Gesungene und ungesungene Lieder
Ich flehe uns alle an, standhaft und treu im Chor zu bleiben.
„Eine Sonne mir im Herzen scheint“, schrieb Eliza Hewitt, „so herrlich und so klar wie nirgendwo am Himmelszelt, denn Jesus ist‘s fürwahr.“ In diesem wunderschönen alten christlichen Lied klingt in jeder Note ein Strahlen mit, sodass es nahezu unmöglich ist, es ohne ein Lächeln zu singen. Doch heute möchte ich eine Zeile aus diesem Lied einmal etwas anders betrachten. Sie kann uns an Tagen helfen, wenn es uns schwerfällt zu singen oder zu lächeln, und wenn die „heilige Freude“ anscheinend nicht „jetzt und immerfort“ im Herzen ist. Wenn Sie für eine Weile nicht in der Lage sind, die fröhlichen Melodien nachzusingen, die Sie von anderen hören, bitte ich Sie, sich beharrlich an der Zeile in diesem Lied festzuhalten, in der uns im englischen Originaltext versichert wird: „Jesus hört zu und kann die Lieder hören, die [Sie] nicht singen können.“
Zu den Gegebenheiten, denen wir uns als Kinder Gottes in einer gefallenen Welt stellen müssen, gehört, dass manche Tage schwierig sind, Tage, an denen unser Glaube und unsere Standhaftigkeit geprüft werden. Diese Herausforderungen können daher rühren, dass es uns, anderen Menschen oder einfach den Lebensumständen an etwas mangelt. Wir merken, dass wir dadurch der Lieder beraubt werden können, die wir doch so gern singen wollen, und der versprochene „Frühling … im Herzen“, von dem Eliza Hewitt in einer Strophe schwärmt, wird verdunkelt.
Was machen wir in solchen Zeiten? Zunächst einmal können wir den Rat des Apostels Paulus annehmen und „auf das [hoffen], was wir nicht sehen, [und dann] in Geduld [ausharren]“. In diesen Momenten, wenn die Melodie der Freude in uns verklungen ist, müssen wir vielleicht eine Weile stumm dastehen, einfach nur den anderen zuhören und aus der herrlichen Musik um uns herum Kraft schöpfen. Viele von uns, die sich mit Musik schwertun, haben an Selbstvertrauen gewonnen und ihren Gesang merklich verbessert, wenn sie sich neben jemanden mit einer starken, sicheren Stimme gestellt haben. Daraus folgt natürlich: Wenn wir die Lieder der Ewigkeit singen, sollten wir so nah, wie es einem Menschen nur möglich ist, am Erretter und Erlöser der Welt stehen. Er trifft den Ton immer richtig. Dann fassen wir Mut angesichts seiner Fähigkeit, unser Schweigen zu vernehmen, und schöpfen Hoffnung aus der klangvollen Fürbitte, die er als Messias für uns vorbringt. Es stimmt: „Gott, der Herr, [ist] nah“, wenn „Hoffnung grünet [und] Frieden meine Seel erfüllt“.
An solchen Tagen, wenn wir meinen, wir könnten den Ton nicht so recht halten, wenn wir meinen, wir seien geringer als das, was wir bei anderen zu sehen oder zu hören glauben, möchte ich uns alle – und vor allem die Jugendlichen in der Kirche – bitten, daran zu denken, dass Gott es so wollte, dass nicht alle Stimmen in seinem Chor gleich klingen. Man braucht Vielfalt – Sopran und Alt, Bariton und Bass –, damit Musik klangvoll ist. Um es mit einem Satz zu sagen, der in der vergnüglichen Korrespondenz zweier bemerkenswerter Frauen aus der Kirche zitiert wird: „Jedes Tierchen Gottes hat seinen Platz im Chor.“ Wenn wir unsere Einzigartigkeit herabwürdigen oder versuchen, frei erfundenen Stereotypen zu entsprechen – Stereotypen, die von einer unersättlichen Konsumkultur genährt und in den sozialen Medien über alles erreichbare Maß idealisiert werden –, verlieren wir die Stimme und Klangfarbe, die Gott im Sinn hatte, als er eine vielfältige Welt erschuf.
Das heißt aber nicht, dass jeder in diesem Chor Gottes einfach lauthals lossingen und sein eigenes Oratorium zum Besten geben kann! Vielfalt ist keine Kakofonie, und in einem Chor braucht man Disziplin – ja, für unsere Zwecke heute, Elder Hales, würde ich sagen, die Eigenschaften eines Jüngers –, doch wenn wir dann einmal den von Gott offenbarten Text und die harmonischen Klänge, die komponiert wurden, noch ehe die Welt war, annehmen, freut sich der Vater im Himmel, wenn wir mit unserer eigenen Stimme mitsingen und nicht mit der von jemand anders. Glauben Sie an sich, und glauben Sie an Gott. Machen Sie Ihren Wert oder Ihren Beitrag nicht klein. Vor allem: Geben Sie nicht Ihren Platz im Chor auf. Warum? Weil Sie einzigartig sind; Sie sind unersetzlich. Wenn nur eine Stimme wegfällt, ist dies ein Verlust für jeden weiteren Sänger in diesem großartigen Chor mit uns Sterblichen, einschließlich der Stimmen derer, die meinen, sie stünden in der Gesellschaft oder in der Kirche am Rand.
Zwar fordere ich Sie alle gerade auf, Glauben hinsichtlich der Lieder aufzubringen, die Ihnen vielleicht schwerfallen, doch gebe ich gerne zu, dass auch ich aus den verschiedensten Gründen Probleme mit ein paar Liedern habe, die zwar gesungen werden sollten, es aber noch nicht werden.
Wenn ich die erschütternde wirtschaftliche Ungleichheit in der Welt sehe, fühle ich mich schuldig, wenn ich mit Eliza Hewitt von „Freude[, die] mir im Herzen lacht“ und „Segen, den ich jetzt und einst“ empfangen werde, singe. Dieses Lied kann nicht von ganzem Herzen und voller Überzeugung gesungen werden, ehe wir uns nicht ehrenhaft der Armen angenommen haben. Wirtschaftliche Entbehrung ist ein Fluch, der anhält – Jahr um Jahr, Generation um Generation. Sie beeinträchtigt den Körper, lähmt den Geist, schadet den Familien und zerstört Träume. Wenn wir mehr dazu beitragen könnten, die Armut zu lindern, wie Jesus es uns mehrfach geboten hat, könnten ein paar Bedürftige in der Welt einige Takte von dem Lied „Eine Sonne mir im Herzen scheint“ summen – vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben.
Ich finde es auch schwer, ein fröhliches, lebhaftes Lied zu singen, wenn so viele um uns herum unter psychischen und seelischen Erkrankungen oder unter anderen belastenden gesundheitlichen Problemen leiden. Leider bleibt diese Last manchmal trotz der eifrigen Anstrengungen von vielen Helfern, auch der eigenen Angehörigen, bestehen. Ich bete darum, dass wir diese Kinder Gottes nicht schweigend leiden lassen und dass wir mit seiner Fähigkeit ausgestattet werden, die Lieder zu hören, die sie jetzt nicht singen können.
Und ich hoffe, dass eines Tages ein weltumspannender Chor über alle Rassen- und ethnischen Grenzen hinweg mit Wohlklang singen wird, und zwar davon, dass Waffen, Beleidigungen und Boshaftigkeit nicht dafür geeignet sind, Konflikte zu lösen. Der Himmel ruft uns zu, dass die einzige Art, wie man komplexe gesellschaftliche Probleme jemals zufriedenstellend lösen kann, darin besteht, Gott zu lieben und seine Gebote zu halten. Nur auf diese Weise öffnen wir die Tür dafür, dass wir einander mit dauerhafter und erlösender Nächstenliebe begegnen. Der Prophet Ether schrieb, wir sollen „auf eine bessere Welt hoffen“. Wir lesen jetzt, tausend Jahre später, dass der gewalt- und kriegsmüde Moroni erklärte, der „vortrefflicher[e] Weg“ zu dieser Welt sei immer das Evangelium Jesu Christi.
Wie dankbar sind wir doch, dass inmitten solcher Schwierigkeiten gelegentlich ein Lied anderer Art auftaucht, das wir nicht singen können, allerdings aus einem anderen Grund. Dies geschieht, wenn Gefühle so tiefgründig und persönlich sind, ja, so heilig, dass man sie weder aussprechen könnte noch sollte – so wie Cordelia die Liebe zu ihrem Vater beschrieb: „Meine Lieb … wiegt schwerer als mein Wort. … Ich kann nicht mein Herz auf meine Lippen heben.“ Solche Gefühle sind heilig, sie sind einfach unaussprechlich – in geistiger Hinsicht unbeschreiblich –, so wie das Gebet, das Jesus für die nephitischen Kinder sprach. Diejenigen, die Zeugen dieses Ereignisses waren, hielten fest:
„So Großes und Wunderbares, wie wir Jesus zum Vater reden gesehen und gehört haben, hat zuvor kein Auge je gesehen und kein Ohr gehört;
und so Großes und Wunderbares, wie wir es Jesus reden gesehen und auch gehört haben, kann keine Zunge sprechen, auch kann kein Mensch es niederschreiben, noch kann das Menschenherz es ermessen.“
Solche geheiligten Gefühle bleiben unausgesprochen, denn selbst wenn man es ausdrücken könnte, wäre es fast eine Entweihung dieses Augenblicks.
Brüder und Schwestern, wir leben in einer sterblichen Welt, in der wir viele Lieder nicht oder noch nicht singen können. Doch ich flehe uns alle an, standhaft und treu im Chor zu bleiben, wo wir in alle Ewigkeit das herrlichste Lied von allen genießen können – „den Gesang der erlösenden Liebe“. Glücklicherweise gibt es eine unbegrenzte Anzahl von Chorplätzen für genau dieses Lied. Es gibt Platz für diejenigen, die eine andere Sprache sprechen, eine andere Kultur pflegen und an den verschiedensten Orten leben. Es gibt Platz für Alleinstehende, Verheiratete, große Familien und Kinderlose. Es gibt Platz für diejenigen, die früher einmal Fragen zu ihrem Glauben hatten, und für jene, bei denen das immer noch so ist. Es gibt Platz für diejenigen, die abweichende sexuelle Neigungen haben. Kurz gesagt: Es gibt Platz für jeden, der Gott liebt und seine Gebote als unantastbaren Maßstab für das eigene Verhalten annimmt, denn wenn die Liebe Gottes die Melodie unseres gemeinsamen Liedes ist, so sorgt unser gemeinsames Bestreben, ihm zu gehorchen, gewiss für die unentbehrliche Harmonie im Gesang. Zu Gottes Geboten gehören Liebe und Glaube, Umkehr und Mitgefühl, Ehrlichkeit und Vergebungsbereitschaft, und in diesem Chor ist Platz für alle, die mitsingen wollen. „Komm her, wie du bist“, sagt unser liebevoller Vater zu einem jeden von uns, doch er sagt weiter: „Hab nicht vor, so zu bleiben, wie du bist.“ Wir lächeln und denken daran, dass Gott entschlossen ist, mehr aus uns zu machen, als wir es uns ausmalen könnten.
Mögen wir in diesem großen Oratorium, nämlich Gottes Plan für unsere Erhöhung, demütig seinem Dirigentenstab folgen und an den Liedern arbeiten, die wir nicht singen können, bis wir unserem Herrn diese Loblieder darbringen können. Denn eines Tage wird es so sein, wie es in einem unserer beliebten Lieder heißt:
Ich bezeuge, dass die Stunde kommt, da Gott, unser ewiger Vater, seinen einziggezeugten Sohn wieder auf die Erde schickt – dieses Mal, damit er als König der Könige für immer herrsche und walte. Ich bezeuge, dass dies die wiederhergestellte Kirche des Herrn ist und das Mittel, wie die Lehren und errettenden heiligen Handlungen seines Evangeliums zu allen Menschen gebracht werden können. Wenn seine Botschaft „jeden Kontinent durchdrungen [und] jede Zone erreicht“ hat, wird Jesus fürwahr sich uns liebend nahen. An diesem Tag wird es genügend ewigen Sonnenschein im Herzen geben. Dass diese verheißene Stunde kommen möge, darum bitte ich voller Sehnsucht. Im Namen Jesu Christi. Amen.