Die Rettung verlorener Lämmer
Vor Jahren fuhren meine Frau und ich zu Beginn des Frühjahrs durch das wunderschöne Tal Star Valley in Wyoming. Es war ein herrlicher Frühlingsmorgen, und die Schönheit der Landschaft begeisterte uns.
Als Jackie und ich das Tal erreichten, freuten wir uns, gelegentlich auch eine Schafherde mit dutzenden Lämmchen zu sehen. So ein Lämmchen ist doch ein reizender Anblick. Als wir die belebte Straße entlangfuhren, sahen wir ein kleines Lamm außerhalb des Zaunes nicht weit entfernt vom Straßenrand. Verzweifelt rannte es immer wieder gegen den Zaun, in dem Versuch, zur Herde zurückzukommen. Ich nahm an, dass das Lämmchen durch eine Öffnung im Zaun geschlüpft war, nun aber nicht mehr zurückkonnte.
Ich war sicher, dass das Lamm irgendwann auf die Straße laufen und dann verletzt würde oder umkäme, wenn wir nicht anhielten, um es zu retten. Also hielt ich an und sagte zu Jackie und den Mitreisenden auf dem Rücksitz: „Wartet hier, es dauert nicht lange.“
Als jemand, der keine Ahnung vom Lämmerhüten hatte, ging ich davon aus, dass das ängstliche Lamm sich freuen würde, mich zu sehen; schließlich hatte ich nur die besten Absichten. Ich wollte ihm ja das Leben retten!
Aber zu meiner Enttäuschung hatte das Lamm Angst und wusste meine Bemühungen, es zu retten, überhaupt nicht zu schätzen. Kam ich näher, rannte das Kleine so schnell es konnte am Zaun entlang davon. Jackie, die meine missliche Lage bemerkte, stieg aus, um zu helfen. Aber auch zu zweit gelang es uns nicht, das flinke Lämmchen zu überlisten.
Nun kletterte auch das Ehepaar, das unser fröhliches Lämmerfangen auf dem Rücksitz amüsiert verfolgt hatte, aus dem Auto und schloss sich unserem Rettungsteam an. Mit vereinten Kräften kreisten wir das ängstliche kleine Lamm schließlich am Zaun ein. Als ich mich bückte, um es aufzuheben, bemerkte ich gleich, dass ihm doch deutlich wahrnehmbarer Stallgeruch anhaftete. Und ich trug meine saubere Reisekleidung. Da fragte ich mich, ob es das alles wirklich wert war.
Als wir das Lamm aufhoben und über den Zaun hoben, damit es in Sicherheit war, kämpfte und trat es mit aller Kraft. Doch wenige Augenblicke später hatte es seine Mutter gefunden und drängte sich eng an ihre Seite. Etwas zerknittert, aber sehr zufrieden und froh, dass wir die richtige Entscheidung getroffen hatten, machten wir uns wieder auf den Weg.
Seither musste ich oft an dieses Erlebnis denken. Ich frage mich, ob ich dieselbe Anstrengung unternehmen würde, um jemand, der selten in die Kirche kommt und meine Mühe gar nicht zu schätzen wüsste, zu retten. Hoffentlich! „Wie viel mehr ist ein Mensch wert als ein Schaf!“, sagte doch der Erlöser (Matthäus 12:12). In jedem Zweig, jeder Gemeinde und jedem Pfahl gibt es verlorene Lämmer, die in Gefahr sind.
Ersetzen wir doch einmal in dem Lied „Hab ich Gutes am heutigen Tag getan?“ die Begriffe Freude und Arbeit durch Arbeit zur Rettung, und überlegen wir, wie dies auf die Rettung verlorener Lämmer zutrifft:
So viel Arbeit zur Rettung harrt heute dein,
o so gehe und nutze die Zeit.
Lass bis morgen nicht ruhn, was du heute kannst tun,
und sei stets zum Wirken bereit.1
Es mag sein, dass unsere Mitmenschen undankbar oder ängstlich erscheinen oder gar kein Interesse daran zu haben scheinen, gerettet zu werden. Unsere Bemühungen, sie zu retten, erfordern vielleicht Zeit, Mühe, Kraft und die Unterstützung und Hilfe anderer. Doch diese Mühe wird mit ewigen Segnungen belohnt. Denn der Herr hat verheißen: „Wenn [ihr] auch nur eine einzige Seele zu mir führt, wie groß wird eure Freude mit ihr im Reich meines Vaters sein!“ (LuB 18:15.)