2010–2019
Die Gabe der Gnade
April 2015


19:13

Die Gabe der Gnade

Heute und in alle Zeit steht Gottes Gnade jedermann offen, dessen Herz reuig und dessen Geist zerknirscht ist.

Am Ostersonntag feiern wir das am sehnlichsten erwartete und herrlichste Ereignis der Weltgeschichte.

An diesem Tag hat sich alles geändert.

An diesem Tag hat sich mein Leben geändert und auch das Ihre.

Das Schicksal aller Kinder Gottes hat sich geändert.

An diesem gesegneten Tag hat der Erretter der Menschheit die Ketten der Sünde und des Todes, die er auf sich genommen hatte und in denen wir gefangen lagen, zerrissen und uns befreit.

Wegen des Opfers, das unser geliebter Erlöser gebracht hat, besitzt der Tod keinen Stachel mehr, das Grab trägt nicht den Sieg davon, die Macht des Satans findet ein Ende, und wir haben „durch die Auferstehung Jesu Christi … eine lebendige Hoffnung“.

Der Apostel Paulus hatte völlig Recht, als er sagte: „Tröstet also einander mit diesen Worten!“

Die Gnade Gottes

Wir sprechen oft über das Sühnopfer des Erlösers und tun auch gut daran.

Wie Jakob schon sagte: „Warum nicht von dem Sühnopfer Christi sprechen und vollkommene Kenntnis von ihm erlangen?“ Doch auch wenn wir bei jeder Gelegenheit von Christus reden, uns über Christus freuen, von Christus predigen und von Christus prophezeien, dürfen uns niemals das ehrfürchtige Staunen und die tiefe Dankbarkeit abhandenkommen, womit wir das ewige Opfer des Sohnes Gottes betrachten.

Das Sühnopfer des Erlösers darf bei dem, was wir sagen, worüber wir uns unterhalten oder was wir im Herzen spüren, nicht alltäglich werden. Es ist von größter Heiligkeit. Durch dieses „groß[e] und letzt[e] Opfer“ nämlich hat Jesus, der Messias, „all denen, die an seinen Namen glauben“, die Errettung gebracht.

Ich finde es erstaunlich, dass der Sohn Gottes hinabgefahren ist, um uns zu retten – so unvollkommen, unrein, zu Fehlern neigend und undankbar, wie wir oftmals sind. So sehr ich mich bemühe, das Sühnopfer des Erlösers mit meinem begrenzten Verstand zu erfassen: Die einzige vernünftige Erklärung scheint mir, dass Gott uns liebt – aus tiefstem Herzen, vollkommen und unaufhörlich. Ich vermag „die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe [der] Liebe Christi“ auch nicht ansatzweise zu beurteilen.

Beeindruckend kommt diese Liebe in dem zum Ausdruck, was in den heiligen Schriften so oft als die Gnade Gottes bezeichnet wird – die Hilfe, die er uns gibt, und die Kraft, die er uns verleiht, damit sich aus den fehlerbehafteten und begrenzten Wesen, die wir jetzt sind, erhöhte Wesen entwickeln, voller „Wahrheit und Licht, bis [wir] in der Wahrheit verherrlicht [werden] und alles [wissen]“.

Diese Gnade Gottes ist aller Bewunderung wert, doch sie wird oft falsch verstanden. Wir sollten jedoch über die Gnade Gottes Bescheid wissen, wenn wir einst alles ererben wollen, was in seinem ewigen Reich für uns bereitet wurde.

Darum möchte ich über die Gnade sprechen, und zwar zunächst einmal darüber, wie sie die Pforten des Himmels öffnen kann, und dann darüber, wie sie auch die Fenster des Himmels öffnen kann.

Erstens: Die Gnade öffnet die Pforten des Himmels

Da wir alle „gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren“ haben und „nichts Unreines in das Reich Gottes eingehen“ kann, ist jeder von uns unwürdig, in Gottes Gegenwart zurückzukehren.

Selbst wenn wir Gott mit ganzer Seele dienen, genügt es nicht. Wir sind immer noch „unnütze Knechte“. Wir können uns den Weg in den Himmel nicht verdienen. Die Forderungen der Gerechtigkeit bilden eine Schranke, die wir aus eigener Kraft nicht überwinden können.

Aber es ist nicht alles verloren.

In der Gnade Gottes liegt eine große Hoffnung, die niemals vergeht.

Nach dem Plan der Barmherzigkeit werden durch das Opfer Jesu Christi die Forderungen der Gerechtigkeit erfüllt und „für den Menschen Mittel zuwege [gebracht], damit er Glauben zur Umkehr haben kann“.

Auch wenn unsere Sünden rot wie Scharlach sein mögen, können sie weiß wie Schnee werden. Weil unser geliebter Erlöser „sich als Lösegeld hingegeben hat für alle“, gibt es für uns einen Eingang in sein immerwährendes Reich.

Die Pforte wird geöffnet!

Die Gnade Gottes stellt aber nicht nur unsere vorherige Unschuld wieder her. Wenn Errettung nur bedeutete, dass unsere Fehler und Sünden getilgt werden, dann wäre das zwar großartig, aber sie könnte doch nicht zuwege bringen, was unserem Vater für uns vorschwebt. Er hat ein viel höheres Ziel: Er möchte, dass seine Söhne und Töchter wie er werden.

Durch die Gnade, die Gott uns schenkt, führt der Weg eines Jüngers nicht zurück, er führt empor.

Er führt uns auf kaum vorstellbare Höhen! Er führt uns zur Erhöhung im celestialen Reich unseres himmlischen Vaters, wo wir, von unseren Lieben umringt, „von seiner Fülle empfangen … und von seiner Herrlichkeit“. Alles gehört uns, und wir gehören Christus. Uns wird tatsächlich alles gegeben, was der Vater hat.

Um dieses herrliche Erbe anzutreten, brauchen wir mehr als lediglich eine offene Pforte. Wir müssen durch diese Pforte eintreten und dabei den Herzenswunsch haben, uns zu ändern – und zwar tiefgreifend. In den heiligen Schriften wird das so beschrieben: Wir müssen „von neuem geboren werden[;] ja, geboren aus Gott, aus [unserem weltlichen] und gefallenen Zustand umgewandelt in einen Zustand der Rechtschaffenheit, durch Gott erlöst, und indem [wir] seine Söhne und Töchter werden“.

Zweitens: Die Gnade öffnet die Fenster des Himmels

Ein weiteres Merkmal der Gnade Gottes ist, dass sie die Fenster des Himmels öffnet, durch die Gott uns mit Segnungen überschüttet: Er gibt uns Kraft und Stärke und versetzt uns in die Lage, Dinge zu erreichen, die sonst weit jenseits unserer Möglichkeiten lägen. Die wunderbare Gnade Gottes ermöglicht es seinen Kindern, dem Treibsand des Satans mit seinem verhängnisvollen Sog zu entkommen, sich über die Sünde zu erheben und in Christus vollkommen zu werden.

Wir alle haben Schwächen, aber wir können sie überwinden. Die Gnade Gottes ist es, durch die Schwaches stark werden kann, sofern wir uns demütigen und Glauben haben.

Unser ganzes Leben lang erhalten wir durch die Gnade Gottes irdische Segnungen und geistige Gaben, durch die unsere Fähigkeiten vergrößert werden und unser Leben bereichert wird. Durch seine Gnade entwickeln wir uns weiter. Durch seine Gnade können wir das Beste aus uns machen.

Wer kommt in Frage?

In der Bibel lesen wir, wie Jesus den Pharisäer Simon in seinem Haus besucht.

Nach außen hin erscheint Simon als guter, aufrechter Mann. Regelmäßig erfüllt er die Liste seiner religiösen Verpflichtungen: Er hält sich ans Gesetz, zahlt seinen Zehnten, beachtet den Sabbat, betet täglich und geht in die Synagoge.

Doch als Jesus bei ihm ist, tritt eine Frau an den Heiland heran, wäscht ihm mit ihren Tränen die Füße und salbt sie mit wohlriechendem Öl.

Simon missfällt diese Form der Ehrerbietung, denn er weiß, dass diese Frau eine Sünderin ist. Simon denkt sich: Wenn Jesus das nicht gewusst hat, dann kann er kein Prophet sein. Er hätte es sonst nicht zugelassen, dass sie ihn berührt.

Jesus aber, der Simons Gedanken erspürt, wendet sich diesem zu und stellt ihm eine Frage. „Ein Geldverleiher hatte zwei Schuldner; der eine war ihm fünfhundert Denare schuldig, der andere fünfzig.

Als sie ihre Schulden nicht bezahlen konnten, erließ er sie beiden. Wer von ihnen wird ihn nun mehr lieben?“

Simon entgegnet, dass es wohl der sei, dem mehr erlassen wurde.

Da bringt ihm Jesus eine tiefgründige Lektion bei: „Siehst du diese Frau? … Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie (mir) so viel Liebe gezeigt hat. Wem aber nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe.“

Wem von den beiden ähneln wir mehr?

Sind wir wie Simon? Betrachten wir unsere guten Taten mit Zuversicht und Zufriedenheit, unserer Rechtschaffenheit gewiss? Sind wir womöglich ein wenig ungeduldig mit allen, die unseren Maßstäben nicht genügen? Haben wir den Autopiloten eingeschaltet, sind wir Mitläufer, die ihre Versammlungen besuchen, im Evangeliumsunterricht vor sich hin gähnen und sich im Abendmahlsgottesdienst vielleicht mit ihrem Telefon beschäftigen?

Oder sind wir wie die Frau, die dachte, dass sie wegen ihrer Sünden vollständig und hoffnungslos verloren sei?

Zeigen wir so viel Liebe?

Ist uns unsere Schuld gegenüber dem Vater im Himmel bewusst und flehen wir aus tiefster Seele um Gottes Gnade?

Wenn wir uns zum Beten niederknien, geschieht es dann, um die Hitliste unserer Rechtschaffenheit noch einmal abzuspielen oder um unsere Fehler zu bekennen, Gott um Barmherzigkeit anzuflehen und Tränen zu vergießen, weil wir für den erstaunlichen Plan der Erlösung so dankbar sind?

Die Errettung lässt sich nicht mit Gehorsam erkaufen, sie wird durch das Blut des Gottessohnes erworben. Wer annimmt, er bekäme seine Errettung im Tausch für seine guten Werke, gleicht dem, der ein Flugticket kauft und sich einbildet, ihm gehöre die ganze Fluggesellschaft, oder dem, der seine Miete zahlt und glaubt, er habe Anspruch auf die ganze Erde.

Wozu gehorchen?

Wenn Gnade eine Gabe Gottes ist, wieso ist es dann so wichtig, Gottes Geboten zu gehorchen? Wozu sich überhaupt mit Gottes Geboten herumschlagen – oder mit der Umkehr, wenn wir schon dabei sind? Wieso geben wir unsere Sündhaftigkeit nicht einfach zu und lassen uns von Gott retten?

Oder, um es mit Paulus zu sagen: „Heißt das nun, dass wir an der Sünde festhalten sollen, damit die Gnade mächtiger werde?“ Die einfache und klare Antwort: „Keineswegs!“

Brüder und Schwestern, wir gehorchen Gottes Geboten aus Liebe zu ihm!

Wenn wir uns bemühen, voll und ganz die Gnade zu verstehen, die Gott uns schenkt, werden wir umso mehr Gründe finden, unseren Vater im Himmel in aller Bescheidenheit und Dankbarkeit zu lieben und ihm zu gehorchen. Wenn wir den Weg des Jüngers einschlagen, werden wir geläutert und zu besseren Menschen. Es hilft uns, mehr wie Gott zu werden, und es führt uns zurück in seine Gegenwart. Der „Geist des Herrn“, unseres Gottes, bewirkt in uns „eine mächtige Wandlung …, sodass wir keine Neigung mehr haben, Böses zu tun, sondern, ständig Gutes zu tun“.

Unser Gehorsam gegenüber Gottes Geboten ist darum ein natürliches Ergebnis unserer endlosen Liebe und unserer Dankbarkeit für seine Güte. Diese Form echter Liebe und Dankbarkeit wird unsere Werke auf wunderbare Weise mit Gottes Gnade zusammenführen. Tugend wird immerfort unsere Gedanken zieren und unser Vertrauen wird in der Gegenwart Gottes stark werden.

Liebe Brüder und Schwestern, treu nach dem Evangelium zu leben ist keine Last. Es ist eine fröhliche Generalprobe – eine Vorbereitung auf die großartige Herrlichkeit der Ewigkeit, die wir einst ererben. Wir wollen unserem Vater im Himmel gehorchen, weil unser Geist sich dann mehr auf Geistiges einstimmt. Es eröffnen sich Aussichten, von denen wir nicht die leiseste Ahnung hatten. Licht und Erkenntnis erwarten uns, wenn wir den Willen des Vaters tun.

Die Gnade ist eine Gabe Gottes, und wenn wir den Wunsch haben, jedem Gebot Gottes zu gehorchen, strecken wir damit unsere sterbliche Hand aus, um diese heilige Gabe von unserem Vater im Himmel in Empfang zu nehmen.

Alles, was wir tun können

Der Prophet Nephi leistete einen wichtigen Beitrag zu unserem Verständnis der Gnade Gottes, als er sagte: „Wir arbeiten eifrig …, um unsere Kinder und auch unsere Brüder zu bewegen, dass sie an Christus glauben und sich mit Gott versöhnen lassen; denn wir wissen, dass wir durch Gnade errettet werden, nach allem, was wir tun können.“

Ich frage mich freilich manchmal, ob wir die Worte „nach allem, was wir tun können“ nicht missverstehen. Uns muss klar sein, dass „nach“ nicht dasselbe bedeutet wie „wegen“.

Wir werden nicht „wegen“ allem errettet, was wir tun können. Hat auch nur einer von uns alles getan, was er tun kann? Wartet Gott, bis wir jeden erdenklichen Aufwand betrieben haben, ehe er mit seiner erlösenden Gnade in unser Leben tritt?

Viele Menschen verlässt der Mut, weil sie immer wieder scheitern. Sie wissen aus eigener Erfahrung: „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.“ Mit Nephi erheben sie ihre Stimme und rufen aus: „Meine Seele ist bekümmert meiner Übeltaten wegen.“

Sicherlich wusste Nephi, dass die Gnade des Erretters es uns ermöglicht und uns befähigt, Sünde zu überwinden. Aus diesem Grund hat er ja so eifrig gearbeitet, um seine Kinder und seine Brüder zu bewegen, „dass sie an Christus glauben und sich mit Gott versöhnen lassen“.

Das ist es, was wir tun können! Das ist unsere Aufgabe im Erdenleben!

Die Gnade steht jedermann offen

Wenn ich daran denke, was der Erretter für uns getan hat und was dann zu diesem ersten Ostersonntag führte, möchte ich meine Stimme erheben und dem allerhöchsten Gott und seinem Sohn Jesus Christus Loblieder singen!

Die Pforten des Himmels sind geöffnet!

Die Fenster des Himmels sind geöffnet!

Heute und in alle Zeit steht Gottes Gnade jedermann offen, dessen Herz reuig und dessen Geist zerknirscht ist. Jesus Christus hat uns den Weg freigemacht, damit wir auf Höhen emporsteigen können, die dem menschlichen Verstand unbegreiflich sind.

Ich bete dafür, dass wir mit neuen Augen und einem neuen Herzen die ewige Bedeutung des Sühnopfers unseres Erlösers erkennen mögen. Ich bete dafür, dass wir Gott unsere Liebe zeigen und auch, wie dankbar wir für die grenzenlose Gnade sind, die Gott uns schenkt, indem wir seine Gebote halten und fröhlich „als neue Menschen leben“ Im heiligen Namen unseres Meisters und Erlösers, Jesus Christus. Amen.