2011
Ein Platz bei der Hochzeit des Bräutigams
Februar 2011


Bis aufs Wiedersehen

Ein Platz bei der Hochzeit des Bräutigams

Es ist manchmal etwas unangenehm, ganz allein zu einem Hochzeitsempfang zu gehen. Aber als mich ein alter Freund zu seinem Hochzeitsessen einlud, wollte ich es auf keinen Fall versäumen, mit ihm und seiner Braut zu feiern.

Am Tag der Hochzeit traf ich kurz vor dem Hochzeitsessen ein. Ich sah einen leeren Platz und fragte eine Frau am Tisch, ob er noch frei sei.

„Gehören Sie denn dazu?“, fragte sie und beäugte mich misstrauisch.

Ich hatte keine Ahnung, was sie zu dieser Frage – oder der Art und Weise, wie sie sie stellte – veranlasst hatte. Niemand überprüfte eine Gästeliste. Es gab keine Sitzordnung. Ich war pünktlich und angemessen gekleidet. Wo lag das Problem?

Ich lächelte nervös. „Ich bin mit dem Bräutigam befreundet“, versicherte ich ihr. Sie nickte, also setzte ich mich und bemühte mich, ein freundliches Gespräch mit den sechs Ehepaaren am Tisch anzuknüpfen. Wenn ich mich zuvor schon etwas unbehaglich gefühlt hatte, dann war dieses Gefühl durch diese „Begrüßung“ noch verstärkt worden. Verzweifelt sah ich mich im ganzen Raum nach jemandem um, den ich kannte – irgendjemand –, aber außer dem Bräutigam sah ich kein bekanntes Gesicht.

Doch dann änderte sich alles. Mein Freund, der ganz vorn in dem vollbesetzten Raum neben seiner Braut saß, stand auf. Dabei sah er mich auf der anderen Seite des Raumes sitzen. Er hielt inne, lächelte und legte die Hand aufs Herz, als ob er sagen wollte: „Danke, dass du gekommen bist. Ich weiß, dass es ein Opfer für dich war. Es bedeutet mir so viel, dass du hier bist.“

Ich empfand große Erleichterung und Freude. Was immer die anderen denken mochten, in den Augen des Bräutigams gehörte ich dazu. Ich lächelte und ahmte seine Geste nach. Ich hoffte, dass mein Freund wusste, wie viel mir daran lag, mit ihm und seiner Frau zu feiern und mich mit ihnen zu freuen. Das unbehagliche Gefühl war in diesen zehn Sekunden verschwunden. Den Rest des Abends genoss ich mit neuem Selbstvertrauen.

Als ich Tage später einen Unterricht für die FHV vorbereitete, las ich in Matthäus 22 von einem König, der ein Hochzeitsmahl für seinen Sohn vorbereitete. Dieser Sohn stellt den Erlöser dar. Über diese Schriftstelle sagte der Prophet Joseph Smith: „Diejenigen, die die Gebote des Herrn halten und bis ans Ende in seinen Satzungen wandeln, sind die Einzigen, die bei diesem herrlichen Fest sitzen dürfen. … Diejenigen, die die Treue gehalten haben, werden mit einem Kranz der Gerechtigkeit gekrönt, mit einem weißen Gewand bekleidet und zum Hochzeitsmahl eingelassen werden; sie werden von jeder Bedrängnis frei sein und mit Christus auf Erden regieren.“1 Diese Verheißung ist immer beeindruckend, aber wegen meines Erlebnisses ein paar Tage zuvor beeindruckte sie mich noch mehr.

Als ich dann den Unterricht hielt, erkannte ich, dass Gehorsam die einzige Bedingung dafür ist, die Einladung von Jesus Christus anzunehmen, uns mit ihm zu freuen und einen Platz bei seinem Fest zu haben. Und bei diesem Fest muss sich keiner der Gäste unsicher fühlen, denn sie gehören alle dazu. Auch wenn ich noch weit davon entfernt bin, vollkommen gehorsam zu sein, hoffe ich doch, dass ich eines Tages bereit sein werde, dem Bräutigam zu begegnen und mit der Hand auf dem Herzen – einem Herzen, das sich seinem Willen fügt – zu sagen: „Ich freue mich so, hier zu sein.“

Anmerkung

  1. Lehren der Präsidenten der Kirche: Joseph Smith, Seite 180f., 183

Foto von John Luke