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37 Wir wollen sie prüfen


„Wir wollen sie prüfen“, Kapitel 37 von: Heilige: Die Geschichte der Kirche Jesu Christi in den Letzten Tagen, Band 1, Das Banner der Wahrheit, 1815–1846, 2018

Kapitel 37: „Wir wollen sie prüfen“

Kapitel 37

Wandgemälde und Topfpflanzen

Wir wollen sie prüfen

Am 5. Januar 1842 eröffnete Joseph in Nauvoo einen Laden und begrüßte freundlich seine vielen Kunden. „Ich bediene die Heiligen gern und freue mich, allen ein Diener zu sein“, schrieb er einem Freund in einem Brief, „in der Hoffnung, zu der vom Herrn bestimmten Zeit erhöht werden zu können.“1

Die Lehre von der Erhöhung lastete schwer auf Josephs Gemüt.2 Im Februar wandte er seine Aufmerksamkeit wieder den ägyptischen Schriftrollen, die er in Kirtland erworben hatte, und der noch unvollendeten Übersetzung der Schriften Abrahams zu.3 In der neuen heiligen Schrift war zu lesen, dass Gott seine Kinder auf die Erde gesandt hatte, um sie auf die Probe zu stellen – ob sie dem Glauben treu blieben und bereit waren, seine Gebote zu befolgen.

„Wir wollen sie hierdurch prüfen“, hatte der Erretter vor der Erschaffung der Erde verkündet, „und sehen, ob sie alles tun werden, was auch immer der Herr, ihr Gott, ihnen gebietet.“ Wer seine Gebote befolgte, sollte erhöht werden und größere Freude empfangen. Wer sich dafür entschied, Gott nicht zu gehorchen, würde dieser ewigen Segnungen verlustig gehen.4

Joseph wollte den Heiligen helfen, diese Wahrheiten zu erkennen, damit sie sich auf die Erhöhung hin weiterentwickeln und in Gottes Gegenwart eingehen konnten. In Kirtland hatte die Ausrüstung mit Macht aus der Höhe viele Männer für die Unbilden einer Mission gestärkt. Aber Gott hatte verheißen, die Heiligen im Tempel in Nauvoo mit noch größerer geistiger Macht auszurüsten. Der Herr wollte glaubenstreuen Männern und Frauen in der Kirche weitere Verordnungen und weitere Erkenntnis offenbaren und sie dadurch zu Königen und Königinnen und Priestern und Priesterinnen machen, wie Johannes der Offenbarer es im Neuen Testament prophezeit hatte.5

Joseph forderte die Zwölf und andere getreue Freunde auf, dem Herrn zu gehorchen, als er sie darauf vorbereitete, dieses Endowment – die Ausrüstung mit göttlicher Macht – zu empfangen. Auch brachte er einigen weiteren Heiligen den Grundsatz der Mehrehe näher und gab Zeugnis für dessen göttlichen Ursprung. Im Sommer des Vorjahrs, weniger als eine Woche nachdem die aus England zurückgekehrten Apostel in Nauvoo angekommen waren, hatte er den Grundsatz einigen von ihnen erklärt und sie angewiesen, ihn als ein Gebot des Herrn zu befolgen.6 Zwar war die Mehrehe keine Voraussetzung für die Erhöhung oder die Ausrüstung mit größerer geistiger Macht, doch Gehorsam gegenüber dem Herrn und die Bereitschaft, ihm das eigene Leben zu weihen, waren es sehr wohl.

Wie zuvor Joseph, sträubten sich die Apostel anfangs gegen den neuen Grundsatz. Brigham quälte sich derart mit der Entscheidung, eine weitere Frau zu heiraten, dass er einen frühen Tod herbeisehnte. Heber Kimball, John Taylor und Wilford Woodruff wollten die Befolgung des Grundsatzes so lange wie möglich hinauszögern.7

In Befolgung des Gebots des Herrn war Joseph nach seiner Eheschließung mit Louisa Beaman bereits auch an weitere Frauen gesiegelt worden. Wenn er einer Frau die Lehre von der Mehrehe erklärte, forderte er sie auf, sich um eine eigene geistige Bestätigung zu bemühen, dass es recht war, sich an ihn siegeln zu lassen. Nicht jede Frau folgte seiner Aufforderung, aber einige schon.8

In Nauvoo schlossen einige Heilige eine Mehrehe für Zeit und Ewigkeit, was bedeutete, dass ihre Siegelung in diesem und im nächsten Leben Bestand haben würde. Wie bei einer monogamen Ehe konnten zu einer solchen Ehe eine sexuelle Beziehung und gemeinsame Kinder gehören. Andere Mehrehen wurden nur für die Ewigkeit geschlossen und die Beteiligten waren sich darüber im Klaren, dass ihre Siegelung im nächsten Leben in Kraft treten würde.9

In manchen Fällen konnte eine Frau, die – nur für dieses Leben – mit einem Mann verheiratet war, der der Kirche feindlich gesinnt war, oder mit einem Mann, der kein Mitglied der Kirche war, oder sogar mit einem Mann, der ein Mitglied der Kirche in gutem Stand war, an einen anderen Mann für die Ewigkeit gesiegelt werden. Nach der Siegelungszeremonie lebte die Frau weiterhin mit ihrem derzeitigen Ehemann zusammen, erwartete jedoch die Segnungen einer ewigen Ehe und der Erhöhung im künftigen Leben.10

Joseph schlug Anfang 1842 Mary Lightner eine solche Siegelung vor. Marys Mann Adam war kein Mitglied der Kirche. Bei dem Gespräch sagte Joseph Mary, dass der Herr ihnen geboten hatte, sich für das nächste Leben aneinander siegeln zu lassen.11

„Wenn Gott dir das kundgetan hat“, fragte Mary, „warum sagt er es dann nicht auch mir?“

„Bete ernsthaft“, entgegnete Joseph, „denn der Engel hat mir gesagt, dass du ein Zeugnis haben sollst.“12


Josephs Aufforderung beunruhigte Mary. Als er mit ihr über die Mehrehe gesprochen hatte, hatte Joseph die immerwährenden Segnungen des ewigen Ehebunds beschrieben.13 Als Mary Adam geheiratet hatte, hatten sie sich ihr Versprechen nur für dieses Leben gegeben. Nun verstand sie, dass sie mit ihm keine ewigen Bündnisse schließen konnte, wenn er nicht zunächst einverstanden war, sich mit der richtigen Vollmacht taufen zu lassen.14

Mary sprach mit Adam über die Taufe und flehte ihn an, sich der Kirche anzuschließen. Adam erwiderte, dass er Joseph zwar respektierte, er aber nicht an das wiederhergestellte Evangelium glaubte und sich nicht taufen lassen werde.15

Weil sie sich nach den Segnungen der ewigen Ehe sehnte, aber wusste, dass sie sie mit Adam nicht erlangen konnte, fragte Mary sich, was sie tun sollte. Sie war voller Zweifel. Schließlich betete sie darum, der Herr möge einen Engel senden, um ihr zu bestätigen, dass Josephs Aufforderung recht war.16

Eines Nachts – Mary befand sich im Haus ihrer Tante – sah sie im Zimmer ein Licht erscheinen. Sie setzte sich im Bett auf und war ganz erschrocken, einen Engel zu sehen. Er war in weiß gekleidet und stand neben ihr. Das Gesicht des Engels war hell und wunderschön, und seine Augen schienen sie wie Blitze zu durchdringen.

Voller Angst warf sie sich die Decke über den Kopf, und der Engel verschwand.

Am Sonntag darauf fragte Joseph Mary, ob sie eine Antwort erhalten habe.

„Ich habe kein Zeugnis bekommen, aber ich habe etwas gesehen, was ich noch nie zuvor gesehen habe“, erklärte Mary. „Ich habe einen Engel gesehen und bin fast zu Tode erschrocken. Ich habe kein Wort gesagt.“

„Das war ein Engel des lebendigen Gottes“, entgegnete Joseph. „Wenn du treu bist, wirst du noch Größeres als das sehen.“17

Mary hörte nicht auf zu beten. Sie hatte einen Engel gesehen, was ihren Glauben an Josephs Worte stärkte. Und sie empfing im Laufe der darauffolgenden Tage noch weitere geistige Zeugnisse, die sie weder leugnen noch beiseiteschieben konnte. Adam sollte in diesem Leben auch weiterhin ihr Ehemann sein, aber sie wollte sicherstellen, dass sie im künftigen Leben alle Segnungen empfing, die ihr offenstanden.18

Bald darauf nahm sie Josephs Antrag an, und Brigham Young siegelte sie für das nächste Leben aneinander.19


Auf Josephs Anweisung hin veröffentlichten John Taylor und Wilford Woodruff Josephs Übersetzung des Buches Abraham. Sie begannen damit in den im März 1842 erscheinenden Ausgaben der Zeitung Times and Seasons. Als die Heiligen den Bericht lasen, waren sie begeistert, darin neue Wahrheiten in Hinblick auf die Erschaffung der Welt, den Zweck des Lebens und die ewige Bestimmung der Kinder Gottes zu entdecken. Sie erfuhren, dass Abraham einen Urim und Tummim besessen und mit dem Herrn von Angesicht zu Angesicht gesprochen hatte. Sie lasen, dass die Erde und alles darinnen aus bereits vorhandener Materie gestaltet worden war, um die Erhöhung der Geistkinder des Vaters zuwege zu bringen.20

Das Buch Abraham enthielt wahrhaft Lehren, die die Seele erweiterten. Trotz all der freudigen Aufregung über die Veröffentlichung des Buches arbeiteten die Heiligen weiter unter großen Opfern daran, ihre neue Stadt zu erbauen und den Tempel zu errichten.

Mittlerweile gab es in Nauvoo mehr als tausend Blockhütten, und viele Holzrahmenhäuser und stabile Backsteinhäuser waren bereits fertig oder befanden sich im Bau.21 Um die Stadt klarer zu strukturieren, hatte Joseph sie in vier Einheiten unterteilt, die Gemeinden genannt wurden, und Bischöfe bestimmt, die über diese Gemeinden präsidierten. Von jeder Gemeinde wurde erwartet, beim Bau des Tempels mitzuhelfen. An jedem zehnten Tag wurden Arbeiter entsandt, die am Haus des Herrn arbeiteten.22

Die unverheiratete Margaret Cook, die als Näherin in Nauvoo für sich selbst sorgte, beobachtete, wie die Arbeit am Tempel voranschritt. Sie hatte für Sarah Kimball gearbeitet, eine der ersten Bekehrten der Kirche. Sarah hatten einen erfolgreichen Kaufmann geheiratet, der kein Heiliger der Letzten Tage war.

Während Margaret arbeitete, unterhielten sie und Sarah sich manchmal über die Mühen, die der Bau des Tempels mit sich brachte. Die Mauern waren immer noch nur wenige Meter hoch, doch Handwerker hatten im Untergeschoss des Tempels bereits einen provisorischen Raum gebaut und dort ein großes Becken für die Taufe für Verstorbene aufgestellt. Das Becken war oval und bestand aus fachmännisch geformten Kiefernplatten. Es ruhte auf dem Rücken von zwölf handgeschnitzten Rindern und war mit feinen Mustern verziert. Sobald das Becken geweiht worden war, hatten die Heiligen wieder angefangen, Taufen für Verstorbene zu vollziehen.23

Margaret wollte unbedingt selbst etwas zum Bau des Tempels beitragen und bemerkte, dass viele Arbeiter keine geeigneten Schuhe, Hosen und Hemden hatten. Sie schlug Sarah vor, dass sie gemeinsam dafür sorgen könnten, dass die Arbeiter neue Hemden bekamen. Sarah entgegnete, dass sie das Material für die Hemden bereitstellen könne, wenn Margaret die Näharbeit übernahm. Auch wollten sie die Unterstützung weiterer Frauen in Nauvoo gewinnen und eine Vereinigung gründen, um die Arbeit zu regeln.24

Wenig später lud Sarah etwa ein Dutzend Frauen in ihr Haus ein, um über die neue Vereinigung zu sprechen. Sie baten Eliza Snow, die für ihre literarische Begabung bekannt war, eine Satzung zu entwerfen. Eliza machte sich sofort an die Arbeit, und als sie mit dem Dokument fertig war, zeigte sie es dem Propheten.

Joseph sagte, es sei die beste Satzung dieser Art. „Aber das hier ist nicht das, was ihr wollt“, fuhr er fort. „Sag den Schwestern, dass ihr Opfer vom Herrn angenommen worden ist und dass er etwas Besseres für sie hat.“ Er bat die Vereinigung, sich mit ihm einige Tage später in seinem Laden zu treffen.

„Ich werde die Frauen unter dem Priestertum nach dem Muster des Priestertums organisieren“, verkündete er.25 „Ich habe jetzt den Schlüssel, mit dem ich das bewerkstelligen kann.“26


Am darauffolgenden Donnerstag, dem 17. März 1842, ging Emma die Stufen zu dem großen Raum über Josephs Laden hinauf. Neunzehn weitere Frauen, darunter Margaret Cook, Sarah Kimball und Eliza Snow, waren gekommen, um die neue Vereinigung zu gründen. Joseph war ebenfalls zugegen, zusammen mit Willard Richards, der nach seiner Rückkehr aus England angefangen hatte, als Josephs Schreiber zu arbeiten, und John Taylor.27

Die jüngste Anwesende war die fünfzehnjährige Sophia Marks. Die älteste, Sarah Cleveland, war vierundfünfzig. Die meisten der Frauen waren etwa in Emmas Alter. Bis auf Leonora Taylor, eine gebürtige Engländerin, kamen alle Frauen aus dem Osten der Vereinigten Staaten und waren mit den Heiligen in Richtung Westen gezogen. Einige wenige von ihnen, wie etwa Sarah Kimball and Sarah Cleveland, waren wohlhabend, andere hingegen besaßen kaum mehr als das Kleid, das sie trugen.

Die Frauen kannten einander gut. Philinda Merrick und Desdemona Fullmer hatten das Massaker in Hawn’s Mill überlebt. Athalia Robinson und Nancy Rigdon waren Schwestern. Emma Smith und Bathsheba Smith sowie Eliza Snow and Sophia Packard waren jeweils angeheiratete Cousinen. Sarah Cleveland und Ann Whitney hatten Emma beide schon in schwierigen Zeiten geholfen. Sie hatten sie und ihre Familie in ihrem Haus aufgenommen, als sie nirgendwo sonst hingehen konnten. Elvira Cowles wohnte in Emmas Haus zur Untermiete und half beim Umsorgen ihrer Kinder.28

Emma gefiel der Gedanke, in Nauvoo eine Vereinigung für Frauen zu gründen. Vor nicht allzu langer Zeit waren Joseph und weitere Männer aus der Stadt einer jahrhundertealten Bruderschaft und Vereinigung beigetreten, der Freimaurerei. Dem war vorausgegangen, dass langjährige Freimaurer wie Hyrum Smith und John Bennett dabei geholfen hatten, in der Stadt eine Freimaurerloge zu gründen. Aber die Vereinigung der Frauen in Nauvoo sollte von anderer Art sein.29

Nachdem alle gemeinsam das Lied „Der Geist aus den Höhen“ gesungen hatten und John Taylor das Anfangsgebet gesprochen hatte, erhob sich Joseph und erklärte den Zweck der neuen Vereinigung. Die Frauen sollten darin bestärkt werden, die Bedürftigen ausfindig zu machen und sich ihrer anzunehmen, diejenigen, die sich im Irrtum befanden, auf rechtschaffene Weise auf den rechten Weg zu führen und die Gemeinschaft zu stärken. Dann forderte er die Frauen auf, eine Präsidentin zu wählen, die dann zwei Ratgeberinnen auswählen sollte – genau wie bei den Priestertumskollegien. Zum ersten Mal wurden Frauen offiziell Vollmacht und Aufgaben in der Kirche übertragen.30

Emmas Freundin Ann Whitney schlug Emma als Präsidentin vor, und die Frauen im Raum stimmten dem Vorschlag einstimmig zu. Daraufhin ernannte Emma Sarah Cleveland und Ann zu ihren Ratgeberinnen.

Joseph las die Offenbarung vor, die er 1830 für Emma empfangen hatte, und merkte an, dass sie damals dazu ordiniert und eingesetzt worden war, Schriften zu erläutern und die Frauen der Kirche zu unterweisen. Der Herr hatte sie als eine „auserwählte Frau“ bezeichnet, erklärte Joseph, weil sie dazu ausersehen war, zu präsidieren.

John Taylor ordinierte dann Sarah und Ann als Emmas Ratgeberinnen, bestätigte Emma in ihrer neuen Berufung und segnete sie mit der Kraft, die sie benötigte. Nachdem Joseph ihr weitere Anweisungen gegeben hatte, übertrug er ihr die Leitung der Versammlung, und John schlug vor, dass sie den Namen der Vereinigung festlegten.

Emmas Ratgeberinnen machten den Vorschlag, sie die Nauvooer Frauenhilfsvereinigung zu nennen, doch John schlug vor, ihr stattdessen den Namen Nauvooer Frauenwohltätigkeitsvereinigung zu geben, was dem Namen anderer Frauenvereinigungen im ganzen Land entsprach.31

Emma sagte, dass sie den Begriff „Hilfe“ dem Begriff „Wohltätigkeit“ vorzog, Eliza Snow gab aber zu bedenken, ob man bei dem Namen „Hilfsvereinigung“ nicht eher an einen Einsatz bei einem schweren Unglück denke. Sollte sich ihre Vereinigung nicht mehr auf die Probleme des täglichen Lebens konzentrieren?

„Wir werden Außergewöhnliches leisten“, beharrte Emma. „Wenn ein Boot in den Stromschnellen feststeckt, mit einer Schar Mormonen an Bord, so ist das für uns ein lauter Hilferuf. Wir erwarten außergewöhnliche Ereignisse und dringende Hilferufe.“

Die Anwesenden im Raum dachten still über ihre Worte nach. „Ich muss in dieser Sache nachgeben“, sagte John. „Solch überzeugenden Argumenten habe ich nichts entgegenzusetzen.“

Eliza achtete immer darauf, dass etwas wohlgefällig klang, und sprach sich daher für eine kleine Änderung im Namenaus. Anstatt „die Nauvooer Frauenhilfsvereinigung“ schlug sie „die Frauenhilfsvereinigung von Nauvoo“ vor. Die Frauen waren alle einverstanden.

„Jedes Mitglied soll eifrig darauf bedacht sein, Gutes zu tun“, forderte Emma sie auf. Die wichtigste Triebfeder der Vereinigung sollte die Nächstenliebe sein. Wie Paulus im Neuen Testament verkündet hatte, nützten ihnen gute Werke nichts, wenn ihr Herz nicht voller Nächstenliebe war.32


Joseph kam im Frühjahr oft mit der Frauenhilfsvereinigung zusammen. Die Organisation wurde rasch immer größer. Sowohl langjährige Mitglieder der Kirche als auch neugetaufte Einwanderinnen kamen hinzu. Bei ihrer dritten Versammlung hatten die Frauen in Josephs Laden kaum genug Platz für alle, die teilnehmen wollten. Joseph wollte, dass die Frauenhilfsvereinigung ihre Mitglieder auf das Endowment im Tempel, die Ausrüstung mit geistiger Macht, vorbereitete. Er erklärte den Frauen, dass sie eine erlesene Vereinigung sein mussten, die sich vom Bösen fernhielt und in Übereinstimmung mit dem Muster des Priestertums aus alter Zeit vorging.33

Unterdessen bereiteten Joseph Berichte Sorgen, denen zufolge einige Männer in Nauvoo sexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe unterhielten und behaupteten, ein solches Verhalten sei erlaubt, solange man diese Beziehungen geheim hielt. Die Verführungen, durch die die Lehren des Herrn über die Keuschheit verdreht wurden, gingen von Männern aus, denen die Gebote des Herrn gleichgültig waren. Wenn diesen Männern nicht Einhalt geboten wurde, konnten sie für die Heiligen zu einem ernsthaften Problem werden.

Am 31. März bat Joseph Emma, in der Frauenhilfsvereinigung ein Schreiben zu verlesen, in dem den Schwestern mitgeteilt wurde, dass Bevollmächtigte der Kirche solche Verhaltensweisen nie gutgeheißen hatten. „Wir wollen ihnen Einhalt gebieten“, hieß es in dem Schreiben, „denn wir möchten die Gebote Gottes in allem halten.“34

Vor allem wollte Joseph, dass die Heiligen der Segnungen der Erhöhung würdig waren. „Wenn ihr dorthin gelangen wollt, wo Gott ist, müsst ihr auch sein wie Gott oder die Grundsätze befolgen, die Gott befolgt“, verkündete er den Heiligen im selben Frühjahr. „Wenn wir uns Gott entfremden, fahren wir hinab zum Teufel und verlieren unsere Erkenntnis, und ohne Erkenntnis können wir nicht errettet werden.“35

Er vertraute darauf, dass die Präsidentschaft der Frauenhilfsvereinigung die Frauen der Kirche führte und ihnen half, solche Erkenntnis und Rechtschaffenheit in sich zu entwickeln.

„Diese Vereinigung wird Weisung nach der Ordnung erhalten, die Gott eingerichtet hat – durch diejenigen, die dazu bestimmt sind, zu führen“, verkündete er. „Jetzt übergebe ich euch im Namen Gottes den Schlüssel, und diese Vereinigung soll sich freuen, und Erkenntnis und Intelligenz sollen von nun an herabfließen.“36


Als Brigham Young, Heber Kimball und Willard Richards am 4. Mai 1842 den Raum über Josephs Laden betraten, sahen sie, dass er neu gestaltet worden war. Ein Wandgemälde, erst vor kurzem angebracht, zierte eine der Wände. Davor standen kleine Bäume und Pflanzen, die einen Garten andeuteten. Ein anderer Teil des Raums war durch einen Teppich abgetrennt, der wie ein Vorhang aufgehängt worden war.37

Joseph hatte die drei Apostel gebeten, an diesem Morgen in den Laden zu kommen, um an einer besonderen Versammlung teilzunehmen. Er hatte auch seinen Bruder Hyrum und William Law eingeladen. Beide waren Mitglieder der Ersten Präsidentschaft und gehörten zu seinen engsten Beratern. Ebenfalls anwesend waren die Bischöfe Newel Whitney und George Miller sowie William Marks, Pfahlpräsident von Nauvoo, und James Adams, ein Führer der Kirche.38

Über den restlichen Nachmittag hinweg machte der Prophet die Männer mit einer heiligen Handlung vertraut. Zum Teil bestand sie aus Waschungen und Salbungen. Diese ähnelten den heiligen Handlungen, die im Kirtland-Tempel und in alter Zeit im Offenbarungszelt der Hebräer vollzogen worden waren. Den Männern wurde ein heiliges Untergewand gegeben, das ihren Körper bedeckte und sie an ihre Bündnisse erinnerte.39

Durch die neue heilige Handlung, die Gott Joseph offenbart hatte, wurden erhöhende Wahrheiten gelehrt. Auf der Grundlage von Schilderungen der Schöpfung und des Gartens von Eden in den heiligen Schriften, darunter auch der neue Bericht aus der Übersetzung der Schriften Abrahams, wurden die Männer Schritt für Schritt durch den Erlösungsplan geführt. Wie Abraham und andere Propheten aus alter Zeit empfingen sie Erkenntnis, die es ihnen ermöglichte, in die Gegenwart Gottes zurückzukehren.40 Im Verlauf der heiligen Handlung gingen die Männer Bündnisse ein: Sie verpflichteten sich, ein rechtschaffenes, keusches Leben zu führen, und stellten sich voll und ganz in den Dienst des Herrn.41

Joseph nannte die heilige Handlung das Endowment und vertraute darauf, dass die Männer die besondere Erkenntnis, die sie an diesem Tag erlangt hatten, nicht preisgeben würden. Wie die Ausrüstung mit Macht in Kirtland war diese Verordnung heilig und für geistig gesinnte Menschen vorgesehen. Sie war jedoch mehr als eine Ausgießung geistiger Gaben und göttlicher Macht auf die Ältesten der Kirche. Sobald der Tempel vollendet war, sollten Männer und Frauen diese heilige Handlung empfangen können, ihre Bündnisbeziehung mit Gott stärken und dadurch, dass sie ihr Leben dem Reich Gottes weihten, mehr Macht und Schutz erlangen.42

Als die Zeremonie zu Ende war, gab Joseph Brigham einige Anweisungen. „Es ist nicht richtig angeordnet“, sagte er zu dem Apostel, „aber wir haben unter den gegebenen Umständen unser Bestes gegeben, und ich möchte, dass du diese Angelegenheit in die Hand nimmst und diese Zeremonien strukturierst und systematisierst.“43

Als sie an diesem Tag den Laden verließen, waren die Männer voll ehrfürchtigem Staunen über die Wahrheiten, die sie durch das Endowment erfahren hatten. Einige Teile der heiligen Handlung erinnerten Heber Kimball an Zeremonien der Freimaurer. Bei deren Versammlungen spielten Männer eine sinnbildliche Geschichte über den Architekten des Tempels Salomos nach. Die Freimaurer erfuhren Gesten und Wörter, zu deren Geheimhaltung sie sich verpflichteten. All das symbolisierte, dass sie eine solide Grundlage schafften und dann nach und nach Licht und Erkenntnis hinzufügten.44

Das Endowment war jedoch eine heilige Handlung des Priestertums, die für Männer und Frauen vorgesehen war, und man erfuhr durch sie heilige Wahrheiten, die nicht Teil der Freimaurerei waren. Heber war es sehr wichtig, dass auch andere diese Wahrheiten kennenlernten.

„Wir haben durch den Propheten einiges Kostbare über das Priestertum empfangen, was eurer Seele Grund zur Freude geben würde“, schrieb Heber an Parley und Mary Ann Pratt, die sich in England aufhielten. „Ich kann es euch nicht schriftlich zukommen lassen, denn es darf nicht niedergeschrieben werden. Daher müsst ihr herkommen und es selbst erlangen.“45