Hyrum Smith-„fest wie die Säulen des Himmels‟
Joseph Smith hat einmal angemerkt, daß seine Anhänger gut daran täten, ihr Leben so zuführen, wie Hyrum es tat.
Meine lieben Brüder und Schwestern, ich bin dankbar, daß ich heute vor Ihnen stehen darf. Nachdem ich vor zwei Monaten eine Bypass-Operation am Herzen über mich ergehen lassen mußte, bin ich froh, überhaupt irgendwo stehen zu können. In den vergangenen Monaten habe ich den machtvollen Glauben und die Gebete der Mitglieder der Kirche für mich gespürt, und ich sage Ihnen aufrichtig Dank. Ich bin sehr gesegnet worden, und ich tue meinen demütigen Dank gegenüber dem himmlischen Vater öffentlich kund.
Anfang Juli konnten meine Frau und ich zu den historischen Stätten der Kirche in Palmyra, Kirtland und Nauvoo reisen, und zwar zusammen mit unseren sieben Kindern, deren Ehepartnern und unseren 20 Enkelkindern. Jemand hat vermutet, daß dies wohl zu meinen Herzproblemen beigetragen hätte. Das kann ich nicht sagen; aber ich kann wohl sagen, daß die Reise zu diesen Stätten unsere Seele mit noch größerer Liebe und Achtung erfüllt hat, und zwar für den Propheten Joseph Smith, seine Familie und die Standhaften, die als erste das wiederhergestellte Evangelium Jesu Christi angenommen haben und Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage geworden sind. Es war ein ungewöhnliches Erlebnis, meine Familie aus dem Buch, Lehre und Bündnisse’ zu belehren und dabei auf eben dem Grund und Boden zu stehen, auf dem viele dieser Offenbarungen und Anweisungen empfangen wurden.
Als wir diese inspirierenden Stätten besichtigten und uns als Familie in die Ereignisse der Wiederherstellung vertieften, kam mir wieder einmal in den Sinn, was für einen großen Vorzug wir doch dadurch genießen, daß wir zu einer Zeit leben dürfen, in der es von der Lehre her ein so klares Verständnis des Plans unseres himmlischen Vaters für die Errettung und Erhöhung seiner Kinder gibt. Die Klarheit hinsichtlich unseres Verhältnisses zu Jesus Christus und seiner wiederhergestellten Kirche ist für jeden von uns ein kostbares, kraftspendendes Wissen. Ich danke Gott dafür, daß wir in diesen Tagen des Verfalls und des Abweichens von gesunden Werten keinen Mangel an offenbarter Wahrheit haben, an der wir unser Leben ausrichten können.
Während der vergangenen Wochen körperlicher Erholung hatte ich mehr Zeit als üblich zur Verfügung; es gab keinen Terminkalender, und ich konnte frei nachdenken, erwägen und beten. Die Art und Weise, wie ich zu dieser geschenkten Zeit gekommen bin, kann ich zwar nicht empfehlen, aber uns allen würde es wohl gut tun, hin und wieder nachzudenken und zu meditieren. In den stillen Augenblicken der inneren Einkehr kann der Geist uns viel lehren.
Der Geist hat mir bestätigt, das wir eine wichtige Aufgabe haben, nämlich darauf zu achten, daß wir den Glauben niemals verlieren, den die Pioniere unter unseren Vorfahren uns als Vermächtnis hinterlassen haben. Wir, und ganz besonders unsere Jugendlichen, können viel Kraft daraus schöpfen, daß wir unsere Geschichte in der Kirche verstehen. Als Nachkomme von Hyrum Smith fühle ich die feierliche Pflicht, dafür zu sorgen, daß die Kirche nie vergißt, welch bedeutsamen Dienst dieser große Führer geleistet hat. Ich räume ein, daß niemand außer Jesus eine größere Leistung als der Prophet Joseph Smith erbracht hat, doch fühle ich mich innerlich bewegt, den Mut und die bemerkenswerten Beiträge seines älteren Bruders, Hyrums, des Patriarchen, in Erinnerung zu halten und zu achten.
Im September 1840 rief Joseph Smith senior seine Familie zusammen. Der ehrwürdige Patriarch lag im Sterben und wollte seiner geliebten Frau und den Kindern seinen Segen hinterlassen. Hyrum, der älteste noch lebende Sohn, bat seinen Vater, sich bei seinem Eintreffen im Himmel dafür einzusetzen, daß die Feinde der Kirche „nicht mehr so viel Macht‟ über die Heiligen der Letzten Tage hätten. Vater Smith legte daraufhin Hyrum die Hände auf und segnete ihn mit „Frieden, … der hinreicht,. … um das Werk zustande zu bringen, das Gott dir gegeben hat.‟ Er wußte, daß Hyrum sein Leben lang standhaft gewesen war, und so schloß er diesen letzten Segen mit der Verheißung, daß Hyrum „bis ans Ende [seiner] Tage so fest wie die Säulen des Himmels‟ sein werde.1
In diesem Segen wird Hyrums stärkster Charakterzug deutlich. Mehr als alles andere war er „fest wie die Säulen des Himmels.‟ Sein ganzes Leben lang haben sich die Mächte des Bösen zusammengeschlossen, um ihn zu vernichten oder doch wenigstens vom Wege abzubringen.
Nach dem Tode seines älteren Bruders, Alvin, im Jahre 1823 übernahm Hyrum wichtige Aufgaben in der Familie Smith. Gleichzeitig stand er seinem Bruder Joseph bei und half ihm während des langen und mühsamen Vorgangs der Wiederherstellung. Am Ende gesellte er sich zu Joseph und den Märtyrern vergangener Evangeliumszeiten. Sein Blut wurde vergossen als sein letztes Zeugnis für die Welt.
In all dem blieb Hyrum standhaft. Er wußte, wohin sein Leben führen würde, und mit Bedacht entschied er, diesem Kurs zu folgen. Für Joseph wurde Hyrum zum Begleiter, Beschützer, Versorger und Vertrauten, und schließlich starb er mit ihm den Märtyrertod. Ungerechte Verfolgung umschloß die beiden ihr Leben lang. Hyrum war älter, aber er achtete doch den Mantel, den Gott seinem Bruder umgelegt hatte. Gelegentlich gab er seinem jüngeren Bruder wohl nachdrückliche Ratschläge, doch folgte er Joseph immer.
Einmal sagte Joseph zu ihm: „Bruder Hyrum, was hast du doch für ein treues Herz! O möge der ewige Jahwe dich mit einer Krone ewiger Segnungen krönen, als Lohn für die Sorge, die du für meine Seele gehabt hast! Wie viele Sorgen haben wir doch gemeinsam getragen.‟2
Ein andermal sagte der Prophet über seinen Bruder: „Ich liebe ihn mit einer Liebe, die stärker ist als der Tod.‟3
Hyrum diente der Kirche unerschütterlich. 1829 gehörte er zu der kleinen Gruppe, die die Goldplatten sehen durfte, von denen das Buch Mormon übersetzt wurde, und bis zum Ende seines Lebens gab er Zeugnis von der göttlichen Herkunft des Buches Mormon; er ist einer der acht Zeugen, die „die Platten gesehen und eigenhändig hochgehoben‟ haben.4 Er war unter den ersten, die in dieser Evangeliumszeit getauft wurden. Mit 30 Jahren war er der älteste der sechs Männer, die 1830 formell die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage gründeten. 1831 stand er vor der Konferenz in Ohio und gelobte, „daß alles, was er hatte, des Herrn sei, und das er bereit sei, beständig den Willen des Herrn zu tun.‟5 1833, als der Herr die Kirche wegen der Verzögerung des Baubeginns am Kirtland-Tempel züchtigte, fing Hyrum als erster an, das Fundament auszuheben. Als Vorsitzender des Tempelkomitees brachte Hyrum die Mitglieder der Kirche zusammen, um die scheinbar unmögliche Aufgabe des Tempelbaus anzugehen, und das zu einer Zeit, wo die meisten Mitglieder buchstäblich nichts hatten, was sie für die Sache geben konnten. Einige Jahre später tat er das gleiche für den Bau des Tempels in Nauvoo.
Hyrum diente in der Bischofschaft von Ohio, im ersten Hohenrat, als Patriarch, als Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft, und schließlich war er noch einer der beiden einzigen Männer, die je das Amt des Stellvertretenden Präsidenten der Kirche innehatten.
Hyrum erfüllte viele Missionen für die Kirche. Auf einer Mission, als er von Kirtland nach Indiana unterwegs war, erlitt er eine seiner größten Prüfungen, als seine erste Frau, Jerusha, kurz nach der Geburt ihres sechsten Kindes starb. Hyrums Mutter, Lucy Mack Smith, schrieb, daß Jerushas Tod „unser Herz mit mehr als der normalen Trauer erfüllte. … Sie war eine Frau, die jeder liebhatte.‟6
Hyrum trauerte, aber sein Glaube war nicht erschüttert, sein Entschluß, dem himmlischen Vater und seiner Kirche zu dienen, wankte keinen Augenblick. Ich denke, daß Gott seine Glaubenstreue damit belohnte, daß er eine der großen Frauen der Kirchengeschichte, Mary Fielding, in Hyrums Leben brachte, die dieser dann später heiratete. Die beiden begründeten ein außergewöhnliches Vermächtnis, an Liebe und Glaubenstreue.
Es ist deutlich, daß Hyrum Smith eine der festen Säulen der Wiederherstellung war. Traurigerweise wissen viele Mitglieder der Kirche über ihn nicht mehr, als daß er zusammen mit seinem Bruder im Gefängnis von Carthage ermordet wurde. Das ist zwar bezeichnend für ihn, aber er hat viel mehr als das getan. Joseph Smith hat sogar einmal angemerkt, daß seine Anhänger gut daran täten, ihr Leben so zu führen, wie Hyrum es tat.7 Lassen Sie mich einige Punkte aus Hyrums Leben anführen, die wir uns zu eigen machen könnten.
1829, als Joseph die Übersetzung des Buches Mormon abschloß, wartete Hyrum ungeduldig darauf, das Evangelium zu verbreiten und die Kirche zu errichten. Er bat Joseph, den Herrn zu fragen, was er tun solle. In Abschnitt 11 des Buches, Lehre und Bündnisse’ finden wir die Antwort des Herrn: „Trachte nicht danach, mein Wort zu verkünden, sondern trachte zuerst danach, mein Wort zu erlangen. … Befasse dich gründlich mit meinem Wort, das unter die Menschenkinder ausgegangen ist, und befasse dich auch gründlich mit meinem Wort, das … jetzt in der Übersetzung ist.‟8
Hyrums Leben legt Zeugnis ab von seinem Gehorsam und von dieser von Gott gegebenen Anweisung. Bis zum allerletzten Tag seines Lebens widmete er sich der Aufgabe, das Wort durch Schriftstudium zu erlangen. Im Gefängnis von Carthage las und kommentierte er Auszüge aus dem Buch Mormon. Die heiligen Schriften waren offensichtlich Bestandteil seines Wesens, und immer, wenn er am dringendsten Trost und Kraft brauchte, wandte er sich ihnen zu.
Denken Sie nur, wieviel geistige Kraft wir schöpfen und wie viel besser wir als Lehrer, Missionare und Freunde sein könnten, wenn wir die Schriften regelmäßig lesen würden! Ich bin sicher: Wir würden - so wie Hyrum - fähig, unsere größten Prüfungen zu überstehen, wenn wir im Wort Gottes forschten, wie er es tat.
Das zweite große Beispiel aus Hyrums Leben, dem wir vielleicht folgen möchten, trug sich ganz am Anfang der Wiederherstellung zu. Lucy Mack Smith berichtet, daß damals, als Joseph der Familie zum ersten Mal erzählte, was er im heiligen Wald erlebt hatte, Hyrum und die anderen diese Nachricht „freudevoll‟ aufgenommen haben. Die Familie setzte sich „im Kreis zusammen und widmete sich mit größter Aufmerksamkeit einem Jungen, … der noch nie im Leben die Bibel ganz durchgelesen hatte.‟9 Anders als die Reaktion Lamans und Lemuels auf die göttliche Berufung ihres jüngeren Bruders Nephi oder der älteren Brüder Josefs, der nach Ägypten verkauft wurde, hegte Hyrum Smith weder Eifersucht noch Feindseligkeit. Stattdessen wurde in ihm durch die schlichte und freudige Reaktion, die er auf die geistige Botschaft seines Bruders hin empfand, wirklicher Glaube erweckt. Der Herr ließ ihn im Herzen wissen, was richtig war, und von da an folgte er Joseph glaubenstreu seine Leben lang. „Ich, der Herr, liebe [Hyrum]‟, sagt der Herr im Abschnitt 124 von, Lehre und Bündnisse’, „wegen der Lauterkeit seines Herzens und weil er das liebt, was vor mir recht ist.‟10
Hyrum hatte ein gläubiges Herz; er mußte nicht all das sehen, was Joseph gesehen hatte. Ihm war es genug, die Wahrheit von Josephs Lippen zu hören und die Eingebungen des Geistes zu verspüren, der ihm zuflüsterte, daß dies wahr sei. Kraft zum Glauben - das war die Quelle von Hyrums geistiger Stärke, und es ist die Quelle geistiger Stärke der Mitglieder damals wie heute. Wir brauchen nicht noch mehr Mitglieder, die jede Kleinigkeit in Frage stellen; wir brauchen Mitglieder, die mit dem Herzen gefühlt haben, die dem Geist nahe sind und seinen Eingebungen freudig folgen. Wir brauchen Menschen, die mit Herz und Verstand suchen, die ohne Diskussion oder Klage Evangeliumswahrheiten willkommen heißen, und die nicht nach wundersamen Kundgebung verlangen. Wie gesegnet sind wir doch, wenn die Mitglieder freudig auf den Rat ihres Bischofs, ihres Pfahlpräsidenten, ihrer Kollegiums- und Hilfsorganisationsführer eingehen, auch wenn der eine oder andere von diesen jünger ist oder weniger Erfahrung hat als man selbst. Wie groß sind die Segnungen, die wir empfangen, wenn wir „das, was Recht ist‟, nicht mürrisch, sondern freudig tun.
Das dritte Beispiel aus Hyrums Leben betrifft seinen selbstlosen Dienst für andere Menschen. Seine Mutter hat diese seine Eigenschaft gelobt und gesagt, daß er „bemerkenswert sanft und mitfühlend‟ sei.11 Als Joseph einmal schlimme Schmerzen am Bein hatte, löste Hyrum seine Mutter ab und saß über eine Woche lang fast 24 Stunden täglich an Josephs Bett.
Hyrum war immer der erste, der einem Besucher Freundschaft entgegenbrachte, der erste, der versuchte, einen Streit zu schlichten, der erste, der einem Feind vergab. Joseph, dem Propheten, schreibt man die Bemerkung zu: „Wenn Hyrum nicht zwischen zwei Leuten, die sich entzweit haben, Frieden stiften kann, dann können wohl selbst die Engel nicht hoffen, das zustande zu bringen.‟12
Gibt es heutzutage in der Kirche und in der Familie ähnliche Bedürfnisse? Sind wir uns der Sorgen derer bewußt, die besondere Zuwendung brauchen? Sehen wir, wenn eine Familie geistig oder seelisch zu kämpfen hat und von uns Liebe, Zuspruch und Unterstützung braucht? Hyrums Beispiel an selbstlosem Dienen kann in der Welt von heute großen Einfluß haben, wenn nur genug von uns diesem Beispiel folgen wollen.
Ein weiteres großartiges Beispiel kommt aus dem finsteren Verließ des Gefängnisses in Liberty. Hyrum, Joseph und noch einige andere litten dort unter Kälte, Hunger, unmenschlicher Behandlung und der Einsamkeit der Trennung von ihren Freunden. In diesem Gefängnis lernte Hyrum Geduld in Widrigkeiten und Anfechtung. Inmitten dieser äußerst schweren Prüfung galt seine Sorge in erster Linie nicht sich selbst und seinen Begleitern, sondern seiner Familie. In einem Brief an seine Frau schrieb Hyrum, „der größte Teil der Schwierigkeiten‟ sei, daß er nicht wußte, wie es ihr und den Kindern ging. „Wenn ich an Eure Schwierigkeiten denke, wird mein Herz vor Sorge niedergedrückt. … Doch was kann ich tun? … Dein Wille geschehe, o Herr!‟13
Wenn ich überall in der Kirche unterwegs bin, sehe ich Mitglieder, die im Schmelzofen der Anfechtung geprüft werden. Ich sehe Mitglieder, die gebrechlich sind. Ich sehe Ehemänner, Ehefrauen, Eltern, die hinsichtlich ihrer Ehepartner bzw. ihrer Kinder unter schwierigen Umständen leben, Umständen, die sie nicht ändern können. Jeder von uns kommt hin und wieder in unerfreuliche Situationen, erlebt Widerstand und Bedrängnisse, die wir nicht abwenden können. Manchen Umständen kann man nur mit Zeit, Tränen, Beten und Glauben begegnen. Für uns wie für Hyrum mag der Friede erst dann kommen, wenn wir uns selbst dazu bringen können, zu sagen: „Doch was kann ich tun? … Dein Wille geschehe, o Herr!‟
Gewiß war Joseph inspiriert, als er über Hyrum, seinen Bruder, schrieb: „Dein Name soll aufgeschrieben werden, … damit diejenigen, die nach dir kommen, ihn sehen und so tun, wie du getan hast.‟14 Mögen wir dazu beitragen, daß die Verheißung aus, Lehre und Bündnisse’, Abschnitt 124, erfüllt wird, wo es heißt, daß „sein Name von Generation zu Generation ein ehrenvolles Andenken genieße.‟15 Seines Namens wird ganz sicher ehrenvoll gedacht, wenn wir seinem Beispiel folgen und „tun, wie [er] getan hat.‟ Möge die Erinnerung an Hyrum Smith und alle unsere glaubenstreuen Vorväter nie in unserem Gedächtnis verblassen. Darum bete ich demütig im Namen Jesu Christi. Amen.