Kolumbien – ein Beispiel für Stärke
Kriege. Kriegsgerüchte. Gewalt. Korruption. Angst. Diese Begriffe beschreiben Zustände auf der Welt, die jeden von uns in gewissem Maß betreffen.
Frieden. Sicherheit. Freiheit. Guter Wille. Diese Begriffe beschreiben Zustände, die möglich sind, selbst in den chaotischsten und unruhigsten Zeiten.
Die Mitglieder der Kirche in Kolumbien kennen beide Szenarien sehr gut und zeigen durch ihr Beispiel, dass das Evangelium Jesu Christi uns helfen kann, Frieden zu finden, wo immer wir auch leben, wie immer unsere Umstände auch aussehen. Die Mitglieder werden in materieller und geistiger Hinsicht unabhängig und tragen zur Heilung ihrer Nation bei.
Der „Krieg“ ist keine Entschuldigung
Seit Jahrzehnten hört man in den Nachrichten Sensationsgeschichten über kolumbianische Drogenkartelle, Guerillakriege, Entführungen und andere Gewaltverbrechen.
Aber viele Kolumbianer sehen das anders. „Welcher Krieg?“, erwidern sie, wenn man sie fragt, wie sie die Kämpfe ertragen. Sie sind traurig, dass ihr schönes Land nach den Taten einiger weniger beurteilt wird. Manche fühlen sich nicht mehr bedroht als Menschen, die anderswo leben.
Die Realität liegt irgendwo in der Mitte. Da die ländlichen Gebiete besonders gefährlich sind, ziehen viele Menschen in die Städte, die dadurch überfüllt werden. Arbeitslosigkeit entsteht. Bewaffnete Soldaten in den Straßen der Stadt sind ein gewohnter Anblick und strenge Sicherheitskontrollen etwas Alltägliches. Vereinzelt hat es schon Drohungen und Gewaltakte gegen die Kirche gegeben. Aber die meisten Zwischenfälle liegen Jahre zurück. In den meisten Fällen wurde niemand verletzt und der Schaden war nur gering. Die Mitglieder räumen wieder auf, reparieren das Gemeindehaus und leben weiter nach dem Evangelium. Das tun sie mit großem Optimismus.
„Es gibt einige Herausforderungen hier“, sagt Elder Claudio R. M. Costa von den Siebzigern, Präsident des Gebietes Südamerika Nord. „Aber die Mitglieder der Kirche in Kolumbien nehmen den Krieg nicht als Entschuldigung dafür, etwas nicht zu tun, was sie tun sollen. Sie übernehmen die Verantwortung für ihr Tun.“
Unabhängigkeit in materieller Hinsicht
„Eine der Herausforderungen liegt in der großen Armut vieler Mitglieder“, sagt Fabián Saavedra, Präsident des Pfahles Kénnedy Bogotá. Die Kirche in Kolumbien unternimmt große Anstrengungen, um den Mitgliedern zu helfen, in materieller Hinsicht unabhängig zu werden.
Förderung von Bildung. „Wir erleben ein großes Wunder“, sagt Elder Costa. „Viele Menschen sind arm, wenn sie sich der Kirche anschließen. Aber der Prophet sagt ihnen, sie sollen dafür sorgen, dass ihre Kinder eine Ausbildung erhalten, und sie bringen große Opfer, um das zu ermöglichen. Ihre Kinder sind die ersten in der Familie, die eine Universität besuchen. Viele bekommen eine gute Stelle und sind nicht länger arm.“ Ein Beispiel dafür ist Luis Prieto, der in bescheidenen Verhältnissen in Bogotá aufgewachsen ist. Er ließ sich 1972 zusammen mit seinen Eltern und seinen Geschwistern taufen. Seine Eltern brachten viele Opfer, damit ihre Kinder eine gute Ausbildung erhalten konnten. Heute ist Luis ein erfolgreicher Anwalt.
Fast 400 junge kolumbianische Männer und Frauen profitieren vom Ständigen Ausbildungsfonds (SAF). Ein junger Mann heiratete kurz nach seiner Mission im Tempel. „Er konnte noch nicht für eine Familie sorgen“, sagt sein Vater. „Und wir hatten nicht die Mittel, ihn während des Studiums zu unterstützen. Er wandte sich an den SAF und ist nun im zweiten Semester an der Fachhochschule.“ Gleichzeitig arbeitet er als Lehrer in der Missionarsschule und bewirbt sich um einen Job in seinem Fachgebiet. „Der Ständige Ausbildungsfonds hat unserer Jugend Hoffnung gebracht“, sagt Elder Walter F. González von den Siebzigern, Erster Ratgeber in der Gebietspräsidentschaft.
Hilfe für die Arbeitslosen. Die Führer der Kirche lehren die Mitglieder, sich von Schulden zu befreien, den Zehnten zu zahlen und sich gegenseitig Anregungen zu geben, um einander zu unterstützen. Sie ermutigen die Mitglieder, nicht in andere Länder auszuwandern, sondern in Kolumbien zu bleiben und beim Aufbau der Kirche mitzuhelfen.
„Wenn ein Priestertumsführer arbeitslos wird, beraten wir uns sofort mit ihm“, sagt Elder Costa. „Wir achten darauf, dass nicht mehr als eine Woche vergeht, ehe ein Arbeitsberater vor Ort und andere mit ihm zusammensitzen und Anregungen geben. Dadurch schöpft er neue Hoffnung und ist motiviert, etwas zu unternehmen und etwas zu erreichen.“ Später tun diese Priestertumsführer dasselbe für andere Mitglieder, die arbeitslos werden.
Man kann einen Garten anlegen. Hinter dem Pfahlzentrum des Pfahles Kénnedy gibt es zwei kleine Gemüsebeete, jeweils nur einen Quadratmeter groß – ein ungewöhnlicher Anblick mitten in der Stadt. Präsident Fabián Saavedra und seine Frau Rosa zeigen stolz die kleine Ernte. „Wir haben auf diesen winzigen Beeten schon Radieschen, Karotten, Tomaten, Kartoffeln, Kohl, Erbsen, Lauch und Kräuter gezogen“, sagt Schwester Saavedra und zieht ein Radieschen aus dem Boden. „Manche Mitglieder haben nur ein winziges Fleckchen, um etwas anzupflanzen. Aber sie lernen den Grundsatz und befolgen ihn.“
„Mit diesen Beeten hier am Gemeindehaus wollen wir zeigen, wie viel man von einem kleinen Beet ernten kann“, sagt Präsident Saavedra. „Viele Mitglieder legen einen Garten an und geben Zeugnis von der reichen Ernte. Bei unserer Wohnung gibt es keinen Hof, also besteht unser Garten aus einem Topf, in den wir Tomaten gepflanzt haben. Wir stellen ihn ans Fenster und unsere Tomaten wachsen wunderbar!“
In Popayán arbeitet Alfonso Tenorio als Arzt. Er veröffentlicht auch eine medizinische Fachzeitschrift. Zusätzlich arbeitet er mit seiner Frau Lucía in dem weitläufigen Garten hinter dem Haus seines Vaters. Sie helfen auch der Tante bei der Gartenarbeit. Sie beaufsichtigen die Arbeit der jungen Männer der Kirche, die Beete pflegen, die neben einer katholischen Schule angelegt wurden. Sie sprechen vor Gruppen und Vereinen und propagieren, dass man zu Hause einen Garten anlegt. Zu einem großen Teil ist es ihren Anstrengungen zu verdanken, dass ein Garten in vielen Haushalten in Popayán selbstverständlich geworden ist. „Wir sehen unsere Anstrengungen als eine Möglichkeit, Freunden und Nachbarn zu helfen, unabhängig zu werden, damit wir alle etwas zu essen haben, wenn die Zeiten schwierig werden“, sagt Alfonso Tenorio.
Ein Vorrat an Nahrungsmitteln und Wasser. Wie klein die Wohnung auch sein mag, die Mitglieder finden Platz für den Vorrat. Bei Carmen Merisalde in Bogotá ist der Telefontisch, der mit einem schönen, bis auf den Boden reichenden Tuch bedeckt ist, eigentlich eine Tonne, die mit trockenen Lebensmitteln gefüllt ist.
Die Mitglieder sind aufgerufen, jedes Mal, wenn sie eine Mahlzeit zubereiten, ein wenig Reis oder andere Grundnahrungsmittel beiseite zu legen, und wenn es nur eine Hand voll ist. Auf diese Weise sammeln sie, auch wenn das Geld knapp ist, nach und nach einen Vorrat an. Wenn sie genügend zusammen haben, kommt es in Konservierungsbeutel für den Vorrat. Der Pfahl besitzt ein Folienschweißgerät, das von Gemeinde zu Gemeinde weitergegeben wird, damit jeder es benutzen kann. „Viele haben Tränen in den Augen, wenn sie zum ersten Mal eine Packung Reis, die sie in kleinen Mengen zusammengespart haben, für den Vorrat abpacken“, sagt Präsident Saavedra.
Man kann mit anderen teilen. Manche der Nahrungsmittel im Küchenschrank von Ivonne Palacio in Bogotá kommen nie bei ihr selbst auf den Tisch. Sie sind für andere bestimmt. Die Gebietspräsidentschaft fordert die Mitglieder auf, Nahrungsmittel zu lagern, damit sie im Notfall helfen können. „Wir nennen es das Vorratshaus des Herrn zu Hause bei den Mitgliedern“, sagt Elder Costa. „Der Bischof bittet die Familien, immer eine gewisse Menge Reis und andere Grundnahrungsmittel vorrätig zu haben, die sie dann spenden können. Wenn er sie dann für eine bedürftige Familie braucht, spenden sie sie und kaufen wieder entsprechend ein.“
Diese Methode hat einige Vorteile. „Erstens werden die Mitglieder angespornt, selbst einen Vorrat anzulegen“, sagt Elder Costa. „Zweitens können wir auf Notfälle schnell reagieren. Drittens können wir Fastopfergelder für die Situationen sparen, wo Bargeld erforderlich ist, beispielsweise für Medizin oder Miete. Obwohl der Pfahl Kénnedy wirtschaftlich gesehen zu den ärmsten gehört, haben fast alle Familien einen Lebensmittelvorrat – und viele haben sogar noch etwas, was sie abgeben können. Der Pfahl ist außerdem unabhängig, was die Fastopfergelder angeht.“
„Wir lagern nicht nur Lebensmittel und Wasser, sondern wir lagern Segnungen!“, sagt Schwester Palacio. „Der Himmlische Vater lehrt uns, die reine Christusliebe zu besitzen.“
Irma Piñeros aus der Gemeinde Banderas im Pfahl Kénnedy lehrt in der FHV nähen. „Eine Schwester musste von zu Hause aus Geld verdienen“, sagt sie. „Also gab ich ihr eine Nähmaschine. Nun kann sie für sich und ihre Familie sorgen.“
„Inmitten großer wirtschaftlicher Probleme haben die Mitglieder der Kirche, was sie brauchen“, sagt Roberto Rubio, Präsident des Bogotá-Tempels, „nämlich Essen und Kleidung. Es ist immer noch ein Kampf zu überleben, aber an den wirtschaftlichen Maßstäben unseres Landes gemessen haben sie, was sie brauchen.“
„Bei Pfahlkonferenzen bitte ich oft Mitglieder, die schon seit ein paar Jahren in der Kirche sind, zurückzublicken und zu überlegen, ob es ihnen besser ging, bevor sie sich der Kirche angeschlossen haben“, sagt Elder Costa. „Ich habe noch nie jemand getroffen, der gesagt hat, dass es ihm vorher besser ging. Sie haben durch die Kirche mehr, nicht weniger.“
Unabhängigkeit in geistiger Hinsicht
Die Mitglieder in Kolumbien folgen dem Rat des Herrn und stehen „an heiligen Stätten“ (LuB 87:8). „Wir lehren die Mitglieder, geistig unabhängig zu sein“, sagt Elder Costa. „Wenn etwas geschieht und die Mitglieder nicht mit den anderen Mitgliedern zusammenkommen können, können sie bei sich zu Hause weiter aktiv im Evangelium bleiben.“
Man kann die Familie stärken. Wie können die Mitglieder in Kolumbien das Haus verlassen – und ihre Kinder aus dem Haus gehen lassen –, wo es doch so gefährlich ist? Ihre Antwort ähnelt erstaunlich der, die Mitglieder auf der ganzen Welt geben: „Dora und ich beten jeden Morgen mit den Kindern, ehe wir aus dem Haus gehen“, sagt Sergio Correa, Präsident des Pfahles Medellín. „Wir bitten den Herrn, dass er uns hilft, gefährliche Situationen zu meiden. Wir nehmen den Heiligen Geist als Führer und bemühen uns, umsichtig zu sein. Dann tun wir, was wir tun müssen. Beim Familiengebet am Abend danken wir dem Herrn, dass er uns beschützt hat.“ Dieses Rezept ist nicht neu. Aber es schenkt Frieden.
„Bomben zerstören nicht wirklich“, fügt Präsident Correa hinzu. „Sünde zerstört. Darum spornen wir die Mitglieder des Pfahles an, das Familiengebet zu pflegen, sich mit den heiligen Schriften und den Worten der neuzeitlichen Propheten zu befassen, den Familienabend abzuhalten, zur Kirche zu gehen und so oft wie möglich in den Tempel zu gehen.“
Elder Roberto García, Gebietsautorität-Siebziger und Zweiter Ratgeber in der Gebietspräsidentschaft, arbeitet für das Bildungswesen der Kirche und kennt die Jugendlichen der Kirche gut. „Drogen sind kein großes Problem bei den Jugendlichen der Kirche in Kolumbien“, sagt er. „Das größere Problem in unserer Gesellschaft sind Eltern, die ihre Kinder nicht im Evangelium unterweisen. Wir sind dabei, alte Ansichten und Verhaltensweisen zu verändern, indem wir die Familien in der wahren Lehre unterweisen.“
Vorbereitung auf den Tempel. Präsident Spencer W. Kimball kündigte im April 1984 den Bau des Bogotá-Tempels an. Doch 15 Jahre vergingen, ehe der Tempel tatsächlich fertig war. In diesen Jahren gab es viel Widerstand, rechtliche Auseinandersetzungen und Entmutigung. Doch es wurde auch viel gefastet, gebetet und eifrig gearbeitet. Viele wollten nicht warten und nahmen lange Wege auf sich, um zu einem Tempel in einem anderen Land zu gelangen. Andere nutzten die zusätzliche Zeit, um persönliche Hindernisse zu überwinden. Als sich die Türen des Tempels im April 1999 öffneten, wurden die Mitglieder für ihre Geduld und ihre Vorbereitung reich belohnt.
„Die Schwierigkeiten und Verzögerungen trugen dazu bei, dass die Menschen reiner wurden“, sagt César A. Dávila, ein Tempelarchitekt, der auch Gebietsautorität-Siebziger ist. „In dieser schwierigen Zeit lernten wir, was am wertvollsten und am wichtigsten ist – unsere Familie und unser Zeugnis.“
Elder Dávila erzählt von dem soliden Fundament, auf das der Tempel gebaut ist. Dazu gehören über 200 Betonpfähle, die 50 Meter tief in den Boden getrieben wurden. „Mit der Hilfe des Herrn wird dieser Tempel jahrhundertelang stehen“, sagt er. Er sieht die Symbolik in der starken Grundlage des Tempels. „Sind wir auf den ‚Fels unseres Erlösers‘ gebaut, ,und das ist Christus, der Sohn Gottes‘? (Helaman 5:12)“, fragt er. „Sind wir auf starke Pfähle gebaut, wie Glauben, Zeugnis, Schriftstudium, Gebet und Gehorsam gegenüber den lebenden Propheten?“
Segnungen durch den Tempel. „Der geistige Bereich des Lebens gewinnt an Qualität, wenn man den Tempel besucht“, sagt Carlos Vega, Präsident des Pfahles El Dorado Bogotá. „Wir haben inzwischen starke Priestertumsführer und mehr Mitglieder, die das Gesetz der Keuschheit befolgen und ihre Ehe heilig halten.“
„Wir konzentrieren uns in unserer Arbeit darauf, die Familie zu stärken“, berichtet Edgar J. Gómez, Präsident des Pfahles Granada Bogotá. „Wir ermutigen die Ehepartner, einander zu lieben, und die Eltern, ihre Kinder zu lieben. Dabei benutzen wir oft die Proklamation zur Familie als Grundlage.“
Javier Tobón, Leiter der Family History Support Services für Lateinamerika, hat viele Generationen seiner Vorfahren zusammengestellt und bringt anderen bei, wie sie das auch tun können. „Wir tun genau das Gegenteil von dem, was die Guerilla tut“, sagt er. „Sie zerstören Familien – wir vereinen sie.“
Man muss die Mitglieder halten und sie aktivieren. In Kolumbien gibt es viele Taufen, doch die Anwesenheit in der Kirche steigt noch schneller als die Anzahl der Taufen. „Das ist ein Zeichen für die Aktivierung und die Aktiverhaltung“, sagt Elder Costa. Ein Grund für diesen Erfolg ist, wie die neuen Mitglieder genährt werden. Gleich nach ihrer Taufe und Konfirmierung erhalten sie ein kostenloses Exemplar des Liahonas. Neue Familien erhalten außerdem einen persönlichen Willkommensbrief und eine Schachtel mit grundlegendem Material, darunter die Proklamation zur Familie, Der lebendige Christus und Für eine starke Jugend. Die Schachtel enthält außerdem ausgewählte Leitfäden und Informationen über den Tempel und die Genealogie. Die Heimlehrer, die Besuchslehrerinnen und die Führer der Gemeinde oder des Zweiges erklären den neuen Mitgliedern, wie sie dieses Material nutzen können. Sie halten den Fortschritt der Neubekehrten fest und helfen ihnen, sich auf den Tempel vorzubereiten.
Damit sichergestellt wird, dass die Mitglieder auch genährt werden, führt der Pfahl Lehrerschulungen durch. „Wir fordern die Lehrer auf, den Lehrplan des Herrn zu verwenden und nicht eigene Gedanken zu vermitteln“, sagt Elder Costa. „Wir entwickeln großartige Führer, die den Führern der Kirche folgen. Wenn wir den Pfahlpräsidentschaften mehr Vertrauen entgegenbringen, rufen sie uns seltener an, weil sie erkennen, dass sie Schlüssel, Macht, Vollmacht und ein Anrecht auf Inspiration besitzen.“
Man kann die Früchte der Glaubenstreue genießen. Die Mitglieder erinnern sich an den Besuch von Präsident Spencer W. Kimball im Jahr 1977 und den Besuch von Präsident Gordon B. Hinckley 1996 und dann 1999 zur Tempelweihung. Sie erinnern sich an die Verheißungen, die gegeben wurden, und betrachten das Wachstum der Kirche als Erfüllung von Prophezeiungen. Die bescheidenen Anfänge begannen Mitte der sechziger Jahre. Heute gibt es fast 145 000 Mitglieder in Kolumbien. Dazu gibt es vier Missionen mit fast 800 Vollzeitmissionaren, die fast alle aus Kolumbien und anderen lateinamerikanischen Ländern stammen. Im ganzen Land sind Gemeindehäuser der Kirche zu finden, dazu Genealogie-Forschungsstellen, Institutszentren, eine Missionarsschule und der Tempel.
Geschichtsschreiber wie Ernesto Hernández aus Cali dokumentieren bedeutende Ereignisse mit Berichten, Tagebüchern und Fotografien. Die Geschichten sind auch im Leben und im Herzen der Mitglieder niedergeschrieben. Als Fabio und Luisa Fernanda Behórquez aus Bogotá vor kurzem eine Session im Tempel besuchten, stimmte es sie sehr demütig, dass Héctor und Marina Cano, ein Ehepaar, das Fabio Behórquez Jahre zuvor als Missionar in Pereira getauft hatte, die Session leiteten. Das Ehepaar Cano erfüllte eine Tempelmission und möchte auch in Zukunft weitere Missionen erfüllen.
In Barranquilla scharen Roberto und Fabiola Juliao ihre Familie um sich. Mit den Enkeln auf dem Schoß erzählen Bruder und Schwester Juliao von den Erinnerungen an ihre Taufe im Jahr 1975, von ihrer Siegelung im Tempel im Jahr 1986 und vielen anderen Erlebnissen. Schwester Juliao hat in allen Hilfsorganisationen gedient und ist derzeit PV-Leiterin in ihrer Gemeinde. Bruder Juliao erzählt von seinen vielen Priestertumsberufungen und zeigt seinen Enkeln ein kostbares Erinnerungsstück – die Schaufel, die er beim Spatenstich für den Bogotá-Tempel verwendet hat.
Ein Sohn, Cristian, wollte sich nicht taufen lassen, bis er und seine Frau das erste Kind erwarteten. Plötzlich wollten sie mehr über das Evangelium erfahren. Sie ließen sich taufen und wurden später im Tempel gesiegelt. Einmal dienten Cristian und sein Vater gemeinsam als Ratgeber des Missionspräsidenten. „Ich stellte fest, dass ich wie mein Vater werden wollte“, erzählt er. „Mir wurde bewusst, dass ich die wichtigsten Lebensgrundsätze von ihm gelernt habe. Ich hoffe, dass ich dieses Erbe an meine eigenen Kinder weitergeben kann.“
Gute Staatsbürger
Je unabhängiger die Mitglieder werden, desto mehr beginnen sie, im Gemeinwesen etwas zu bewirken. Die Kirche wird immer mehr als „guter Nachbar“ geschätzt – wegen ihrer humanitären Arbeit und des Patriotismus ihrer Mitglieder.
Ein Teil des Gemeinwesens. FHV-Schwestern im Pfahl Belén Medellín bieten Kurse an, beispielsweise Kochen, Handarbeit, Kunst und Handwerk. Die Kurse werden auch von vielen besucht, die keine Mitglieder der Kirche sind. Dort lernen sie Fertigkeiten, mit denen sie Geld verdienen können. Sie schätzen die Großzügigkeit und gutnachbarliche Art der Kirche.
Dr. Eduardo Pastrana, Präsident des Pfahles Belén Medellín, hat in Interviews, die im Fernsehen gesendet wurden, klargestellt, welche Werte die Heiligen der Letzten Tage haben. „Ich habe gelesen, dass Medellín als die gewalttätigste Stadt der Welt bezeichnet wird“, sagt er. „In meiner Arztpraxis begegne ich vielen Menschen, die wegen der sozialen und wirtschaftlichen Lage unseres Landes ängstlich und verzweifelt sind. Aber meine Frau, meine Kinder und ich spüren zu Hause Frieden, denn wir haben das Licht des Evangeliums, und ich bemühe mich, diesen Frieden auch meinen Patienten nahe zu bringen.“
Andere kolumbianische Mitglieder leisten ebenso in einer Vielzahl von Berufen einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft. In Bucaramanga arbeitet Héctor Elías Ariza, ein Anwalt, als Staatssekretär des Gouverneurs der Provinz Santander. Er und sein Bruder Sergio leiten und begleiten einen Pfahlchor, der Weihnachtskonzerte für die Allgemeinheit veranstaltet. Ihre Schwester Patricia ist Richterin. Ihre Mutter Olga, eine pensionierte Lehrerin, veranstaltet regelmäßig lebhafte Familienabende für die Arbeitskollegen ihrer Kinder und andere Freunde.
Gemeinsame Bemühungen mit dem Präsidenten und der First Lady. Mitglieder der Kirche haben schon an verschiedenen humanitären Projekten mit Lina María Moreno de Uribe, Kolumbiens First Lady, teilgenommen. Dabei wurden Rollstühle, Hörgeräte und Schultische gespendet oder Augenoperation ermöglicht. Die First Lady war bei
Veranstaltungen in Gemeindehäusern der Kirche zugegen, bei denen Spenden verteilt wurden. Bei solchen Veranstaltungen wird auch gebetet und Pfahlchöre singen Kirchenlieder. Unter den vielen Besuchern sind auch hochrangige Beamte, Diplomaten und Medienvertreter.
Die meisten Menschen, die eine solche Spende erhalten, gehören nicht der Kirche an. „Ein Schüler, der eine Schule repräsentierte, die neue Tische erhalten hatte, fragte: ,Wie kann ich Ihnen das zurückzahlen?‘“, erzählt Elder Costa. „Ich antwortete: ‚Indem Sie ein guter Staatsbürger sind, ehrlich und ein gutes Vorbild für die Schüler.‘ Er sagte: ‚Das werde ich tun.‘“
Die First Lady arrangierte ein Treffen zwischen der Gebietspräsidentschaft und ihrem Mann, Álvaro Uribe Vélez, dem Präsidenten Kolumbiens. Das Treffen fand am 7. November 2003 im Präsidentenpalast statt. Präsident Uribe sagte: „Ich bin sehr dankbar für alles, was Sie tun, und für Ihren positiven Einfluss auf unsere Bürger. Ich möchte Ihnen im Namen der Regierung meine Unterstützung zusagen und meinen Dank zum Ausdruck bringen.“
„Präsident Uribe ist ein guter, ehrlicher Mann, ein Familienmensch“, sagt Elder Costa.
Die politische Neutralität der Kirche unterstreicht, dass „unsere Absichten religiöser und humanitärer Natur sind und nicht politisch“, fährt Elder Costa fort. „Wenn jemand einen Rollstuhl braucht, fragen wir nicht nach seiner politischen oder religiösen Gesinnung. Wir lehren die Mitglieder, gute Staatsbürger zu sein, das Gesetz zu achten, zur Wahl zu gehen und positive Beiträge zu leisten.“
„Ein lebender Prophet hat uns verheißen, dass sich Kolumbien ändern wird, wenn wir unseren Teil beitragen“, sagt Elder Roberto García. „Wir arbeiten daran und beten dafür. Und wir beten für unsere Regierung.“
Die Mitglieder der Kirche in Kolumbien stehen an heiligen Stätten – bei sich zu Hause, im Tempel, im Gemeindehaus, am Arbeitsplatz, in der Schule und im Gemeinwesen. Sie folgen dem lebenden Propheten, machen ihre Familie stark und teilen miteinander das Lebensnotwendige. So tragen sie dazu bei, ein verwundetes Land zu heilen und zu segnen.
Möge frieden herrschen
Präsident Gordon B. Hinckley sagte im Weihungsgebet für den Tempel: „Wir erflehen deine göttliche Gunst für diese Nation, für Kolumbien. Segne die Menschen in diesem Land und die Regierung dafür, dass sie deine Knechte so freundlich aufnehmen. Möge Frieden in diesem Land herrschen und der Lärm des Konflikts verstummen. Möge dein Werk ohne Störung voranschreiten und mögen deine Knechte, die eine Friedensbotschaft bringen, in ihrem Wirken beschützt und geführt werden.“ („Thy People Will Enter into Covenants with Thee“, Church News, 1. Mai 1999, Seite 10.)
Ein leuchtturm, der hoffnung verbreitet
Menschen verschiedener Glaubensrichtungen erkennen den großen Einfluss des Tempels, auf dem die kolumbianische Flagge weht. Der kolumbianische Präsident Álvaro Uribe Vélez nennt den Tempel „einen großartigen Schatz in unserer Stadt und unserem Land“. Nachbarn sagen, dass sie gern in der Nähe des Tempels wohnen. Viele bemühen sich, ihr Haus schön zu erhalten, damit es zum Tempel passt.
„Die ganze Stadt ist besser geworden“, sagt Carlos Vega, Präsident des Pfahles El Dorado Bogotá. „In der Stadt und zu Hause ist mehr Frieden zu spüren. Es gibt immer noch Gewalt, aber sie ist für uns nicht mehr so spürbar – als ob die Schreie der Gewalt verstummt wären. Das hat ein Prophet so prophezeit und so ist es auch.“
„Der Tempel macht uns bewusst, was es bedeutet, ein Mitglied der Kirche zu sein“, sagt Carlos Ospina, Präsident des Pfahles Ciudad Jardín Bogotá. „Da die Menschen den Tempel kennen, ist es auch leichter, über das Evangelium zu reden.“
„Der Tempel ist wie ein Leuchtturm“, sagt Roberto Rubio, der Tempelpräsident. Er, beide Ratgeber und fast alle Tempelarbeiter stammen aus Kolumbien. „Wenn die Mitglieder ihren Blick auf den Tempel richten, haben sie Hoffnung. Natürlich gibt es Kummer und Herausforderungen, aber der Herr macht die Last leichter. Auch wenn wir von Krieg und Schlechtigkeit umgeben sind, können wir – durch den Tempel – Frieden haben und die Liebe unserer Familie und die Liebe des Herrn genießen. Was will man mehr?“
Die fahrt zum tempel
Da es riskant ist, durch ländliche Gebiete zu reisen, fliegen manche mit dem Flugzeug zum Tempel. Die meisten haben aber keine andere Möglichkeit, als den Landweg zu nehmen. Manche reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln, andere in Bussen, die von den Pfählen gemietet werden.
„Viele, die hierher kommen, sind wirtschaftlich gesehen arm“, sagt Tempelpräsident Roberto Rubio, „aber in geistiger Hinsicht sind sie Millionäre. Eine Frau, die kürzlich aus Pereira mit dem Bus anreiste, ist über 80 Jahre alt und sehr arm. Sie verkauft Zeitungen und sammelt und verkauft alte Flaschen, um in den Tempel zu kommen. Es gibt viele wie sie.“
Álvaro Emiro und Maritza Ariza brachten vor kurzem ihre fünf Kinder im Alter von ein bis zehn Jahren zum Tempel. Zuerst gingen sie vierzig Minuten zu Fuß bis zur Bushaltestelle. Dann trafen sie nach einer zweistündigen Busfahrt in Barbosa ein, wo sie sich einer Gruppe von Mitgliedern anschlossen, die mit Ismael Carreño, dem Präsidenten des Zweiges Barbosa, Distrikt Duitama, unterwegs waren. Nach einer weiteren Busfahrt von fast fünf Stunden kamen sie im Tempel an und wurden als Familie gesiegelt.
Mitglieder aus Cartagena (oben) fuhren kürzlich mit zwei Bussen zum Tempel. Die Fahrt zum Tempel dauerte 20 Stunden. Unter den Reisenden waren auch Johny San Juan, Ältestenkollegiumspräsident, seine Frau Everlides, JD-Leiterin, und ihre drei Kinder. Da sie sich die Zeit genommen hatten, vier Generationen ihrer Vorfahren zusammenzustellen, konnte sich ihre Tochter Estefanía, 12, für einige ihrer Vorfahren taufen lassen, und Johny und Everlides San Juan konnten stellvertretend für sie das Endowment empfangen und gesiegelt werden.