Als mein Mann mir das erste Mal von seiner Pornografiesucht erzählte, war Dankbarkeit das Letzte, was mir in den Sinn kam, besser gesagt: Daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Ich weiß nur noch, dass sich an jenem Tag eine schwere Last auf mir niederließ, die mich auch in den Wochen, Monaten und sogar Jahren danach schlimm bedrückte.
Jetzt kann ich aber zurückblicken und feststellen: Wegen dieser Schwierigkeit sind wir dort angelangt, wo wir jetzt sind, ich bin der Mensch geworden, der ich bin, und meine Beziehung zum Erretter ist eine ganz persönliche. Für diese Lichtblicke bin ich dankbar – trotz all der Tränen, des Kummers, der Angst und traumatischen Erfahrung, die wir durchmachten.
Doch diese Dankbarkeit zu entwickeln, geschah keinesfalls über Nacht. Anfangs fühlte ich mich auf meinem Weg dorthin oft wie betäubt. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Ich wusste nicht, wie ich überhaupt irgendetwas empfinden sollte, weil der Schmerz alles überlagerte. Und dann waren da die Augenblicke, wo mich der Schmerz völlig überwältigte, und Wut brodelte in mir. Ich war wütend auf meinen Mann wegen der Entscheidungen, die er getroffen hatte, wütend auf Gott, weil er mich nicht davor bewahrt hatte, und auch wütend auf mich, weil ich das Problem nicht früher erkannt hatte oder nicht selbst in Ordnung bringen konnte.
Ich weiß noch, dass ich eines Abends besonders wütend war. Ich hatte mein Tagebuch herausgeholt und gerade alle Gefühle, die ich an dem Tag meinem Mann gegenüber hegte, zu Papier gebracht. Ungefiltert. Alles kam da aus mir heraus. Ich war so zornig und so verletzt. Die Gedanken und Gefühle, die ich niedergeschrieben hatte, waren nicht die nettesten, aber sie spiegelten meinen Gemütszustand wider und das, womit ich irgendwie umgehen musste. Ich musste der Realität ins Auge blicken.
Nachdem ich alles, was sich in mir aufgestaut hatte, rausgelassen hatte, ging es mir besser. Aber die Gefühle meinem Mann gegenüber bedrückten mich. Ich wollte nicht wütend bleiben oder ihn hassen oder verachten. Doch solche Gefühle hatte ich. Ich weiß noch, wie ich im Stillen betete: „Was soll ich nur tun?“ Da kam mir der Gedanke: „Schreib zehn gute Dinge über ihn auf.“ Ehrlich gesagt, war mir nicht danach zumute, aber der Gedanke kam so klar, dass ich ihn nicht ignorieren konnte.
Ich dachte ein wenig darüber nach, was mir an meinem Mann gefiel und wofür ich dankbar war. Nachdem ich das aufgeschrieben hatte, bemerkte ich eine Veränderung in mir. Ich spürte endlich wieder Hoffnung. Als ich mich an das Positive erinnerte, sah ich meinen Mann einen Augenblick lang so, wie der Herr ihn sieht. Ich konnte mehr Frieden verspüren. Der Heilige Geist nutzte dieses Erlebnis, um mich etwas darüber zu lehren, wie viel Kraft wir aus Dankbarkeit schöpfen können. Meine verletzten Gefühle und meine Wut waren nachvollziehbar und echt. Ich musste sie mir eingestehen und sie verarbeiten. Aber als ich dazu bereit war, konnte Dankbarkeit eine mächtige Wandlung in mir zustande bringen – und diese Hilfe nutze ich seitdem.
Ich hätte nie gedacht, dass sich durch diese Schwierigkeit in meiner Ehe die perfekte Gelegenheit für den Herrn bieten würde, mich zu stützen, und die perfekte Gelegenheit für mich, ihn auf ganz neue Weise kennenzulernen. Mein ganzes Leben lang hatte ich versucht, alles immer allein zu schaffen. Alles zu reparieren. In allem perfekt zu sein. Alles richtig zu machen. Ich hatte erwartet, das Leben werde einfach sein und ich könne alles eigenständig bewältigen. Aber dann musste ich mit etwas klarkommen, was ich keinesfalls alleine bewältigen konnte. Ich versuchte es und scheiterte. Mir blieb nur noch die Chance, auf Christus zu bauen. Für mich war diese Prüfung eine Gelegenheit, Jesus Christus wirklich kennenzulernen und nicht nur etwas über ihn zu wissen.
Vor allem Prüfungen im Erdenleben ermöglichen es, dass wir geistig heranreifen, sodass wir dem Vater im Himmel und dem Erretter näherkommen und mehr wie sie werden – wenn wir es denn wollen. Ich bin sehr dankbar, dass ich mich entschlossen habe, mich dem Herrn zuzuwenden und Wahrheit von ihm zu lernen.
Präsident Dieter F. Uchtdorf hat das vor einiger Zeit in einer Konferenzansprache gut ausgedrückt: „In schwierigen Zeiten dankbar zu sein, bedeutet ja nicht, dass uns die gegebenen Umstände gefallen. Es bedeutet aber durchaus, dass wir mit gläubigem Auge über die Schwierigkeiten hinausblicken. Diese Dankbarkeit ist kein Lippenbekenntnis, sondern kommt von Herzen. Sie heilt uns innerlich und erweitert unser Verständnis.“1
Mich für Dankbarkeit zu entscheiden – in meiner damaligen Situation, aber auch seither –, hat mir Heilung ermöglicht und mir noch mehr das Gute vor Augen geführt, das Gott in meinem Leben zustande bringt.
Ich drücke es gern so aus: Der Kampf meines Mannes gegen die Pornografiesucht und unser Weg zur Genesung und Heilung sind „die größte Segnung, um die ich nie gebetet habe“. Durch viel Ausprobieren, Hinfallen und wieder Aufstehen habe ich gelernt, mich ganz auf den Herrn auszurichten und alles Übrige loszulassen – mich selbst, meinen Mann und unsere Ehe unter seine Obhut zu stellen. Es ist und war auch gar nicht meine Aufgabe, irgendetwas in Ordnung zu bringen.
Wollte ich in meiner Ehe Pornografiesucht und Heilung davon erleben? Nein. Wollte ich all den Kummer, die Tränen und die traumatische Erfahrung haben, uns da durchzukämpfen? Nein. Aber kann ich jetzt auf all das blicken und sagen, dass ich dafür dankbar bin? Ja!
Ich bin dankbar, weil ich gelernt habe, Menschen als Kinder Gottes zu sehen. Ich habe die der Gnade entspringende Kraft selbst kennengelernt und erlebt. Ich habe gelernt, dass Gott mich liebt, auch wenn ich ihm gegenüber Zorn empfinde. Ich habe gelernt, dass mein Erretter in den schwierigsten Augenblicken bei mir ist. Er wartet nicht bloß und feuert mich an, wenn ich versuche, irgendetwas alleine zu bewältigen. Er ist voll und ganz dabei und ist gern für mich da, weil er mich liebt.
Am dankbarsten bin ich heute für die Heilung, die der Erretter in meinem Herzen vollbracht hat und von der ich anderen erzählen kann. Er hat mir geholfen, an diesen Punkt zu gelangen, und dank ihm kann ich anderen von Hoffnung und Heilung berichten. Wenn Sie Ihr Leben auf Christus ausrichten und nicht länger ein Ergebnis oder einen Menschen nach Gutdünken beeinflussen oder ändern wollen, wird der Herr Schritt für Schritt und Tag um Tag bei Ihnen sein. Sie werden selbst an den schwersten Tagen, wenn es unmöglich erscheint, Frieden und Linderung finden. Gott liebt Sie. Er geht diesen Weg gemeinsam mit Ihnen. Diese Erkenntnis ist die größte Segnung von allen.
Anmerkung
1. Dieter F. Uchtdorf, „Dankbar in jeder Lebenslage“, Frühjahrs-Generalkonferenz 2014