2021
Für sich selbst Offenbarung empfangen
November 2021


Für sich selbst Offenbarung empfangen

Als aufgrund der Corona-Pandemie Versammlungen der Kirche nicht möglich waren, beschloss ein Gemeindesekretär, den Mitgliedern seiner Gemeinde jede Woche einen geistigen Gedanken zuzusenden. Nachfolgend einer dieser Briefe, in dem er über die Erfahrungen berichtet, die er als junger Erwachsener mit persönlicher Offenbarung gemacht hat.

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zum Gebet gefaltete Hände

Liebe Freunde,

letzte Woche erhielt ich die neue Ausgabe des Liahonas. Beim Lesen fiel mir auf, dass der Prophet, Präsident Russell M. Nelson, einmal mehr die Wichtigkeit persönlicher Offenbarung betont hat.1

Dabei musste ich an meine eigenen Erfahrungen mit persönlicher Offenbarung denken. Als Student an der Brigham-Young-Universität verliebte ich mich in ein Mädchen, das Kathy hieß (Name geändert). Wir unternahmen viel gemeinsam und hatten Spaß dabei. Sie war sehr hübsch und zudem intelligent. Sie mochte mich ganz gerne, ich aber liebte sie.

Nach zwei Jahren stand sie vor dem Abschluss, und ihr Weg würde sie dann wohl von mir wegführen. Also betete ich und fragte den Herrn, ob ich um Kathys Hand anhalten solle. Die Antwort war ein klares Ja. Ich war hellauf begeistert! Als ich dann um ihre Hand anhielt, entgegnete sie mir, sie müsse darüber beten. Mir war klar, dass sie sich auch selbst sicher sein musste. Als sie mir wenig später dann mitteilte, sie habe gebetet und gefastet und die Antwort des Herrn sei ein „Nein“, war ich erschüttert.

Ich war am Boden zerstört, wütend und kam mir bloßgestellt vor. Mein Zorn richtete sich vor allem gegen Gott. Warum hatte er mir das angetan? Ich streifte lange durch die dunklen, schneebedeckten Straßen und haderte mit meinem Vater im Himmel. Endlich sprach er: „Es war richtig für dich, dass du um ihre Hand angehalten hast, und es war richtig für sie, dass sie dir einen Korb gegeben hat.“

Ich rang um Fassung. Wenn ich ein „Ja“ bekommen hatte, dann sollte das doch wohl auch für sie gelten! So dachte ich jedenfalls.

Damals lernte ich allerdings etwas sehr Wichtiges: Zwei Menschen können auf ein und dieselbe Frage unterschiedliche Antworten erhalten. Was für den einen richtig ist, muss nicht unbedingt für den anderen richtig sein.

Dieses Erlebnis konnte ich erst viel später richtig einordnen und teilweise verstehen. Nachdem ich mein Studium beendet hatte und in meine Heimatstadt Houston im US-Bundesstaat Texas zurückgekehrt war, rief mich Kathy an. Sie wollte ihren Master machen. In Houston. Die Wohnung, die sie dann bezog, lag sogar in demselben Gebäude, in dem ich wohnte.

Es gab allerdings einen kleinen Unterschied zu früher: Ich ging jetzt mit Marjorie aus. Ich liebte sie und war mir sicher, dass ich sie heiraten wollte. Doch auch Kathy hatte ich einst geliebt. Mir wäre die Entscheidung, um Marjories Hand anzuhalten, wohl ziemlich schwergefallen, wenn ich nicht Jahre zuvor schon meinen Eingebungen bei Kathy gefolgt wäre. Jene verschneite Nacht damals in Utah hatte mir geholfen, nicht zu zaudern oder meine Entscheidung anzuzweifeln. Bald darauf verlobten sich Marjorie und ich, und dann heirateten wir.

Wir hatten jeder für sich Offenbarung empfangen, und zwar maßgeschneidert und individuell. Ich hatte damals die für mich richtige Antwort erhalten und Kathy die für sie richtige.

Jeder von uns hat ein Anrecht auf Offenbarung. Auch andere – etwa unser Ehepartner, unsere Eltern oder ein für uns zuständiger Führer der Kirche – können inspiriert werden. Doch es liegt an uns, für jede Offenbarung, die uns persönlich betrifft, selbst eine Bestätigung zu erlangen.

Vor Jahren arbeitete ich einmal mit jemandem im Rahmen eines Projekts zusammen. Ich absolvierte damals gerade ein Aufbaustudium, war verheiratet, und wir hatten drei kleine Kinder. Gegen Ende des Semesters sagte ich meinem Kollegen, ich hätte das Gefühl, ich solle mein Universitätsstudium abbrechen. Ein paar Tage später erzählte er mir, er habe darüber gebetet und sei der Meinung, ich solle an der Uni bleiben. Er bot mir sogar finanzielle Unterstützung an. Das Angebot war gut gemeint, doch als ich selbst darüber betete, kam ich zu dem Schluss, für meine Familie und mich sei es am besten, wenn ich wieder einen Vollzeitjob annähme.

Der Kollege war daraufhin sehr böse auf mich, weil ich die „Offenbarung“, die er für mich erhalten hatte, in den Wind schlug. Sein Angebot war aber nichts weiter als ein Vorschlag, und nach Auslotung sämtlicher Möglichkeiten war mir klar, dass es weder das war, was meine Familie brauchte, noch das, was der Herr von mir erwartete. Der Vater im Himmel wusste nämlich, was auf uns zukam. Nicht lange danach wurde Marjorie krank und musste operiert werden. Es hätte unseren Ruin bedeutet, wenn ich zu dem Zeitpunkt noch studiert hätte. Wir hätten dann keine Krankenversicherung gehabt.

Offenbarung ist etwas sehr Persönliches. Sie ist ganz wunderbar. Ein jeder von uns kann sie empfangen. Sie muss vom Herrn kommen, und wir müssen uns vergewissern, dass es sich um den Willen des Herrn für uns handelt. Wenn wir den Offenbarungen folgen, die er jedem von uns persönlich gibt, werden wir reichlich gesegnet. So ist es bei mir gewesen. Das weiß ich.

Euch allen wünsche ich eine schöne Woche!

– Mark

Anmerkung

  1. Siehe Russell M. Nelson, „In das Prinzip Offenbarung hineinwachsen“, Liahona, Januar 2021, Seite 7ff.

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