Sie haben zu uns gesprochen
Kommt, lasset uns anbeten!
Letztes Jahr zur Weihnachtszeit arbeitete ich am Hauptsitz der Kirche in Salt Lake City. Da erlebte ich eine dort vorkommende Wetterlage, die Inversion genannt wird. Bei dieser Wetterlage ist die Luftschicht über dem Boden kälter als die Luft weiter oben, das bedeutet also eine Umkehrung – Inversion – der üblichen Verhältnisse. Eine solche Inversion gibt es nicht nur in Salt Lake City, sie ist aber dort ausgeprägter, weil die Stadt in einem Tal liegt, umgeben von hohen Bergen. Der Smog bleibt im Tal gefangen und bedeckt die Stadt und die Umgebung mit einer dicken, dunklen, kalten Wolke. Der Smog ist gesundheitsgefährdend für Menschen mit Atemwegserkrankungen und wirkt überhaupt auf viele Menschen bedrückend, da einem die Luft schmutzig vorkommt und die Sonne tage- oder sogar wochenlang verdeckt ist.
Doch nach einer kurzen Fahrt in die Berge stellt man fest, dass die Smogschicht nicht viel mehr als einhundert Meter dick ist. Schon nach wenigen Minuten kann man im hellen Sonnenlicht stehen, kristallklare Luft atmen und die unberührten, schneebedeckten Berge bewundern. Der Kontrast zum darunterliegenden Tal könnte kaum krasser sein. Wandert man noch weiter die Berge hinauf, sieht man auf den Smog hinunter, den man im Tal zurückgelassen hat, und er kommt einem vor wie eine schmutzige Decke unter einem tiefblauen Himmel.
Auch in unserem Leben gibt es Zeiten, in denen wir sozusagen unten im Tal festsitzen, in der Düsterheit eines dunklen Dunstschleiers. Wegen schlechter Entscheidungen, die wir getroffen haben, Verhaltensweisen, die den Heiligen Geist beleidigen, oder einfach nur wegen der schmerzhaften und anstrengenden Entscheidungen und Schwierigkeiten, die Teil des irdischen Lebens sind, haben wir das Gefühl, dass wir in einem dichten, erstickenden Nebel feststecken. Wir können nicht klar sehen, sind verwirrt und spüren, dass wir uns vom Licht und von der Wärme der Liebe unseres Vaters im Himmel entfernt haben. Wir vergessen, dass das reine Licht des Herrn uns erwartet, uns ruft und nur ein paar Schritte im Glauben entfernt ist. Wir müssen erkennen, dass wir die Kraft und die Fähigkeit haben, die schmutzige Luft des Tales hinter uns zu lassen und in das strahlende Sonnenlicht des Friedens und der Hoffnung aufzusteigen, die man nur findet, wenn man zum Erretter kommt.
Wir freuen uns in dieser Weihnachtszeit über die Geburt Jesu Christi, der das Licht der Welt ist und uns alle eingeladen hat, zu ihm in sein Licht zu kommen. Wir lesen in den heiligen Schriften von den Männern und Frauen, die bei seiner Geburt buchstäblich zu ihm kommen durften. Manche kamen von weither, andere kamen aus der Nähe. Manche hatten Engel gesehen, andere handelten aufgrund persönlicher Offenbarung. Doch alle nahmen sie die Einladung an, zu ihm zu kommen.
Was können wir von den Hirten, von Simeon und Hanna und von den Sterndeutern lernen, die alle kommen und das Christuskind mit eigenen Augen sehen durften? Wenn wir darüber nachdenken, wie sie der Einladung, zu Christus zu kommen, gefolgt sind, erkennen wir, wie wir uns selbst aus der Inversion, nämlich dem Nebel und der Verwirrung, die wir vielleicht erleben, erheben und die klare, reine Hoffnung erleben können, die das Licht der Welt uns anbietet. Dort, bei ihm, kann uns bewusst werden, wer wir wirklich sind und wo unser Platz im ewigen Plan Gottes ist. Was verworren war, wird wieder klar, die Perspektive stimmt wieder.
Die Hirten
In den bekannten Versen in Lukas 2 erfahren wir etwas Wichtiges über diese ersten Zeugen der Geburt Christi, nämlich die Hirten in den Feldern bei Betlehem. Als „der Engel des Herrn zu ihnen [trat,] fürchteten [sie] sich sehr“ (Vers 9). Doch ihnen wurde „eine große Freude“ verkündet (Vers 10), nämlich dass der lang vorhergesagte Erlöser, der Messias, der Christus geboren worden war. Sie hörten aufmerksam zu, um das Zeichen zu erfahren, an dem sie den Erlöser erkennen konnten: er werde „in Windeln gewickelt … in einer Krippe [liegen]“ (Vers 12). Als die himmlischen Heerscharen die frohe Botschaft überbracht hatten, handelten die Hirten sofort. Sie sagten zueinander: „Kommt, wir gehen nach Betlehem, um das Ereignis zu sehen, das uns der Herr verkünden ließ.“ (Vers 15.) Sie „eilten …hin“ (Vers 16) und fanden das Christuskind, wie der Engel es gesagt hatte. Dann kehrten sie „zurück, rühmten Gott und priesen ihn“ (Vers 20). Sie verbreiteten überall die wunderbare Nachricht, dass der Erretter geboren worden war (siehe Vers 17).
Wie die Hirten müssen wir unverzüglich handeln und loseilen, wenn der Heilige Geist zu uns spricht. Wir dürfen, wie Präsident Thomas S. Monson gesagt hat, „es niemals aufschieben, einer Eingebung zu folgen“.1 Wenn wir einer Eingebung entsprechend gehandelt haben, erkennen wir nicht immer gleich, warum uns der Geist angeleitet hat, etwas Bestimmtes zu tun. Doch wie die Hirten sehen wir oft, dass Wunder geschehen, und wissen dann, dass es richtig war, dieser Eingebung entsprechend zu handeln. Dann können wir die Gelegenheit nutzen, andere an unserer Freude und unserem Zeugnis teilhaben zu lassen. Dadurch können andere mehr Glauben und Hoffnung entwickeln, was wiederum unser Zeugnis bestätigt und uns dem Erlöser und seinen Wegen näherbringt.
Simeon
Ein weiterer Zeuge, der das Christuskind sehen durfte, war Simeon. Er war „gerecht und fromm“, und der Heilige Geist sprach oft zu ihm (Lukas 2:25). Ihm war offenbart worden, „er werde den Tod nicht schauen, ehe er den Messias des Herrn gesehen habe“ (Vers 26), und er lebte in hoffnungsvoller Erwartung dieses heiligen Ereignisses. Der Heilige Geist führte ihn an dem Tag in den Tempel, als Maria und Josef das kleine Jesuskind nach Jerusalem brachten, „um es dem Herrn zu weihen“ (Vers 22). Simeon erkannte das Baby als den verheißenen Messias, nahm „das Kind in seine Arme und pries Gott“ (Vers 28). Er prophezeite, welche Mission das heilige Kind erfüllen werde: es sei „ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel“ (Vers 32).
Weil Simeon rechtschaffen und treu lebte, konnte er im Tempel sein und von dem Licht Zeugnis geben, als er es endlich gefunden hatte. Wie Simeon können wir danach streben, für die Einflüsterungen des Heiligen Geistes empfänglicher zu sein und sie zu befolgen, damit wir den Weg einschlagen, den der Vater im Himmel für uns vorgesehen hat. Simeon hatte seine Fähigkeit, auf den Geist zu hören und entsprechend zu handeln, so entwickelt, dass er zur rechten Zeit am rechten Ort war, und die Verheißungen, die der Herr ihm gegeben hatte, sich auf die herrlichste Weise erfüllten.
Auch wir erhalten solche Gelegenheiten und können ebenso zulassen, dass sich der Plan des Herrn für unser Leben erfüllt. Wenn wir Entscheidungen von ewiger Tragweite treffen müssen, wenn wir vor einem Scheideweg stehen, müssen wir klar denken können und alles aus der richtigen Perspektive sehen. Manchmal führt allein die Tatsache, dass wir eine wichtige Entscheidung treffen müssen, dazu, dass wir unsicher sind, schwanken oder sogar meinen, überhaupt nicht handeln zu können, weil wir im dunklen Tal in der Inversionsschicht festsitzen. Wenn wir aber glaubensvoll ein paar Schritte gehen und nach rechtschaffenen Grundsätzen handeln, erkennen wir allmählich, wie Gottes Plan Gestalt annimmt, und wir werden zurückgebracht ins strahlende Sonnenlicht der Liebe Gottes.
Hanna
Hanna „war schon hochbetagt“, eine Witwe, die als „Prophetin“ bezeichnet wurde (Lukas 2:36). Fasten und Beten kennzeichneten ihr langes, treues Leben, und „sie hielt sich ständig im Tempel auf“ (Vers 37). Als sie das Jesuskind im Tempel sah, dankte sie Gott „und sprach über das Kind zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten“ (Vers 38).
Von Hanna lernen wir, dass wir in jedem Wetter glaubenstreu leben können, wenn wir beständig fasten und beten und uns im Herzen ständig im Tempel aufhalten. Selbst wenn wir nicht die Gelegenheit hatten, zu einem Tempel zu fahren und die Segnungen des Tempels zu empfangen, können wir uns doch der Segnungen erfreuen, die damit einhergehen, dass man würdig ist und einen Tempelschein besitzt. Propheten haben uns wiederholt aufgefordert, einen Tempelschein zu besitzen, selbst wenn die Umstände es nicht zulassen, dass wir den Tempel besuchen können.2 Durch unseren Gottesdienst im Tempel und indem wir allen, die Frieden und Hoffnung suchen, von Jesus Zeugnis geben, können wir uns selbst aus dunklen Augenblicken erheben und das Licht der Dankbarkeit erreichen.
Die Sterndeuter
Schließlich lesen wir in Matthäus 2 von den Sterndeutern, die eine weite Reise auf sich nahmen, denn sie hatten im Osten „seinen Stern aufgehen sehen“ und wussten, was das Zeichen bedeutete (Vers 2). Sie hatten Geschenke dabei, um dem Erlöser zu huldigen, sie suchten ihn und fragten: „Wo ist der neugeborene König der Juden?“ (Vers 2.) Am Ende ihrer langen Suche, als sie das Christuskind gefunden hatten, „fielen sie nieder und huldigten ihm“ und überreichten ihre Schätze (Vers 11). Herodes wollte sie täuschen, doch Gott warnte sie und gebot ihnen „im Traum …, nicht zu Herodes zurückzukehren“, sondern „auf einem anderen Weg heim in ihr Land“ zu ziehen (Vers 12). Die Sterndeuter beachteten diese Offenbarung Gottes und beschützten somit die Heilige Familie vor den bösen Absichten des Herodes.
Wir können viel von den Sterndeutern lernen. Wie sie sollen wir uns intensiv mit den heiligen Schriften befassen und die Zeichen kennen, nach denen wir Ausschau halten sollen, und die Welt auf das Zweite Kommen des Erlösers vorbereiten. Wenn wir die Schriften erforschen und darüber nachsinnen, werden wir vermehrt den Wunsch haben, den Herrn jeden Tag unseres Lebens zu suchen und als Geschenk an ihn unsere Selbstsucht, unseren Stolz und unsere Auflehnung aufzugeben. Wenn persönliche Offenbarung zu einer Änderung unserer Pläne führt, können wir gehorsam sein, Glauben ausüben und darauf vertrauen, dass Gott weiß, was für uns am besten ist. Und letztlich müssen wir, durch ein Leben als wahrer Jünger, niederfallen und den Erlöser voll Demut und Liebe anbeten.
Diese Nachfolge Christi erfordert nicht unbedingt, dass wir unsere Schafe auf den Feldern zurücklassen oder eine Wüste durchqueren. Unser Weg zu ihm ist geistig und hat mit unserem Verhalten zu tun. Es geht darum, die Tatsache voll und ganz anzunehmen, dass das Sühnopfer unbegrenzt ist und jeden Aspekt unseres Lebens einschließt – unsere Sünde, unsere Schwäche, unseren Schmerz und unsere Krankheit (siehe Alma 7:11-13). Es bedeutet, dass wir das loslassen können, was uns im düsteren Nebel in der Inversionsschicht im Tal festhält, und stattdessen in der Wärme und Liebe des Lichtes der Welt leben. Präsident Henry B. Eyring, Erster Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft, hat gesagt: „‚Kommt zu Christus!ʻ – diese Worte laden ein. Sie bilden die wichtigste Einladung, die man an jemanden richten kann. Sie stellen auch die wichtigste Einladung dar, die jemand annehmen kann.“3