Kapitel 6
Vor dem Herrn vollkommen werden: „Tag für Tag ein wenig besser“
Erwarten Sie nicht, dass Sie mit einem Mal vollkommen werden. Wenn Sie das erwarten, werden Sie enttäuscht werden. Seien Sie heute besser, als Sie es gestern waren, und seien Sie morgen besser als heute.
Aus dem Leben von Lorenzo Snow
Präsident Lorenzo Snow nahm einmal an einer Priestertumsversammlung teil, in der je ein Vertreter eines Ältestenkollegiums aufstand und über die Arbeit seines Kollegiums berichtete. Als Präsident Snow diesen jungen Männern zuhörte, musste er daran denken, wie er selbst Jahre zuvor gewesen war. Er stand auf, um zu sprechen, und sagte:
„Ich möchte etwas sagen, was Sie hoffentlich niemals vergessen werden, und ich denke, dass mir dies vielleicht auch gelingt.
Mir fällt auf, und das fällt mir fast immer auf, wenn junge Älteste zusammen sind, und eigentlich auch, wenn Älteste mittleren Alters zusammen sind, dass sie vor vielen Zuhörern doch etwas zögerlich sprechen. Mir ist das auch heute Morgen aufgefallen, als diese jungen Männer aufgestanden sind, um etwas mitzuteilen und über die Arbeit zu sprechen, die sie geleistet haben.
Es ist vielleicht nicht verkehrt, wenn ich Ihnen ein wenig davon erzähle, wie es mir erging, als ich anfing, in Versammlungen zu sprechen, und zwar noch bevor ich Ältester war. Ich erinnere mich noch an das erste Mal, als ich gebeten wurde, mein Zeugnis zu geben. … Mir war wirklich sehr bange davor, doch gleichzeitig spürte ich, dass es meine Pflicht war, aufzustehen. Aber ich wartete und wartete. Jemand gab sein Zeugnis, danach gab noch jemand sein Zeugnis, und dann noch einer – fast alle waren an der Reihe gewesen, und ich hatte noch immer Angst davor, aufzustehen. Ich hatte noch nie vor Publikum gesprochen. … [Schließlich] sagte ich mir, dass es nun Zeit für mich sei, aufzustehen. Also tat ich es. Was denken Sie, wie lange ich gesprochen habe? Ich schätze, ungefähr eine halbe Minute – es kann unmöglich mehr als eine Minute gewesen sein. Das war mein erster Versuch, und beim zweiten Mal war es, glaube ich, ungefähr genauso. Ich war schüchtern, … aber ich fasste den felsenfesten Entschluss, dass ich immer, wenn ich aufgefordert werden würde, eine derartige oder auch eine andere Aufgabe zu erfüllen, dem nachkommen würde, ganz gleich, was dabei herauskommen würde. Das gehört zur Grundlage meines Erfolgs als Ältester in Israel.“
Präsident Snow erzählte den jungen Männern, dass er nicht lange nach dieser Erfahrung seine erste Versammlung als Vollzeitmissionar abhielt. „Ich hatte noch nie im Leben etwas so sehr gefürchtet wie diese Versammlung“, erinnerte er sich. „Ich betete den ganzen Tag, zog mich zurück, um allein zu sein, und rief den Herrn an. Ich hatte nie zuvor [öffentlich] gesprochen, außer in den erwähnten Zeugnisversammlungen. Mir graute davor. Ich glaube nicht, dass sich jemals zuvor jemand vor einer Situation mehr gefürchtet als ich damals. Die Versammlung begann, und der Raum war ziemlich voll. … Ich begann zu sprechen und füllte dann wohl ungefähr eine Dreiviertelstunde aus.“1 Ein anderes Mal berichtete er über dieselbe Versammlung: „Als ich vor den Anwesenden stand, wusste ich zuerst nicht im Geringsten, was ich sagen könnte, doch sobald ich den Mund öffnete, um zu sprechen, ruhte der Heilige Geist mit Macht auf mir und erfüllte mir den Sinn mit Licht und gab mir Gedanken und die richtigen Worte ein, um sie auszudrücken. Die Zuhörer waren überrascht und baten um eine weitere Versammlung.“2
Dann erklärte Präsident Snow, welche Lektion die jungen Männer aus seiner Schilderung lernen sollten: „Meine jungen Freunde, Sie haben die Chance auf wahre Größe – eine Größe, wie Sie sie sich wünschen. Wenn Sie am Anfang Ihres Lebens stehen, dürfen Sie Ihr Herz auf Dinge setzen, die zwar äußerst schwer zu erreichen, aber im Bereich des Möglichen sind. Ihre ersten Versuche, Ihre Wünsche zu erfüllen, schlagen vielleicht fehl, und auch Ihre weiteren Versuche sind vielleicht nicht das, was man als Erfolg bezeichnen würde. Aber wenn Ihre Versuche aufrichtig waren und soweit Ihre Wünsche auf Rechtschaffenheit beruhen, muss die Erfahrung, die Sie bei der Umsetzung Ihrer Herzenswünsche gemacht haben, notwendigerweise nützlich für Sie sein, und selbst Ihre Fehler, falls Sie denn welche machen, werden Ihnen zum Vorteil gereichen.“3
Das war etwas, worüber Präsident Snow immer wieder gern sprach. Er erinnerte die Heiligen oft an das Gebot des Herrn, vollkommen zu sein, und er versicherte ihnen, dass sie dieses Gebot durch ihren Fleiß und mit der Hilfe des Herrn befolgen konnten. Er verkündete: „Wir müssen im Herzen spüren, dass Gott unser Vater ist. Und wenn wir auch Fehler begehen und schwach sind, wird alles wohl mit uns sein, wenn wir so vollkommen leben, wie es geht.“4
Lehren von Lorenzo Snow
Mit Fleiß, Geduld und göttlicher Hilfe können wir dem Gebot des Herrn gehorchen, vollkommen zu sein
„Als nun Abram neunundneunzig Jahre alt war, erschien ihm der Herr und sprach zu ihm: Ich bin Gott, der Allmächtige. Wandle vor mir, und sei vollkommen!“ [King-James-Bibel, Genesis 17:1.]
In diesem Zusammenhang möchte ich die Worte des Heilands aus der Bergpredigt zitieren, wie sie im letzten Vers des fünften Kapitels im Matthäusevangelium stehen.
„Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist.“ [Matthäus 5:48.] …
Wir erfahren, dass der Herr dem Abraham erschien und ihm sehr große Verheißungen machte. Bevor er bereit war, diese zu empfangen, wurde von Abraham etwas Bestimmtes gefordert, nämlich dass er vor dem Herrn vollkommen werden sollte. Dieselbe Anforderung nannte der Heiland seinen Jüngern: Sie sollten vollkommen werden, wie er und sein Vater im Himmel vollkommen waren. Ich halte das für ein Thema, das für die Heiligen der Letzten Tage von Belang ist, und ich möchte denjenigen, die es betrifft, einige Anregungen zum Nachdenken geben.
Der Herr beabsichtigt, den Heiligen der Letzten Tage die höchsten Segnungen zu übertragen, aber wie Abraham müssen wir uns darauf vorbereiten. Dazu ist uns das gleiche Gesetz gegeben worden, das der Herr ihm gegeben hat, und wir müssen es befolgen. Von uns wird außerdem erwartet, vor dem Herrn einen Zustand der Vollkommenheit zu erreichen. Der Herr hat wie immer auch in diesem Fall nichts gefordert, was nicht erfüllt werden kann, sondern er hat den Heiligen der Letzten Tage die Mittel gezeigt, wodurch sie sich in seine heilige Ordnung einfügen können. Als der Herr dies von Abraham forderte, gab er ihm die Mittel, die ihn befähigten, das Gesetz zu befolgen und die Forderung gänzlich zu erfüllen. Ihm wurde der Heilige Geist zuteil. Wie wir wissen, wurde Abraham das Evangelium verkündet und durch das Evangelium konnte er den göttlichen Beistand erlangen, durch den er imstande sein sollte, das zu verstehen, was von Gott ist. Ohne diesen Beistand könnte kein Mensch den Zustand der Vollkommenheit vor dem Herrn erreichen.
In Bezug auf die Heiligen der Letzten Tage heißt das, sie könnten sich unmöglich einen solchen sittlichen und geistigen Stand erarbeiten, hätten sie keine übernatürliche [göttliche] Hilfe und Unterstützung. Wir erwarten auch nicht, dass die Heiligen der Letzten Tage sich sofort und unter allen Umständen diesem Gesetz anpassen werden oder können. Das braucht Zeit; es braucht viel Geduld und Disziplin, in Herz und Verstand, um dieses Gebot zu befolgen. Und auch wenn unsere Versuche am Anfang vielleicht fehlschlagen, soll die Heiligen der Letzten Tage das nicht davon abhalten, sich mit Entschlossenheit darum zu bemühen, diese hohe Anforderung zu erfüllen. Obwohl Abraham wohl den Glauben hatte, gemäß diesem göttlichen Gesetz vor dem Herrn zu wandeln, gab es doch auch Zeiten, wo sein Glauben zutiefst geprüft wurde. Er verlor jedoch nicht den Mut, denn er war entschlossen, den Willen Gottes zu erfüllen.
Wir meinen vielleicht, wir könnten dem vollkommenen Gesetz nicht entsprechen; es sei zu schwierig, uns zu vervollkommnen. Das mag zum Teil wahr sein, aber die Tatsache bleibt, dass es ein Gebot des Allmächtigen an uns ist, das wir nicht ignorieren können. Wenn wir schwierige Augenblicke durchmachen, ist der richtige Zeitpunkt gekommen, von unserem großen Recht Gebrauch zu machen, den Herrn um Kraft und Verständnis, Intelligenz und Gnade anzurufen, wodurch wir die Schwächen des Fleisches überwinden können, gegen die wir beständig ankämpfen.5 [Siehe Anregung 1 und 2 auf Seite 113.]
Wenn wir eine Forderung des Herrn erfüllen, haben wir in dem jeweiligen Bereich die Vollkommenheit erreicht
Abraham wurde geboten, seine Verwandtschaft und sein Heimatland zu verlassen [siehe Abraham 2:1-6]. Wäre er dieser Forderung nicht nachgekommen, hätte der Herr ihn nicht angenommen. Aber er war gehorsam, und als er seine Heimat verließ, lebte er zweifellos nach dem göttlichen Gesetz der Vollkommenheit. Hätte er das nicht getan, hätte er gewiss nicht die Anforderungen des Allmächtigen erfüllen können. Als er das Haus seines Vaters verließ und sich dieser Prüfung stellte, handelte er nach seinem Gewissen und nach dem, was der Geist Gottes ihm auftrug. Und niemand hätte es besser machen können, vorausgesetzt, dass er nichts Falsches tat, während er diesen Auftrag erfüllte.
Als die Heiligen der Letzten Tage in fernen Ländern das Evangelium empfingen und die Stimme des Allmächtigen ihnen verkündete, sie sollten wie Abraham das Land ihrer Väter und ihre Verwandtschaft zurücklassen, waren sie diesem Gebot gehorsam, erfüllten diese Forderung und waren in dieser Hinsicht so vollkommen, wie Menschen unter diesen Umständen sein konnten. Sie waren nicht vollkommen, was ihre Erkenntnis, Macht und dergleichen anging, jedoch was ihre Gefühle, ihre Treue, ihre Absichten und ihre Entschlossenheit betraf. Und als sie das große Meer überquerten, waren sie so vollkommen, wie Gott es verlangte, solange sie nicht murrten oder klagten, sondern die Ratschläge befolgten, die ihnen gegeben wurden, und solange sie sich anständig verhielten.
Der Herr beabsichtigt, uns in das celestiale Reich hinaufzubringen. Er hat uns durch direkte Offenbarung wissen lassen, dass wir seine Nachkommen sind, die er in den ewigen Welten gezeugt hat, und dass wir zu dem besonderen Zweck auf die Erde gekommen sind, uns darauf vorzubereiten, eine Fülle der Herrlichkeit des Vaters zu empfangen, wenn wir in seine Gegenwart zurückkehren. Daher müssen wir nach der Fähigkeit streben, dieses Gesetz zu befolgen, um unsere Absichten, Wünsche, Gefühle und Neigungen zu heiligen, auf dass sie rein und edel seien und unser Wille sich in allem dem Willen Gottes unterwerfe und wir nur den Willen des Vaters tun wollen. So jemand ist in diesem Bereich vollkommen und verfügt in allem, was er tut, und wohin er auch geht über die Segnungen Gottes.
Wir sind jedoch der Torheit und der Schwäche des Fleisches unterworfen, sind mehr oder weniger unwissend und irren daher unweigerlich. Das ist allerdings kein Grund, sich nicht zu wünschen, diesem Gebot Gottes zu genügen, vor allem wenn wir sehen, dass er uns die Mittel, dieses Werk zu tun, an die Hand gegeben hat. So verstehe ich die Bedeutung des Wortes „Vollkommenheit“, wie unser Herr und Heiland es gebraucht hat, als er mit Abraham sprach.
Ein Mensch kann in mancherlei Hinsicht vollkommen sein und in anderer nicht. Jemand, der das Wort der Weisheit genau befolgt, ist vollkommen, was dieses Gesetz anbelangt. Als wir von unseren Sünden umgekehrt sind und uns zu ihrer Vergebung haben taufen lassen, waren wir vollkommen, was dies anbelangt.6 [Siehe Anregung 3 auf Seite 113.]
Anstatt den Mut zu verlieren, wenn wir scheitern, können wir umkehren und Gott um die Kraft bitten, es besser zu machen
Der Apostel Johannes ließ uns wissen: „Jetzt sind wir Kinder Gottes. Aber was wir sein werden, ist noch nicht offenbar geworden. Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Jeder, der dies von ihm erhofft, heiligt sich, so wie Er heilig ist.“ [1 Johannes 3:2,3.] Die Heiligen der Letzten Tage erwarten, diesen Zustand der Vollkommenheit zu erreichen. Wir erwarten, so zu werden wie unser Vater und Gott, vorbereitete und würdige Kinder, die in seiner Gegenwart wohnen. Wir erwarten, dass wir, wenn der Sohn Gottes erscheint, unseren Körper in erneuertem und verherrlichtem Zustand empfangen und dass er „unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt seines verherrlichten Leibes“ [Philipper 3:21].
Das sind unsere Erwartungen. Nun sollen sich alle Anwesenden diese Frage stellen: Sind unsere Erwartungen begründet? Oder anders gesagt: Streben wir danach, uns zu reinigen? Wie kann ein Heiliger der Letzten Tage sich gerechtfertigt fühlen, wenn er sich nicht bemüht, sich zu reinigen, wie Gott rein ist, und wenn er sich nicht bemüht, an jedem Tag seines Lebens vor Gott und den Menschen ein reines Gewissen zu haben? Zweifellos wandeln viele von uns von Tag zu Tag und von Woche zu Woche und von Monat zu Monat vor Gott, ohne sich schuldig zu fühlen; sie verhalten sich richtig und streben ernsthaft und in aller Sanftmut danach, dass der Geist Gottes vorgibt, was sie jeden Tag tun. Und doch gibt es vielleicht eine bestimmte Zeit oder Phasen in unserem Leben, da wir stark geprüft und vielleicht sogar überwunden werden. Doch selbst wenn dem so ist, ist dies kein Grund, es nicht aufs Neue zu versuchen, und zwar mit doppelter Energie und Entschlossenheit, unser Ziel zu erreichen.7
Der Herr möchte gegenüber seinen Kindern auf Erden Milde walten lassen, aber er verlangt von ihnen wahre Umkehr, wenn sie übertreten oder eine Pflicht nicht erfüllen. Er erwartet ihren Gehorsam und dass sie sich bemühen, alle Sünde von sich zu weisen, sich zu reinigen und wahrlich sein Volk und seine Heiligen zu werden, auf dass sie vorbereitet sein mögen, in seine Gegenwart zu kommen, ihm in allem gleich gemacht zu werden und mit ihm in seiner Herrlichkeit zu regieren. Um dies zu erreichen, müssen sie auf dem engen und schmalen Weg wandeln, ihr Leben immer heller und besser machen, von Glauben und Nächstenliebe – also der reinen Christusliebe – erfüllt sein und jede Pflicht im Evangelium treu erfüllen.8
Wenn wir Einzelheiten über das Leben Abrahams oder anderer großer Männer Gottes nachlesen könnten, würden wir zweifelsohne feststellen, dass ihre Bemühungen, rechtschaffen zu leben, nicht immer von Erfolg gekrönt waren. Folglich sollen auch wir nicht mutlos werden, wenn wir in einem Augenblick der Schwäche überwunden werden. Im Gegenteil, wir sollen unverzüglich umkehren von dem Irrtum oder Fehler, den wir möglicherweise begangen haben, ihn so weit wie möglich wiedergutmachen und anschließend Gott um neue Kraft bitten, um weiter vorwärtszugehen und es besser zu machen.
Abraham konnte Tag für Tag vollkommen vor Gott wandeln, als er das Haus seines Vaters verließ. Und als seine Hirten mit denen seines Neffen Lot stritten, bewies er durch seinen Vorschlag, was man tun könne, dass er einen überlegenen und disziplinierten Verstand besaß [sieheGenesis 13:1-9]. Es gab allerdings eine Zeit in Abrahams Leben, die sehr schwer gewesen sein muss, ja, man kann sich sogar kaum etwas Schwierigeres vorstellen, nämlich als der Herr ihm auftrug, seinen geliebten und einzigen Sohn zu opfern; den, von dem er sich die Erfüllung der großen Verheißung erhoffte, die der Herr ihm gemacht hatte. Aber dadurch, dass er die richtige Gesinnung an den Tag legte, konnte er die Prüfung überwinden und Gott seinen Glauben und seine Treue beweisen [siehe Genesis 22:1-14]. Es ist kaum davon auszugehen, dass Abraham eine derartige Gesinnung von seinen götzendienerischen Eltern geerbt hatte, sondern es ist naheliegend, dass er unter dem Segen Gottes befähigt wurde, sich diese Gesinnung zu eigen zu machen, nachdem er einen ähnlichen Kampf mit dem Fleisch ausgefochten hatte wie wir. Zuweilen versagte sicherlich auch er, doch überwand er alles, bis er in der Lage war, eine solch schwere Prüfung zu bestehen.
„Lasst die Gesinnung in euch sein“, mahnt der Apostel Paulus, „die auch in Christus Jesus war, welcher die Gestalt Gottes hatte und es nicht als Diebstahl ansah, Gott gleich zu sein.“ [King-James-Bibel, Philipper 2:5,6.] Jeder Mensch, der dieses Ziel vor Augen hat, wird sich reinigen, wie Gott rein ist, und sich bemühen, in Vollkommenheit vor ihm zu wandeln. Wir haben unsere kleinen Torheiten und Schwächen; wir müssen uns bemühen, sie so schnell wie möglich zu überwinden, und unseren Kindern ebendieses Empfinden ins Herz prägen, damit von klein auf Ehrfurcht vor Gott in ihnen wächst und sie lernen, sich unter allen Umständen anständig vor ihm zu betragen.
Wenn ein Mann einen Tag lang mit seiner Frau leben kann, ohne sich zu streiten, jemanden unfreundlich zu behandeln oder den Geist Gottes auf irgendeine Weise zu betrüben, dann ist das schon ganz gut. Er ist so weit vollkommen. Dann soll er versuchen, am nächsten Tag genauso zu handeln. Aber angenommen, dieser Versuch schlägt am nächsten Tag fehl, so ist das kein Grund, am dritten Tag nicht wieder erfolgreich zu sein. …
Die Heiligen der Letzten Tage sollen beständig nach diesem Ziel streben, wie es die Apostel in früheren Tagen so deutlich vorgemacht haben. Wir müssen uns bemühen, jeden Tag so zu wandeln, dass unser Gewissen gegenüber jedermann von jeder Anklage frei ist. Gott hat der Kirche bestimmte Mittel gegeben, die uns helfen können, nämlich Apostel und Propheten, Evangelisten und so weiter, die unter anderem „zur Vervollkommnung der Heiligen“ gedacht sind [vgl. Epheser 4:11,12]. Und er hat uns auch seinen Heiligen Geist übertragen, der ein unfehlbarer Führer ist und uns wie ein Engel Gottes zur Seite steht, der uns sagt, was zu tun ist und uns Kraft und Beistand gibt, wenn sich widrige Umstände auf unserem Weg auftun. Wir dürfen den Mut nicht sinken lassen, wenn uns unsere Schwäche bewusst wird. Wir finden bei all den herrlichen Beispielen, die uns die damaligen und die neuzeitlichen Propheten gegeben haben, kaum eine Situation, wo diese dem Bösen erlaubt haben, sie zu entmutigen. Sie haben sich sogar ständig bemüht, zu triumphieren, den Preis zu gewinnen und sich so auf eine Fülle der Herrlichkeit vorzubereiten.9 [Siehe Anregung 4 auf Seite 113.]
Mit göttlicher Hilfe können wir über den Torheiten und Eitelkeiten der Welt stehen
Wenn wir erst einmal begriffen haben, dass wir durch das Evangelium, das wir empfangen haben, wirklich die Macht in uns haben, unsere Leidenschaften und Gelüste zu überwinden und unseren Willen in jeder Hinsicht dem Willen des himmlischen Vaters zu unterwerfen, und wenn wir im Kreise unserer Familie und bei denjenigen, mit denen wir zusammenkommen, keine unangenehmen Gefühle hervorrufen, sondern maßgeblich dazu beitragen, einen kleinen Himmel auf Erden zu schaffen, dann kann man sagen, dass die Schlacht halb gewonnen ist. Eine der größten Schwierigkeiten, die vielen zu schaffen macht, ist, dass wir allzu schnell das große Ziel des Lebens vergessen. Wir vergessen, warum der Vater im Himmel uns auf die Erde geschickt hat, und auch die heilige Berufung, die uns übertragen wurde. Anstatt uns also über die kleinen vergänglichen Dinge der Zeit zu erheben, lassen wir uns allzu oft auf das Niveau der Welt herab, ohne die göttliche Hilfe zu nutzen, die Gott vorgesehen hat und die allein uns befähigt, Weltliches zu überwinden. Wir sind nicht besser als alle anderen Menschen in der Welt, wenn wir nicht den Wunsch hegen, vollkommen zu sein, so wie unser Vater im Himmel vollkommen ist.
Dies war die Ermahnung des Erretters an die Heiligen der früheren Tage, die die gleichen Leidenschaften hatten und denselben Versuchungen unterworfen waren wie wir. Er wusste, ob die Menschen sich danach richten konnten oder nicht; der Herr hat noch nie etwas von seinen Kindern verlangt, was ihnen unmöglich ist, und er wird es auch nie tun. Die Ältesten Israels, die in die Welt hinausgehen wollen, um das Evangelium der Errettung einer betrügerischen und verderbten Generation zu predigen, einem Volk voller Bosheit und Korruption, müssen diesen Geist besonders pflegen. Und nicht nur sie, sondern jedermann – jeder junge Mann und jede junge Frau, die der Kirche angehören und die würdig sind, Heilige genannt zu werden – muss den Wunsch hegen, diese Anforderung zu erfüllen, damit sein Gewissen rein ist vor Gott. Es ist etwas Schönes, wenn Jung und Alt dieses Ziel vor Augen haben. Besonders erfreulich ist es zu sehen, wie unsere jungen Leute einen Weg beschreiten, auf dem das Licht und die Intelligenz Gottes aus ihrem Angesicht strahlen können; dass sie das Leben in richtiger Weise begreifen und in der Lage sind, über den Torheiten und Eitelkeiten der Welt und den Irrtümern und der Schlechtigkeit der Menschen zu stehen.10
Die Heiligen der Letzten Tage müssen sich nicht wegen der Dinge dieser Welt sorgen. All dies wird vergehen. Unser Herz soll auf Erhabenes gesetzt sein; wir wollen nach der Vollkommenheit streben, die in Christus Jesus war. Er war dem Vater vollkommen gehorsam und erlangte so seine erhabene Erhöhung und wurde ein Vorbild für seine Brüder. Warum sollen wir uns über Zeitliches ärgern und den Kopf zerbrechen, wenn unsere Bestimmung doch so großartig und herrlich ist? Wenn wir am Herrn festhalten, seine Gebote halten, seinen Vollkommenheiten nacheifern und die ewigen Wahrheiten seines himmlischen Reiches ergreifen, wird alles wohl mit uns sein und wir werden am Ende triumphieren und den Sieg davontragen.11
Seien Sie sich in all Ihrem Tun und Verhalten immer bewusst, dass Sie sich jetzt vorbereiten und das Leben gestalten, das Sie auch in der Ewigkeit führen werden. Handeln Sie niemals nach einem Grundsatz, dessen Sie sich schämen oder nach dem Sie sich im Himmel niemals richten würden, und versuchen Sie nicht, irgendetwas mit Mitteln zu erreichen, die Ihr Gewissen, wenn es von celestialem Licht erhellt wäre, missbilligen würde. Solange Gefühle und Leidenschaften Sie zum Handeln veranlassen, lassen Sie immer Grundsätze herrschen, die rein, ehrenhaft, heilig und tugendhaft sind.12
Wir können nicht mit einem Mal vollkommen werden, aber wir können jeden Tag ein wenig besser sein
Ein Kind wächst stetig und unentwegt zum Knaben heran und dann vom Knaben zum Mann; es vermag jedoch nicht zu sagen, wie und wann das Wachstum erfolgt. Es bemerkt nicht, dass es wächst, aber wenn es die Gesundheitsregeln befolgt und umsichtig lebt, wird es schließlich zum Mann. So geht es uns als Heilige der Letzten Tage. Wir wachsen und entwickeln uns weiter. Wir bemerken es im Augenblick zwar nicht, aber nach etwa einem Jahr stellen wir fest, dass wir gewissermaßen oben auf dem Hang sind und uns dem Gipfel des Berges nähern. Wir spüren, dass wir an den Herrn glauben, dass seine Fürsorge immer wohltuend ist, dass wir mit ihm verbunden sind, dass er tatsächlich unser Vater ist und dass er uns durchs Leben führt.13
Erwarten Sie nicht, dass Sie mit einem Mal vollkommen werden. Wenn Sie das erwarten, werden Sie enttäuscht werden. Seien Sie heute besser, als Sie es gestern waren, und seien Sie morgen besser als heute. Lassen Sie nicht zu, dass Ihnen die Versuchungen, denen Sie heute ab und zu verfallen, auch morgen noch genauso zu schaffen machen. Seien Sie weiterhin jeden Tag ein wenig besser, und lassen Sie Ihr Leben nicht verstreichen, ohne für andere und sich selbst Gutes zu vollbringen.14
Jeder vergangene Tag und jede vergangene Woche müssen die besten sein, die wir je erlebt haben; das heißt, wir sollen uns jeden Tag ein wenig steigern – in Wissen und Weisheit und in der Fähigkeit, Gutes zu vollbringen. Während wir älter werden, sollten wir jeden neuen Tag ein wenig näher beim Herrn leben.15 [Siehe Anregung 5 auf Seite 113.]
Anregungen für Studium und Unterricht
Beachten Sie diese Anregungen, wenn Sie sich mit dem Kapitel befassen oder sich auf den Unterricht vorbereiten. Weitere Hinweise finden Sie auf Seite VII–X.
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Präsident Snow wusste, dass das Gebot, vollkommen zu sein, manchen Heiligen der Letzten Tage Sorgen bereitet (Seite 103ff.). Achten Sie beim Lesen dieses Kapitels auf Ratschläge, die jemandem Zuversicht geben, den das Gebot, vollkommen zu sein, beunruhigt.
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In dem Abschnitt, der auf Seite 103 beginnt, ist mit der Formulierung „übernatürliche Hilfe“ gemeint, dass der Herr uns hilft. Wie hilft der Herr uns, vollkommen zu werden?
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Lesen Sie auf Seite 105ff. nach, was Präsident Snow über Abraham und die frühen Pioniere der Kirche sagt. Was bedeutet es wohl, in einer bestimmten Hinsicht vollkommen zu sein? Überlegen Sie, was Sie tun können, um der Vollkommenheit näherzukommen, was Ihre Gefühle, Ihre Treue, Ihre Absichten und Ihre Entschlossenheit betrifft.
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Präsident Snow mahnte: „Wir dürfen den Mut nicht sinken lassen, wenn uns unsere Schwäche bewusst wird.“ (Seite 110.) Wie können wir Entmutigung überwinden? (Einige Beispiele finden Sie auf Seite 107–110.)
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Wie hilft es Ihnen, zu wissen, dass man nicht erwarten darf, „mit einem Mal vollkommen [zu] werden“? (Siehe Seite 112.) Denken Sie über konkrete Möglichkeiten nach, wie Sie Präsident Snows Ratschlag befolgen können, „jeden Tag ein wenig besser [zu sein]“.
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Suchen Sie aus diesem Kapitel ein, zwei Aussagen heraus, die Sie besonders angesprochen haben. Was gefällt Ihnen an diesen Aussagen?
Einschlägige Schriftstellen: 1 Nephi 3:7; 3 Nephi 12:48; Ether 12:27; Moroni 10:32,33; LuB 64:32-34; 67:13; 76:69,70