Es wird schon werden
Wir alle haben das Gefühl, dass uns mit dem Tod von Präsident Hinckley etwas aus dem Herzen gerissen wurde. Mit einer gewissen Vorfreude sahen wir stets seinem machtvollen Zeugnis vom Erlöser entgegen, wir freuten uns darauf, seine Zuneigung zu spüren, und wir wussten, dass er uns ein Lächeln und Hoffnung schenken würde – selbst wenn er die größten Schwierigkeiten ansprach.
In den letzten Tagen habe ich an seine Stimme gedacht. Ich habe diese Stimme oft gehört, wenn ihm ein ernstes Problem, das die Kirche betraf, vorgelegt wurde. Er hörte aufmerksam zu und stellte vielleicht ein, zwei Fragen, um das Ausmaß des Problems richtig einzuschätzen und um demjenigen, der ihm das Problem vorgetragen hatte, zu verstehen zu geben, dass er verstanden wurde. Jedes Mal sagte er dann in aller Ruhe und mit einem freundlichen Lächeln Worte wie: „Ach, es wird schon werden.“
Er war ein Optimist. Zum Teil rührte das von seinen vielen Fähigkeiten her. Viele Probleme konnte er ganz allein lösen. Er erkannte, wie man auf der ganzen Erde Tempel bauen konnte. Er schrieb diese Idee den treuen Heiligen zu, die in guten wie in schlechten Zeiten ihren Zehnten gezahlt hatten. Doch er war derjenige, der nach seiner Rückkehr aus Colonia Juárez in Mexiko nach El Paso in Texas skizzierte, wie diese kleinen Tempel, von denen jetzt Menschen in aller Welt profitieren, aussehen sollten.
Er war derjenige, der für die jungen Leute in vielen Ländern einen Weg aus der Armut bahnte, indem sie sich eine Ausbildung auswählen konnten, die ihnen erlaubte, den kleinen Kredit zurückzuzahlen, den sie aus dem von Präsident Hinckley so bezeichneten „Ständigen Ausbildungsfonds“ erhalten hatten. Er ist derjenige, der die Idee zu diesem herrlichen Konferenzzentrum hatte, wo tausende ihren Glauben vereinen und das Wort Gottes hören.
Er hat noch viel mehr als das geleistet, und ich bin nicht in der Lage, alles aufzuzählen. Aber zumindest eines haben seine Leistungen gemeinsam: Sie schenkten den Menschen immer neue Möglichkeiten. Er dachte immer an diejenigen mit den geringsten Möglichkeiten, die einfachen Leute, die mit alltäglichen Schwierigkeiten kämpfen und für die es eine Herausforderung ist, nach dem Evangelium Jesu Christi zu leben. Mehr als einmal stieß er mit dem Finger an meine Brust, wenn ich einen Vorschlag gemacht hatte, und fragte: „Hal, hast du auch an die Menschen gedacht, denen es schwerfällt?“
Heute ist er in der Geisterwelt – bei all den großen Propheten, die schon auf der Erde gelebt haben. Er weiß bestimmt, dass wir traurig sind und die Trennung von ihm als Verlust empfinden. Gegen Ende seines Lebens wusste er, wie schmerzhaft es ist, wenn man einen geliebten Menschen verliert. Wenn wir ihm von unserer Trauer erzählten, würde er genau zuhören, und ich glaube, dann würde er voller Mitgefühl, aber in einem Tonfall, der uns zum Lächeln bringen würde, sagen: „Ach, es wird schon werden.“
Bei ihm war es so. Sein Optimismus war gerechtfertigt – nicht, weil er auf seine eigene Kraft vertraute, etwas in Ordnung zu bringen, sondern weil er fest daran glaubte, dass Gottes Macht für alles sorgt. Er wusste, dass unser lieber Vater im Himmel einen Weg bereitet hat, wie die Familie für immer zusammen sein kann. Er hatte sich so gewünscht, in den Rexburg-Idaho-Tempel zu gehen. Morgen sollte er geweiht werden. Tempelweihungen haben ihn regelrecht begeistert. Für ihn bedeutete ein Tempel, dass jemand, der sich danach verzehrt hat, nun für immer mit einem geliebten Menschen zusammen sein kann, von dem er durch den Tod getrennt wurde. Alles ist gut geworden. Er ist wieder mit Marjorie, der Frau seiner Träume, zusammen. Sie werden für immer ein Paar sein, in Herrlichkeit und mit ihrer Familie.
Sein Optimismus entsprang seinem unerschütterlichen Glauben an Jesus Christus und die Macht seines Sühnopfers. Er war davon überzeugt, dass wir alle auferstehen werden, weil der Heiland auferstanden ist. Er war sicher, dass wir alle als Familie für die Ewigkeit gesiegelt werden können und dass wir in der Gegenwart Gottvaters und seines geliebten Sohnes leben können, wenn wir uns dafür entscheiden, den heiligen Bündnissen mit Gott treu zu sein.
Er hat uns von einem solchen Tag der Entscheidung erzählt. Als er als junger Missionar in England entmutigt war, erhielt er einen Brief von seinem Vater, in dem stand: „Vergiss dich selbst, und mach dich an die Arbeit.“ In seinem Zimmer in der Waltham Road 15 hatte er an diesem Tag schon am Morgen die Worte des Erlösers gelesen: „Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.“1 Ich habe ihn sagen hören, dass er dann nach oben ging, sich zum Beten hinkniete und dem Herrn versprach, sein Bestes zu geben. Präsident Hinckley sagte über dieses Versprechen: „Das habe ich seitdem immer getan.“
Das Beste, was Präsident Hinckley tun konnte, ist vielleicht viel mehr, als wir dem Herrn anbieten können. Doch Gott möchte nur, dass wir unser Bestes geben. Präsident Hinckley würde verstehen, dass wir uns schwach fühlen. Einmal betrachtete er die Bilder der Propheten, die ihm in dieser Evangeliumszeit vorangegangen waren. Er sagte leise: „Wenn ich mir diese Bilder ansehe und dann überlege, wo ich stehe, fühle ich mich so unzulänglich.“ Präsident Hinckley zeigte nur selten seine Gefühle. Doch in diesem Augenblick fing er an zu weinen, wohl nicht aus Furcht, sondern aus Dankbarkeit. Er hatte alles geopfert, was er hatte, und hatte dem Erlöser gedient. Weil er dem Erlöser vertraute, wusste er, dass dies ausreichte. Der Glaube in seinem Herzen ließ keinen Platz für Zweifel oder Angst.
Dieses unerschütterliche Vertrauen auf die Macht Gottes wirkte sich darauf aus, wie er den Fortschritt der Kirche des Herrn sehen konnte. Niemand war sich der Probleme mehr bewusst als er. Und doch sagte er immer wieder über die Kirche, dass wir nie so gut dastanden wie jetzt, und er lieferte auch Fakten, um dies zu belegen. Dann sagte er voller Überzeugung: „Und das Beste kommt noch.“
Sein Optimismus gründete auf seiner Entscheidung als junger Mann, alles, was er hatte, dem Erlöser und seinem Werk zu weihen – voller Glauben. Er beschloss, das Evangelium tief im Herzen zu verwurzeln, indem er sein ganzes Leben lang sein Bestes gab. Das hat ihm Segnungen eingebracht, die er sich auch für uns wünschen würde. Er hoffte von ganzem Herzen, dass alles gut werden möge. Er wusste, dass es so sein würde, wenn er nur voll Glauben voranginge. Ich habe gesehen, was Gott daraufhin für ihn und sein Herz tun konnte, als sein Leben zu Ende ging.
Vorletzten Mittwoch begrüßten ihn Präsident Monson und ich. Er lächelte und reichte uns beiden die Hand. Er frage mich: „Hal, wie geht es dir?“ Ich antwortete einfach: „Gut.“ Ich wünschte, ich hätte gesagt: „Besser denn je. Und ich weiß, dass das Beste noch kommen wird, denn ich hatte das Glück, zu der Zeit zu leben, da ich deine Stimme hören und von deinem Beispiel lernen konnte.“
Sein Beispiel wirkte sich sogar auf meine Lektüre aus. Ich wusste, dass er gern Shakespeare las, schon auf dem College, als Schüler von Benjamin Roland Lewis. Also besorgte ich mir die gesammelten Werke von Shakespeare. Ich erzählte ihm, dass ich das jetzt las. Er meinte: „Woher nimmst du die Zeit?“ Und dann fragte er: „Was liest du denn gerade?“ Ich sagte: „Heinrich der Fünfte.“ Darauf sagte er: „Das ist ein guter Anfang“, und die Betonung lag auf Anfang, um klarzustellen, dass da noch einiges vor mir lag.
Sein Beispiel an Mut und die Lektüre dieses Stückes machten mir deutlich, was er mir schon Jahre zuvor beibringen wollte – nämlich wie man den Kindern des himmlischen Vaters dienen soll. Als ich dafür zuständig war, unseren jungen Seminarschülern in aller Welt das Evangelium nahezubringen, hatte er mich gefragt, wobei er mir mit dem Zeigefinger an die Brust stieß: „Hal, warum gelingt es dir nicht besser, ihnen das Evangelium ins Herz zu pflanzen?“
Er wusste: Nur wenn sie es tief im Herzen trugen, so wie er, würden sie stark und mutig genug sein, um für das ewige Leben bereit zu sein. Er liebte die jungen Leute. Er wusste um ihre Schwächen und den scharfen Gegenwind, dem sie ausgesetzt sind. Und er muss die Worte gekannt haben, die Shakespeare König Heinrich in den Mund gelegt hatte, der gerade seine kleine Armee in einen fast aussichtslosen Kampf führen sollte:
O Gott der Schlachten! Stähle meine Krieger,
erfüll sie nicht mit Furcht, nimm ihnen nun
den Sinn des Rechnens, wenn der Gegner Zahl
sie um ihr Herz bringt.2
Präsident Hinckley wusste, dass Gott uns stählen und stärken wird, wenn wir uns dazu entschließen, das Evangelium tief in unserem Herzen zu tragen. Und er wusste, dass die Entscheidung getroffen wird, indem wir alles weihen, was wir sind und haben, um dem Meister zu folgen. Er wusste, dass man diese Entscheidung am besten schon früh trifft, in der Jugend, denn es könnte Jahre dauern, bis wir für die Herzenswandlung bereit sind, die durch das Sühnopfer Jesu Christi zustande kommt.
Im Namen der Mitglieder in aller Welt bekunde ich meine Dankbarkeit für einen solchen Propheten, Lehrer, Vater und Großvater und einen solchen Freund. Er war ein wahrer Zeuge Jesu Christi und ein Prophet Gottes. Durch seinen Einfluss und sein Beispiel sind wir bessere Menschen. Und das Beste kann ja noch kommen, wenn wir das Evangelium Jesu Christi tief in unserem Herzen tragen. Im Namen Jesu Christi. Amen.