2010–2019
Die Sprache des Evangeliums
April 2017


12:27

Die Sprache des Evangeliums

Wirkungsvolles Unterweisen ist äußerst wichtig, wenn wir das Evangelium in unserer Familie bewahren möchten. Es erfordert Eifer und Anstrengung.

Nach meiner Berufung als Generalautorität zog ich mit meiner Familie von Costa Rica nach Salt Lake City, um meinen ersten Auftrag zu übernehmen. Ich habe hier in den Vereinigten Staaten bereits viele wunderbare Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft und Kultur kennenlernen dürfen. Darunter sind viele, die wie ich in einem Land in Lateinamerika geboren wurden.

Ich habe festgestellt, dass viele Hispanics der ersten Generation in den USA hauptsächlich Spanisch sprechen, aber auch über genug Englischkenntnisse verfügen, um sich mit anderen verständigen zu können. Diejenigen von der zweiten Generation, die entweder in den Vereinigten Staaten geboren wurden oder in jungen Jahren hierher gekommen und hier zur Schule gegangen sind, sprechen sehr gut Englisch und vielleicht noch ein bisschen gebrochenes Spanisch. Und die dritte Generation spricht oft schon kein Spanisch – die Muttersprache ihrer Vorfahren – mehr.

In der Sprachwissenschaft wird dies schlicht als „Sprachverlust“ bezeichnet. Sprachverlust kann eintreten, wenn eine Familie in ein fremdes Land zieht, in dem ihre Muttersprache nicht die Hauptsprache ist. Das kommt nicht nur bei Hispanics vor, sondern bei Menschengruppen in aller Welt, wenn die Muttersprache zugunsten einer neuen Sprache ersetzt wird. Selbst Nephi, ein Prophet im Buch Mormon, war in Sorge, dass er die Muttersprache seiner Väter verlernen könnte, als er sich darauf vorbereitete, ins verheißene Land zu ziehen. Nephi schreibt: „Siehe, es ist nach Gottes Weisheit, dass wir diese Aufzeichnungen erlangen, damit wir für unsere Kinder die Sprache unserer Väter bewahren.“

Aber er war auch in Sorge, dass er eine andere Art Sprache verlieren könnte. Im nächsten Vers fährt er fort: „Und auch, damit wir für sie die Worte bewahren, die geredet worden sind durch den Mund aller heiligen Propheten, denen sie durch den Geist und die Macht Gottes eingegeben worden sind, von Anfang der Welt an bis herab in die gegenwärtige Zeit.“

Mir ist eine Gemeinsamkeit zwischen dem Bewahren einer Muttersprache und dem Bewahren des Evangeliums Jesu Christi in unserem Leben aufgefallen.

In meinem heutigen Vergleich möchte ich nicht irgendeine irdische Sprache hervorheben, sondern vielmehr möchte ich auf eine ewige Sprache eingehen, die wir in der Familie bewahren müssen und die nie verlorengehen darf. Ich spreche von der Sprache des Evangeliums Jesu Christi. Mit dem Ausdruck „Sprache des Evangeliums“ meine ich alle Lehren unserer Propheten, unseren Gehorsam diesen Lehren gegenüber und unser Festhalten an rechtschaffenen Traditionen.

Ich gehe auf drei Möglichkeiten ein, wie man diese Sprache bewahren kann.

Erstens: Zu Hause eifriger und besorgter sein

Im Buch Lehre und Bündnisse fordert der Herr viele bekannte Mitglieder der Kirche, darunter auch Newel K. Whitney, auf, ihr Zuhause in Ordnung zu bringen. Der Herr sagt: „Mein Knecht Newel K. Whitney … hat es nötig, gezüchtigt zu werden und seine Familie in Ordnung zu bringen und zu sehen, dass sie zu Hause eifriger und besorgter sind und immer beten, sonst werden sie von ihrem Platz entfernt werden.“

Es kann unter anderem dann zu Sprachverlust kommen, wenn Eltern sich nicht die Zeit nehmen, ihren Kindern die Muttersprache beizubringen. Es reicht nicht aus, die Sprache zu Hause einfach nur zu sprechen. Wenn Eltern ihre Sprache bewahren möchten, müssen sie sie lehren. Studien zufolge haben Eltern, die sich ganz bewusst bemühen, ihre Muttersprache zu bewahren, in der Regel auch Erfolg dabei. Wie kann man sich nun bewusst darum bemühen, die Sprache des Evangeliums zu bewahren?

Elder David A. Bednar vom Kollegium der Zwölf Apostel hat gemahnt: Wenn man „in der Familie das Evangelium nur dürftig vermittelt und vorlebt“, kann das erheblich dazu beitragen, dass der Kreislauf von Familien, die der Kirche schon über mehrere Generationen angehören, durchbrochen wird.

Daraus können wir schließen, dass wirkungsvolles Unterweisen äußerst wichtig ist, wenn wir das Evangelium in unserer Familie bewahren möchten – und es erfordert Eifer und Anstrengung.

Wir sind schon oft aufgefordert worden, uns das tägliche Schriftstudium, allein und als Familie, zur Gewohnheit zu machen. Viele Familien, die dies tun, werden Tag um Tag mit größerer Einigkeit und einer engeren Beziehung zum Herrn gesegnet.

Ein Vater liest mit seiner Tochter in den heiligen Schriften

Wann wird das tägliche Schriftstudium zur Gewohnheit? Dann, wenn Eltern die Schriften zur Hand nehmen und die Familie liebevoll auffordern, zum Studium zusammenzukommen. Auf andere Art und Weise kann man sich das tägliche Schriftstudium kaum aneignen.

Eine Familie beim Schriftstudium

Liebe Väter und Mütter, lassen Sie sich diese großartigen Segnungen nicht entgehen. Warten Sie nicht, bis es zu spät ist!

Zweitens: In der Familie ein gutes Beispiel geben

Eine Sprachwissenschaftlerin hat geschrieben: Wenn man eine Muttersprache bewahren möchte, „muss man die Sprache für seine Kinder zum Leben erwecken. Wir erwecken die Sprache des Evangeliums zum Leben, wenn wir es in Wort und Tat lehren.

Als ich jung war, habe ich in den Ferien oft in der Fabrik meines Vaters gearbeitet. Die erste Frage, die mein Vater immer stellte, nachdem ich meine Vergütung erhalten hatte, war: „Was machst du mit deinem Geld?“

Ohne groß zu überlegen, antwortete ich stets: „Ich zahle den Zehnten und spare für meine Mission.“

Nachdem ich etwa acht Jahre lang Seite an Seite mit meinem Vater gearbeitet und er mir immer wieder die gleiche Frage gestellt hatte, ging er davon aus, dass er mir das Zehntenzahlen schließlich beigebracht habe. Ihm war überhaupt nicht bewusst, dass ich diesen wichtigen Grundsatz an nur einem einzigen Wochenende gelernt hatte. Das kam so:

Nach einigen Ereignissen, die im Zusammenhang mit einem Bürgerkrieg in Mittelamerika standen, musste das Geschäft meines Vaters Konkurs anmelden. Er musste seine etwa 200 Vollzeitangestellten auf weniger als fünf Näherinnen reduzieren, die bei Bedarf in der Garage unseres Hauses arbeiteten. Während dieser schwierigen Zeit hörte ich meine Eltern eines Tages darüber sprechen, ob sie den Zehnten zahlen oder für ihre Kinder Essen kaufen sollten.

Am Sonntag heftete ich mich an die Fersen meines Vaters, um zu sehen, was er tun würde. Nach den Versammlungen der Kirche sah ich, wie er einen Umschlag hervorholte und seinen Zehnten hineinlegte. Das war aber nur ein Teil der Lektion. Jetzt fragte ich mich natürlich, was wir essen würden.

Früh am Montagmorgen klopften ein paar Leute an unsere Tür. Als ich öffnete, fragten sie nach meinem Vater. Ich rief ihn, und als er kam, berichteten ihm die Besucher von einem dringenden Nähauftrag, der so bald wie möglich fertiggestellt werden musste. Sie sagten ihm, dass der Auftrag so dringend sei, dass sie schon im Voraus dafür bezahlen würden. An jenem Tag lernte ich, was es bedeutet, den Zehnten zu zahlen, und welche Segnungen damit einhergehen.

Im Neuen Testament sagt der Herr etwas über das Beispielgeben, nämlich: „Amen, amen, ich sage euch: Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, wenn er den Vater etwas tun sieht. Was nämlich der Vater tut, das tut in gleicher Weise der Sohn.“

In den Tempel gehen

Es reicht nicht aus, mit unseren Kindern nur darüber zu sprechen, dass es wichtig ist, im Tempel zu heiraten, zu fasten und den Sabbat heiligzuhalten. Sie müssen sehen, dass wir uns die Zeit nehmen, so oft wie möglich in den Tempel zu gehen. Sie müssen sehen, dass wir uns verpflichten, regelmäßig zu fasten und den Sabbat von morgens bis abends heiligzuhalten. Wenn unsere Jugendlichen nicht imstande sind, zwei Mahlzeiten auszulassen, sich regelmäßig in die heiligen Schriften zu vertiefen und den Fernseher am Sonntag auszuschalten, weil da eine wichtige Sportveranstaltung läuft, haben sie dann die geistige Selbstdisziplin, den gewaltigen Versuchungen der heutigen Welt voller Herausforderungen zu widerstehen, darunter auch der Versuchung, Pornografie zu konsumieren?

Drittens: Traditionen

Sprache kann sich auch dadurch ändern oder verlorengehen, dass andere Sprachen und Traditionen mit der Muttersprache vermischt werden.

In der Anfangszeit der wiederhergestellten Kirche forderte der Herr viele bekannte Mitglieder der Kirche auf, ihr Zuhause in Ordnung zu bringen. Als Einleitung zu seiner Aufforderung führte der Herr zwei Gründe an, weshalb uns Licht und Wahrheit in unserem Zuhause abhandenkommen können: „Jener Schlechte kommt und nimmt von den Menschenkindern infolge von Ungehorsam und wegen der Überlieferung ihrer Väter Licht und Wahrheit weg.“

Als Familie müssen wir jegliche Tradition vermeiden, die uns daran hindert, den Sabbat heiligzuhalten oder uns zu Hause jeden Tag mit den heiligen Schriften zu befassen und zu beten. Wir müssen die digitalen Türen unseres Zuhauses vor Pornografie und allen anderen schlechten Einflüssen verschließen. Um die weltlichen Traditionen der heutigen Zeit zu bekämpfen, müssen wir uns die heiligen Schriften und die Stimme unserer neuzeitlichen Propheten zunutze machen, um unsere Kinder in Hinblick auf ihre göttliche Identität, den Sinn ihres Lebens und die göttliche Mission Jesu Christi zu unterweisen.

Zum Abschluss

In den heiligen Schriften finden wir mehrere Beispiele für „Sprachverlust“. So lesen wir:

„Nun begab es sich: Es gab viele unter der heranwachsenden Generation, die die Worte König Benjamins nicht verstehen konnten, denn damals, als er zu seinem Volk sprach, waren sie noch kleine Kinder gewesen; und sie glaubten der Überlieferung ihrer Väter nicht. …

Und nun konnten sie wegen ihres Unglaubens das Wort Gottes nicht verstehen; und ihr Herz war verhärtet.“

Für die heranwachsende Generation war das Evangelium eine Fremdsprache geworden. Und obgleich hin und wieder darüber gestritten wird, welche Vorzüge es hat, eine Muttersprache zu bewahren, gibt es im Zusammenhang mit dem Erlösungsplan keinen Zweifel an den ewigen Folgen, die es mit sich bringt, wenn wir die Sprache des Evangeliums in unserem Zuhause verlernen.

Eine Mutter betet mit ihrem kleinen Sohn

Als Kinder Gottes sind wir unvollkommene Menschen, die versuchen, eine vollkommene Sprache zu erlernen. So wie eine Mutter sich ihrer kleinen Kinder mitfühlend annimmt, hat unser Vater im Himmel angesichts unserer Unvollkommenheiten und Fehler Geduld. Er versteht und freut sich über jedes noch so kleine Gebet, das wir aufrichtig sprechen, als wäre es wunderschöne Poesie. Er frohlockt bei unseren ersten Versuchen, die Sprache des Evangeliums zu sprechen. Er unterweist uns mit vollkommener Liebe.

Eine Familie betet zusammen

Kein Erfolg in diesem Leben – und mag er noch so bedeutend sein – ist von Belang, wenn wir die Sprache des Evangeliums in unserer Familie verlieren. Ich bezeuge, dass der Vater im Himmel uns in unseren Bemühungen segnet, seine Sprache nach besten Kräften zu erlernen, bis wir jene höhere Ebene der Verständigung beherrschen, die seit jeher unsere Muttersprache gewesen ist. Im Namen Jesu Christi. Amen.

Anmerkungen

  1. Unter Hispanics der dritten Generation „sprechen 72 Prozent nur Englisch“ (Richard Alba, „Bilingualism Persists, but English Still Dominates“, Migration Policy Institute, 1. Februar 2005, migrationpolicy.org/article/bilingualism-persists-english-still-dominates).

  2. „Der Großteil der dritten Generation spricht nur Englisch“ (Alba, „Bilingualism Persists, but English Still Dominates“).

  3. 1 Nephi 3:19; Hervorhebung hinzugefügt

  4. 1 Nephi 3:20; Hervorhebung hinzugefügt

  5. Eine Sprache lässt sich definieren als „ein Verständigungssystem, das in einem bestimmten Land oder einer bestimmten Gemeinschaft verwendet wird“ (Oxford Living Dictionaries, Stichwort „language“, oxforddictionaries.com).

  6. Lehre und Bündnisse 93:50; Hervorhebung hinzugefügt

  7. „[Eine Muttersprache zu bewahren] ist möglich, aber es erfordert Engagement und Planung.“ (Eowyn Crisfield, „Heritage Languages: Fighting a Losing Battle?“, onraisingbilingualchildren.com/2013/03/25/heritage-languages-fighting-a-losing-battle.) „Deutschsprachige im Mittleren Westen der USA haben ihre Muttersprache beispielsweise über Generationen hinweg bewahrt.“ (Alba, „Bilingualism Persists, but English Still Dominates“.)

  8. David A. Bednar, „Multigenerational Families“, Führerschaftsversammlung im Rahmen der Frühjahrs-Generalkonferenz 2015, broadcasts.lds.org

  9. Ein neuzeitliches Beispiel ist diese Weisung der Ersten Präsidentschaft: „Wir raten den Eltern und den Kindern, räumen Sie dem Familiengebet, dem Familienabend, dem Evangeliumsstudium und der Unterweisung im Evangelium sowie sinnvollen Familienaktivitäten höchste Priorität ein.“ (Schreiben der Ersten Präsidentschaft, 11. Februar 1999.)

  10. „Sie müssen die Sprache für Ihre Kinder zum Leben erwecken, damit sie sie verstehen, sich in der Sprache verständigen und sich dem Volk zugehörig fühlen können, das die Sprache repräsentiert.“ (Crisfield, „Heritage Languages: Fighting a Losing Battle?“; Hervorhebung hinzugefügt.)

  11. Johannes 5:19

  12. „Man hält den Fasttag normalerweise richtig ein, wenn man innerhalb von 24 Stunden zwei aufeinanderfolgende Mahlzeiten auslässt und in dieser Zeit auf essen und trinken verzichtet, die Fast- und Zeugnisversammlung besucht und ein großzügiges Fastopfer zugunsten der Bedürftigen spendet.“ (Handbuch 2: Die Kirche führen und verwalten, 21.1.17.)

  13. Siehe Omni 1:17

  14. Lehre und Bündnisse 93:39; Hervorhebung hinzugefügt

  15. In dieser Ansprache bezieht sich der Begriff „Sprachverlust“ darauf, wie das Evangelium verlorengehen kann (siehe Richter 2:10; Omni 1:17; 3 Nephi 1:30).

  16. Mosia 26:1,3; Hervorhebung hinzugefügt

  17. Siehe Matthäus 5:48; 3 Nephi 12:48

  18. Siehe Matthäus 16:24-26