Sanftmütig und von Herzen demütig
Sanftmut ist ein prägendes Merkmal des Erlösers und zeichnet sich durch rechtschaffenes Handeln, bereitwilliges Sichfügen und starke Selbstbeherrschung aus.
Ich freue mich über die heilige Gelegenheit, die Führer unserer Kirche zu bestätigen, und heiße Elder Gong und Elder Soares von ganzem Herzen im Kollegium der Zwölf Apostel willkommen. Das Wirken dieser treuen Männer wird Menschen und Familien auf der ganzen Welt Segen bringen. Ich freue mich darauf, mit ihnen zu arbeiten und von ihnen zu lernen.
Ich bete darum, dass der Heilige Geist uns lehrt und erleuchtet, wenn wir nun gemeinsam etwas über einen grundlegenden Aspekt der göttlichen Natur des Erretters herausfinden, der wir alle nacheifern sollen.
Ich werde einige Beispiele anführen, die diese christliche Eigenschaft veranschaulichen, bevor ich diese besondere Tugend in meiner Ansprache dann genau benenne. Bitte hören Sie sich jedes Beispiel aufmerksam an, und denken Sie mit mir über mögliche Antworten auf die Fragen nach, die ich stellen werde.
Beispiel 1: Der reiche junge Mann und Amulek
Im Neuen Testament lesen wir von einem reichen jungen Mann, der Jesus fragte: „Meister, was muss ich Gutes tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“ Der Erretter forderte ihn zunächst auf, die Gebote zu halten. Dann stellte der Herr ihm eine weitere Bedingung, die auf die besonderen Bedürfnisse und Umstände des jungen Mannes zugeschnitten war.
„Jesus antwortete ihm: Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib ihn den Armen; und du wirst einen Schatz im Himmel haben; und komm, folge mir nach!
Als der junge Mann das hörte, ging er traurig weg; denn er hatte ein großes Vermögen.“
Vergleichen Sie die Reaktion des reichen jungen Mannes mit der Erfahrung von Amulek, wie sie im Buch Mormon beschrieben wird. Amulek war ein fleißiger, wohlhabender Mann, der viele Verwandte und Freunde hatte. Er beschrieb sich selbst als einen Mann, der oft gerufen wurde, doch nicht hören wollte, der von den Dingen Gottes wusste, sie aber nicht wissen wollte. Grundsätzlich war Amulek ein guter Mann, der sich jedoch von weltlichen Dingen ablenken ließ, ganz ähnlich wie der reiche junge Mann, der im Neuen Testament beschrieben wird.
Doch obwohl Amulek früher sein Herz verhärtet hatte, gehorchte er der Stimme eines Engels, empfing den Propheten Alma bei sich zu Hause und gab ihm zu essen. Während Almas Besuch wurde er für den Geist empfänglich und wurde berufen, das Evangelium zu predigen. Amulek entsagte sodann „all seinem Gold und Silber und seinen Kostbarkeiten … um des Wortes Gottes willen [und wurde von denen verworfen,] die einst seine Freunde gewesen waren, und ebenso von seinem Vater und seiner Verwandtschaft“.
Was erklärt Ihrer Meinung nach den Unterschied zwischen der Reaktion des reichen jungen Mannes und der Amuleks?
Beispiel 2: Pahoran
In einer gefährlichen Zeit des Krieges, die im Buch Mormon beschrieben wird, erfolgte ein Briefwechsel zwischen Moroni, dem Hauptmann des nephitischen Heeres, und Pahoran, dem obersten Richter und Regierenden des Landes. Moronis Heer litt Mangel, weil es von der Regierung nicht genügend unterstützt wurde, und so schrieb Moroni an Pahoran einen Brief „wie ein[en] Schuldspruch“ und warf ihm und den übrigen Führern Gedankenlosigkeit, Trägheit, Vernachlässigung und sogar Verrat vor.
Pahoran hätte Moroni leicht grollen und ihm seine falschen Anschuldigungen übelnehmen können, tat es aber nicht. Er reagierte mitfühlend und berichtete über einen Aufstand gegen die Regierung, von dem Moroni nichts wusste. Dann erklärte Pahoran:
„Siehe, ich sage dir, Moroni, dass ich an euren großen Bedrängnissen keine Freude habe, ja, es bekümmert meine Seele. …
Nun hast du mich in deinem Brief getadelt, aber das macht nichts; ich bin nicht zornig, sondern freue mich über die Größe deines Herzens.“
Wie erklärt sich wohl Pahorans gemäßigte Antwort auf Moronis Vorwürfe?
Beispiel 3: Präsident Russell M. Nelson und Präsident Henry B. Eyring
Bei der Generalkonferenz vor sechs Monaten beschrieb Präsident Russell M. Nelson seine Reaktion auf den Aufruf von Präsident Thomas S. Monson, die Wahrheiten, die im Buch Mormon enthalten sind, zu studieren, darüber nachzudenken und sie anzuwenden. Er erzählte: „[Ich habe] versucht, seinem Rat zu folgen. Ich habe unter anderem Listen darüber aufgestellt, was das Buch Mormon ist, was es bestätigt, was es widerlegt, was es erfüllt, was es klarstellt und was es offenbart. Es war aufschlussreich und inspirierend, das Buch Mormon aus diesen Blickwinkeln zu betrachten. Das empfehle ich jedem von Ihnen weiter.“
Auch Präsident Henry B. Eyring hat betont, welchen Stellenwert die Aufforderung von Präsident Monson in seinem Leben einnimmt. Er merkte an:
„[Ich habe] seit über fünfzig Jahren Tag für Tag im Buch Mormon gelesen. Ich hätte also allen Grund zu der Annahme gehabt, Präsident Monsons Worte seien für jemand anders bestimmt. Aber wie viele von Ihnen fühlte auch ich mich durch die Aufforderung und die Verheißung unseres Propheten gedrängt, mich noch mehr anzustrengen. …
Dadurch ist zu meiner Freude und zur Freude vieler von Ihnen das eingetreten, was unser Prophet verheißen hat.“
Was erklärt wohl die sofortige, von Herzen kommende Reaktion dieser beiden Führer der Kirche des Herrn auf Präsident Monsons Aufruf?
Ich will damit nicht sagen, dass die von großer Geistigkeit zeugende Reaktion von Amulek, Pahoran, Präsident Nelson und Präsident Eyring sich nur mit einer einzigen christlichen Eigenschaft erklären lässt. Sicherlich tragen viele miteinander verbundene Eigenschaften und Erfahrungen zu der geistigen Reife bei, die sich im Leben dieser vier vortrefflichen Diener widerspiegelt. Doch der Erretter und seine Propheten haben eine wichtige Eigenschaft hervorgehoben, die wir alle besser verstehen und in unser Leben aufnehmen müssen.
Sanftmut
Bitte achten Sie auf die Eigenschaft, mit der der Herr sich selbst in einer Schriftstelle beschreibt: „Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele.“
Unter all den Eigenschaften und Tugenden, die der Erretter hätte auswählen können, entschied er sich, damit wir daraus lernen, die Sanftmut hervorzuheben.
Ein ähnliches Muster wird in einer Offenbarung sichtbar, die der Prophet Joseph Smith 1829 empfing. Der Herr verkündete: „Lerne von mir und höre auf meine Worte; wandle in der Sanftmut meines Geistes, dann wirst du Frieden haben in mir.“
Sanftmut ist ein prägendes Merkmal des Erlösers und zeichnet sich durch rechtschaffenes Handeln, bereitwilliges Sichfügen und starke Selbstbeherrschung aus. Diese Eigenschaft hilft uns, das Handeln von Amulek, Pahoran, Präsident Nelson und Präsident Eyring besser zu verstehen.
Beispielsweise handelten Präsident Nelson und Präsident Eyring rechtschaffen und reagierten rasch auf die Aufforderung von Präsident Monson, im Buch Mormon zu lesen und zu forschen. Obwohl beide Männer wichtige und sichtbare Positionen in der Kirche innehaben und die heiligen Schriften seit Jahrzehnten ausgiebig studiert haben, zögerten sie nicht, und ihr Handeln zeugt von keinerlei Selbstgefälligkeit.
Amulek ordnete sich bereitwillig Gottes Willen unter, nahm die Berufung an, das Evangelium zu predigen, und ließ seine Annehmlichkeiten und familiären Bindungen zurück. Und Pahoran war mit Verständnis und starker Selbstbeherrschung gesegnet, sodass er handelte, statt zu reagieren, als er Moroni die Schwierigkeiten erläuterte, die durch den Aufstand gegen die Regierung entstanden waren.
Die christliche Eigenschaft Sanftmut wird in unserer heutigen Welt oft falsch verstanden. Sanftmut ist stark, nicht schwach, aktiv, nicht passiv, mutig, nicht zaghaft, zurückhaltend, nicht exzessiv, bescheiden, nicht selbstherrlich, gütig, nicht dreist. Der Sanftmütige lässt sich nicht leicht zum Zorn reizen, ist nicht überheblich oder herrisch und erkennt die Leistungen anderer bereitwillig an.
Während Demut üblicherweise anzeigt, dass man von Gott abhängig ist und ständig von ihm geführt und unterstützt werden muss, ist ein charakteristisches Merkmal der Sanftmut, dass man geistig besonders dafür empfänglich ist, sowohl vom Heiligen Geist zu lernen als auch von Menschen, die weniger kompetent, erfahren oder gebildet scheinen, die vielleicht keine wichtige Position innehaben oder die anderweitig den Eindruck machen, dass sie nicht viel beizusteuern haben. Denken Sie an Naaman, den Feldherrn des Königs in Syrien, der seinen Stolz überwand und den Rat seiner Diener sanftmütig annahm, dem Propheten Elischa zu gehorchen und sich siebenmal im Jordan zu waschen. Sanftmut ist der wichtigste Schutz vor stolzer Blindheit, die oft durch Bekanntheitsgrad, Position, Macht, Reichtum oder Glorifizierung hervorgerufen wird.
Sanftmut – eine christliche Eigenschaft und eine geistige Gabe
Sanftmut ist eine Eigenschaft, die sich aus einem Wunsch entwickelt, aus rechtschaffener Wahrnehmung der sittlichen Selbständigkeit und aus dem Streben, stets Vergebung für seine Sünden zu erlangen. Sie ist auch eine geistige Gabe, nach der zu trachten durchaus angebracht ist. Wir müssen jedoch bedenken, zu welchem Zweck so eine Segnung gegeben wird, nämlich zum Nutzen und Wohle der Kinder Gottes.
Wenn wir zum Erretter kommen und ihm nachfolgen, wächst unsere Fähigkeit, mehr so wie er zu werden, in zunehmendem Maße und Schritt für Schritt. Der Geist versieht uns mit disziplinierter Selbstbeherrschung und einem ruhigen, gemäßigten Verhalten. Sanftmütig ist also etwas, was wir als Jünger des Meisters werden, und nicht einfach eine Art, sich zu verhalten.
„Mose wurde in aller Weisheit der Ägypter ausgebildet und er war mächtig in Wort und Tat.“ Und doch war er „ein sehr sanftmütiger Mann, sanftmütiger als alle Menschen auf Erden“. Sein Wissen und seine Fähigkeiten hätten ihn dazu veranlassen können, stolz zu sein. Stattdessen hat die Eigenschaft und geistige Gabe Sanftmut, mit der Mose gesegnet wurde, die Überheblichkeit in seinem Leben gedämpft und ihn zu einem noch mächtigeren Werkzeug werden lassen, das Gottes Absichten erfüllen sollte.
Der Herr als ein Beispiel an Sanftmut
Die erhabensten und bedeutungsvollsten Beispiele an Sanftmut finden sich im Leben des Heilands selbst.
Der große Erlöser, der „hinabgefahren ist unter alles“ und gelitten hat, geblutet hat und gestorben ist, um uns „von allem Unrecht“ zu reinigen, wusch seinen Jüngern liebevoll die staubigen Füße. Solche Sanftmut ist ein prägendes Merkmal des Herrn als Diener und Führer.
Jesus bot ein vollkommenes Beispiel an rechtschaffenem Handeln und bereitwilliger Unterordnung, als er in Getsemani schreckliche Qualen litt.
„Als er dort war, sagte er zu [seinen Jüngern]: Betet, dass ihr nicht in Versuchung geratet!
[Und er] kniete nieder und betete:
Vater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen.“
Die Sanftmut des Erretters bei dieser für die Ewigkeit bedeutenden, kaum auszuhaltenden Erfahrung zeigt uns allen, wie wichtig es ist, Gottes Weisheit über unsere eigene Weisheit zu stellen.
Die Beständigkeit, mit welcher der Herr sich bereitwillig unterordnet, sowie seine starke Selbstbeherrschung sind beeindruckend und lehrreich für uns alle. Als ein bewaffneter Trupp Tempelwächter und römischer Soldaten nach Getsemani kam, um Jesus zu ergreifen und zu verhaften, zog Petrus sein Schwert und schlug damit dem Diener des Hohepriesters das rechte Ohr ab. Der Erretter berührte daraufhin das Ohr des Dieners und heilte ihn. Bitte beachten Sie, dass er mit derselben himmlischen Macht, die ihn vor der Gefangennahme und Kreuzigung hätte bewahren können, die Hand ausstreckte, um einen seiner Häscher zu segnen.
Denken Sie auch darüber nach, wie der Herr vor Pilatus angeklagt und zum Tod am Kreuz verurteilt wurde. Jesus hatte während des Verrats an ihm erklärt: „Glaubst du nicht, mein Vater würde mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel schicken, wenn ich ihn darum bitte?“ Dennoch wurde der ewige Richter „der Lebenden und der Toten“ paradoxerweise von einem Staatsbeamten mit vorübergehender Zuständigkeit verurteilt. „[Jesus] aber antwortete ihm auf keine einzige Frage, sodass der Statthalter sehr verwundert war.“ Die Sanftmut des Erretters zeigt sich in seinem disziplinierten Handeln, seiner starken Beherrschung und seiner Weigerung, seine unendliche Macht zu seinem eigenen Vorteil einzusetzen.
Verheißung und Zeugnis
Mormon beschreibt Sanftmut als die Grundlage, auf der sämtliche geistigen Fähigkeiten und Gaben aufbauen.
„Darum, wenn der Mensch Glauben hat, muss er notwendigerweise Hoffnung haben; denn ohne Glauben kann es gar keine Hoffnung geben.
Und weiter, siehe, ich sage euch: Er kann nicht Glauben und Hoffnung haben, wenn er nicht sanftmütig und von Herzen demütig ist.
Denn sonst ist sein Glaube und seine Hoffnung unnütz, denn niemand ist vor Gott annehmbar als nur die Sanftmütigen und die von Herzen Demütigen; und wenn ein Mensch sanftmütig und von Herzen demütig ist und durch die Macht des Heiligen Geistes bekennt, dass Jesus der Christus ist, muss er notwendigerweise Nächstenliebe haben; denn wenn er keine Nächstenliebe hat, ist er nichts; darum muss er notwendigerweise Nächstenliebe haben.“
Der Erretter hat erklärt: „Selig die Sanftmütigen; denn sie werden das Land erben.“ Sanftmut ist ein grundlegender Aspekt des göttlichen Wesens, den wir dank des Sühnopfers und durch das Sühnopfer des Erretters in unserem Leben empfangen und entwickeln können.
Ich bezeuge, dass Jesus Christus unser Erlöser ist, der auferstanden ist und lebt. Ich verheiße, dass er uns führt, schützt und stärkt, wenn wir in der Sanftmut seines Geistes wandeln. Für diese Wahrheiten und Verheißungen lege ich ein unumstößliches Zeugnis ab im heiligen Namen des Herrn Jesus Christus. Amen.