Das Ziehen und Zerren der Welt
„Viele, die mit den Sorgen der Welt beschäftigt sind, leben darum nicht unbedingt in übertretung. Sie machen jedoch sicher einem Umweg und vergeuden so „die Tage [ihrer] Bewährung“ (2 Nephi 9:27).“
Schon immer zieht und zerrt die Welt mit ihren Vergnügungen, ihrer Macht, ihrem Lob, ihrem Geld und ihrer Vorrangstellung am wahren Gläubigen (siehe Alma 46:15.) Heute allerdings ist manches, was früher einmal hilfreich war, unwirksam oder nicht mehr funktionstüchtig. Darüber hinaus werden die schädlichen Dinge der Welt von einer alles beherrschenden Technik vertrieben und von einer Medienflut hochgejubelt, die letzten Endes jeden heimischen Herd erreicht. All das passiert, wenn viele für Geistiges nicht mehr empfänglich sind und sagen: „Ich bin reich und wohlhabend, und nichts fehlt mir.“ (Offenbarung 3:17.)
Im Gegensatz dazu bestehen die Vergünstigungen für einen Jünger darin, dass wir beim Anblick einer eleganten Limousine wissen, dass sie nicht uns abholen kommt. Der Plan Gottes ist nicht der Plan des Vergnügens, sondern der „Plan des Glücklichseins“.
Die Welt zieht und zerrt mit aller Macht. Die Ausrede „das tut doch jeder“ bekräftigt raffiniert die Lebensweise der Welt, wobei die Allgemeinheit als Bezugspunkt oder als Vorwand dient. Raffiniert werden für Zielgruppen Produkte beworben und Lebensweisen geschaffen.
Petrus macht klar: „Von wem jemand überwältigt worden ist, dessen Sklave ist er.“ (2 Petrus 2:19.) Es gibt so viele selbst gebaute Gefängnisse!
Der Spötter zuckt mit denAchseln, wie Petrus es mit den folgenden Worten voraussagte: „Wo bleibt denn [die] Ankunft [Christi]? ...[Es] ist alles geblieben, wie esseit Anfang der Schöpfung war.(2 Petrus 3:4.) Ein derartiger Zynismus hält die aufeinander folgenden Auftritte der Schauspieler auf der Weltbühne für ein Zeichen dafür, dass der Regisseur beziehungsweise das Drehbuch fehlt.
Wie der Goldfisch im Glas macht sich kaum einer Gedanken darüber, wer das Wasser wechselt und das Futter hineingibt (siehe Jakob 4:13,14). Oder wie ein Kindergartenkind, dessen Eltern es anscheinend etwas zu spät abholen, daraus feierlich folgert: „Der Mensch steht im Universum allein da.“
Zugegeben, manch einer möchte aufrichtig mehr Macht haben, um Gutes zu tun, aber nur einige wenige sind gut genug, um überhaupt Macht zu haben. Das Verlangen nach Macht und Ansehen entzieht ihnen den geistigen Sauerstoff, so dass sie nicht mehr fühlen können (siehe Epheser 4:19; 1 Nephi 17:45; Moroni 9:20). Eigenartigerweise kann manch einer trotz seiner Gefühllosigkeit noch auf hundert Meter das verlockende Surren einer Fernsehkamera hören. Erinnert uns der Wettbewerb um die irdischen Machtpositionen nichtan das Kinderspiel „Reise nach Jerusalem“?
Eigentlich können wir als Jünger von den Ehren der Welt bewahrt bleiben. Wie Balak zu Bileam sagte: „Ich habe versprochen, dir einen hohen Lohn zu geben, aber Jahwe hat dich daran gehindert, ihn zu erhalten.“ (Numeri 24:11,12.) Das Rouge der Anerkennung verschmiert doch so leicht. Wir zucken beim Anblick derer zurück, die einst von der Welt umschmeichelt wurden wie Judas, der gebraucht, verachtet und fallen gelassen wurde (siehe LuB 121:20). Doch wenn der eine oder andere unter ihnen bereit ist, so müssen wir auch ihre Hände emporheben (siehe Hebräer 12:12; LuB 81:5).
Auch wenn verdienter Lohn und Anerkennung ihren Platz haben, so dürfen wir nicht vergessen, was Jesus über diejenigen sagt, die von der Welt geehrt werden: „Sie haben ihren Lohn bereits erhalten.“ (Matthäus 6:2,5.)
All diese Vergänglichkeit hat ihren Grund: Diejenigen, die die vergänglichen Dinge der Welt vergeben, sind selbst vergänglich. Sie können nichts Dauerhaftes geben, weil sie es selbst nicht besitzen! Manch einer, der so empfindet und so wenig sieht, will alles jetzt haben!
Solche Klagen wie die eben geäußerten führen zu mehreren konkreten Empfehlungen.
Zunächst gibt es kein mächtigeres Mittel, als wenn man mehr als wir die Gaben des Heiligen Geistes in Anspruch nimmt!
Halten wir also auch den besonderen Stellenwert der Familie in Ehren. Wie James Q. Wilson geschrieben hat:
„Wir lernen, mit den Menschen dieser Welt zurechtzukommen, weil wir lernen, mit den Angehörigen unserer Familie zurechtzukommen. Wer vor der Familie flieht, flieht vor der Welt; ohne die Zuneigung, Anleitung und Herausforderung seitens der Familie ist er nicht bereit für die Prüfungen, das Urteil und die Anforderungen der Welt.“ (James Q. Wilson, The Moral Sense [1993], 163.)
Merkwürdigerweise zieht manch einer in ein „fernes Land“ und tauscht den nahrhaften Familiengarten, in dem es hier und da etwas Unkraut geben mag, gegen eine Wüste mit ihren wuchernden Dornen und Disteln.
Rechtschaffenheit, Gottesverehrung, Beten und Schriftstudium – sie alle sind entscheidend, wenn es darum geht, „den natürlichen Menschen“ abzulegen (siehe Mosia 3:19). Seien Sie darum auf der Hut, wenn der eine oder andere allgemeine Toleranz für seine Sündhaftigkeit fordert!
Ob wir nun jung oder alt sind, wir müssen gute Freunde sein, aber unsere Freunde auch sorgfältig aussuchen. Wenn man sich zuerst für den Herrn entscheidet, ist es einfacher und sicherer, seine Freunde zu wählen. Beachten Sie, wie anders die Freundschaft in der Stadt Henochs und in Sodom und Gomorra war!
Die Bewohner der Stadt Henochs entschieden sich für Jesus und seine Lebensweise und wurden so für immer Freunde. So viel hängt davon ab, für wen und was wir uns zuerst entscheiden.
Wir können uns die geistigen Reflexe Josefs von ägypten aneignen: Als er versucht wurde, „floh er“ und zeigte, dass er sowohl Mut als auch schnelle Beine hatte! (Siehe Genesis 39:12.) Jugendliche und Erwachsene müssen, wenn Gefahr droht, immer Reißaus nehmen.
Von den verlorenen Söhnen kommen immer nur zuwenig zurück, doch immer wieder kommt einer aus einem „fernen Land“ zurück (siehe Lukas 15:13). Natürlich ist es besser, wenn wir uns „um des Wortes willen“ demütigen, statt durch die Umstände dazu gezwungen zu werden, doch mag auch das genügen! (Siehe Alma 32:13,14.) Eine Hungersnot kann geistigen Hunger bewirken.
Wie der verlorene Sohn können auch wir in ein „fernes Land“ ziehen, das nicht weiter entfernt ist als ein abstoßendes Rockkonzert. Die Entfernung zum „fernen Land“ lässt sich nicht in Kilometern messen, sondern daran, wie weit unser Herz und unser Sinn von Jesus entfernt ist! (Siehe Mosia 5:13.) Das Entscheidende ist die Treue, nicht die Geographie!
Doch so sehr die Welt auch zieht und zerrt, so können geistig motivierte Gefühle dennoch zutage treten. Am Zweifel kann Zweifel aufkommen. Die einfachen Lösungen beheben nicht die Leere und die Langeweile weltlicher Gesinnung.
Darüber hinaus stellt dann manch einer fest, der mühsam die Höhen der Welt erklimmt, dass er eigentlich nur auf einem kleinen Erdhügel hockt! Dabei hat er sich so angestrengt, um dorthin zu gelangen!
Warum sollten wir überhaut Wohlstand begehren, wenn wir nur „Geld [hingeben] für das, was ohne Wert ist ... und was nicht satt macht“? (2 Nephi 9:51.)
Wie Jesus können wir jeden Tag oder jeden Augenblick beschließen, „der Versuchung nicht Beachtung“ zu schenken (LuB 20:22). Wir können sogar auf ärger mit einem Lächeln statt mit finsterem Blick reagieren, mit herzlichem Lob statt mit eisiger Gleichgültigkeit. Wenn wir verständnisvoll statt schroff reagieren, können andere ihrerseits beschließen, doch noch eine Weile durchzuhalten statt nachzugeben. Liebe, Geduld und Sanftmut können ebenso ansteckend sein wie Grobheit und Derbheit.
Es kann zu Erschütterungen kommen, die dem Einzelnen und der Allgemeinheit Erlösung bringen (siehe 2 Nephi 28:19). Wenn ein Herz so sehr auf die Dinge der Welt gesetzt ist, muss es vielleicht gebrochen werden (siehe LuB 121:35). Der Sinn, der Gott fern steht, muss vielleicht aufgerüttelt werden (siehe Mosia 5:13).
Viele, die mit den Sorgen der Welt beschäftigt sind, leben darum nicht unbedingt in übertretung. Sie machen jedoch sicher einem Umweg und vergeuden so „die Tage [ihrer] Bewährung“ (2 Nephi 9:27). Doch lebt der eine oder andere stolz „ohne Gott in der Welt“ und verriegelt dabei Tür und Tor von innen! (Siehe Alma 41:11.)
Beachten Sie jedoch, Brüder und Schwestern: wer zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist, wird un-weigerlich die anderen vernachlässigen!
Machen Sie sich die Einstellung zu eigen, die Brigham Young empfiehlt: „Sagt den Feldern, den Schafen und den Rindern, dem Gold und dem Silber, dem Hab und Gut, dem Besitz und dem Eigentum und aller Welt: Beiseite, aus meinen Gedanken, denn ich gehe hin, den Herrn verehren.“ (Deseret News, 5. Januar 1854, 2.) Man kann den Verlockungen der Welt auf vielerlei Weise sagen: „Beiseite.“
Mann und Frau können regelmäßig miteinander „gründlich reden“ und eine Bestandsaufnahme machen. Kleinere Kurskorrekturen mögen erforderlich sein, und solche Gespräche können übrigens wertvoller sein, als wir ahnen. Leider sind viele Ehepaare zu beschäftigt.
Die Augenblicke sind die Moleküle, aus denen die Ewigkeit besteht! Vor Jahren hat Präsident Hinckley gesagt: „Unser Lebensweg wird weniger von den großen Ereignissen als von den kleinen täglichen Entscheidungen bestimmt. ... Unser Leben ist tatsächlich die Summe all unserer anscheinend unwichtigen Entscheidungen und unserer Fähigkeit, mit diesen Entscheidungen zu leben.“ (Caesar, Circus, or Christ? Brigham Young University Speeches of the Year [26. Oktober 1965], 3.)
Glücklickerweise kann eine unverwüstliche Umkehr bald unsere Irrtümer verschlingen und den Glauben zeigen, es noch einmal zu versuchen – sei es bei einer Aufgabe oder in einer Beziehung. Diese Spannkraft bestätigt eigentlich, wer wir wirklich sind! Geistsöhne und– töchter Gottes brauchen sich nicht ständig niederdrücken zu lassen, wenn das Sühnopfer Jesu sie emporhebt. Das unendliche Sühnopfer Christi findet somit bei unseren begrenzten Fehlschlägen Anwendung! Daher das Flehen in diesem ganz besonderen Lied:
Nein verlassen könnt ich nimmer
dich, du gnadenreicher Hort,
dir gehört mein Herz für immer,
Wo ich bin, an jedem Ort.
Wir können dem Ziehen und Zerren der Welt auch besser widerstehen, wenn wir trotz unserer Unvollkommenheit wissen, dass unser jetziger Lebenswandel dem Herrn im Großen und Ganzen annehmbar ist. (Siehe Lectures on Faith [1985], 67.) Bei ausreichendem Einsatz kann uns diese stille Gewissheit zuteil werden!
Die Bestätigung unseres Werts rührt letzten Endes daher, dass wir wissen, wer wir sind, und nicht so sehr aus dem, was wir tun. Die forschenden Worte Jesu gelten nach wie vor: „Was für Männer [und Frauen] sollt ihr sein? ... Wahrlich, ich sage euch: So, wie ich bin.“ (3 Nephi 27:27; siehe auch Matthäus 5:48; 3 Nephi 23:21.)
Lohnendes Handeln festigt gewiss unseren Charakter und steigert unsere Leistungsfähigkeit, doch sind die Umstände und Gelegenheiten im Leben offensichtlich verschieden. Doch können wir in unserer Fähigkeit, liebevoller, sanftmütiger, geduldiger und ergebener zu sein, dennoch mehr wie Christus werden.
Wenn wir auf das achten, was wir sind, und nicht so sehr auf das, was wir tun, wird unser öffentliches und unser privates Ich dasselbe sein – der Mann oder die Frau Christi. Unserer innererer Wert hängt ohnehin nicht vom Beifall der Welt ab; ja, die Welt betrachtet uns vielleicht als schwach und töricht (1 Korinther 1:27). Dem stehen die Worte Gottes entgegen: „So bezeugt der Geist selber unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind.“ (Römer 8:16.)
Gott ist unendlich mehr daran interessiert, dass wir einen Platz in seinem Reich haben als daran, wo wir uns in einer weltlichen Hierarchie befinden. Wir mögen darüber grübeln, wie weit unsere Herrschaft reicht, Gott aber ist mehr daran interessiert, wie sehr wir uns selbst beherrschen können. Vater möchte, dass wir nach Hause zurückkehren und aus uns etwas gemacht haben!
Dennoch ereifern wir uns nach wie vor über Geld, Kompetenzen, eine Kränkung, über das „beste Gewand“ und das „Mastkalb“, das andere bekommen (siehe Lukas 15:22,23).
Wir gehören erst dann wirklich dazu, wenn wir wissen, der wir sind und wem wir gehören! Denken Sie an die bekannten Zeilen in dem Musical Anatevka. Dort weiß jeder, “wer er ist und was er dem Willen Gottes gemäß tun soll“ (Joseph Stein, Fiddler on the Roof [New York: Limelight Editions, 1964], 3; Hervorhebung hinzugefügt), wozu wir noch hinzufügen könnten, „was er Gottes Willen gemäß sein soll“.
Ja, es steht uns frei, uns für diese kurzlebigen irdischen Vorzüge zu entscheiden. Vor uns liegt jedoch jener große Augenblick, an dem jedes Knie sich beugen und jede Zunge bekennen wird, dass Jesus der Messias ist! (Siehe Mosia 27:31; LuB 88:104.) Dann werden die Logenplätze und die irdischen Throne verwaist sein. Dann wird sogar das große und geräumige Gebäude fallen, und zwar mit Getöse! (Siehe 1 Nephi 8:26-28.) Dann bekennen auch diejenigen, die in der Welt ohne Gott gelebt haben, dass Gott Gott ist! (Mosia 27:31.) Mittlerweile sollten sein Charakter und seine Merkmale uns dazu bringen, ihn anzubeten und ihm nachzueifern.
Ist es nicht wunderbar, dass Gott, der alles weiß, sich dennoch die Zeit nimmt, unsere Gebete zu hören? Was hat uns die Welt im Vergleich dazu wirklich zu bieten? Eine Beifallssalve, einen flüchtigen Augenblick des Lobs oder einen wohlwollenden Blick eines vergänglichen Cäsars?
Möge Gott uns segnen, dass wir die Dinge sehen, wie sie wirklich sind und wie sie wirklich sein werden (siehe Jakob 4:13; LuB 93:24), und mögen wir Gott die Herrlichkeit und Ehre geben, so wie ich es jetzt tue. Im heiligen Namen Jesu Christi, amen!