2015
Geduld: Mehr als Abwarten
August 2015


Geduld: mehr als Abwarten

Die Verfasserin lebt in Utah.

Geduld zu lernen ist nicht einfach. Aber es lohnt sich.

Statue depicting a woman with her head bowed.

Foto von minoandriani/iStock/Thinkstock

Schwester Olsen, wir segnen Sie mit Geduld.“ Das war nicht gerade das, was ich eigentlich hören wollte. Den ganzen Tag lang hatte ich darum gebetet, genügend Glauben aufzubringen, um geheilt zu werden. Nun wurde mir im Krankensegen verheißen, dass es mir schließlich besser gehen werde, aber zugleich wurde gesagt, dass es noch dauern werde.

Ich seufzte, als die Missionare den Krankensegen beendet hatten. Meine Mission war in drei Monaten zu Ende, und ich wollte draußen bei den Menschen sein, nicht krank im Bett liegen. Ich wollte den Willen des Herrn annehmen, konnte aber einfach nicht begreifen, warum er mich warten ließ.

Erst nach mehreren Tagen schaffte ich es, das Ganze einigermaßen zu akzeptieren. Ich fand mich damit ab, dass ich nicht gleich wieder gesund werden würde, war aber trotzdem missmutig – bis ich eines Tages die heiligen Schriften aufschlug. Als ich in Jakobus 1 las, fand ich endlich inneren Frieden. Joseph Smith hatte seine Antwort in Vers 5 gefunden, ich fand meine in Vers 2 bis 4:

„Seid voll Freude, meine Brüder, wenn ihr in mancherlei Versuchungen geratet [in der Joseph-Smith-Übersetzung steht statt ‚mancherlei Versuchungen‘ ‚viele Bedrängnisse‘].

Ihr wisst, dass die Prüfung eures Glaubens Ausdauer bewirkt.

Die Ausdauer aber soll zu einem vollendeten Werk führen; denn so werdet ihr vollendet und untadelig sein, es wird euch nichts mehr fehlen.“

Als ich diese Verse las, war ich zwar nicht unbedingt sofort „voll Freude“ darüber, dass ich krank war, aber mir wurde doch einiges klar, was mir half, mit meiner Lage nicht mehr so unzufrieden zu sein.

Dass ich nicht sofort geheilt worden war, bedeutete nicht, dass ich keinen Glauben hatte, und es bedeutete auch nicht, dass ich dem Herrn gleichgültig war – ganz im Gegenteil. Ich war dem Herrn so wichtig, dass er mich nicht sofort heilte und dadurch meinen Glauben prüfte, damit ich Ausdauer und Geduld entwickeln konnte.

Mir wurde klar, dass ich Geduld entwickeln musste, weil diese Eigenschaft von entscheidender Bedeutung ist. Geduld läutert uns. Geduld hilft uns, dem Heiland ähnlicher zu werden. Natürlich hatte ich als Vollzeitmissionarin wichtige Aufgaben, aber mir wurde klar, dass dem Herrn das Werkzeug in seiner Hand ebenso wichtig ist wie die zu erfüllende Aufgabe. Der Herr lehrte mich Geduld, damit ich in den letzten Monaten meiner Mission eine noch bessere und erfolgreichere Missionarin sein konnte.

Wie es mir verheißen worden war, wurde ich schließlich wieder gesund, aber damit hatte ich noch längst nicht alles über Geduld gelernt. Viele Segnungen – die Ehe, eine Anstellung, Kinder, körperliche oder seelische Gesundheit, Antworten auf Gebete – lassen auf sich warten. Wenn die Antwort auf Gebete ausbleibt, was bestimmt vorkommen wird, üben Sie sich in Geduld und vertrauen Sie auf den Herrn und seinen Zeitplan. Es wird Ihr Leben bereichern.

Was Geduld bedeutet

Nach meiner Rückkehr von Mission dachte ich irrtümlicherweise, ich hätte nun Geduld gelernt und könne es von meiner Liste streichen. Geduld ist allerdings etwas, was man nicht auf einmal lernen kann. Elder Neal A. Maxwell (1926–2004) vom Kollegium der Zwölf Apostel hat einmal über Geduld gesprochen, und ich las seine Ansprache zum ersten Mal nach dem enttäuschenden Ende einer Beziehung. Ich war verzweifelt, hatte wenig Hoffnung und brauchte damals alles andere als die Erinnerung daran, dass ich geduldig sein soll. Überraschenderweise lernte ich aus Elder Maxwells Erkenntnissen über Geduld einige wertvolle Prinzipien, die meine Auffassung von Geduld (wieder einmal) völlig veränderten und mich motivierten, mich erneut in Geduld zu üben.

Geduld ist keine Resignation

Beispielsweise wurde mir klar, dass geduldig zu sein nicht bedeutet, dass man mit den Schultern zuckt und die Hoffnung aufgibt. Elder Maxwell erklärte: „Geduld bedeutet nicht Gleichgültigkeit. Tatsächlich bedeutet Geduld, dass man großes Interesse an etwas hat, aber dennoch bereit ist, sich dem Herrn und dem in den Schriften so bezeichneten ‚Lauf der Zeit‘ zu fügen.“1 Ich hatte Geduld immer als eine Art passive Reaktion auf die Ereignisse des Lebens betrachtet, als Nachgeben. Geduld zu haben bedeutet aber nicht nachzugeben. Geduld offenbart innere Stärke und Ergebenheit gegenüber dem Herrn.

Geduld ist zuversichtlich, nicht voller Sorge

Elder Maxwell sagte ferner: „Geduld ist gewissermaßen die Bereitschaft, staunend und ehrfürchtig zuzusehen, wie sich die Absichten Gottes entfalten, und nicht im Käfig unserer Lebensumstände auf und ab zu laufen. Anders ausgedrückt: Öffnet man zu häufig voller Sorge die Tür des Backofens, fällt der Kuchen zusammen, anstatt aufzugehen. So ist es auch mit uns. Wenn wir ständig selbstsüchtig unsere Temperatur messen, um festzustellen, ob wir glücklich sind, werden wir nicht glücklich.“2 Diesen Gedanken fand ich sehr einleuchtend (und nicht nur, weil ich beim Backen immer sehr ungeduldig bin). Es ist entmutigend, wenn Pläne scheitern oder sich ganz anders entwickeln als erwartet. Mit unserem irdischen Verstand lässt sich Gottes Zeitplan nur schwer erfassen. Aber eines kann ich erfassen: Gott ist ein liebevoller Vater, und er hat einen Plan, der uns schließlich Glück zusichert, wenn wir treu sind. Ich lerne allmählich, seinen Zeitplan zuversichtlich anzunehmen – und nicht voll Sorge.

Es geht nicht immer um uns

Da Geduld unser Innerstes auf die Probe stellt, ist auch unser Blick oft nach innen gerichtet. Elder Maxwell sagte, dass „Geduld uns auch bewusst macht, dass wir selbst zwar bereit sein mögen, weiterzugehen, weil wir aus einer bestimmten Erfahrung ausreichend gelernt haben, dass wir jedoch weiter verweilen müssen, weil unsere Anwesenheit einen Beitrag dazu leistet, dass andere etwas Bestimmtes lernen“3. Nicht nur wir brauchen Geduld. Auch andere brauchen unsere Geduld oder unser gutes Beispiel an Geduld. Dieser Gedanke war mir noch nie gekommen. Er half mir, Geduld als eine edle Eigenschaft zu sehen, die sehr eng mit der Nächstenliebe, der reinen Christusliebe, verbunden ist, die ja niemals aufhört (siehe Moroni 7:46).

Mehr als Abwarten

Auch wenn wir die richtige Einstellung haben, kann das Warten schwer sein. Ich habe jedoch gelernt, dass Geduld mehr ist als Abwarten. Ich habe dies bei meinem Bruder Andrew und seiner Frau Brianna beobachtet, die keine Kinder bekommen konnten. Als sie erfuhren, dass sie keine Kinder bekommen konnten, zerschlugen sich ihre Hoffnungen, aber dann schöpften sie neue Hoffnung. Sie wollten ein Kind adoptieren – aber das bedeutete wieder warten.

Ich verwende ungern das Wort warten, wenn ich von ihnen spreche, weil es doch oft als etwas sehr Passives verstanden wird. Warten bedeutet für sie jedoch nicht, einfach abzuwarten, bis man ein Kind adoptieren kann: Geduld ist sehr viel mehr.

Andrew sagte: „Bei der Adoption liegt vieles in der Hand des Herrn, nicht in unseren Händen. Aber es ist ein gutes Gefühl, dass wir etwas tun können, um auf unser Ziel hinzuarbeiten, Kinder zu haben.“ Sie führten einen Blog, erzählten Freunden und Angehörigen von ihrem Vorhaben, schlossen sich einer Gruppe von Adoptiveltern an, kurz, sie strengten sich an, alles zu tun, was in ihrer Macht lag (siehe LuB 123:17), und setzten ihr Vertrauen in den Herrn.

Nach Jahren des Wartens und des Betens konnten sie ein entzückendes kleines Mädchen namens Jessica adoptieren. Als sie das Baby in den Armen hielten, verblassten alle Enttäuschungen und alle Verzweiflung. Jessica war und ist für sie ein Wunder.

Fünf Jahre sind vergangen, seit sie Jessica adoptiert haben, und seit vier Jahren bewerben sie sich für eine weitere Adoption. Das Warten hat wieder begonnen. Brianna sagte zu mir: „Andere erinnern uns oft daran, dass ein weiteres Kind zu dem Zeitpunkt in unsere Familie kommen wird, wann es so sein soll. Natürlich haben sie Recht, aber wir wissen auch, dass wir nicht einfach nur herumsitzen und warten dürfen. Wir müssen daran glauben, dass es klappen wird, aber auch vorwärtsgehen, unser Leben leben, Pläne für die Zukunft schmieden, Spaß haben und unser Zusammensein als Familie genießen.“

Warten ist schwer, aber Andrew und Brianna haben mir beigebracht, dass ich mich entschließen muss, jetzt und heute glücklich zu sein. Man kommt so leicht auf den Gedanken: „Ich werde glücklich sein, wenn __________“, aber wir verpassen vieles, was das Leben zu bieten hat, wenn wir unser Glück aufschieben. Auch wenn wir manchmal unsere Wünsche zurückstellen müssen, um uns dem Willen des Vaters im Himmel zu fügen, bedeutet das nicht, dass wir auch unser Glück zurückstellen müssen. Gottes Liebe kann uns Kraft geben, die Leere füllen und uns Hoffnung schenken.

Wie der Erretter Geduld vorgelebt hat

Head shot of a statue of Jesus

Foto des Steinmetzes von AngelGV/iStock/Thinkstock; Foto der Statue von lawrod4/iStock/Thinkstock

Der Erretter ist das beste Beispiel dafür, was es heißt, geduldig zu sein. Meiner Meinung nach kommt seine Geduld in seinen Worten im Garten Getsemani zum Ausdruck. Inmitten seines unvorstellbaren Leids und Opfers bat er darum, dass der Kelch des Leidens an ihm vorübergehen möge. Dann sagte er: „Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ (Matthäus 26:39.) In dem Wort aber steckt eine eindringliche Botschaft. Ungeachtet dessen, was sich der Heiland in diesem Moment wünschte, drückte er seine Bereitschaft aus, den Willen seines Vaters anzunehmen und auszuharren.

Von uns allen wird verlangt, dass wir auf etwas warten – manchmal sogar auf einen unserer rechtschaffensten Herzenswünsche. Jesus Christus, „unser bester, unser himmlischer Freund“4, kann uns trösten und uns versichern, dass viel Gutes auf uns wartet. Er geht liebevoll und geduldig mit uns um, während wir lernen, ihm ähnlicher zu werden, und lernen, uns den erwarteten und den unerwarteten Wendungen des Erdenlebens zu stellen und zum Vater im Himmel zu sagen: „Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.“

Meine Auffassung von Geduld hat sich sehr geändert, seit ich erwachsen bin. Geduld ist ein Prozess, und ich werde nie aufhören, Geduld zu lernen. Auch wenn das Warten wirklich schwerfällt, lerne ich allmählich, „voll Freude“ zu sein, wenn meine Geduld geprüft wird – nicht weil ich mich darüber freue, dass es so schwer ist, sondern weil ich weiß, dass es einem herrlichen Zweck dient. Ich weiß, dass Ausdauer und Geduld zu einem vollendeten Werk führen und dazu beitragen sollen, den Zweck meines Lebens hier auf der Erde zu erfüllen, nämlich eines Tages vollendet und untadelig zu sein, sodass es mir an nichts mehr fehlt (siehe Jakobus 1:4).

Anmerkungen

  1. Neal A. Maxwell, „Patience“, Andacht an der Brigham-Young-Universität, 27. November 1979, Seite 1, speeches.byu.edu

  2. Neal A. Maxwell, „Patience“, Seite 2

  3. Neal A. Maxwell, „Patience“, Seite 3

  4. „Be Still, My Soul“, Hymns, Nr. 124