Self Reliance
Die Weise des Herrn


Die Weise des Herrn

Bild
Präsident Thomas S. Monson

Meine Brüder und Schwestern, wie dankbar bin ich doch, dass ich über ein Thema sprechen kann, das mir sehr am Herzen liegt, nämlich das Wohlfahrtsprogramm der Kirche.

In Wohlfahrtsprojekten dienen

Etwas abseits der Hauptstraßen von Salt Lake City – vom Menschengedränge entfernt – liegt ein wohlbekannter Platz. Hier dienen, im Stillen und motiviert durch christliche Liebe, Arbeiter einander gemäß dem göttlichen Plan des Herrn. Ich spreche vom Welfare Square, der manchmal auch Vorratshaus des Bischofs genannt wird. An dieser zentralen Stelle und vielen weiteren Orten in aller Welt werden Früchte und Gemüse konserviert und Verbrauchsgüter verarbeitet, etikettiert, gelagert sowie an bedürftige Menschen ausgegeben. Nichts deutet hier auf staatliche Unterstützung hin, noch sieht man Geld über den Ladentisch gehen, da nur Bestellformulare mit der Unterschrift eines ordinierten Bischofs eingelöst werden.

Ich durfte von 1950 bis 1955 als Bischof über eintausendundachtzig Mitglieder präsidieren, die im Zentrum von Salt Lake City wohnten. In der Gemeinde gab es vierundachtzig Witwen und vielleicht vierzig Familien, die bedürftig waren und zu verschiedenen Zeiten und in gewissem Maß die Wohlfahrtsdienste in Anspruch nehmen durften.

Die Einheiten der Kirche erhielten gezielt Aufträge, um dafür zu sorgen, dass den Bedürftigen das gegeben werden konnte, was sie brauchten. In einer Einheit der Kirche wurde Fleisch produziert, in einer anderen wurden Orangen angebaut, in der nächsten Gemüse oder Weizen – eben eine Auswahl an Grundnahrungsmitteln, damit sich das Vorratshaus füllte und die älteren Menschen und die Bedürftigen versorgt waren. Der Herr bereitete den Weg, als er verkündete: „Und das Vorratshaus soll durch die Weihungen aus der Kirche erhalten bleiben; und Witwen und Waisen sollen versorgt werden, ebenso die Armen.“ (LuB 83:6.) Dann mahnte er: „Aber es muss notwendigerweise auf meine eigene Weise geschehen.“ (LuB 104:16.)

Nicht weit von dort, wo ich wohnte und diente, betrieben wir eine Geflügelfarm. Die meiste Zeit war es ein effizient betriebenes Wohlfahrtsprojekt, das das Vorratshaus mit tausenden frischen Eiern und hunderten Pfund kochfertiger Hähnchen belieferte. Manchmal jedoch führte das ehrenamtliche Stadtbauerntum nicht nur zu Blasen an den Händen, sondern auch zu Frustration.

Ich werde beispielsweise nie vergessen, wie wir einmal die jungen Träger des Aaronischen Priestertums zusammenriefen, um unsere Geflügelfarm einem gründlichen Frühjahrsputz zu unterziehen. Unsere begeisterte und dynamische Gruppe versammelte sich bei der Farm und jätete, harkte und verbrannte große Mengen an Unkraut und Schutt. Im Licht des glimmenden Lagerfeuers aßen wir Würstchen und beglückwünschten uns zu unserer guten Arbeit. Die Farm war jetzt sauber und ordentlich. Doch dann folgte die Katastrophe! Der Lärm und das Feuer hatten die fünftausend sensiblen Legehennen so verschreckt, dass die meisten die Federn verloren und keine Eier mehr legten. Danach nahmen wir immer ein bisschen Unkraut in Kauf, solange wir bloß mehr Eier produzierten.

Kein Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, das jemals Erbsen eingemacht, Zuckerrüben geschnitten, Heu geschleppt, Kohlen geschaufelt oder irgendwie sonst dazu beigetragen hat, für die Bedürftigen zu sorgen, vergisst oder bereut jemals diese Erfahrung. Engagierte Männer und Frauen helfen bei der Durchführung dieses gewaltigen und inspirierten Wohlfahrtsprogramms. Doch in Wirklichkeit würde der Plan durch die Bemühungen allein niemals gelingen, denn dieses Programm funktioniert durch Glauben, auf die Weise des Herrn.

Motivation durch Glauben

Mit anderen zu teilen, was wir haben, ist für unsere Generation nichts Neues. Wir müssen uns nur dem Bericht in 1 Könige in der Bibel zuwenden, um diesen Grundsatz nochmals klar zu erkennen: Wenn wir den Rat des Herrn befolgen und für die Bedürftigen sorgen, profitieren alle davon. Dort lesen wir, dass eine äußerst schwere Dürre das Land befallen hatte. Eine Hungersnot folgte. Der Prophet Elija erhielt vom Herrn eine Weisung, die ihn gewiss verwunderte: „Geh nach Sarepta … ! Ich habe dort einer Witwe befohlen, dich zu versorgen.“ Als er die Witwe gefunden hatte, bat Elija sie:

„Bring mir in einem Gefäß ein wenig Wasser zum Trinken!

Als sie wegging, um es zu holen, rief er ihr nach: Bring mir auch einen Bissen Brot mit!“

Ihre Antwort beschrieb ihre bedauernswerte Lage: Sie erklärte, dass sie gerade ein letztes kärgliches Mahl für sich und ihren Sohn zubereitete, und dann würden sie sterben.

Wie unglaubwürdig muss Elijas Antwort ihr geklungen haben:

„Fürchte dich nicht! Geh heim und tu, was du gesagt hast. Nur mache zuerst für mich ein kleines Gebäck und bring es zu mir heraus! Danach kannst du für dich und deinen Sohn etwas zubereiten; denn so spricht der Herr, der Gott Israels: Der Mehltopf wird nicht leer werden und der Ölkrug nicht versiegen bis zu dem Tag, an dem der Herr wieder Regen auf den Erdboden sendet.

Sie ging und tat, was Elija gesagt hatte. So hatte sie mit ihm und ihrem Sohn viele Tage zu essen.

Der Mehltopf wurde nicht leer und der Ölkrug versiegte nicht.“ (1 Könige 17:9-11,13-16.)

Dies ist der Glaube, der schon immer die Motivation und Inspiration für den Wohlfahrtsplan des Herrn war.

Das wahre Fasten

Mögen wir, wenn wir einen Tag pro Monat fasten und großzügig mindestens den Gegenwert der eingesparten Mahlzeiten in den Fastopferfonds zahlen, daran denken, wie Jesaja das wahre Fasten beschrieben hat.

Denke daran, „an die Hungrigen dein Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deinen Verwandten nicht zu entziehen.

Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte und deine Wunden werden schnell vernarben. Deine Gerechtigkeit geht dir voran, die Herrlichkeit des Herrn folgt dir nach.

Wenn du dann rufst, wird der Herr dir Antwort geben, und wenn du um Hilfe schreist, wird er sagen: Hier bin ich. …

Der Herr wird dich immer führen, auch im dürren Land macht er dich satt … Du gleichst einem bewässerten Garten, einer Quelle, deren Wasser niemals versiegt.“ (Jesaja 58:7-9,11.)

Durch unser heiliges Fastopfer wird der Betrieb der Lagerhäuser finanziert, der Geldbedarf der Armen und die medizinische Versorgung der mittellosen Kranken abgedeckt.

Bekanntlich wird das Fastopfer vielerorts jeden Monat von den Jungen eingesammelt, die das Aaronische Priestertum tragen, und zwar gewöhnlich früh am Sonntagmorgen. Ich weiß noch, wie eines Morgens die Jungen in der Gemeinde, deren Bischof ich war, verschlafen und etwas zerzaust angetreten waren und sich ein wenig darüber beklagten, dass sie so früh aufstehen mussten, um ihren Auftrag zu erfüllen. Wir tadelten die Jungen in keiner Weise, aber in der folgenden Woche begleiteten wir sie zum Welfare Square in Salt Lake City zu einer Führung. Dort sahen sie mit eigenen Augen, wie jemand, der gelähmt war, die Telefonzentrale bediente, ein älterer Mann Regale auffüllte, Frauen Kleider für den Versand zurechtlegten und sogar eine blinde Schwester Etiketten auf Konserven klebte. Hier verdienten Menschen ihren Lebensunterhalt durch die Arbeit, die sie leisteten. Die Jungen wurden ganz still, als sie Zeugen wurden, wie ihre Bemühungen jeden Monat dazu beitrugen, die heiligen Fastopfergelder zu sammeln, durch die den Bedürftigen geholfen wird und Menschen, die sonst arbeitslos wären, eine Beschäftigung erhalten.

Von diesem heiligen Tag an brauchten wir die Jungen nicht mehr zu drängen. Am Morgen eines jeden Fastsonntags standen sie um 7 Uhr in Sonntagskleidung bereit und konnten es kaum erwarten, ihre Pflicht als Träger des Aaronischen Priestertums zu erfüllen. Sie verteilten und sammelten nicht mehr bloß Umschläge. Sie halfen, die Hungrigen zu speisen und den Obdachlosen ein Dach über dem Kopf zu geben – und das alles auf die Weise des Herrn. Sie lächelten häufiger und ihr Gang hatte mehr Elan. Vielleicht verstanden sie nun besser die klassische Passage: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Matthäus 25:40.)

Ein Wunder der Liebe

Man könnte sich nun fragen, was diejenigen, die beim Wohlfahrtsprogramm helfen, zu solcher Hingabe veranlasst – und zwar jeden Arbeiter. Die Antwort lautet ganz schlicht: ein persönliches Zeugnis vom Evangelium Jesu Christi, ja, der Herzenswunsch, den Herrn von ganzem Herzen, mit ganzer Seele und allen Gedanken zu lieben und den Nächsten zu lieben wie sich selbst.

Dies brachte einen inzwischen verstorbenen Freund von mir, der im produzierenden Gewerbe tätig war, dazu, mich damals, als ich Bischof war, anzurufen und mir zu sagen: „Ich schicke für diejenigen, die sonst darauf verzichten müssten, einen Sattelzug mit Hänger voller Zitrusfrüchte zum Vorratshaus. Sag im Vorratshaus Bescheid, dass der Lastwagen kommt und dass nichts dafür berechnet wird; aber, Bischof, niemand soll wissen, wer ihn geschickt hat.“ Ich habe selten solche Freude und Dankbarkeit erlebt, wie diese großzügige Tat sie ausgelöst hat. Ich habe auch nie daran gezweifelt, welchen ewigen Lohn dieser ungenannte Wohltäter inzwischen erhalten hat.

Solche freundlichen, großzügigen Taten sind keine Seltenheit, sondern an der Tagesordnung! Unterhalb der stark befahrenen Autobahn, die um Salt Lake City herumführt, stand früher das Haus eines älteren alleinstehenden Mannes namens Louis. Louis war gelähmt und hatte infolge seiner Krankheit nie einen Tag ohne Schmerzen und viele einsame Tage erlebt. Als ich ihn an einem Wintertag besuchte, brauchte er recht lange, bis er mir die Tür öffnete. Ich betrat sein gepflegtes Haus. Außer in der Küche war es überall furchtbar kalt; die Temperatur in den anderen Räumen lag zwischen vier und fünf Grad. Der Grund: Er hatte nicht genug Geld, um irgendeinen anderen Raum zu heizen. Die Wände mussten tapeziert, die Decken niedriger gemacht und die Schränke gefüllt werden.

Dieser Besuch bei meinem Freund beunruhigte mich. Der Bischof wurde hinzugezogen und ein Wunder der Liebe geschah – veranlasst durch das Zeugnis: Die Mitglieder der Gemeinde wurden eingeteilt, und das Werk der Liebe begann. Einen Monat später rief mein Freund Louis mich an und bat mich, vorbeizuschauen, um zu sehen, was ihm widerfahren war. Ich kam und sah tatsächlich ein Wunder. Die Gehwege, die von den Wurzeln großer Pappeln aufgerissen gewesen waren, hatte man erneuert, ebenso die Veranda. Eine neue Tür mit glänzenden Beschlägen war angebracht worden, die Decken waren abgehängt, die Wände tapeziert und das Holz gestrichen, das Dach war neu gedeckt und die Schränke waren gefüllt. Das Haus war nicht mehr kalt und ungemütlich. Es machte jetzt einen sehr einladenden Eindruck.

Bis zuletzt hob Lou sich auf, mir zu zeigen, was sein ganzer Stolz und seine ganze Freude war: Auf seinem Bett lag ein schöner Überwurf mit dem Wappen seiner Familie, des McDonald-Clans. Er war mit liebevoller Sorgfalt von den Frauen der Frauenhilfsvereinigung angefertigt worden. Bevor ich ging, erfuhr ich noch, dass die jungen Erwachsenen jede Woche eine warme Mahlzeit vorbeibrachten und mit ihm einen Familienabend abhielten. Wärme war an die Stelle von Kälte getreten. Durch Reparaturen waren die Abnutzungserscheinungen vieler Jahre beseitigt worden. Aber was noch viel wichtiger war: Hoffnung hatte Verzweiflung vertrieben und nun herrschte siegreich die Liebe.

Alle, die an diesem bewegenden Schauspiel aus dem echten Leben beteiligt gewesen waren, hatten die Worte des Meisters erneut persönlich schätzen gelernt: „Geben ist seliger als nehmen.“ (Apostelgeschichte 20:35.)

Ich verkünde allen, die mich hören können, dass der Wohlfahrtsplan der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage von Gott, dem Allmächtigen, inspiriert ist. Der Herr Jesus Christus ist wahrhaftig dessen Urheber. Er lädt Sie und mich ein: „Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten.“ (Offenbarung 3:20.)

Mögen wir seine Stimme hören, mögen wir seiner Gegenwart die Tür zu unserem Herzen öffnen, und möge er unser beständiger Begleiter sein, während wir bemüht sind, seinen Kindern zu dienen. Darum bete ich demütig in seinem heiligen Namen, ja, im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. Amen.

Drucken