2003
Nicht ich habe Gott gefunden – Gott hat mich gefunden
Juli 2003


Nicht ich habe Gott gefunden – Gott hat mich gefunden

1975 waren meine Frau Sabine und ich jung verheiratet und hatten einen 16 Monate alten Sohn. Wir wohnten in Celle, das damals zur Mission Hamburg gehörte.

Wahrscheinlich hätten die Missionare unser Haus, das hinter einer Tankstelle und einer Autoreparaturwerkstatt versteckt lag, gar nicht gefunden. Aber sie fanden mich – als ich eines sonnigen Junitages auf dem Bahnhof auf einer Bank saß. Wahrscheinlich rauchte ich da gerade eine Zigarette.

Die beiden jungen Amerikaner stellten sich als Repräsentanten einer Kirche vor. Ich weiß nicht mehr, worüber wir sprachen, aber es muss mich interessiert haben, denn ich erklärte mich mit einem Besuch am nächsten Tag bei uns zu Hause einverstanden.

Sie kamen pünktlich und fingen an, Grundsätze mit uns zu besprechen, an die die meisten Menschen glauben. Sowohl Sabine als auch ich standen ihnen positiv gegenüber. Wir unterhielten uns gerne mit ihnen. Doch dann kam die Sprache auf Gott. Ich erklärte ihnen, dass ich weder an Gott noch an Jesus Christus glaubte. Das schien die Missionare traurig zu stimmen. Als sie gingen, gaben sie uns eine Broschüre, in der es um das Erscheinen Jesu Christi in Amerika ging.

Wir machten keinen neuen Termin aus, lasen aber die Broschüre aufmerksam durch. Irgendwie hatten wir das Gefühl, diese beiden Amerikaner seien verrückt. Christus in Amerika! Wer hatte so etwas schon einmal gehört?

Eines Sonntags im September befanden wir uns in der Nähe des Hauses einiger Freunde, die wir schon mehrere Monate nicht mehr gesehen hatten. Wir beschlossen, sie einfach zu besuchen. Sie machten sich gerade fertig, um in ihre neue Kirche zu gehen, von der sie ganz begeistert waren. Ganz spontan entschlossen wir uns, sie zu begleiten. Auch wir fanden die Atmosphäre im Zweig ansprechend, und alles, was wir hörten, kam uns interessant und glaubwürdig vor. Am darauf folgenden Sonntag wollten wir unbedingt wieder hingehen.

Schon bald erfuhren wir von den Vollzeitmissionaren und den Mitgliedermissionaren alles über die Kirche. Bruder Horst Klappert unterrichtete eine Klasse für Untersucher. Mit Horst und seiner Frau Rotraud hatten wir viel gemeinsam. Wir wurden gute Freunde. Schon bald luden uns die Mitglieder zu allen möglichen Veranstaltungen ein. Wir genossen so manch schönen Abend, der ganz anders war als alles, was wir gewohnt waren.

Einer der Vollzeitmissionare hieß Max Fisher. Als wir die zweite oder dritte Lektion durchgenommen hatten, bat mich Elder Fisher – mich, Jochen Beisert, der nicht an Gott glaubte – ein Gebet zu sprechen. In diesem Augenblick fiel mir ein Ereignis ein, das schon über zehn Jahre zurücklag.

Ich hatte damals in einem großen Wohnblock in Osnabrück gewohnt, wo fast niemand den anderen kannte. Meine Wohnung lag der Wohnung einer älteren Frau namens Köhler gegenüber. Eines Tages fragte sie mich, ob ich ihr einen Faden in die Nadel fädeln könne. Dazu war ich gerne bereit. Im Laufe der nächsten Monate besuchte ich sie ein-, zweimal in der Woche, um ihr behilflich zu sein oder mich einfach nur mit ihr zu unterhalten. Wahrscheinlich war ich seit vielen Monaten der erste Mensch, der mit ihr sprach.

Kurz bevor ich in einen anderen Stadtteil zog, lud Frau Köhler mich zu sich ein und dankte mir dafür, dass ich ihr den Faden in die Nadel gefädelt und ihr noch in vielerlei anderer Hinsicht geholfen hatte. Dann bat sie mich, in ihrem Lieblingsstuhl Platz zu nehmen. Sie öffnete eine Schublade, nahm ein altes Gesangbuch heraus und sang mit zitternder Stimme drei Strophen des Liedes „Großer Gott, wir loben dich“.

Ich war gerührt. In jenem Augenblick wusste ich ganz sicher, dass es einen Gott gibt, dass er mein Vater ist und dass ich ihm am Herzen liege. Dieses Erlebnis stimmte mich demütig. Ich versprach Frau Köhler, sie so oft wie möglich zu besuchen.

Fünf Wochen später stand ich wieder vor dem Wohnblock und klingelte. Eine mir unbekannte Stimme erklärte mir über die Sprechanlage, dass Frau Köhler zwei Wochen zuvor gestorben sei. Das tat mir sehr Leid.

Im Laufe der Jahre hatte ich dieses Erlebnis über der Hektik in meinem Leben und den vielen Prüfungen ganz vergessen. Doch als ich nun zu beten anfing, fiel mir alles wieder ein. Ich redete aufrichtig mit dem himmlischen Vater. Alle Anwesenden – unsere Freunde, die sich vor kurzem bekehrt hatten, und die Missionare – spürten den Geist und waren den Tränen nahe. Einige Wochen später, nämlich am 18. Oktober 1975, wurde ich von Elder Fisher getauft. Sabine wurde von einem unserer Mitgliedermissionare getauft.

Als ich ungefähr ein Jahr später meinen Patriarchalischen Segen empfing, sagte der Patriarch: „Der Herr möchte Sie wissen lassen, dass nicht Sie ihn gefunden haben. Er hat nach Ihnen Ausschau gehalten und Sie für einen weisen Zweck gefunden.“ Der Patriarch konnte gar nicht wissen, wie viel mir dieser Satz bedeutete.

Sabine und ich bekamen schließlich noch drei weitere Kinder, die alle in der Kirche aufwuchsen. Wie Frau Köhler, meine liebe alte Nachbarin, haben auch wir allen Grund zu singen: „Großer Gott, wir loben dich“. Ich bin dem Herrn so dankbar dafür, dass er mich und meine Familie zur Wahrheit geführt hat.

Jochen A. Beisert gehört zum Zweig Worms im Pfahl Mannheim.