2006
Im Dienst des Herrn
August 2006


Im Dienst des Herrn

Der fünfte Glaubensartikel nennt eine grundlegende Überzeugung der Heiligen der Letzten Tage: Wir müssen „durch Prophezeiung und das Händeauflegen derer, die Vollmacht dazu haben, von Gott berufen werden“.

Die meisten Mitglieder der Kirche sind schon einmal in das Büro des Bischofs oder Zweigpräsidenten gebeten worden und haben dort eine Berufung erhalten. Viele von uns haben darum gebetet, dass wir den Glauben und den Mut erhalten, die Berufung anzunehmen, weil wir daran glauben, dass unsere Führer inspiriert wurden, als sie gebeterfüllt nach Führung vom himmlischen Vater trachteten.

Manche finden es interessant, dass wir uns nicht selbst für ein bestimmtes Amt nominieren, für das wir unserer Meinung nach am besten geeignet sind. Doch die einzigartige Weise, in der die Mitglieder unserer Kirche berufen werden, im Gottesreich zu dienen, ist ein charakteristisches Merkmal der Kirche des Herrn.

Die folgenden Grundsätze machen deutlich, wie wir unsere Berufung wirkungsvoll erfüllen können.

„Es zählt nicht, wo man dient, sondern, wie man dient“

Unsere Bereitschaft, in unserer Berufung zu dienen, wozu wir auch berufen sind, spiegelt unsere Hingabe zum Herrn wider. Wie Präsident J. Reuben Clark Jr. (1871–1961) von der Ersten Präsidentschaft gesagt hat: „Im Dienst für den Herrn zählt nicht, wo man dient, sondern, wie man dient. In der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage übernimmt jeder das Amt, zu dem er ordnungsgemäß berufen wird – er strebt nicht danach und er lehnt es auch nicht ab.“1

Bruder Dai Endo aus dem Pfahl Yokohama in Japan ist uns hierin ein Vorbild. Er hielt sich treu an diesen Grundsatz. Nachdem Bruder Endo viele Jahre lang Ratgeber in der Pfahlpräsidentschaft und dann auch Pfahlpräsident gewesen war, wurde er im Jahr 2000 entlassen. Als er entlassen wurde, gab er auf der Pfahlkonferenz Zeugnis und brachte seine Liebe für die Mitglieder und seine Dankbarkeit dafür zum Ausdruck, dass er ihnen und dem Herrn dienen durfte. Mit einem Lächeln sagte er: „Nächste Woche werde ich wahrscheinlich in die PV berufen.“

Eine Woche später bat Bruder Endos Bischof ihn um ein Gespräch und berief ihn als Lehrer in der Primarvereinigung. Demütig und dankbar nahm der frühere Pfahlpräsident die Berufung an. Seine Bereitschaft zu dienen beruhte nicht auf dem Status, der mit der Berufung verbunden war, sondern auf dem Wunsch, dem Herrn zu dienen, wohin er auch berufen wurde.

Vom Herrn berufen

Jesus wählte die Männer aus, die seine zwölf Apostel werden sollten, und berief sie. Alle, die in der Kirche des Herrn dienen, werden nach dem gleichen Schema berufen.

Ich war einmal dabei, als Präsident James E. Faust, Zweiter Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft, zu den Kindern von Männern sprach, die kurz zuvor in die Bischofschaft einer Gemeinde berufen worden waren.

Präsident Faust sagte zu diesen Kindern: „Ihr dürft nicht vergessen, dass eure Väter sich nicht freiwillig für diese Aufgabe gemeldet haben. Sie haben sich nicht auf einer Liste eingetragen, auf der stand, dass eine neue Bischofschaft gebraucht wird. Sie haben nicht dafür kandidiert. Sie wurden berufen. Sie wurden durch Inspiration und Offenbarung vom Herrn berufen, als neue Bischofschaft der Gemeinde zu dienen. Sie haben die Berufung angenommen und gezeigt, dass sie bereit sind, zu dienen. Nun gehen sie mit Vollmacht von Gott vorwärts.“

Wie es in der Kirche immer und immer wieder geschieht, haben diejenigen, die daran beteiligt waren, diese Männer in die Bischofschaft zu berufen, während des gesamten Vorgangs nach dem Willen und der Führung des Herrn getrachtet.

„Sie haben sie nicht berufen“

Präsident Boyd K. Packer, der amtierende Präsident des Kollegiums der Zwölf Apostel, hat immer wieder auf ein Erlebnis verwiesen, das er einmal während einer Führerschaftsschulung hatte. Ein Bischof sagte, er könne niemanden dazu bringen, der Gemeinde als PV-Leiterin zu dienen. Der frustrierte Bischof sagte, er hätte mit neun verschiedenen Schwestern gesprochen und nicht eine hätte die Berufung angenommen.

Präsident Packer sagte dem Bischof, er wisse, warum keine der Schwestern die Berufung angenommen hätte: „Sie haben sie gefragt, aber Sie haben sie nicht berufen.“ Präsident Packer sagte, wenn die Berufung richtig ausgesprochen worden wäre, hätte er keine neun Versuche gebraucht, um jemand dazu zu bringen, die Berufung anzunehmen.

In der Welt gibt es nichts, was mit dem Aussprechen einer Berufung vergleichbar wäre. Jemand, der Priestertumsschlüssel innehat, fragt nicht, beauftragt nicht, rekrutiert niemand zum Dienst. Er beruft, und die Berufung kommt vom Herrn.

Die Entlassung

Wie wir berufen werden, werden wir auch entlassen. Wir bewerben uns nicht um eine Aufgabe, und wir treten auch nicht zurück, wir kündigen nicht. Wir werden von der gleichen Vollmacht, mit der wir berufen werden, auch wieder entlassen.

1947 berief Elder Ezra Taft Benson (1899–1994), damals noch Mitglied des Kollegiums der Zwölf Apostel, meinen Großvater, James H. Walker, als Präsident des Pfahles Taylor in Raymond in Alberta, Kanada. Bis dahin war meine Großmutter, Fannye Walker, viele Jahre lang Pfahl-JD-Leiterin gewesen. Sie hing sehr an dieser Berufung.

Als Elder Benson die Berufung für Präsident Walker aussprach, sagte er, Präsident Walkers Frau solle nicht länger Pfahl-JD-Leiterin bleiben, damit sie ihn in seinen Aufgaben unterstützen könne und andere außerhalb der Familie die Möglichkeit hätten zu dienen. Großmutter war unglücklich. Sie liebte die Jungen Damen, liebte ihre Berufung und wollte diese Aufgabe gern weiter erfüllen.

Jahre später erzählte mir Präsident Benson davon. Er sagte: „Ihre Großmutter war sehr enttäuscht, als wir sie entließen. Aber als ich sie das nächste Mal sah, sagte sie mir, dass sie nun verstand und einsah, dass es notwendig war, sie zu entlassen.“

Ebenso müssen wir die Inspiration, die zu unserer Entlassung aus einer lieb gewonnenen Berufung führt, dankbar annehmen und anerkennen.

Mit fester Entschlossenheit

Die Art und Weise, wie treue Mitglieder eine Berufung annehmen, ist bemerkenswert. In der Geschichte der Kirche gibt es zahlreiche Geschichten darüber, wie engagierte Mitglieder Berufungen angenommen haben, die ein beträchtliches Opfer forderten.

Präsident Packer war dabei, als Präsident Henry D. Moyle (1889–1963) von der Ersten Präsidentschaft einen Mann berief, über eine Mission der Kirche zu präsidieren. Präsident Moyle sagte zu dem Mann: „Wir wollen Sie nicht zu einer schnellen Entscheidung drängen. Könnten Sie mich in ein, zwei Tagen anrufen, sobald Sie sicher sagen können, wie Sie zu dieser Berufung stehen?“

Präsident Packer erzählt, was dann geschah:

„Der Mann sah seine Frau an und sie sah ihn an und ohne ein Wort zu sagen verständigten sie sich, wie es manchmal zwischen einem Ehepaar geschieht, mit einem fast unmerklichen Nicken. Er wandte sich wieder an Präsident Moyle und sagte: ‚Nun, Präsident, was gibt es da noch zu sagen? Was könnten wir Ihnen in ein paar Tagen sagen, das wir nicht jetzt sagen können? Wir sind berufen worden. Was gibt es da für eine Antwort? Natürlich nehmen wir die Berufung an.‘

Dann sagte Präsident Moyle freundlich: ‚Nun, wenn Sie so denken, kann ich Ihnen sagen, dass es sogar recht dringend ist. Ich frage mich, ob Sie vielleicht bereit wären, … am 13. März zu gehen.‘

Der Mann schluckte, denn das war in elf Tagen. Er sah seine Frau an. Wieder eine stille Verständigung, dann sagte er: ‚Ja, Präsident, das lässt sich einrichten.‘

‚Was ist mit Ihrem Betrieb?‘, fragte der Präsident. ‚Was geschieht mit Ihrem Getreidespeicher? Was geschieht mit Ihrem Viehbestand? Was geschieht mit Ihrem anderen Besitz?‘

‚Ich weiß es nicht‘, sagte der Mann, ‚aber wir werden es irgendwie regeln. Es wird schon klappen.‘“2

Gewöhnlich ist die Zeit nicht so knapp. Wer eine solche Berufung erhält, hat normalerweise ausreichend Zeit, seine Angelegenheiten zu ordnen. In diesem Fall war es jedoch dringend, und das Ehepaar nahm die Berufung mit Glauben und völliger Hingabe an. Welch ein großartiges Beispiel für uns, wie wir eine Berufung annehmen sollen.

Unsere Berufung groß machen

Eine der wichtigsten Schriftstellen im Buch Mormon, in der es darum geht, dass man eine Berufung groß machen soll, stammt vom Propheten Jakob, der schrieb: „Wir machten unser Amt vor dem Herrn groß.“ (Jakob 1:19.) Im 84. Abschnitt im Buch Lehre und Bündnisse, der den Eid und Bund des Priestertums enthält, heißt es, dass diejenigen, die ihre Berufung groß machen, „vom Geist geheiligt“ werden (siehe Vers 33).

Viele fragen sich, was es bedeutet, unsere Berufung groß zu machen. Präsident Thomas S. Monson, Erster Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft, hat gesagt:

„Was heißt es, eine Berufung groß zu machen? Das heißt, dass man sie in würdiger und bedeutsamer Weise aufbaut, sie in den Augen aller Menschen ehrenhaft und lobenswert macht, dass man sie ausweitet und stark macht und das Licht des Himmels hindurchscheinen lässt, bis die Menschen es sehen. Und wie macht man eine Berufung groß? Dadurch, dass man die Pflichten erfüllt, die zu der Berufung gehören.“3

Elder Henry B. Eyring vom Kollegium der Zwölf Apostel hat uns darüber aufgeklärt, wie wir in unserer Berufung Führung erhalten:

„Mit Ihrer Berufung gehen auch große Verheißungen einher. Eine dieser Verheißungen ist: … Der Herr wird Sie durch Offenbarung führen, so wie er Sie berufen hat. Sie müssen voll Glauben um Offenbarung bitten, damit Sie erfahren, was Sie tun sollen. Ihre Berufung ist auch mit der Verheißung verknüpft, dass Sie Antworten bekommen werden. Aber diese Führung erhalten Sie nur, wenn der Herr sicher ist, dass Sie gehorchen werden. Um seinen Willen zu erfahren, müssen Sie sich verpflichtet fühlen, ihn auch zu erfüllen. Wenn die Worte ‚dein Wille geschehe‘ fest in unserem Herzen verankert sind, schließen sie das Tor zur Offenbarung auf.“4

Der Herr wird es ermöglichen

Hier sind einige wichtige Grundsätze zusammengefasst, die unsere Berufungen in der Kirche betreffen:

  1. Diejenigen, die die Vollmacht haben, Berufungen auszusprechen, müssen gebeterfüllt nach Inspiration vom Herrn trachten. Wenn eine inspirierte Entscheidung getroffen wurde, muss die Berufung auf die richtige Weise, nämlich mit Würde und Ehrfurcht, ausgesprochen werden, wobei allen Beteiligten bewusst ist, dass die Berufung vom Herrn kommt.

  2. Wir dienen bereitwillig. Wir melden uns nicht freiwillig. Wir werden berufen.

  3. Wenn wir zu einem Amt berufen werden, müssen wir demütig bleiben und dürfen nicht vergessen, dass die Berufung nicht uns gehört und wir eines Tages mit der gleichen Vollmacht, mit der wir berufen wurden, auch wieder entlassen werden.

  4. Wenn wir entlassen werden, müssen wir das freundlich annehmen und dankbar sein, dass wir die Gelegenheit hatten zu dienen. Wir müssen darauf vertrauen, dass wir so, wie wir durch Inspiration berufen wurden, auch durch Inspiration entlassen werden. Wir müssen denjenigen unterstützen, der berufen wurde, unseren Platz einzunehmen.

  5. Berufungen und Entlassungen werden nicht unbedingt zu dem Zeitpunkt ausgesprochen, der uns gerade passt. Wir müssen auf den Zeitplan des Herrn vertrauen.

  6. Wenn ein Mann oder eine Frau zu einem anspruchsvollen Amt berufen wird, ist es vielleicht für ihn oder sie und die übrige Familie am besten, wenn der Ehepartner aus einer anspruchsvollen Berufung entlassen wird.

  7. Wir müssen auf den Herrn vertrauen, wenn es darum geht, eine Berufung anzunehmen (siehe Sprichwörter 3:5,6).

  8. Der Herr macht unsere Bemühungen groß, wenn wir unser Bestes geben und ihn um Hilfe bitten.

  9. Große Verheißungen und Segnungen sind mit unseren Berufungen verbunden.

Präsident Gordon B. Hinckley hat gesagt: „Wenn man Ihnen eine Berufung übertragen will, dann bitte ich Sie dringend, diese auch anzunehmen. Dadurch wird Ihr Glaube gestärkt und nimmt weiter zu. … Wenn Sie jede Möglichkeit nutzen, wenn Sie jede Berufung annehmen, dann ermöglicht der Herr es Ihnen auch, sie zu erfüllen. Die Kirche wird Sie um nichts bitten, was Sie nicht mit der Hilfe des Herrn tun könnten. Möge Gott Sie segnen, damit Sie alles tun, wozu Sie berufen werden.“5

Wie gesegnet wir doch sind, dass wir dem Herrn helfen können, sein Reich aufzubauen, indem wir unsere Berufungen erfüllen!

Anmerkungen

  1. Frühjahrs-Generalkonferenz 1951

  2. Follow the Brethren, Brigham Young University Speeches of the Year, 23. März 1965, Seite 8

  3. „Dienen – eine heilige Berufung“, Liahona, Mai 2005, Seite 54

  4. „In unsere Berufung hineinwachsen“, Liahona, November 2002, Seite 76

  5. „Worte des lebenden Propheten“, Liahona, April 1999, Seite 18