„Weide meine Schafe”
Diejenigen unter uns, die wir mit der Sorge für die kostbare Herde des Herrn betraut sind, … müssen bei den Lämmern sein, wenn wir gebraucht werden.
Elder Wirthlin, ich war damals bei dem Footballspiel. Ich habe zehn Cent ausgegeben, um Whizzer White laufen zu sehen. Danke, daß Sie ihn nicht aufgehalten haben. Wie Elder Wirthlin möchte ich zu den zahlreichen jungen Trägern des Aaronischen Priestertums und auch zu denen sprechen, die in dieser schwierigen Zeit durch göttliche Offenbarung als ihre Priestertumsführer berufen sind. Seit jeher bin ich den Führern des Aaronischen Priestertums zutiefst dankbar, die für mich soviel Gutes getan haben, daß ich es niemals werde vergelten können. Diese guten Männer haben geholfen, die Lücke auszufüllen, die mein Vater hinterließ. Als ich fünf Jahre alt war, wurde er, der fast sein ganzes Leben als Ehemann hindurch der Bischof unserer Gemeinde war, plötzlich krank und starb.
Einige Jahre später, 1940, war ich Kollegiumspräsident der Diakone; da erhielt ich einen Brief von der Präsidierenden Bischofschaft der Kirche, unterschrieben von LeGrand Richards, Marvin O. Ashton und Joseph L. Wirthlin. Darin stand unter anderem: „Die Präsidierende Bischof schaff der Kirche übermittelt der Präsidentschaft des Diakonskollegiums der Gemeinde Taylorsville die besten Wünsche und gratuliert dazu, daß im Jahre 1939 mehr als 90 Prozent Anwesenheit in der Priestertums- und der Abendmahlsversammlung erreicht wurde.” Brüder, könnt ihr euch vorstellen, was für eine Wirkung dieser Brief auf die jungen Träger des Aaronischen Priestertums unserer ländlichen Gemeinde und auf die drei dreizehnjährigen Diakone von der Kollegiumspräsidentschaft hatte? Auf der Stelle wurden die Brüder von der Präsidierenden Bischofschaft für mich zu Helden.
Wenn ich heute darauf zurückblicke, wird mir klar, daß ich diesen Brief hauptsächlich der glaubenstreuen und gewissenhaften Bischofschaft unserer Gemeinde zu verdanken hatte, deren Zweiter Ratgeber jede Woche mit der Kollegiumspräsidentschaft in der Planungsversammlung zu Rate saß und auch immer wenigstens für einige Zeit an unserer Kollegiumsversammlung teilnahm. Unser Kollegiumsberater war ein demütiger Führer, wie Petrus es wohl werden sollte; Christus ermahnte den zukünftigen Führer der Kirche nämlich: „Wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder.” (Lukas 22:32.)
Wenn wir damals am Sonntagmorgen im schwach erleuchteten Keller unseres Gemeindehauses aus dem 19.Jahrhundert saßen, dann schüttete dieser großartige Berater des Diakonskollegiums seiner kleinen Herde eifriger Diakone sein Herz aus. Mit reiner Liebe und schlichten Worten sagte er uns, was für eine Dummheit es sei, die schädlichen Substanzen zu sich zu nehmen, die der Herr im Wort der Weisheit bezeichnet hat. Er betonte, wie wichtig es für uns sei, rein an Körper und Geist zu sein und würdig zu sein, dem Herrn auf Mission zu dienen. Wenn es angebracht war, gab er den Diakonen demütig und mit Tränen in den Augen Zeugnis von der Göttlichkeit des Erretters und von Joseph Smiths prophetischer Mission.
Gewissenhaft lehrte er uns, daß wir unseres Bruders Hüter seien, und daß der Zweck des Kollegiums darin bestehe, jedem seiner Mitglieder zum Segen zu gereichen. Wenn wir das Abendmahl austeilten, das Fastopfer einsammelten oder für die Witwen in unserer Gemeinde Holz hackten, dann betonte er, daß wir genau das täten, was der Herr von uns erwartete. Als einmal ein Kollegiumsmitglied aus einer weniger aktiven Familie längere Zeit krank war und nicht zur Priestertumsversammlung kommen konnte, gingen wir zu ihm nach Hause und ließen ihn dort an der wöchentlichen Lektion und an der Gemeinschaft des Kollegiums teilhaben. Als ein anderes weniger aktives Mitglied, dessen alleinerziehende Mutter nicht zur Kirche gehörte, nicht zu den Versammlungen kam, so wurde auch bei ihm zu Hause Unterricht gehalten. Diese beiden jungen Männer erhielten in späteren Jahren große Verantwortung in der Kirche und gereichten unzähligen Mitgliedern der Kirche zum Segen.
Viele Jahre später stand ich im Krankenhaus am Bett unseres guten Kollegiumsberaters; er war im Begriff, dieses Leben gegen die Ewigkeit einzutauschen. Obwohl es ihm sehr schlecht ging, wollte er die kurze Zeit dazu nutzen, mit mir die gegenwärtigen Lebensumstände eines jeden durchzugehen, der vor über dreißig Jahren zu jenem Diakonskollegium gehört hatte.
Er erfüllte buchstäblich die Anweisung, die Petrus am Ufer des Sees von Tiberias vom Erretter erhielt, als er seine Apostel zum letzten Male ermahnte: „Weide meine Lämmer - weide meine Schafe - weide meine Schafe.” (Siehe Johannes 21:15-17.)
Der Kampf um die Seele der kostbaren Schafe und Lämmer unseres himmlischen Vaters tobt in allen Winkeln der Welt.
Die zunehmend freizügige Kultur, die stark von den Medien und besonders vom Fernsehen beeinflußt ist, hat uns alle - besonders aber die Jugendlichen - einer Wüste der sittlichen Wertbegriffe ausgesetzt. Das amerikanische Fernsehen hat vielerorts nahezu mit Leichtigkeit die Vulgarität aus der modernen Kultur entfernt, indem es sie zur „Norm” gemacht hat. Das Ergebnis ist eine Massenkultur, die von Profitmachern unterhalten wird, die die Gier nach Vulgarität, Pornographie und sogar Barbarei fördern. Solche Einflüsse können sich nur demoralisierend auf die Glaubensansichten und die sittlichen Wertvorstellungen unserer Jugendlichen auswirken.
Das sind die Zustände, die die Propheten der Bibel und des Buches Mormon vorausgesehen haben. So ist die Welt, in der die glaubenstreuen Träger des Aaronischen Priestertums heutzutage leben und über die sie sich tapfer und siegreich erheben müssen. Vor diesem weltlichen Hintergrund müssen die Führer des Aaronischen Priestertums jedem jungen Mann liebevoll helfen, daß er folgendes tut:
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sich wahrhaftig zum Evangelium Jesu Christi bekehren und nach seinen Lehren leben;
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seine Berufung im Priestertum groß machen;
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sinnvoll dienen;
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sich auf das Melchisedekische Priestertum vorbereiten;
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sich verpflichten, auf Mission zu gehen, sich würdig auf die Mission vorbereiten und auf Mission ehrenhaft dienen;
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so leben, daß er würdig ist, die heiligen Handlungen des Tempels zu empfangen, und sich darauf vorbereiten, ein würdiger Ehemann und Vater zu werden.
Brüder, sorgt dafür, daß die Liebe und die Gemeinschaft des Priestertums jeden jungen Mann im Kollegium erreichen, daß ein jeder einbezogen und eingegliedert wird.
Wir haben drei Jahre in kirchlichem Auftrag in Afrika zugebracht. Seit wir vor einiger Zeit von dort zurückgekehrt sind und unsere 23 Enkel neu kennenlernen, sind meine Frau und ich bei unseren Besuchen immer wieder gebeten worden, den Enkelkindern eine Gutenachtgeschichte zu erzählen, die erstens wahr, zweitens spannend und drittens völlig neu ist. Die Opas unter uns wissen, vor was für Probleme so ein Wunsch einen stellt. Einer unserer Söhne wohnt mit seiner Frau in einer Stadt im Mittelwesten der USA; sie haben fünf Kinder, darunter drei Träger des Aaronischen Priestertums, nämlich einen Priester, einen Lehrer und einen Diakon. Als wir sie kürzlich besuchten, fiel mir so eine wahre Geschichte ein. Es geht darin um ihren eigenen Vater, der damals noch ein Junge von sechs Jahren war.
Ich bin in ländlicher Umgebung im Kreis Salt Lake aufgewachsen, und damals mußte man, aus wirtschaftlichen Gründen, verschiedene Arten Vieh halten. Meine Lieblingstiere waren die Schafe, wahrscheinlich weil man sie nicht an sieben Tagen in der Woche zweimal täglich melken muß.
Ich wollte, daß auch unsere Söhne Viehhirten sein durften. Die älteren bekamen jeder ein Mutterschaf, damit sie lernten, die Verantwortung für die Pflege dieser Schafe und der hoffentlich zu erwartenden Lämmer zu übernehmen.
Unser zweiter Sohn, damals gerade sechs Jahre alt, rief mich eines Morgens im März ganz aufgeregt an und sagte: „Stell dir vor, Papa, Esther (Esther war das Mutterschaft) hat gerade zwei Lämmchen geboren. Komm bitte heim und hilf mir, sie zu versorgen.” Ich wies Gordon an, die Lämmer sorgfältig zu beobachten und dafür zu sorgen, daß sie etwas Muttermilch bekämen; dann ginge schon alles gut. Einige Zeit später unterbrach mich ein weiterer Anruf, und dasselbe Stimmchen sagte: „Papa, den Lämmern geht’s nicht so gut. Sie konnten keine Milch von der Mutter bekommen, und sie frieren so. Komm doch bitte heim.”
Ich konnte wahrscheinlich nicht verbergen, daß ich mich ärgerte, von meiner vielen Arbeit abgelenkt zu werden. Ich antwortete: „Gordon, den Lämmern wird es schon noch gutgehen. Paß nur auf sie auf, und wenn Papa nach Hause kommt, geben wir ihnen Muttermilch, und alles geht klar.” Am Nachmittag kam der dritte, jetzt schon dringendere Anruf. Nun flehte die Stimme am anderen Ende der Leitung: „Papa, du mußt jetzt nach Hause kommen. Die Lämmer liegen am Boden, und eins sieht aus, als würde es sehr frieren.” Trotz der vielen Arbeit war ich nun doch recht besorgt. Ich versuchte den sechsjährigen Mutterschafbesitzer zu beruhigen und sagte: „Gordon, bring die Lämmer ins Haus und reib sie mit einem Jutesack ab, damit sie warm werden. Papa kommt bald nach Hause, dann melken wir die Mutter, füttern die Lämmer, und alles ist in Ordnung.”
Als ich zwei Stunden später in die Einfahrt unseres Hauses einbog, kam mir mein tränenüberströmter Junge entgegen, der ein totes Lamm auf dem Arm trug. Seine Trauer war erschütternd. Nun beeilte ich mich, das Mutterschaf zu melken und das überlebende Schaf mit einer Flasche zum Trinken zu bewegen. Da ging Gordon aus dem Zimmer und kam mit Hoffnung in den Augen zurück. Er sagte: „Papa, ich habe gebetet, daß wir dieses Lamm retten können, und ich habe das Gefühl, daß es gutgehen wird.”
Das traurige Ende dieser Geschichte ist, daß ein paar Minuten später auch das zweite Lamm tot war. Nie werde ich den Blick dieses kleinen sechsjährigen Jungen vergessen, der seine beiden Lämmer verloren hatte; er sah seinen Vater an und sagte unter Tränen: „Papa, wenn du bei meinem ersten Anruf gleich gekommen wärst, hätten wir sie beide retten können.”
Liebe Brüder im Priestertum, diejenigen unter uns, die wir mit der Sorge für die kostbare Herde des Herrn betraut sind - wir müssen bei den Lämmern sein, wenn wir gebraucht werden. Wir müssen mit Liebe, mit den Grundsätzen des Glaubens und mit Güte belehren, und wir müssen den Lämmern unseres himmlischen Vaters ein Beispiel an Rechtschaffenheit sein. Jedes Kollegiumsmitglied muß darauf vorbereitet werden, seine Rolle als Träger des heiligen Priestertums in dieser Welt zu übernehmen, die von Sünde heimgesucht wird und die verzweifelt nach entschlossenen sittlichen Führern verlangt.
Ich gebe Ihnen mein Zeugnis, daß dies das Werk Gottes ist - das wichtigste von allen Werken auf der ganzen Welt, in denen wir uns engagieren können. Daß wir Werkzeuge in seiner Hand dafür sein können, die kostbaren Lämmer zu erretten, für die er sein Leben gegeben hat, erflehe ich demütig. Im Namen Jesu Christi. Amen.