Ausgesperrt
Mein Pfahl war ganz aufgeregt, dass die Weihung des Palmyra-New-York-Tempels in unserem Pfahlzentrum übertragen werden sollte. Die Mitglieder konnten den Tag kaum erwarten. Auch ich freute mich auf die Übertragung, aber aus irgendeinem Grund schob ich es immer wieder auf, mir eine Eintrittskarte zu besorgen.
Schließlich sprach ich an dem Tag, an dem die Weihung stattfinden sollte, doch mit einem Ratgeber in der Bischofschaft, um mir meine Karte zu holen. Er gab mir auch eine, die ich, ohne sie weiter anzuschauen, in meine Handtasche steckte. Während der Abendmahlsversammlung gab es Bekanntmachungen bezüglich der Weihung, aber weil ich meine Karte ja schon hatte, hörte ich nicht richtig zu.
Dann ging ich nach Hause und beschäftigte mich mit anderen Dingen. Ungefähr 15 Minuten vor Beginn der Weihung sagte ich mir, ich solle jetzt wohl besser gehen. Ich steckte ein weißes Taschentuch in meine Handtasche und meinte, nun sei ich bestens vorbereitet. Ich schaute sogar noch nach, ob ich meine Eintrittskarte auch wirklich hatte.
Meine Familie hatte sich schon vor mir auf den Weg gemacht, um sich gute Sitzplätze zu sichern. Sie hatten mir noch einmal dringend ans Herz gelegt, nicht mehr lange zu warten. Eigentlich hatte ich ja mit ihnen fahren wollen, aber da war ich noch nicht fertig gewesen. Also hatte ich mich entschlossen, selbst zu fahren.
Als ich auf den Parkplatz der Kirche fuhr, sah ich zu meinem Erstaunen, wie voll er war. Es standen zwar viele Autos dort, aber es war niemand zu sehen. Zuerst hatte ich schon Angst, ich sei zu spät, aber dann schaute ich auf die Uhr und sah, dass es noch fünf Minuten bis zum Beginn der Weihung waren.
Ich ging die Treppe zum Pfahlhaus hinauf und wollte die Tür öffnen. Sie war verschlossen. Ich war erstaunt, meinte aber, mich zu erinnern, dass irgendjemand gesagt hatte, die Besucher würden nur durch bestimmte Türen eingelassen. Weil ich aber nicht genau wusste, welche Türen das waren, wollte ich alle ausprobieren. Ich lief um das ganze Gebäude herum und versuchte, die einzelnen Türen zu öffnen, ja, rüttelte in meiner Not sogar vorsichtig daran. Aber keine öffnete sich.
Als ich auf die letzte Tür zulief, spürte ich, wie mein Herzschlag sich beschleunigte. Ich versuchte, diese Tür zu öffnen, aber sie war ebenfalls verschlossen. Ich schaute in das Foyer hinein. Es war leer. Die Türen zur Kapelle waren geschlossen. Traurig machte ich mir bewusst, dass alle schon drinnen waren. Nur ich stand allein draußen – und schaute von außen hinein.
Als ich niedergeschlagen zum Auto zurückging, wollte ich mich noch einmal vergewissern, wann der Weihungsgottesdienst begann. Ich suchte in meiner Tasche nach der Eintrittskarte. Da sah ich, dass die Zeit stimmte. Nun wurde ich wütend, weil man mich ausgesperrt hatte. Warum konnte ich nicht ins Gebäude gelangen? Nun verpasste ich ein historisches Ereignis!
Ich drehte die Karte herum und sah zu meinem Erstaunen, dass auf der Rückseite etwas geschrieben stand. Neugierig las ich. Da stand ganz deutlich zu lesen, dass man dreißig Minuten vor Beginn des Weihungsgottesdienstes da sein musste.
Warum hatte ich das nicht vorher gesehen? Ich hatte mir die Rückseite der Eintrittskarte überhaupt nicht angeschaut. Ich hatte sie vielmehr gleich in die Tasche gesteckt. Ich hatte mich noch nicht einmal auf die einfachste Art vorbereitet. Als ich im Auto saß – zu traurig, um mich überhaupt zu rühren – wurde mir bewusst, dass ich mich wie eine der fünf törichten Jungfrauen im Gleichnis von den zehn Jungfrauen verhalten hatte. Ich durfte nicht an der Hochzeit teilnehmen, denn ich hatte kein Öl in meiner Lampe. Die anderen aber waren mit dem Bräutigam auf der Hochzeitsgesellschaft.
Immer, wenn ich diese Geschichte in Matthäus 25 gelesen hatte, hatte ich mich gefragt, warum die fünf Frauen nur so töricht gewesen waren. Ich hatte immer gemeint, es sei doch nun wirklich nicht so schwer, genügend Öl zu kaufen. Ich wusste, dass das Öl und die Lampen ein Symbol für unser Zeugnis und die Führung durch den Heiligen Geist sind (siehe LuB 45:57). Ich hatte gemeint, mich auf den Besuch des Weihungsgottesdienstes vorbereitet zu haben, und nun saß ich draußen und konnte dem Propheten nicht zuhören.
Als ich so allein auf dem Parkplatz war, begriff ich, dass es nicht ausreicht, eine Eintrittskarte zu haben. Wir müssen mehr tun, als nur anwesend zu sein, wenn Christus kommt. Wir müssen uns auf jede erdenkliche Weise vorbereiten und unsere Lampen immer wieder auffüllen und nicht meinen, wir hätten genug Öl.
Als ich zurück nach Hause fuhr, brannten mir Tränen in den Augen. Es tat weh, allein zu sein und zu wissen, dass meine Angehörigen und Freunde im Gebäude waren und dort erbaut wurden und ich nicht zu ihnen gelangen konnte. Ich nahm mir fest vor, von nun an alles in meiner Macht Stehende zu tun, um immer ausreichend Öl zu haben. Ich möchte bei der fröhlichen Hochzeit dabei sein und nicht draußen vor der Tür stehen müssen, weil ich mich nicht vorbereitet habe.
Michele Tolley gehört zur Gemeinde El Cerrito im Pfahl Corona, Kalifornien.