Die 500 JAHRE zwischen Maleachi und Johannes dem Täufer
Die 500 Jahre zwischen dem Alten und dem Neuen Testament geben Aufschluss über die Zustände im alten Palästina vor dem Kommen Jesu Christi und sind ein Ansporn für uns, dem Erlöser noch entschlossener nachzufolgen.
Nachdem der Prophet Maleachi um 450 v. Chr. die irdische Bühne verlassen hatte, war etwa 500 Jahre lang keine wahrhaft prophetische Stimme mehr zu vernehmen. Die Rede ist von der Zeit zwischen den Testamenten – der Lücke zwischen der Evangeliumszeit des Alten und der des Neuen Testaments. Da es keinen Propheten gab, spaltete sich das Volk in Parteien und Gruppierungen, die alle für sich das Recht beanspruchten, die heiligen Schriften auszulegen und das Volk zu führen. Die wahre Erkenntnis von Jehova ging dabei immer mehr verloren. Eine lange Nacht der Verwirrung war die Folge, und sie nahm erst dann ein Ende, als Gott einen neuen Propheten sandte, nämlich Johannes den Täufer, der eine neue Evangeliumszeit einleitete. Doch obwohl nun Johannes der Täufer sowie der Erlöser selbst das Volk belehrten, waren viele nicht imstande, die Traditionen und Glaubensansichten hinter sich zu lassen, die sich in der Zeit zwischen den beiden Testamenten entwickelt und gefestigt hatten. Wer über diese 500 Jahre und das Wirrwarr jener Zeit besser Bescheid weiß, begreift das geistliche Wirken des Heilands besser und wird in seinem Entschluss, ihm nachzufolgen, bestärkt.
Exil und Gefangenschaft – der Preis des Ungehorsams
Propheten wie Jesaja und Jeremia warnten die Einwohner Jerusalems: Wenn sie weiterhin ihre Bündnisse mit dem Herrn missachteten, würden die Stadt und ihr Tempel der Zerstörung anheimfallen. Diese Prophezeiung bewahrheitete sich, als die Babylonier um 600 v. Chr. erstmals in Juda einfielen und Dörfer, Städte und das religiöse Leben zunichtemachten.
Jerusalem fiel schließlich 587 v. Chr., und die Juden mussten ihr zerstörtes Heimatland verlassen und ins Exil gehen (siehe Psalm 137:1). Einige wenige blieben in und um Jerusalem zurück – darunter auch die Samariter, die mit der Zeit Mischehen mit Nichtisraeliten eingingen (siehe Jeremia 40:7,11,12). Die Verbannten kehrten später nach Palästina zurück und bauten ihre Häuser und ihr religiöses Leben wieder auf (siehe Esra 3). Der Tempel in Jerusalem, der bereits 515 v. Chr. wieder aufgebaut worden war, stand erneut im Mittelpunkt des jüdischen Gottesdienstes.
Da die Juden das Angebot der Samariter, beim Wiederaufbau des Tempels mitzuhelfen, ausgeschlagen hatten, bauten die Samariter im späten vierten Jahrhundert v. Chr. einen eigenen Tempel auf dem Berg Garizim, an die 65 Kilometer nördlich von Jerusalem. Die Verehrung Jehovas und der Glaube an ihn waren also sozusagen aufgeteilt zwischen dem neuen Tempel auf dem Berg Garizim und dem Tempel in Jerusalem, wobei beide Gruppen Anspruch auf die Priestertumsvollmacht erhoben (siehe Johannes 4:20).
Diese religiöse Erweckung war jedoch nicht von langer Dauer. Nach Maleachi schickte der Herr, wie Amos es prophezeit hatte, „den Hunger ins Land, nicht den Hunger nach Brot, nicht Durst nach Wasser, sondern nach einem Wort des Herrn“ (Amos 8:11). Die veränderten Gegebenheiten zogen gravierende Folgen nach sich. Die Menschen versuchten nämlich, das Gesetz zu verstehen und anzuwenden, ohne dass ihnen aber maßgebliche Lehren und prophetische Auslegungen zur Verfügung standen.
Der Abfall vom Glauben
Infolge des Abfalls vom Glauben bildeten sich Gruppierungen mit unterschiedlichen politischen, religiösen und gesellschaftlichen Ansichten. Auch ihre Glaubensansichten und die Überlieferungen hinsichtlich des Messias waren ganz unterschiedlich. Diese religiösen Gruppierungen bemühten sich zwar, nach dem Gesetz des Mose zu leben, wie sie es verstanden, doch legte jede Gruppe die Schriften nach so unterschiedlichen Gesichtspunkten aus, dass sich die jüdische Gesellschaft immer weiter aufspaltete. Infolgedessen wurde auch die wahre Kenntnis vom Erlöser immer mehr zur Auslegungssache.
Nachdem die Stimme der Propheten verstummt war, wurden die Priester und ihre Mitarbeiter im Tempel, nämlich die Leviten, die wichtigsten Beamten im jüdischen Volk und erhoben Anspruch auf das Recht, die Schriften auszulegen. Das Amt des Hohepriesters wurde jedoch käuflich und somit korrumpiert.
Viele Juden vertraten die Ansicht, dass die Priester und Leviten ihrer Aufgabe, das Gesetz korrekt zu lehren, nicht nachkämen (siehe Deuteronomium 33:10), und so bildete sich eine neue Gruppierung heraus, die das Gesetz lehren wollte. Sie wurden als die Schriftgelehrten bekannt und nahmen sich Esra zum Vorbild, der seinem Volk die Dringlichkeit, das Gesetz zu kennen und zu befolgen, ans Herz gelegt hatte (siehe Esra 7:25; Nehemia 8:1-8).
332 v. Chr. eroberte Alexander der Große das Gebiet. Nach seinem Tod teilten seine Generäle das Reich unter sich auf. Im Laufe der Zeit geriet Palästina unter die Herrschaft der griechisch sprechenden seleukidischen Könige. Im Jahr 167 v. Chr. erklärten die seleukidischen Herrscher die jüdische Religion für ungesetzlich, verboten die Beschneidung und entweihten den Tempel, indem sie Schweine auf dem Altar opferten. Viele Juden leisteten Widerstand. Angeführt wurden sie von einer Familie, die als Makkabäer oder Hasmonäer bekannt ist. Der Aufstand – der Makkabäerkrieg – brachte den Juden schließlich Freiheit, und zum ersten Mal seit dem Fall Jerusalems wurde wieder eine jüdische Nation gegründet. Zur gleichen Zeit bildete sich eine weitere religiöse Gruppe, bekannt als die Chassiden, „die Frommen“. Sie wollten Gott ihre Hingabe dadurch zeigen, dass sie sich an jede Vorschrift im Gesetz des Mose, wie sie es verstanden, genauestens hielten.
In der Zeit zwischen den Testamenten entstanden noch weitere religiöse Gruppierungen, und jede beanspruchte für sich das alleinige Recht der Schriftauslegung. Die Pharisäer waren eine unabhängige religiöse Gruppierung, die kurz nach dem Makkabäerkrieg entstanden war. Sie gewannen in der jüdischen Gesellschaft großen Einfluss und führten strenge Regeln hinsichtlich Speisevorschriften und ritueller Waschungen ein, die in erster Linie auf ihren mündlichen Überlieferungen und nicht auf der heiligen Schrift beruhten. Sie waren bestrebt, sich zu Hause so zu verhalten, als ob sie im Tempel lebten.
Die Sadduzäer hingegen, deren Ursprung nicht bekannt ist, lehnten jegliche Berufung auf die mündlichen Überlieferungen ab und hielten sich streng an die fünf Bücher des Mose. Sie verwarfen jedoch die Schriften sonstiger Propheten. Diese Gruppe setzte sich in erster Linie aus der Oberschicht der Jerusalemer Gesellschaft zusammen. Als Jesus geboren wurde, hatten die Sadduzäer ihre Macht dahingehend ausgebaut, dass sie nun die Herrschaft über den Tempel in Jerusalem innehatten.
Jede dieser religiösen Gruppierungen hielt fest an den Traditionen und Lehren, die ihrer Ansicht nach für ein gottgefälliges Leben unerlässlich waren. Da jedoch die Führung durch einen wahren Propheten fehlte, entwickelten sich eigene Auslegungen.
Eine neue Evangeliumszeit steht bevor
Ungeachtet ihrer Glaubenslehren schauten rechtschaffene Männer und Frauen in der Zeit zwischen den Testamenten nach dem Kommen des Messias aus. Poeten sangen Psalmen von seinem Kommen, und die Menschen beteten um seine Ankunft, unterhielten sich darüber und träumten davon: Ein König wie David sollte kommen, sein Volk zu retten.
Eine Gruppe, die den Messias erwartete, waren die Essener. Diese Gruppe hatte sich zur Zeit des Makkabäerkonflikts gebildet. Die Essener waren der Ansicht, dass die Tempelpriester in Jerusalem korrupt seien und der Tempel dringend reformiert werden müsse. Ihrer Meinung nach war das Kommen des Messias nahe. Sie glaubten, er werde gemeinsam mit ihnen die Unterwerfung unter das römische Joch abschütteln. Roms Herrscher hatten Palästina etwa 60 Jahre vor der Geburt Jesu erobert.
Ähnlich der Reformation, die der Wiederherstellung vorausging, gab es auch in der Zeit zwischen den Testamenten Ereignisse, die die Welt auf das Kommen Jesu Christi vorbereiteten. In dieser Zeit entstand eine beachtliche Menge an religiöser Literatur, darunter auch die Übersetzung der hebräischen Bibel ins Griechische. Auch die ersten Schriftrollen vom Toten Meer und die ersten Apokryphen wurden damals verfasst. Die Lehre von Engeln, von der Auferstehung sowie von Himmel und Hölle wurde damals genauer definiert und ausgefeilt.
Doch es gab keinen Propheten, der das Volk führen konnte, und die Juden debattierten über die Bedeutung der Schriften und die Frage, wer der Messias sein werde. Während die meisten einen davidischen Messias erwarteten (der von König David abstammte), favorisierten andere einen Messias, der ein Nachkomme Aarons wäre, also einen priesterlichen Messias. Wieder andere glaubten gar nicht, dass ein Messias kommen werde.
Unter den verschiedenen Gruppierungen waren in der Zeit zwischen den Testamenten so viele Erwartungshaltungen entstanden, dass sie den wahren Messias, als er schließlich kam, gar nicht zu erkennen vermochten. Keine der Gruppen, weder die Schriftgelehrten noch die Pharisäer, weder die Essener noch die Sadduzäer, nahm Johannes den Täufer als Propheten oder Jesus als den Messias an. Manche Mitglieder dieser Gruppen wurden sogar während des geistlichen Wirkens von Johannes und Jesus zu deren erbittertsten Gegnern (siehe Matthäus 21:23-46).
Die Debatten und Streitigkeiten über den Messias setzten sich zwischen den Gruppen fort. Johannes der Täufer, der erste Prophet der neuen Evangeliumszeit, kündigte das Kommen des wahren Messias an und stellte klar, welche Art von Errettung er bringen werde. Johannes deutete auf Jesus Christus und sagte: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.“ (Johannes 1:29.) Viele Juden sahen in Johannes einen, der die Menschen auf das Kommen Christi vorbereitete.
Als Jesus Christus sein Wirken begann, lehrte er „wie einer, der (göttliche) Vollmacht hat, und nicht wie ihre Schriftgelehrten“ (Matthäus 7:29). Er führte viele Auseinandersetzungen mit den religiösen Führern und stellte die Lehre von der Ehe, der Auferstehung, der Gottheit sowie seine Rolle als Erlöser klar. Da ihn viele der religiösen Führer verwarfen (siehe Matthäus 26:4), sagte Jesus zu ihnen: „Ihr kennt weder mich noch meinen Vater; würdet ihr mich kennen, dann würdet ihr auch meinen Vater kennen.“ Er fügte hinzu: „Wenn Gott euer Vater wäre, würdet ihr mich lieben.“ (Johannes 8:19,42.)
Aber weil sie einen Messias erwarteten, der so ganz anders sein sollte als Jesus, verwarfen sie ihn. Zum Glück leben wir in einer Zeit, in der sich die Wahrheiten des Evangeliums aus den grundlegenden Aussagen der Propheten und Apostel ergeben (siehe Epheser 2:20). Wir müssen uns nicht mit unterschiedlichen Lehrmeinungen herumplagen, wie sie ohne die Führung durch Propheten und Apostel zwangsläufig entstehen. Wenn wir den neuzeitlichen Propheten und Aposteln folgen, lernen wir die wahre Lehre vom Erlöser Jesus Christus kennen, wie sie dem Propheten Joseph Smith offenbart worden ist.
„Denn [ich habe] ihn gesehen, ja, zur rechten Hand Gottes; und [ich habe] die Stimme Zeugnis geben hören, dass er der Einziggezeugte des Vaters ist –
dass von ihm und durch ihn und aus ihm die Welten erschaffen werden und wurden, und deren Bewohner sind für Gott gezeugte Söhne und Töchter.“ (LuB 76:23,24.)