Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben
Alles im Evangelium lehrt uns, daß wir uns ändern können, wo dies nötig ist, daß wir Hilfe bekommen, wenn wir es wirklich wünschen, daß wir geheilt werden können, was immer die Probleme der Vergangenheit auch gewesen sein mögen.
Vor einiger Zeit las ich einen Essay über den „metaphysischen Hunger”1 in der Welt. Der Autor behauptete, die Seele der Menschen liege sozusagen im Sterben, und zwar wegen des Mangels an spiritueller Nahrung in unserer Zeit. Dieser Begriff „metaphysischer Hunger” kam mir wieder in den Sinn, als ich letzten Monat die zahlreichen und überaus verdienten Lobreden auf Mutter Theresa aus Kalkutta las. Ein Korrespondent schrieb, sie habe einmal gesagt, der physische Hunger unserer Zeit sei schlimm und schmerzlich - und sie hat sich ja buchstäblich ihr Leben lang bemüht, ihn zu lindern -, aber sie sei der Meinung, das Nichtvorhandensein geistiger Kraft und die Armut an geistiger Nahrung in der heutigen Welt sei ein noch schrecklicherer Hunger.
Diese Gedanken erinnerten mich an die erschreckende Prophezeiung des Propheten Amos, der vor so langer Zeit gesagt hat: „Seht, es kommen Tage - Spruch des Gottes, des Herrn -, da schicke ich den Hunger ins Land, nicht den Hunger nach Brot, nicht Durst nach Wasser, sondern nach einem Wort des Herrn.”2
Während sich die Welt dem 21. Jahrhundert entgegenschleppt, sehnen sich viele nach etwas, schreien manchmal nach etwas und wissen doch zu oft nicht, wonach. Die wirtschaftliche Lage der Welt - insgesamt, aber gewiß nicht überall - ist heute wahrscheinlich besser als je zuvor, aber das Herz der Menschen ist immer noch ängstlich und oft von großer Sorge erfüllt. Wir leben in einem „Zeitalter der Informationen”, in dem uns eine ganze Welt voller Daten auf Knopfdruck zur Verfügung steht, aber was diese Informationen bedeuten und die Befriedigung, die aus der Anwendung von Wissen in einem moralischen Kontext entsteht, liegt vielen Menschen ferner als je zuvor.
Wenn man auf Sand baut, ist der Preis hoch. Allzu viele Menschen kommen zu Fall, wenn der Sturm kommt und der Wind weht.3 Fast überall um uns herum sehen wir Menschen, die mit ihrem gegenwärtigen Luxus unzufrieden sind, weil die Furcht in ihnen nagt, daß irgendwo irgendwer noch mehr davon besitzen könnte. In unserer Welt, die es verzweifelt nach moralischer Führung verlangt, sehen wir allzu oft die von Paulus angeprangerte geistige Verderbtheit.4 Es ist entsetzlich, wie viele Menschen sagen, ihr Ehepartner, ihre Kinder und jede Art ehelicher beziehungsweise elterlicher Verantwortung langweilten sie. Wieder andere rasen mit voller Geschwindigkeit in die Sackgasse des Hedonismus und behaupten stolz, sie könnten sehr wohl vom Brot allein leben, und je mehr davon, desto besser. Wir wissen aus sicherer Quelle, ja, sogar direkt von der Quelle aller Wahrheit, daß Brot allein auch in großen Mengen nicht genug ist.5
Als der Erretter in Galiläa wirkte, tadelte er diejenigen, die von der Speisung der fünftausend mit nur fünf kleinen Broten und zwei Fischen gehört hatten und nun zu ihm kamen, weil sie auf eine Gratismahlzeit hofften. Diese damals zwar nötige Nahrung war doch nicht so wichtig wie die reale geistige Nahrung, die er ihnen zu geben versuchte.
„Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben”, ermahnte er sie. „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot ißt, wird in Ewigkeit leben.”
Das war aber nicht die Mahlzeit, wegen der sie gekommen waren, und die Schrift sagt: „Daraufhin zogen sich viele Jünger zurück und wanderten nicht mehr mit ihm umher.”6
In dieser kleinen Begebenheit zeigt sich eine Gefahr unserer Zeit. In all dem Erfolg und Intellektualismus der Gegenwart können auch wir vom unabdingbar lebenswichtigen Brot des ewigen Lebens fortwandern; wir können uns tatsächlich dafür entscheiden, in geistiger Hinsicht fehlernährt zu sein, und uns in eine Art geistiger Appetitlosigkeit hineinsteigern. Wie die kindischen Galiläer von damals mögen auch wir die Nase rümpfen, wenn uns göttliche Kost serviert wird. Tragisch daran ist damals wie heute, daß eines Tages - wie der Herr selbst gesagt hat - „zu einer Stunde, da [man] es nicht denkt, der Sommer vorbei sein” wird; dann ist „die Ernte zu Ende”, und wir müssen hören: „Eure Seele ist nicht errettet!”7
Ich frage mich heute Morgen, ob wohl unter meinen Zuhörern jemand ist, der sich selbst - oder auch einer seiner Lieben - solcherart in Nichtigkeiten verrannt hat, nach etwas wirklich Nahrhaftem verlangt und wie der sonst so erfolgreiche junge Mann fragt: „Was fehlt mir jetzt noch?”8 Ich frage mich, ob heute Morgen jemand da ist, der, wie Amos sagt, von Meer zu Meer wankt und von Norden nach Osten zieht; jemand, der es müde ist, gewissermaßen auf der Überholspur zu leben und mit den extravaganten Nachbarn mitzuhalten, die einen Kredit nach dem anderen brauchen.9 Ich habe mich gefragt, ob vielleicht so jemand zu unserer Konferenz gekommen ist und hofft, die Lösung für ein schweres persönliches Problem zu finden oder daß die ernstesten Fragen des Herzens ein wenig erhellt werden. Bei diesen Problemen und Fragen kann es um die Ehe gehen, um die Familie, um Freunde, um die Gesundheit, um inneren Frieden - oder um den augenfälligen Mangel an solch erfreulichem Gut.
Zu denen, die solchen Hunger leiden, möchte ich sprechen. Wo Sie auch sein mögen, wie alt Sie auch sind und was immer Sie auch erlebt haben: Ich sage Ihnen, daß Gott durch seinen einziggezeugten Sohn die Hungersnot, von der Amos spricht, beendet hat. Ich bezeuge, daß der Herr Jesus Christus das Brot des Lebens ist, die sprudelnde Quelle, deren Wasser ewiges Leben schenkt. Den Mitgliedern der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, besonders aber denen, die nicht zu dieser Kirche gehören, sage ich: Der himmlische Vater und sein geliebter erstgeborener Sohn sind dem jungen Propheten Joseph Smith erschienen und haben der umherirrenden Welt Licht und Leben, Hoffnung und Weisung zurückgebracht. Diese Welt ist voller Menschen, die sich fragen: „Wo ist Hoffnung? Wo ist Friede? Welchem Pfad soll ich folgen? Wohin soll ich gehen?”
Ungeachtet der Pfade, die Sie in der Vergangenheit gegangen oder nicht gegangen sind, möchten wir Ihnen heute Morgen „den Weg, die Wahrheit und das Leben”10 anbieten. Wir laden Sie ein: Nehmen Sie teil am Abenteuer der frühesten Jünger Christi, die ebenfalls nach dem Brot des Lebens hungerten, derer, die sich nicht zurückzogen, sondern zu ihm kamen, bei ihm blieben und erkannten, daß es niemand sonst gab, an den sie sich wenden konnten, um Geborgenheit und Errettung zu finden.11
Als Andreas und Philippus Christus zum ersten Mal sprechen hörten, waren sie so gerührt und fühlten sich so zu ihm hingezogen, daß sie ihm nachgingen, als er die Menschenmenge verließ. Christus nahm wahr, daß jemand ihm folgte, und so drehte er sich um und fragte die beiden Männer: „Was wollt ihr?”12 Die beiden antworteten: „Wo wohnst du?” Christus entgegnete schlicht: „Kommt und seht.”13 Kurz darauf berief er auf die gleiche Art in aller Form Petrus und weitere neue Apostel. Er sagte zu ihnen: „Kommt her, folgt mir nach!”14
Es scheint, als ließen sich das Wesen unseres Erdendaseins und die Antworten auf die meisten der bedeutsamen Fragen des Lebens auf diese beiden knappen Elemente aus der Anfangszeit des irdischen Dienstes des Erretters reduzieren. Das eine Element ist die Frage, die sich jedem auf Erden stellt: „Was willst du?” Und wie unsere Antwort auch ausfallen mag, die Entgegnung Christi darauf ist das andere Element. „Komm her”, sagt er liebevoll, „komm her, und folge mir nach.” Wohin du auch immer gehst, komm zuerst her und sieh, was ich tue, wo und wie ich meine Zeit verbringe. Lern von mir, geh mit mir, sprich mit mir und glaube. Hör zu, wenn ich bete. Dann wirst du die Antwort auf dein Beten finden. Gott wird deiner Seele Ruhe schenken. Komm, folge mir nach.
Einstimmig bezeugen wir, daß das Evangelium Jesu Christi das einzige Mittel ist, das den nagenden geistigen Hunger und den quälenden geistigen Durst stillen kann. Nur Christus, der tödliche Wunden empfing, weiß, wie die Wunden der heutigen Zeit zu heilen sind. Nur einer, der bei Gott war und selbst Gott war,15 kann Antwort auf die tiefsten und drängendsten Fragen der Seele geben. Nur sein allmächtiger Arm konnte die Gefängnistore des Todes aufstoßen, wo wir sonst auf ewig gefangen gewesen wären. Nur er kann uns siegreich in die celestiale Herrlichkeit tragen - wenn wir es durch unsere Glaubenstreue zulassen.
Denen, die meinen, sie hätten ihren Platz am Tisch des Herrn verwirkt, sagen wir mit den Worten des Propheten Joseph Smith, daß Gott von vergebender Wesensart16 ist, daß Christus „barmherzig und gnädig, langmütig und reich an Güte”17 ist. Mir hat schon immer die Stelle in Matthäus sehr gut gefallen, wo Jesus uns einschärft: „Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist.”18 Lukas fügt dem noch eine weitere Aussage des Herrn hinzu, nämlich: „Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist.”19 Das klingt gerade so, als sei Barmherzigkeit zumindest annähernd ein Synonym für die Vollkommenheit Gottes, nach der wir alle streben müssen. Die Tugend Barmherzigkeit und ihre Schwester, die Vergebungsbereitschaft, sind der Wesenskern des Sühnopfers Jesu Christi und des ewigen Erlösungsplans. Alles im Evangelium lehrt uns, daß wir uns ändern können, wo dies nötig ist, daß wir Hilfe bekommen, wenn wir es wirklich wünschen, daß wir geheilt werden können, was immer die Probleme der Vergangenheit auch gewesen sein mögen.
Falls Sie sich geistig zu zerschlagen fühlen, um am Festmahl teilnehmen zu dürfen, dann halten Sie sich bitte vor Augen, daß die Kirche kein Kloster der Vollkommenen ist, obschon wir alle uns auf der Straße zur Gottähnlichkeit vorwärtsbewegen sollten. Nein, in wenigstens einer Hinsicht ist die Kirche eher ein Krankenhaus oder eine Hilfsstation für Menschen, die krank sind und gesund werden möchten beziehungsweise wo sie auf dem steilen Weg zum Gipfel eine Dosis geistiger Nahrung oder einen Vorrat an lebensspendendem Wasser bekommen können.
Trotz der Schwierigkeiten des Lebens und der manchmal furchterregenden Aussicht gibt es doch Hilfe auf unserem Weg; das bezeuge ich. Es gibt das Brot des ewigen Lebens und die Quelle sprudelnden Wassers. Es gibt Christus, der die Welt überwunden hat - unsere Welt; und er schenkt uns Frieden in dieser und Erhöhung in der zukünftigen Welt.20 Von uns wird grundlegend verlangt, daß wir an ihn glauben und ihm dann nachfolgen und zwar immer. Wenn er uns aufruft, in seinem Licht seinen Weg zu gehen, dann darum, weil er diesen Weg vor uns gegangen ist und er dafür sorgt, daß wir hier in Sicherheit reisen können. Er weiß, wo die scharfkantigen Steine und die Fußangeln verborgen liegen und wo Dornen und Disteln am schlimmsten sind. Er weiß, wo der Pfad gefährlich ist, und wenn wir in der Abenddämmerung an eine Weggabelung kommen, kann er uns die Richtung weisen. Er weiß dies alles, weil er, wie Alma im Buch Mormon sagt, „Schmerzen und Bedrängnisse und Versuchungen jeder Art” erduldet hat, „damit er … wisse, wie er seinem Volk beistehen könne gemäß dessen Schwächen.”21 Das Wort „beistehen” bedeutet, jemandem zur Seite zu treten. Ich bezeuge, daß mir der Herr in meiner Angst und Schwäche zuverlässig zur Seite steht. Für diese Güte und Fürsorge kann ich ihm nicht genug danken.
Präsident George Q. Cannon hat einmal gesagt: „Ganz gleich, wie schlimm die Prüfung, wie tief die Verzweiflung, wie groß die Anfechtung auch sein mag, [Gott] wird uns niemals im Stich lassen. Er hat es nie getan, und er wird es niemals tun. Er kann es nicht tun. [So etwas] widerspricht seinem Wesen. Er ist unveränderlich. … Er wird uns beistehen. Wir mögen durch den Feuerofen gehen, wir mögen durch tiefe Wasser gehen; aber wir werden nicht verzehrt oder überwältigt. Wir werden aus all diesen Prüfungen und Schwierigkeiten besser und reiner hervorgehen, wenn wir nur unser Vertrauen auf Gott setzen und seine Gebote halten.”22
Wer den Herrn Jesus Christus als Urheber der Errettung annimmt, der wird immer auf grünen Auen lagern, wie kahl und öde der Winter auch gewesen sein mag. Wie wild die Stürme des Lebens auch toben, er wird immer einen Ruheplatz am Wasser finden, um sich zu erfrischen. Wenn wir seinem Weg der Rechtschaffenheit folgen, wird das Verlangen unserer Seele für immer gestillt; und müssen wir wie er in finsterer Schlucht wandern, fürchten wir kein Unheil. Der Stock seines Priestertums und der Stab seines Geistes werden immer da sein, um uns zu trösten. Wenn wir bei all den Mühen Hunger und Durst bekommen, wird er uns ein prächtiges Mahl bereiten und uns den Tisch sogar vor den Augen unserer Feinde decken; zu den Feinden unserer Zeit zählen beispielsweise Angst, Sorgen wegen Krankheit und hunderterlei persönliches Leid. Sein Mitgefühl findet seinen Höhepunkt darin, daß er uns bei solch einem Mahl das Haupt mit Öl salbt und uns einen Segen zur Stärkung der Seele gibt. Unser Becher ist reichlich gefüllt von seiner Güte, und wir vergießen Tränen der Freude, weil wir wissen, daß seine Güte und Huld uns jetzt und unser Leben lang folgen und wir - wenn wir es wünschen - für immer im Haus des Herrn wohnen werden.23
Ich bete heute Morgen darum, daß all diejenigen, die hungrig und durstig sind und manchmal umherirren, die Einladung dessen hören, der das Brot des Lebens ist, die Quelle sprudelnden Wassers, unser aller guter Hirt, der Sohn Gottes. Er sagt: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt, … so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele.”24 Er beschenkt wahrlich die Hungernden mit seinen Gaben, wie Maria, seine Mutter, bezeugt hat.25 Kommen Sie, stärken Sie sich beim Mahl am Tisch des Herrn in seiner wahren und lebenden Kirche, die von einem wahren und lebenden Propheten, Präsident Gordon B. Hinckley, geführt wird, von dem zu hören wir nun die Freude haben. Ich bete um diese Segnungen und gebe Zeugnis von diesen Wahrheiten im heiligen Namen des Herrn Jesus Christus, amen.