Was ist Wahrheit?
Liebe Brüder und Schwestern, meine lieben jungen Freunde, ich bin dankbar, dass ich heute bei Ihnen sein darf. Ich finde es immer wieder erfrischend, unter den jungen Erwachsenen der Kirche zu sein. Wenn ich Sie sehe, kann ich nur sagen: „Mag Zion sich in Schönheit erheben!“ Da Sie überall auf der Welt zu Hause sind, stellen Sie auf beeindruckende Weise die Zukunft und die Stärke der Kirche dar. Dank Ihrer rechtschaffenen Wünsche und Ihrer Entschlossenheit, dem Erretter zu folgen, sieht diese Kirche einer strahlenden Zukunft entgegen.
Ich bringe Ihnen herzliche Grüße und den Segen von Präsident Thomas S. Monson mit. Die Erste Präsidentschaft betet oft für Sie und bittet den Herrn jedes Mal, Sie zu segnen, zu bewahren und zu leiten.
Die Blinden und der Elefant
Vor gut über einhundert Jahren fasste ein amerikanischer Dichter ein altes Gleichnis in Versform. In der ersten Strophe des Gedichts heißt es:
Es waren sechs Männer aus Hindustan,
auf Bildung sehr bedacht,
die hörten von Elefanten.
Da war ihre Neugier erwacht.
Trotz Blindheit wollten sie wissen,
was denn so ein Untier ausmacht.
In dem Gedicht ergreift jeder der sechs Reisenden ein anderes Teil des Elefanten und schildert dann den anderen, was er herausgefunden hat.
Der eine hat ein Bein erwischt und beschreibt den Elefanten als rund und rau wie einen Baum. Ein anderer betastet einen Stoßzahn und beschreibt den Elefanten als speerförmig. Der Dritte schnappt nach dem Schwanz und ist sich sicher, dass ein Elefant wie ein Seil aussieht. Der Vierte erkundet den Rumpf und weiß nun genau, dass ein Elefant einer großen Schlange gleicht.
Ein jeder beschreibt die Wahrheit.
Und da diese Wahrheit auf eigener Anschauung beruht, ist sich auch jeder in seinem Wissen völlig sicher.
Das Gedicht endet wie folgt:
So stritten die Männer aus Hindustan
im eifrigen Bestreben,
die eigene Meinung zu stellen voran,
als ginge es um ihr Leben.
Ein jeder für sich hat wohl Recht gehabt,
und doch lagen alle daneben.1
Wir betrachten diese Geschichte mit etwas Abstand und einem Lächeln. Schließlich wissen wir ja, wie ein Elefant aussieht. Wir haben von Elefanten gelesen oder sie im Film gesehen, und so mancher hat sie auch schon mit eigenen Augen gesehen. Wir glauben, dass wir die Wahrheit über Elefanten wissen. Dass jemand anhand eines Teilaspekts der Wahrheit ein Urteil über das Ganze treffen könnte, erscheint uns abwegig, ja, unglaublich. Andererseits – können wir uns in diesen sechs Blinden nicht wiedererkennen? Haben wir uns nicht auch schon einmal dieser Denkweise schuldig gemacht?
Ich glaube, diese Geschichte ist deshalb in so vielen Kulturkreisen und über so viele Jahre hinweg so populär geblieben, weil sie so universal gültig ist. Der Apostel Paulus sagte, das Licht sei trübe in dieser Welt und wir sähen nur einen Teil der Wahrheit, als ob wir in einem „Spiegel … nur rätselhafte Umrisse“ erblickten.2 Dennoch scheint es zu unserer menschlichen Natur zu gehören, dass wir über Menschen, Politik und Religion Mutmaßungen anstellen, die auf unseren unvollständigen und oft irreführenden Erfahrungen beruhen.
Mir fällt da die Geschichte eines Ehepaares ein, das 60 Jahre miteinander verheiratet war. Die beiden hatten die ganze Zeit so gut wie nie Streit gehabt und ihre gemeinsamen Tage glücklich und zufrieden verbracht. Sie teilten alles miteinander und hatten voreinander keine Geheimnisse – bis auf eines. Die Frau hatte oben auf einem Schränkchen eine Schachtel aufbewahrt und ihrem Mann bei der Hochzeit aufgetragen, niemals hineinzuschauen.
Jahrzehnte vergingen und der Augenblick kam, da der Mann die Schachtel herunternahm und fragte, ob er endlich erfahren dürfe, was darin sei. Die Frau war einverstanden, und er machte sie auf und fand darin zwei gehäkelte Deckchen und 25.000 Dollar. Als er seine Frau fragte, was es damit auf sich habe, erwiderte sie: „Als wir heirateten, empfahl meine Mutter mir, ich solle jedes Mal, wenn ich mich über dich ärgere oder wenn du etwas sagst oder machst, was mir nicht gefällt, erst ein Deckchen häkeln und dann mit dir darüber sprechen.“
Diese nette Geschichte rührte den Mann zu Tränen. Er wunderte sich, dass er in 60 Jahren Ehe seiner Frau nur zweimal so sehr zur Last gefallen war, dass sie ein Deckchen häkelte. Mit stolzgeschwellter Brust ergriff er die Hand seiner Frau und sagte: „Die Deckchen wären damit erklärt, aber was ist mit den 25.000 Dollar?“
Seine Frau setzte ein mildes Lächeln auf und sagte: „Das ist der Verkaufserlös für all die übrigen Deckchen, die ich im Laufe der Jahre gehäkelt habe.“
Diese Geschichte lehrt uns nicht nur, wie man Missverständnissen in der Ehe begegnen kann, sondern belegt auch, wie unsinnig es ist, aufgrund von unzureichenden Informationen Schlüsse zu ziehen.
Allzu oft sind die „Wahrheiten“, die wir uns einreden, nur Bruchstücke der Wahrheit, und manchmal entsprechen sie überhaupt nicht der Wahrheit.
Ich möchte heute über Wahrheit sprechen. Bitte denken Sie dabei über ein paar wichtige Fragen nach.
Die erste Frage lautet: „Was ist Wahrheit?“
Die zweite: „Kann man die Wahrheit wirklich wissen?“
Und die dritte: „Wie sollen wir damit umgehen, wenn etwas der Wahrheit, die wir schon wissen, widerspricht?“
Was ist Wahrheit?
Was ist Wahrheit? In den letzten Stunden seines Lebens wurde der Erlöser dem Pontius Pilatus vorgeführt. Die Ältesten unter den Juden hatten Jesus der Aufwiegelei und des Verrats an Rom bezichtigt und auf seinen Tod bestanden.
Als Pilatus dem Mann aus Galiläa von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, fragte er ihn: „Bist du ein König?“
Jesus entgegnete: „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.“3
Ich weiß nicht, was für ein Mensch Pilatus war oder was er sich dachte. Ich nehme aber an, er war gebildet und hatte schon einiges von der damals bekannten Welt gesehen.
In seiner Antwort scheint mir ein matter Zynismus zu liegen. Ich höre in seinen Worten die Stimme eines Mannes, der vielleicht einmal ein Idealist gewesen war, der nun aber – nach einer Unmenge an Lebenserfahrung – etwas hart und müde geworden war.
Ich glaube nicht, dass Pilatus einen Dialog anregen wollte, als er die drei knappen Worte sprach: „Was ist Wahrheit?“4
Vielmehr frage ich mich, ob er nicht eigentlich die Frage stellte: „Wie kann ein Mensch überhaupt die Wahrheit wissen?“
Das ist nun eine Frage, die sich zu allen Zeiten allen Menschen stellt.
Kann ein Mensch die Wahrheit wissen?
Kann ein Mensch die Wahrheit wissen? Einige der größten Denker, die jemals auf Erden gelebt haben, haben sich bemüht, diese Frage zu beantworten. Das schwer zu erfassende Wesen der Wahrheit ist ein Lieblingsthema aller großen Dichter und Erzähler der Geschichte. Shakespeare schien davon besonders angetan zu sein. Wenn Sie das nächste Mal ein Trauerspiel Shakespeares lesen, achten Sie darauf, wie oft die Handlung wegen der falschen Auslegung einer wichtigen Wahrheit einen anderen Verlauf nimmt.
Noch nie in der Geschichte sind wir so leicht an so viele Informationen herangekommen – manche richtig, manche falsch und viele teilweise richtig.
Infolgedessen war es auch noch nie in der Geschichte so wichtig, zwischen Wahrheit und Irrtum richtig zu unterscheiden.
Teilweise besteht unser Problem beim Streben nach Wahrheit darin, dass uns menschliche Weisheit so oft schon enttäuscht hat. Es gibt eine Unmenge Beispiele für Sachen, von deren Wahrheit die Menschheit einst überzeugt war, die sich seither aber als falsch herausgestellt haben.
Beispielsweise ist die Erde trotz einst erdrückender Einmütigkeit in dieser Frage keine Scheibe. Die Sterne drehen sich nicht um die Erde. Beim Verzehr einer Tomate fällt man nicht sofort tot um. Und der Mensch kann tatsächlich fliegen – und sogar die Schallmauer durchbrechen.
Die heiligen Schriften bieten eine Fülle an Geschichten von Menschen, die die „Wahrheit“ falsch ausgelegt haben.
Im Alten Testament konnte Bileam den „Lohn für sein Unrecht“5, den ihm die Moabiter anboten, nicht ausschlagen. Er rang sich deshalb dazu durch, eine neue Wahrheit zu glauben, und half den Moabitern, die Israeliten dazu zu bringen, dass sie durch Unsittlichkeit und Ungehorsam selbst einen Fluch über sich brachten.6
Der abtrünnige Korihor gestand, nachdem er viele von der Wahrheit hinweggeführt hatte, ein, dass der Teufel ihn dermaßen getäuscht habe, dass er schließlich selbst glaubte, er sage die Wahrheit.7
Im Buch Mormon legten sich sowohl die Nephiten als auch die Lamaniten ihre eigenen „Wahrheiten“ über die jeweils anderen zurecht. Die „Wahrheit“ der Nephiten über die Lamaniten war, dass sie ein „wildes und grausames und ein blutdürstiges Volk“8 seien, außerstande, das Evangelium anzunehmen. Die „Wahrheit“ der Lamaniten über die Nephiten war, dass Nephi seinem Bruder das Geburtsrecht entrissen habe und dass Nephis Nachkommen Lügner seien, die den Lamaniten noch immer wegnähmen, was ihnen rechtmäßig zustünde.9 Diese „Wahrheiten“ speisten ihren Hass aufeinander, bis dieser sie schließlich alle verschlang.
Es erübrigt sich zu erwähnen, dass es im Buch Mormon etliche Beispiele gibt, die diesen beiden Klischees widersprechen. Trotzdem glaubten die Nephiten wie die Lamaniten diese „Wahrheiten“, die das Schicksal dieses einst mächtigen und angenehmen Volkes besiegelten.
Das Wesen des Menschen und die Wahrheit
In gewisser Weise sind wir alle für solch merkwürdige Gedankengänge empfänglich.
Die „Wahrheiten“, an denen wir festhalten, bestimmen die Qualität unserer Gesellschaft ebenso wie die unseres Charakters. Allzu oft beruhen diese „Wahrheiten“ auf unvollständigen und unzureichenden Beweisen, und mitunter dienen sie reichlich selbstsüchtigen Motiven.
Ein schlechtes Urteilsvermögen rührt teilweise von der Neigung des Menschen her, die Grenzlinie zwischen Glauben und Wahrheit zu verwischen. Allzu oft verwechseln wir Glauben mit Wahrheit und meinen, weil uns etwas vernünftig vorkommt oder in den Kram passt, müsse es wahr sein. Umgekehrt glauben wir die Wahrheit manchmal nicht oder verwerfen sie, weil wir uns dann ändern oder zugeben müssten, dass wir uns geirrt haben. Oft wird die Wahrheit zurückgewiesen, weil sie zu früheren Erfahrungen nicht zu passen scheint.
Wenn die Ansichten oder „Wahrheiten“ der anderen unseren eigenen widersprechen, ziehen wir die Möglichkeit, dass es hilfreiche Informationen geben könnte, die unser Wissen vertiefen oder ergänzen könnten, oft gar nicht in Betracht, sondern gelangen unverzüglich zu dem Schluss oder vermuten, der andere sei falsch informiert oder nicht ganz richtig im Kopf oder wolle gar bewusst täuschen.
Leider kann sich diese Neigung auf alle Lebensbereiche erstrecken – vom Sport bis zur Familie und von der Religion bis zur Politik.
Ignaz Semmelweis
Ein tragisches Beispiel für diese Neigung ist die Geschichte von Ignaz Semmelweis, einem ungarischen Arzt, der Mitte des 19. Jahrhunderts als Mediziner tätig war. Zu Beginn seiner Laufbahn erkannte Dr. Semmelweis, dass zehn Prozent der Frauen in seiner Klinik an Kindbettfieber starben, während die Sterblichkeit in einer benachbarten Klinik unter vier Prozent lag. Er war entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen.
Nachdem er beide Kliniken untersucht hatte, kam Dr. Semmelweis zu dem Schluss, dass der einzige erkennbare Unterschied darin bestand, dass er an einem Lehrkrankenhaus tätig war, wo Leichen seziert wurden. Er beobachtete, wie Ärzte direkt von einer Autopsie zu einer Entbindung gingen. Er schloss daraus, dass die Hände irgendwie durch die Leichen infiziert waren und so das tödliche Fieber ausgelöst wurde.
Als er empfahl, die Ärzte sollten sich die Hände mit einer Chlorkalklösung abreiben, stieß er auf Gleichgültigkeit und Spott. Seine Schlussfolgerungen widersprachen den „Wahrheiten“ der übrigen Ärzte. Einige seiner Kollegen hielten es gar für absurd, die Hand eines Arztes könne unsauber sein oder zu Erkrankungen führen.
Semmelweis aber ließ nicht locker und erließ eine Vorschrift für die Ärzte in seiner Klinik, sich vor einer Entbindung die Hände zu waschen. In der Folge sank die Sterblichkeit im Nu um 90 Prozent. Semmelweis sah sich bestätigt und war überzeugt, dass diese Regel nun von der gesamten Medizinerschaft übernommen werden würde. Er sollte sich irren. Selbst diese schlagenden Beweise genügten nicht, um die Einstellung vieler Ärzte seiner Zeit zu ändern.
Kann man die Wahrheit wirklich wissen?
Die Wahrheit existiert jenseits des Glaubens. Sie bleibt Wahrheit, auch wenn niemand daran glaubt.
Wir können den lieben langen Tag lang behaupten, der Westen sei der Norden und der Norden der Westen, und das auch von ganzem Herzen glauben, aber wenn wir von Quito in Ecuador nach New York wollen, gibt es nur eine Richtung, und das ist Norden. Nach Westen zu fliegen hilft nicht.
Das ist natürlich nur ein einfacher Vergleich aus der Luftfahrt. Aber es gibt wirklich so etwas wie absolute Wahrheit – eine unanfechtbare, unwandelbare Wahrheit.
Diese Wahrheit ist anders als der Glaube. Sie ist anders als die Hoffnung. Absolute Wahrheit hängt nicht von der Meinung der Öffentlichkeit oder ihrer Popularität ab. Sie lässt sich nicht durch Abstimmungen beeinflussen. Nicht einmal die unumstößlichen Beteuerungen berühmter Persönlichkeiten können sie ändern.
Wie findet man also zur Wahrheit?
Ich glaube, unser Vater im Himmel hat Gefallen an seinen Kindern, wenn sie sich mit ihren Talenten und geistigen Fähigkeiten ernsthaft auf die Suche nach der Wahrheit begeben. Im Laufe der Jahrhunderte haben viele kluge Männer und Frauen – mit Logik und Vernunft, wissenschaftlicher Forschung und, ja, auch Inspiration – zur Wahrheit gefunden. Ihre Entdeckungen haben die Menschheit bereichert, unser Leben verbessert und Freude, Verblüffung und Staunen hervorgerufen.
Nichtsdestotrotz werden die Erkenntnisse, die wir einst für gesichert hielten, von mutigen Forschern, die der Wahrheit auf die Spur kommen wollen, immer weiter erweitert, abgewandelt oder gar widerlegt.
Wie wir alle wissen, ist es schwierig genug, die Wahrheit von den eigenen Erfahrungen zu trennen. Erschwerend kommt hinzu, dass wir einen Widersacher haben, den Teufel, der „wie ein brüllender Löwe umher[geht] und sucht, wen er verschlingen kann“10.
Der Satan ist der große Täuscher, „der Ankläger [der] Brüder“11, der Vater aller Lügen12, der ständig danach trachtet, uns zu täuschen, damit er uns zu Fall bringen kann13.
Der Widersacher wendet viele listige Schliche an, um Menschen von der Wahrheit fernzuhalten. Er will uns glauben machen, die Wahrheit sei relativ. Er appelliert an unsere Toleranz und unseren Sinn für Gerechtigkeit, indem er die echte Wahrheit verborgen hält und vorgibt, die „Wahrheit“ eines Menschen sei so gut wie jede andere.
Manche verführt er zu der Ansicht, es gebe irgendwo eine absolute Wahrheit, aber es sei unmöglich, sie zu wissen.
Bei denjenigen, die die Wahrheit bereits annehmen, verlegt er sich vor allem darauf, die Saat des Zweifels auszustreuen. Beispielsweise hat er schon viele Mitglieder der Kirche aus dem Tritt gebracht, als sie auf Informationen über die Kirche stießen, die dem, was sie bereits wussten, zu widersprechen schienen.
Wenn Sie einmal so etwas erleben, denken Sie daran, dass es in unserem Informationszeitalter viele gibt, die über alles und jedes Zweifel aussäen, und zwar immer und überall.
Sie werden sogar auf Leute stoßen, die noch immer behaupten, sie hätten den Beweis, dass die Erde eine Scheibe sei oder der Mond ein Hologramm oder dass bestimmte Leinwandhelden in Wirklichkeit Außerirdische seien. Außerdem sollte man stets bedenken: Nur weil etwas auf Papier gedruckt ist, im Internet steht, oft wiederholt wird oder eine mächtige Anhängerschaft hat, ist es noch lange nicht wahr.
Manchmal werden unwahre Behauptungen oder Informationen auf eine Weise dargestellt, die sie ziemlich glaubhaft erscheinen lässt. Wenn Sie jedoch auf Informationen stoßen, die dem offenbarten Wort Gottes widersprechen, denken Sie daran, dass die Blinden in dem Gleichnis vom Elefanten niemals in der Lage wären, die volle Wahrheit korrekt zu beschreiben.
Wir wissen nun einmal nicht alles und können nicht alles erkennen. Was uns heute widersprüchlich erscheint, mag vollkommen verständlich sein, je mehr verlässliche Informationen wir suchen und erhalten. Weil wir nur rätselhafte Umrisse sehen, müssen wir auf den Herrn vertrauen, der alles ganz klar sieht.
Ja, in der Welt herrscht Verwirrung. Aber eines Tages werden alle unsere Fragen beantwortet werden. An die Stelle all unserer Zweifel wird Gewissheit treten. Und das liegt daran, dass es eine Quelle der Wahrheit gibt, die vollständig, richtig und unvergänglich ist. Diese Quelle ist unser grenzenlos weiser und allwissender Vater im Himmel. Er kennt die Wahrheit, wie sie war, wie sie ist und wie sie noch sein wird.14 „Er erfasst alles … und er ist über allem … und alles ist durch ihn und von ihm.“15
Der Vater im Himmel, der uns liebt, bietet uns, seinen sterblichen Kindern, seine Wahrheit an.
Was ist nun diese Wahrheit?
Sie ist sein Evangelium. Sie ist das Evangelium Jesu Christi. Jesus Christus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben.16
Wenn wir nur genügend Mut und Glauben haben, auf seinem Weg zu wandeln, dann wird dieser uns zu Frieden im Herzen und im Geist führen, zu einem Leben von dauerhafter Bedeutung, zum Glück in dieser Welt und zu Freude in der künftigen. Der Erlöser ist „keinem von uns [jemals] fern“17.Wir haben von ihm die Verheißung, dass wir ihn finden werden, wenn wir ihn eifrig suchen.18
Unsere Pflicht, die Wahrheit zu suchen
Wie können wir nun wissen, dass diese „Wahrheit“ sich von jeder anderen unterscheidet? Wie können wir uns auf diese „Wahrheit“ verlassen?
Mit der Einladung, dem Herrn zu vertrauen, sind wir nicht aus der Verantwortung entlassen, etwas für uns selbst zu erkennen. Es handelt sich hier nicht nur um eine Gelegenheit, sondern um eine Pflicht – darin liegt einer der Gründe, weshalb wir auf die Erde kamen.
Die Heiligen der Letzten Tage sollen nicht blind alles annehmen, was sie hören. Wir sind aufgefordert, nachzudenken und die Wahrheit für uns selbst herauszufinden. Von uns wird erwartet, dass wir überlegen, nachforschen, uns ein Urteil bilden und uns dadurch eine eigene Erkenntnis der Wahrheit verschaffen.
Brigham Young hat gesagt: „Ich fürchte …, dass [unsere] Leute ihren Führern so sehr vertrauen, dass sie Gott nicht selbst fragen, ob diese von ihm geführt werden. Ich fürchte, sie geben sich mit einem Zustand blinder Selbstsicherheit zufrieden. … Mögen doch jeder Mann und jede Frau durch die Einflüsterungen des göttlichen Geistes für sich selbst erkennen, ob ihre Führer auf dem Pfad wandeln, den der Herr vorgibt.“19
Wir suchen die Wahrheit, wo immer sie zu finden sein mag. Der Prophet Joseph Smith hat erklärt: „Mormonismus ist Wahrheit … Der erste und wesentliche Grundsatz unserer heiligen Religion ist, dass wir glauben, ein Recht darauf zu haben, alles anzunehmen, jede einzelne Wahrheit – und zwar ohne Einschränkungen und ohne von den Bekenntnissen oder abergläubischen Vorstellungen der Menschen … behindert zu werden.“20
Ja, wir haben die Fülle des immerwährenden Evangeliums, aber das bedeutet nicht, dass wir alles wissen. Es ist vielmehr ein Grundsatz des wiederhergestellten Evangeliums, dass wir glauben, Gott werde „noch viel Großes und Wichtiges offenbaren“21.
Die Wiederherstellung des Evangeliums Jesu Christi kam zustande, weil ein junger Mann mit demütigem Herzen und wachem Verstand die Wahrheit suchte. Joseph Smith hat nachgeforscht und dann danach gehandelt. Er hat festgestellt: Wenn es jemandem an Weisheit fehlt, kann er Gott bitten und die Wahrheit wird ihm tatsächlich gegeben werden.22
Das große Wunder der Wiederherstellung bestand nicht nur darin, dass falsche Vorstellungen und verfälschte Lehren berichtigt wurden – obwohl das natürlich stimmt –, sondern dass sich damit der Vorhang des Himmels weit öffnete und ein stetiger Strom neuen Lichts und neuer Erkenntnis einsetzte, der bis heute anhält.
Wir suchen daher ständig Wahrheit, und zwar in allen guten Büchern und allen anderen empfehlenswerten Quellen. „Wenn es etwas Tugendhaftes oder Liebenswertes gibt, wenn etwas guten Klang hat oder lobenswert ist, so trachten wir danach.“23 Auf diese Weise können wir der Falschheit des Bösen standhalten. Auf diese Weise können wir die Wahrheit Zeile um Zeile, Weisung um Weisung24 erkennen und werden erfahren, dass Intelligenz an Intelligenz festhält und Weisheit Weisheit empfängt und Wahrheit Wahrheit annimmt.25
Meine jungen Freunde, wenn Sie die Verantwortung auf sich nehmen, die Wahrheit mit offenem Verstand und demütigem Herzen zu suchen, werden Sie anderen gegenüber toleranter werden, offener zuhören, eher bereit sein, zu verstehen, eher geneigt, aufzurichten statt niederzureißen, und eher willens, dorthin zu gehen, wohin der Herr Sie gehen lassen möchte.
Der Heilige Geist führt uns in alle Wahrheit
Denken Sie einmal darüber nach. Sie haben einen mächtigen Begleiter und vertrauenswürdigen Führer bei der anhaltenden Suche nach Wahrheit. Wer das ist? Es ist der Heilige Geist. Unser Vater im Himmel wusste, wie schwer es uns fallen würde, all das widersprüchliche Getöse zu durchdringen und die Wahrheit zu entdecken, solange wir auf Erden sind. Er wusste, dass wir nur ein Stückchen Wahrheit erkennen würden und dass der Satan versuchen würde, uns zu täuschen. Darum gab er uns den Heiligen Geist als göttliches Geschenk, der uns den Verstand erleuchten, uns belehren und uns die Wahrheit bezeugen sollte.
Der Heilige Geist ist ein Offenbarer. Er ist der Tröster, der uns „die Wahrheit aller Dinge“ lehrt, der „alles weiß und alle Macht hat gemäß der Weisheit, Barmherzigkeit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Rechtsprechung“26.
Der Heilige Geist ist ein sicherer und verlässlicher Führer, der allen Menschen hilft, die auf ihrem Kurs durch oftmals beunruhigende Gewässer voller Verwirrung und Widersprüche Gott suchen.
Das Zeugnis der Wahrheit, das der Heilige Geist gibt, ist jedermann überall auf der Welt zugänglich. Jeder, der die Wahrheit wissen will, der alles mit seinem Verstand durcharbeitet27 und der „mit aufrichtigem Herzen, mit wirklichem Vorsatz fragt und Glauben an Christus [hat], wird … durch die Macht des Heiligen Geistes“28 die Wahrheit wissen.
Darüber hinaus ist die unbeschreibliche Gabe des Heiligen Geistes jedermann zugänglich, der sich durch die Taufe und ein Leben, das seiner ständigen Begleitung würdig ist, dafür bereitmacht.
Ja, Ihr liebevoller Vater im Himmel würde Sie hier auf Erden niemals allein und im Finstern herumtappen lassen. Sie brauchen sich nicht täuschen zu lassen. Sie können die Finsternis dieser Welt überwinden und zu göttlicher Wahrheit finden.
Manche suchen die Wahrheit allerdings nicht so sehr, wie sie auf Streit aus sind. Sie wollen nicht aufrichtig lernen, sondern haben vielmehr das Verlangen, zu disputieren und mit ihrer vorgeblichen Bildung zu glänzen und somit Streit heraufzubeschwören. Sie missachten oder verwerfen den Rat des Apostels Paulus an Timotheus: „Lass dich nicht auf törichte und unsinnige Auseinandersetzungen ein; du weißt, dass sie nur zu Streit führen.“29
Als Jünger Jesu Christi wissen wir, dass ein solcher Streit mit dem Geist, auf den wir bei unserer Suche nach Wahrheit angewiesen sind, völlig unvereinbar ist. So ermahnte der Erretter die Nephiten: „Denn wahrlich, … ich sage euch, wer den Geist des Streites hat, ist nicht von mir, sondern ist vom Teufel, der der Vater des Streites ist.“30
Wenn Sie dem Geist folgen, wird Ihre Suche nach der Wahrheit Sie unweigerlich dem Herrn und Erlöser, Jesus Christus, zuführen, denn er ist „der Weg und die Wahrheit und das Leben“31. Dieser Weg ist vielleicht nicht der angenehmste. Auf ihm werden vermutlich auch nicht allzu viele unterwegs sein. Auf diesem Weg wird man Berge besteigen und reißende Ströme überqueren müssen. Aber es wird sein Weg sein – der Weg des Erlösers.
Ich setze dem mein Zeugnis als Apostel des Herrn hinzu, dass Jesus der Messias ist, der Sohn des lebendigen Gottes. Das weiß ich aus tiefster Seele. Ich weiß es durch das Zeugnis und die Macht des Heiligen Geistes.
Ich bitte Sie, auf der Suche nach dieser Wahrheit keine Mühen zu scheuen, sie für sich selbst herauszufinden – denn diese Wahrheit wird Sie befreien.32
Meine lieben jungen Freunde, Sie sind die Hoffnung Israels. Wir haben Sie lieb. Der Herr kennt Sie; er liebt Sie. Der Herr setzt großes Vertrauen in Sie. Er kennt Ihre Erfolge und ist sich der Herausforderungen und Fragestellungen in Ihrem Leben bewusst.
Ich bete darum, dass Sie ernsthaft und unermüdlich die Wahrheit suchen, dass es Sie verlangt, aus der Quelle aller Wahrheit zu trinken, deren Wasser rein und süß ist, eine sprudelnde Quelle, „deren Wasser ewiges Leben schenkt“33.
Ich segne Sie mit Gottvertrauen und dem tiefen Verlangen, Wahrheit von Irrtum richtig zu unterscheiden – heute und Ihr ganzes Leben lang. Dies ist mein Gebet und mein Segen. Im heiligen Namen Jesu Christi. Amen.
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