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Wie konnte ich meine Ansprache in einer Sprache halten, die ich noch lange nicht beherrschte?
Bei meiner Aufgabe, zusammen mit meinem Mann eine Mission zu leiten, lernte ich, auch dann auf den Herrn zu vertrauen, wenn ich mich unzulänglich fühlte
Gemeinsam mit meinem Mann, der von 2012 bis 2015 Missionspräsident war, war ich für die Leitung einer Mission in Santiago in Chile zuständig. Damals lernte ich einige prägende Lektionen darüber, dass Wunder tatsächlich geschehen und wie sie zustande kommen. Als ich die Berufung annahm, war ich gezwungen, wirklich über meinen Schatten zu springen, weil ich ja die Sprache unserer Mission nicht sprach. Anfangs fühlte ich mich überfordert und enorm unzulänglich.
Doch als mich zu Beginn der Mission ein Verwandter anrief, wurde mir bewusst, dass ich mich viel zu sehr auf mich selbst und meine Schwierigkeiten konzentrierte. Mir kam der Rat in den Sinn, den Präsident Gordon B. Hinckley (1910–2008) von seinem Vater erhalten und dann weitergegeben hatte: „Vergiss dich selbst und mach dich an die Arbeit.“1 Also beschloss ich, die Ausrichtung meines Denkens zu ändern. Wenn ich entmutigt war, fragte ich mich nun: „An wen denkst du jetzt?“ Und unweigerlich lautete die Antwort dann: „An mich.“ Also kehrte ich um und wandte meine Gedanken stattdessen meinen Mitmenschen zu. Ich konzentrierte mich bewusst auf unsere Missionare sowie auf diejenigen, die sie unterwiesen, oder auf meine Familie.
Ich versuchte auch, mir vor Augen zu führen, was ich tun konnte, anstatt mich darauf zu konzentrieren, was ich nicht tun konnte. Ich konnte lächeln, jemanden umarmen und fleißig Spanisch lernen, auch wenn ich dabei noch häufig Fehler machte. Oft begleitete ich die Missionarinnen (anstatt mich im Missionsheim zu verstecken, wo ich mich sicher fühlte), selbst wenn ich den Eindruck hatte, dass ich nicht viel beitragen konnte.
Solange ich bereit war, weiterhin kleine Schritte des Glaubens zu gehen, spürte ich durch das Sühnopfer Christi seine stärkende Macht, die mir half, meine Schwächen zu überwinden (siehe Jakob 4:7). Als ich über meine Erlebnisse dabei nachdachte, erkannte ich ein ähnliches Muster im Leben der Menschen in den heiligen Schriften, die mir besonders am Herzen liegen. Hier ist mein Tagebucheintrag vom Oktober 2014:
„In den heiligen Schriften finden wir viele Beispiele von Menschen, die sich entschieden haben, über ihren Schatten zu springen – beispielsweise Maria, die Mutter Jesu, Rut, Ester, Paulus, Henoch, Lehi und Nephi, Alma, Ammon und seine Brüder, Samuel, Abinadi, die 2000 jungen Lamaniten, Joseph Smith und viele andere. Sie alle nahmen Gelegenheiten wahr, die sie verwundbar machten. Das Ergebnis ihrer Umstände konnten sie weder vorhersehen noch beeinflussen. Sie fanden sich in Situationen wieder, die weit über alles hinausgingen, was ihnen vertraut war, und riskierten Gefahren, Schmerz, Leid, Zurückweisung und Versagen, sodass sie durch den Geist und durch Gaben Gottes gerettet werden mussten.
Der natürliche Mensch [siehe Mosia 3:19] möchte Gewissheit, Sicherheit und Kontrolle, aber ich habe gelernt, dass dies im Allgemeinen nicht die Schwelle ist, an der Gott seine Wunder wirkt. Hier in Chile merke ich: Wenn jemand bewusst einschränkt, was er tun kann und zu tun bereit ist, basierend darauf, womit er sich wohlfühlt, oder um Misserfolge zu vermeiden, schränkt er damit auch ein, was Gott mit ihm tun kann. Gott wirkt ja häufiger Wunder mit uns, wenn wir uns [seinem Willen unterwerfen und uns dadurch] verwundbar gemacht haben, und auch, wenn wir willens sind, ins Ungewisse hinauszugehen … und uns mehr auf unseren Glauben an ihn und nicht auf unsere eigenen Fähigkeiten stützen. Ich merke, dass ich mich der stärkenden Macht öffne, die mir dank des Sühnopfers Jesu Christi offensteht, wenn es mir mehr darum geht, zu lernen, zu wachsen und ein besserer Mensch zu werden, und wenn ich mir nicht so viele Gedanken darüber mache, was alles schiefgehen könnte.“
Ein Schritt, der mir geholfen hat, dies zu lernen, trug sich zu, als Elder Jeffrey R. Holland vom Kollegium der Zwölf Apostel unsere und die drei anderen Missionen in Santiago besuchte. Über 1000 Missionare versammelten sich in unserem Gemeindehaus und mein Mann war gebeten worden, die Versammlung zu leiten. Elder Holland betrat die Kapelle, nahm neben meinem Mann Platz, beugte sich zu uns herüber und sagte: „Wir machen das so: Sister Wright, Sie sprechen zuerst, und zwar im Namen aller Frauen der Missionspräsidenten hier. Dann folgt Präsident Wright.“
Ehrlich gesagt, bekam ich den Rest des Ablaufplans gar nicht mit. Es war mir nie in den Sinn gekommen, dass Elder Holland mich bitten könnte, eine Ansprache zu halten, also hatte ich mich nicht vorbereitet. Ich habe lieber ein wenig Zeit, um mich auf eine Ansprache vorzubereiten, oder wenigstens ein wenig Zeit, mir Gedanken zu machen, aber ich sollte gleich nach dem Anfangslied und dem Gebet sprechen.
Meine Gedanken überschlugen sich – und plötzlich verspürte ich auch noch den Wunsch, auf Spanisch zu sprechen. Obwohl wir seit einem Jahr auf Mission waren und ich mich sehr bemüht hatte, Spanisch zu lernen, hatte ich immer noch Probleme mit der Sprache und beherrschte sie definitiv nicht fließend. Ja, es war eine Dolmetscherin für mich vorgesehen, doch dies war nun mal eine spanischsprachige Mission, und ich wollte daher unbedingt auf Spanisch sprechen. Selbst auf Englisch wäre mir unter diesen Umständen eine Ansprache schwergefallen. Sie auf Spanisch zu halten, war wie ein Sprung ins kalte Wasser. Während also 1000 Missionare das Lied „Auserwählt zu dienen“ (Gesangbuch, Nr. 163) sangen, holte ich tief Luft, bekannte dem Vater im Himmel, wie unzulänglich ich mich fühlte, und flehte um Hilfe und darum, dass der Heilige Geist mich retten möge.
Ich sagte dem Vater im Himmel, dass ich keine Ahnung hätte, was ich sagen und wie ich es auf Spanisch ausdrücken solle, aber ich versprach ihm, dass ich meinen Mund auftun und mein Bestes geben würde voll Glauben, dass er ihn füllen werde (siehe Mose 6:32). In diesem Augenblick wurde ich mit Frieden und Zuversicht erfüllt. Nach dem Gebet erhob ich mich, trat ans Rednerpult und begann zu sprechen. Mir kamen genau, als ich es brauchte, Worte in den Sinn, über die ich zuvor nachgedacht hatte, und das sogar in einer Fremdsprache, in der ich mich eigentlich noch so wenig verständigen konnte. Nach meiner kurzen dreiminütigen Ansprache setzte ich mich hin, verspürte immer noch Frieden, wusste aber nicht, ob meine Botschaft auch verständlich gewesen war.
Nach der Versammlung kam der Bruder, der für Elder Holland gedolmetscht hatte, auf mich zu und sagte: „Sister Wright, ich hatte keine Ahnung, dass Sie so gut Spanisch sprechen!“ Ich erwiderte: „Das tue ich nicht.“ Er versicherte mir, dass ich keine Fehler gemacht hätte.
Ich bin mir sicher, dass sich keiner der Missionare an irgendetwas aus meiner kurzen Botschaft von jenem Tag erinnert. Doch für mich war es ein prägendes Erlebnis. Ich lernte, mein Vertrauen in den Vater im Himmel und den Erretter zu setzen, und erkannte, dass sie mich trotz meiner Schwächen stärken können und wollen, wenn ich bereit bin, voll Glauben einen Schritt ins Ungewisse zu machen. Hätte ich den sicheren Weg gewählt und die Dolmetscherin in Anspruch genommen, hätte ich vielleicht nie erkannt, wie Gott uns rettet, wenn wir uns öffnen und ihn siegen lassen.2
Schon immer hat mir dieser Teil der Definition von „Gnade“ aus dem Bible Dictionary gefallen: „Der Einzelne kann dank der Gnade des Herrn – durch Glauben an das Sühnopfer Jesu Christi und durch Umkehr von seinen Sünden – Kraft und Hilfe bekommen, um gute Werke zu tun, die er andernfalls aus eigener Kraft nicht vollbringen könnte.“
An jenem Tag hatte ich die Gnade des Herrn tatsächlich erlebt. Der Schritt ins Ungewisse, den ich voll Glauben gemacht hatte, gab mir den Mut, später immer wieder den Sprung ins kalte Wasser zu wagen. Fehler gehören nun mal zum Lernprozess dazu, und Fehler im Spanischen habe ich den Rest meiner Mission über viele gemacht. Aber als es am meisten darauf ankam, spürte ich, wie mich die Unterstützung und Stärke Jesu Christi über meine natürlichen Fähigkeiten hinauswachsen ließen, sodass ich in seinen Händen das Werkzeug sein konnte, das er brauchte, um anderen ein Segen zu sein. Mein Glaube an ihn und mein Vertrauen in ihn haben exponentiell zugenommen, und das ist das größte Geschenk, das ich von unserer Mission mit nach Hause genommen habe. Als wir nach Hause kamen, konnte ich fließend Spanisch sprechen, und jetzt nutze ich meine Sprachkenntnisse, um anderen in meinem Umfeld und in dem spanischsprachigen Zweig, in dem wir derzeit in die Kirche gehen, zur Seite zu stehen.
Ich kann bezeugen: „Wenn Menschen zu mir kommen, so zeige ich ihnen ihre Schwäche. Ich gebe den Menschen Schwäche, damit sie demütig seien; und meine Gnade ist ausreichend für alle Menschen, die sich vor mir demütigen; denn wenn sie sich vor mir demütigen und Glauben an mich haben, dann werde ich Schwaches für sie stark werden lassen.“ (Ether 12:27.)
Anmerkungen