Die Rückkehr zur Tugend
Jetzt ist für uns alle die Zeit, uns zu erheben und ein Banner für die Welt zu entfalten, das zur Rückkehr zur Tugend aufruft.
Bei der letzten Generalkonferenz wurde ich von Präsident Monson als neue Präsidentin der Jungen Damen berufen. Als ich in der Gegenwart eines Propheten Gottes stand und diese heilige Aufgabe erhielt, gelobte ich, das ich mit ganzem Herzen, aller Macht, ganzem Sinn und aller Kraft dienen würde. Schon ehe ich diese Berufung erhielt, besaß ich ein kleines Schild mit der Aufschrift: „Ich kann auch etwas Schwieriges tun.“ Dieses kleine Schild mit dem einfachen Motto machte mir Mut. Wenn ich das Motto jetzt aber ändern könnte, würde es lauten: „In der Kraft des Herrn kann ich alles tun.“1 Auf diese Kraft verlasse ich mich heute, während ich an diesem heiligen Rednerpult stehe.
Im April kamen wir zwei Tage nach der Generalkonferenz als neu bestätigte Präsidentschaft zu unserem ersten Treffen zusammen. Wir stiegen auf den Ensign Peak, und als wir auf das unter uns liegende Tal schauten, sahen wir den Tempel mit dem Engel Moroni, der in der Sonne glänzte. Uns allen war klar: Das Leitbild für uns als Präsidentschaft war der Tempel. Und unsere Verantwortung war ebenso klar. Wir müssen „jede Junge Dame dabei unterstützen, würdig zu sein, heilige Bündnisse einzugehen und zu halten und die heiligen Handlungen des Tempels zu empfangen“.2
„Der Tempel [ist] der Grund für alles …, was wir in der Kirche tun.“3 Der Tempel war der Grund dafür, dass unsere Pioniervorfahren ihre Häuser zurückließen und nach Westen kamen. Er war der Grund dafür, dass sie bereit waren, Entbehrungen und selbst den Tod zu erleiden. Die Tempelbündnisse waren der Grund dafür, dass diese Pioniere, obwohl sie so manches Baby am Wegesrand begraben mussten, singen konnten:
Manche verloren alles, und doch hatten sie, als sie das Tal erreichten, eigentlich alles – die heiligen Handlungen des Tempels, heilige Bündnisse und die Verheißung ewigen Lebens gemeinsam als Familie.
Nur zwei Tage nach der Ankunft der Heiligen im Salzseetal stiegen Brigham Young und seine Gefährten auf den Ensign Peak. Auf dem Gipfel entfalteten sie ein Banner – ein gelbes Halstuch, das an einen Spazierstock geknotet war, als ein Zeichen, ein Panier für die Völker.5 Die Heiligen sollten das Licht sein, das Banner. Letzten April entfalteten wir drei Frauen auf dem Ensign Peak auch ein Banner, das wir aus einem Spazierstock und einem goldfarbenen peruanischen Schal gemacht hatten. Das war unser Zeichen, unser Panier für die Völker – unser Banner, das zur Rückkehr zur Tugend aufruft.
Tugend ist eine grundlegende Voraussetzung dafür, dass man den heiligen Tempel des Herrn betreten und die Führung des Geistes erlangen kann. „Tugend ist eine Denk- und Verhaltensweise, die auf hohen moralischen Grundsätzen beruht.“6 Darin sind Keuschheit und sittliche Reinheit eingeschlossen. Tugend beginnt im Herzen und im Verstand. Sie wird in der Familie herausgebildet. Sie ist die Summe tausender kleiner Entscheidungen und Taten. Tugend ist ein Wort, das wir in der heutigen Gesellschaft nicht oft hören. Doch der lateinische Wortstamm virtus des englischen Wortes für Tugend, virtue, bedeutet Kraft. Tugendhafte Menschen besitzen würdevolle Gelassenheit und innere Kraft. Sie sind zuversichtlich, weil sie würdig sind, den Heiligen Geist zu empfangen und von ihm geleitet zu werden. Präsident Monson hat uns geraten: „Tretet für das Rechte ein, auch wenn ihr ganz allein dasteht. Habt den sittlichen Mut, ein Licht zu sein, dem andere folgen können. Keine Freundschaft ist wertvoller als ein reines Gewissen, die eigene sittliche Reinheit – und welch wunderbares Gefühl ist es doch, zu wissen, dass ihr an dem euch bestimmten Platz steht, rein und mit der Gewissheit, dass ihr dessen würdig seid.“7
Könnte es sein, dass wir allmählich abgestumpft sind und nun denken, hohe moralische Maßstäbe seien altmodisch und in der heutigen Gesellschaft weder maßgeblich noch wichtig? Elder Hales hat gerade über Lehonti aus dem Buch Mormon gesprochen, der oben auf dem Berg gut postiert war. Er und die Leute, die er führte, „waren in ihrem Sinn fest entschlossen, ja, mit entschiedenem Vorsatz“, nicht vom Berg herabzukommen. Der hinterlistige Amalikkja brauchte nur vier Versuche, jeder davon dreister als der vorhergehende, um Lehonti dazu zu bringen, „vom Berg herabzukommen“.8 Und dann, nachdem Lehonti sich auf Amalikkjas falsche Versprechungen eingelassen hatte, wurde ihm „nach und nach Gift“ verabreicht, bis er starb.9 Er wurde nicht einfach vergiftet, sondern es geschah „nach und nach“. Könnte es sein, dass das auch heute geschieht? Könnte es sein, dass wir die schlechten Gewohnheiten, die uns umgeben, zuerst tolerieren, dann akzeptieren und schließlich übernehmen?10 Könnte es sein, dass wir durch falsche Vorbilder getäuscht wurden, durch überzeugende Botschaften in den Medien, die uns vergessen lassen, dass wir göttlichen Ursprungs sind? Werden auch wir nach und nach vergiftet? Was könnte irreführender sein, als die Jugend dieser edlen Generation zu verleiten, nichts zu tun oder ständig mit dem Schreiben von SMS beschäftigt zu sein, aber nie zu einer Erkenntnis der Wahrheiten zu kommen, die in einem Buch stehen, das von Propheten Gottes für sie und ihre Zeit geschrieben wurde, nämlich dem Buch Mormon? Was könnte irreführender sein, als uns Frauen, junge und alte – uns alle – zu verleiten, so mit uns selbst beschäftigt zu sein – mit unserem Aussehen, unserer Kleidung, unserer Figur und Kleidergröße –, dass wir unsere göttliche Abstammung und die Fähigkeit aus den Augen verlieren, durch unseren tugendhaften Einfluss die Welt zu verändern? Was könnte irreführender sein, als die Männer – junge und alte, die das heilige Priestertum Gottes tragen – zu verleiten, verführerische Pornografie anzuschauen und damit das Fleisch zum Mittelpunkt zu machen und nicht den Glauben, Sünde zu konsumieren, anstatt Hüter der Tugend zu sein? Im Buch Mormon wird die Geschichte von 2000 jungen Helden erzählt, deren Tugend und Reinheit ihnen die Kraft verlieh, den Bund ihrer Eltern und den Glauben ihrer Familie zu verteidigen. Ihre Tugend und ihre Entschlossenheit, „zu allen Zeiten“ treu zu sein, veränderten die Welt!11
Ich glaube wirklich, dass eine tugendhafte Junge Dame oder ein tugendhafter Junger Mann unter der Führung des Geistes die Welt verändern kann, doch dazu müssen wir zur Tugend zurückkehren. Wir müssen hart trainieren. Der Marathonläufer Juma Ikangaa hat, nachdem er den New-York-Marathon gewonnen hatte, treffend gesagt: „Der Wille zum Sieg ist nichts ohne den Willen zur Vorbereitung.“12 Jetzt ist die Zeit, uns vorzubereiten, indem wir mehr Selbstdisziplin üben. Jetzt ist die Zeit, „mehr würdig des Reiches“13 zu sein. Jetzt ist die Zeit, unseren Kurs festzulegen und unseren Blick auf das Ziel zu richten. Die Rückkehr zur Tugend muss bei jedem Einzelnen im Herzen und in der Familie beginnen.
Wie kann der Einzelne dazu beitragen, diese Rückkehr zur Tugend einzuleiten? Der Ablauf und der Trainingsplan werden bei jedem von uns anders aussehen. Ich habe meinen persönlichen Trainingsplan aus Anweisungen in den heiligen Schriften zusammengestellt: „Lass Tugend immerfort deine Gedanken zieren.“14 „Halte an [deinen] Bündnissen fest.“15 „[Steht] an heiligen Stätten.“16 „Du sollst die Dinge dieser Welt ablegen.“17 „Glaubt daran, dass ihr … umkehren … müsst.“18 „Immer an ihn … denken und seine Gebote … halten.“19 Und: „Wenn es etwas Tugendhaftes oder Liebenswertes gibt, wenn etwas guten Klang hat oder lobenswert ist, so trachten wir danach.“20 Mehr als je zuvor ist es an der Zeit, Moronis Ruf zu folgen, nämlich zu erwachen und uns zu erheben und „jede gute Gabe zu ergreifen und weder die böse Gabe, noch das, was unrein ist, anzurühren“21.
Vor kurzem war ich dabei, als unsere jüngste Enkeltochter die Kindessegnung bekam. Für mich war es ein heiliger Anblick, wie mein Mann und unsere Söhne zusammen mit vielen anderen, die uns nahestehen, dieses kleine Kind in ihre Mitte nahmen. Sie war elegant ganz in Weiß gekleidet – und es schadete überhaupt nicht, dass sie nach ihren Großmüttern benannt wurde! Doch am meisten berührte mich der Segen, den sie von ihrem Vater, unserem Sohn Zach, bekam. Er segnete die kleine Annabel Elaine, dass sie ihre Identität als Tochter Gottes verstehen wird, dass sie dem Beispiel ihrer Mutter, Großmütter und ihrer Schwester folgen wird und dass sie große Freude finden wird, wenn sie ein tugendhaftes Leben führt und sich bereit macht, heilige Tempelbündnisse einzugehen und zu halten. In diesem heiligen Augenblick wünschte ich mir, dass jedes Mädchen von rechtschaffenen Priestertumsträgern umgeben, gestärkt und geschützt werden könnte – nicht nur kurz nach der Geburt bei der Kindessegnung, sondern das ganze Leben lang.
Während der feierlichen Versammlung bei der letzten Konferenz beobachtete ich, wie alle anwesenden Priestertumsträger aufstanden, als Präsident Uchtdorf uns aufforderte, unseren neuen Propheten und die neue Erste Präsidentschaft zu bestätigen. Ich fühlte Ihre Kraft und Macht im Priestertum. Sie sind die Hüter der Tugend. Dann wurde ich von Freude überwältigt, als er sagte: „Die Jungen Damen … mögen sich nun bitte erheben.“ Von meinem Platz aus habe ich gesehen, wie ihr euch alle erhoben und zusammengestanden habt. Es könnte heute keine stärkere Kraft für die Tugend in der Welt geben. Ihr dürft die Macht eures rechtschaffenen Einflusses nie unterschätzen.
Ich bezeuge, dass eine Rückkehr zur Tugend möglich ist, dank des Beispiels des Erlösers und „der unendlichen Macht seines großen Sühnopfers“.22 Ich bezeuge, dass wir nicht nur fähig und stark genug gemacht werden, etwas Schwieriges zu tun, sondern alles zu tun. Jetzt ist für uns alle die Zeit, uns zu erheben und ein Banner für die Welt zu entfalten, das zur Rückkehr zur Tugend aufruft. Mögen wir so leben, dass wir Werkzeuge sein können, mit denen die Erde auf das Zweite Kommen des Herrn vorbereitet wird, „damit wir, wenn er erscheinen wird, ihm gleich sein werden, … damit wir rein gemacht werden, so wie er rein ist“.23 Im Namen Jesu Christi. Amen.