Matthäus 19:19.) Wir müssen die Selbstgerechtigkeit ausmerzen und uns über kleinliche Eigeninteressen erheben.

Wir müssen alles Notwendige tun, um das Werk des Herrn voranzubringen und sein Reich auf der Erde aufzubauen. Wir dürfen bei der offenbarten Lehre keinerlei Kompromisse eingehen, aber wir können mit anderen zusammen leben und arbeiten, ihren Glauben respektieren und ihre Tugenden bewundern, und wir können uns gemeinsam mit ihnen gegen falsche Lehren, Streitigkeiten und Hass stellen – all die Gefahren, die der Mensch seit Anbeginn kennt.

Wir können gute Nachbarn sein, wir können hilfsbereit sein, wir können freundlich und großzügig sein, ohne ein einziges Element unserer Lehre aufgeben zu müssen.

Wir, die jetzige Generation, sind das Endergebnis all dessen, was vorher war. Es reicht nicht, als Mitglied dieser Kirche bekannt zu sein. Uns ist eine feierliche Pflicht auferlegt. Wir müssen uns ihr stellen und ihr nachkommen.

Wir müssen wie ein wahrer Nachfolger Christi leben, allen Menschen mit Nächstenliebe begegnen, Böses mit Gutem vergelten, durch unser Beispiel die Wege des Herrn vermitteln und die vielen Aufgaben erfüllen, die er uns aufgetragen hat.

Mögen wir der herrlichen Gabe des Lichts, der Erkenntnis und der ewigen Wahrheit würdig sein, die durch all die Gefahren der Vergangenheit zu uns gedrungen ist. Von all den Menschen, die je auf dieser Erde gelebt haben, sind ausgerechnet wir in dieser einzigartigen und besonderen Zeit hierher gekommen. Seien Sie dankbar und bleiben Sie vor allem dem Glauben treu. Dies ist mein demütiges Gebet und ich bezeuge, dass dieses Werk wahr ist. Im heiligen Namen Jesu Christi. Amen.