Generalkonferenz
Tägliche Wiederherstellung
Herbst-Generalkonferenz 2021


13:43

Tägliche Wiederherstellung

Wir brauchen die beständige, tägliche Einwirkung himmlischen Lichts. Wir brauchen „Zeiten des Aufatmens“ – Zeiten der persönlichen Wiederherstellung.

Wir versammeln uns an diesem schönen Sabbatmorgen, um von Christus zu sprechen, uns an seinem Evangelium zu erfreuen und einander zu unterstützen und zu stärken, während wir auf dem Weg unseres Erretters wandeln.1

Als Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage versammeln wir uns zu diesem Zweck jeden Sabbat, das ganze Jahr über. Wenn Sie kein Mitglied der Kirche sind, heißen wir Sie herzlich willkommen und danken Ihnen, dass Sie mit uns zusammenkommen, um den Erretter zu verehren und von ihm zu lernen. Wie Sie bemühen wir uns – wenn auch unvollkommen –, bessere Freunde, Nachbarn und Menschen zu werden,2 und wir wollen dies erreichen, indem wir unserem Vorbild Jesus Christus folgen.

Der Erretter Jesus Christus

Wir hoffen, dass Sie die Aufrichtigkeit unseres Zeugnisses spüren können. Jesus Christus lebt! Er ist der Sohn des lebendigen Gottes, und er leitet in unserer Zeit Propheten auf der Erde an. Wir laden alle ein, zu kommen, das Wort Gottes zu hören und an seiner Güte teilzuhaben! Ich gebe mein Zeugnis, dass Gott unter uns ist und dass er sich gewiss all denen nahen wird, die sich ihm nahen.3

Wir betrachten es als Ehre, mit Ihnen auf dem engen und schmalen Pfad eines Jüngers zu wandeln, wie der Herr ihn abgesteckt hat.

Die Kunst, in einer geraden Linie zu gehen

Es gibt eine oft wiederholte Theorie, dass Menschen, die sich verirrt haben, im Kreis gehen. Vor kurzem haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik diese Theorie getestet. Sie brachten die Teilnehmer in einen dichten Wald und gaben ihnen einfache Anweisungen: „Gehen Sie in einer geraden Linie.“ Es gab keine sichtbaren Orientierungshilfen. Die Testpersonen mussten sich einzig und allein auf ihren Orientierungssinn verlassen.

Was meinen Sie, was dabei herauskam?

Die Wissenschaftler kamen zu dem Schluss: Die Menschen gehen wirklich im Kreis, wenn sie keine verlässlichen Hinweise auf ihre Laufrichtung haben.4 Bei der anschließenden Befragung behaupteten einige Teilnehmer selbstsicher, sie seien nicht im Geringsten abgewichen. Ihrem großen Selbstvertrauen zum Trotz zeigten die GPS-Daten, dass sie sich in Schleifen von bis zu 20 Metern Durchmesser bewegt hatten.

Warum fällt es uns so schwer, in einer geraden Linie zu gehen? Einige Forscher stellen die Hypothese auf, dass kleine, scheinbar unbedeutende Abweichungen im Gelände den Unterschied ausmachen. Andere weisen darauf hin, dass wir alle ein Bein haben, das etwas stärker ist als das andere. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass es uns schwerfällt, in gerader Linie zu gehen, „weil wir immer unsicherer werden, wo geradeaus ist“5.

Was auch immer die Ursache sein mag, es liegt in der menschlichen Natur: Ohne verlässliche Orientierungshilfe kommen wir vom Kurs ab.

Wenn man vom Weg abkommt

Ist es nicht interessant, wie kleine, scheinbar unbedeutende Faktoren sich ganz entscheidend auf unser Leben auswirken können?

Als Pilot habe ich das selbst erlebt. Jedes Mal, wenn ich den Anflug auf einen Flughafen begann, wusste ich, dass ein Großteil meiner verbleibenden Arbeit darin bestehen würde, ständig kleinere Kurskorrekturen vorzunehmen, um das Flugzeug sicher zur gewünschten Landebahn zu steuern.

Ähnliches erleben Sie vielleicht beim Autofahren. Wind, Straßenunebenheiten, eine schlechte Radeinstellung, Unachtsamkeit – vom Verhalten anderer Fahrer wollen wir gar nicht erst sprechen – können Sie aus der Bahn werfen. Wenn Sie diese Faktoren nicht beachten, kann es Ihnen einen schlechten Tag bescheren.6

Auto im Schwimmbecken

Das gilt für uns in körperlicher Hinsicht.

Es gilt für uns auch in geistiger Hinsicht.

Die meisten Veränderungen in unserem geistigen Leben – seien sie nun positiv oder negativ – vollziehen sich allmählich, Schritt für Schritt. Wie die Teilnehmer der Max-Planck-Studie merken wir vielleicht nicht, wenn wir vom Kurs abkommen. Vielleicht sind wir uns sogar ganz sicher, dass wir in gerader Linie gehen. Tatsache ist jedoch, dass wir ohne Orientierungshilfen unweigerlich vom Kurs abweichen und an Orten landen, die wir nie im Sinn hatten.

Das gilt für einzelne Menschen, und es gilt auch für Gesellschaften und Länder. In den heiligen Schriften gibt es viele Beispiele.

Im Buch der Richter wird berichtet, dass nach Josuas Tod „eine andere Generation [kam], die den Herrn nicht kannte und auch nicht die [Taten], die er für Israel getan hatte“7.

Ungeachtet der erstaunlichen himmlischen Interventionen, Erscheinungen, Rettungen, Wunder und Siege, die die Kinder Israel zu Lebzeiten Moses und Josuas miterlebt hatten, hatte das Volk innerhalb einer Generation den Weg verlassen und begonnen, nach seinen eigenen Wünschen zu wandeln. Und natürlich dauerte es nicht lange, bis es den Preis dafür zahlte.

Manchmal vollzieht sich dieser Abfall vom Glauben über Generationen. Manchmal dauert es nur wenige Jahre oder gar nur Monate.8 Aber wir sind alle dafür anfällig. Wie stark unsere geistigen Erlebnisse in der Vergangenheit auch gewesen sein mögen, als Menschen neigen wir dazu, umherzuirren. So ist es seit den Tagen Adams bis heute.

Es gibt auch gute Nachrichten

Aber es ist nicht alles verloren. Anders als die umherirrenden Testpersonen haben wir verlässliche, sichtbare Orientierungshilfen, die wir nutzen können, um unseren Kurs zu bewerten.

Und was sind diese Orientierungshilfen?

Gewiss gehören dazu das tägliche Gebet und das Nachdenken über die heiligen Schriften sowie die Verwendung inspirierter Hilfsmittel wie den Lehrplan Komm und folge mir nach!. Jeden Tag können wir uns in Demut und Ehrlichkeit dem Thron Gottes nahen. Wir können über unser Handeln nachdenken und die Augenblicke unseres Tages Revue passieren lassen – unseren Willen und unsere Wünsche im Lichte der Wünsche und des Willens Gottes betrachten. Wenn wir abgewichen sind, flehen wir Gott an, uns wiederherzustellen, und wir verpflichten uns, es besser zu machen.

Der Erretter leitet seine Schafe

Diese Zeit der Selbstprüfung ist eine Gelegenheit zur Neuausrichtung. Sie ist ein Garten der Besinnung, in dem wir mit dem Herrn wandeln und durch das geschriebene und durch den Geist offenbarte Wort des himmlischen Vaters unterwiesen, erbaut und geläutert werden können. Es ist eine heilige Zeit, in der wir an unsere feierlichen Bündnisse denken, dem sanften Christus zu folgen, unseren Fortschritt einschätzen und uns an den geistigen Orientierungshilfen ausrichten, die Gott für seine Kinder vorgesehen hat.

Betrachten Sie es als Ihre persönliche, tägliche Wiederherstellung. Auf unserer Reise als Pilger auf dem Pfad der Herrlichkeit wissen wir, wie schnell man vom Weg abkommt. Doch so wie geringfügige Abweichungen uns vom Weg des Erretters abbringen können, können auch kleine und einfache Maßnahmen zur Neuausrichtung uns gewiss wieder darauf zurückbringen. Wenn sich, wie so oft, Finsternis in unser Leben einschleicht, öffnet uns unsere tägliche Wiederherstellung das Herz für himmlisches Licht, das uns die Seele erleuchtet und Schatten, Ängste und Zweifel vertreibt.

Kleines Steuer, großes Schiff

Wenn wir darauf hinarbeiten, wird „Gott [uns] durch seinen Heiligen Geist, ja, durch die unaussprechliche Gabe des Heiligen Geistes, Erkenntnis geben“9. So oft, wie wir darum bitten, wird er uns den Weg zeigen und uns helfen, ihm zu folgen.

Das erfordert natürlich beständige Anstrengung unsererseits. Wir können uns nicht mit geistigen Erlebnissen aus der Vergangenheit zufriedengeben, wir brauchen regelmäßig welche.

Wir können uns nicht nur auf das Zeugnis anderer verlassen, wir müssen uns selbst eines erarbeiten.

Wir brauchen die beständige, tägliche Einwirkung himmlischen Lichts.

Wir brauchen „Zeiten des Aufatmens“10 – Zeiten der persönlichen Wiederherstellung.

„Fließendes Wasser“ kann nicht lange „unrein bleiben“11. Um unsere Gedanken und Taten rein zu halten, müssen wir in Bewegung bleiben!

Schließlich ist die Wiederherstellung des Evangeliums und der Kirche nichts, was sich ein einziges Mal zugetragen hat und dann vorbei ist. Sie ist ein fortlaufender Prozess – Tag für Tag, ein Herz nach dem anderen.

So wie unsere Tage vorübergehen, vergeht auch unser Leben. Ein Autor drückt es so aus: „Ein Tag ist wie ein ganzes Leben. Man fängt mit einer Sache an, macht am Ende aber doch etwas anderes; man möchte etwas erledigen, aber kommt doch nie dazu. … Und am Ende des Lebens hat unser ganzes Dasein doch den gleichen Zufallscharakter. Unser ganzes Leben hat die gleiche Gestalt wie ein einziger Tag.“12

Möchten Sie die Gestalt Ihres Lebens ändern?

Dann ändern Sie die Gestalt Ihres Tages.

Möchten Sie Ihren Tag ändern?

Dann ändern Sie die gegenwärtige Stunde.

Ändern Sie, was Sie genau in diesem Augenblick denken, fühlen und tun.

Ein kleines Steuer kann ein großes Schiff lenken.13

Aus kleinen Ziegeln können prächtige Bauwerke werden.

Aus kleinen Samen können riesige Mammutbäume werden.

Gut genutzte Minuten und Stunden sind die Bausteine eines gut gelebten Lebens. Sie können zum Guten inspirieren, uns aus der Gefangenschaft der Unvollkommenheiten emporheben und uns nach oben zum erlösenden Weg der Vergebung und Heiligung führen.

Der Gott der neuen Anfänge

Gemeinsam mit Ihnen erhebe ich mein Herz in Dankbarkeit für die herrliche Gabe neuer Gelegenheiten, neuen Lebens, neuer Hoffnung.

Wir erheben unsere Stimme, um unseren großzügigen und vergebungsbereiten Gott zu preisen. Denn er ist gewiss ein Gott der neuen Anfänge. Das erhabene Ziel all seines Wirkens besteht darin, uns – seinen Kindern – zu helfen, in unserem Streben nach Unsterblichkeit und ewigem Leben erfolgreich zu sein.14

Wir können neue Geschöpfe in Christus werden, denn Gott hat verheißen: „Sooft mein Volk umkehrt, werde ich ihm seine Verfehlungen gegen mich vergeben“15 und „nicht mehr an sie [denken]“16.

Meine lieben Brüder und Schwestern, liebe Freunde, wir alle weichen von Zeit zu Zeit vom Kurs ab.

Aber wir können dies korrigieren. Wir können unseren Weg durch die Finsternis und die Prüfungen dieses Lebens finden und zu unserem liebevollen Vater im Himmel zurückkehren, wenn wir nach den geistigen Orientierungshilfen streben, die er uns gegeben hat, und sie annehmen, persönliche Offenbarung nutzen und uns um tägliche Wiederherstellung bemühen. Auf diese Weise werden wir wahre Jünger unseres geliebten Erretters, Jesus Christus.

Wenn wir dies tun, lächelt Gott auf uns herab. „Der Herr segnet dich in dem Land, das er, dein Gott, dir gibt. Der Herr lässt dich … bestehen als das Volk, das ihm heilig ist.“17

Ich bete dafür, dass wir uns um tägliche Wiederherstellung bemühen und beständig danach streben, auf dem Weg Jesu Christi zu wandeln. Im Namen Jesu Christi. Amen.

Anmerkungen

  1. Jesus hat gesagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ (Johannes 14:6.) In der New International Version, einer Studienbibel mit einer Übersetzung in die englische Gegenwartssprache, steht diese Erklärung: „Das Bild eines Pfades oder Weges stand in der hebräischen Bibel oft für das Halten der Gebote oder die Lehren Gottes [siehe Psalm 1:1; 16:11; 86:11]. Dies war in alter Zeit eine verbreitete Metapher für aktive Ausübung einer Reihe von Glaubensansichten, Lehren oder Bräuchen. Die Gemeinschaft, der wir die Schriftrollen vom Toten Meer zu verdanken haben, bezeichnete sich selbst als Anhänger ‚des Weges‘, womit sie meinten, dass sie ihrer eigenen Auslegung des Pfades, der Gott gefiel, folgten. Paulus und die ersten Christen sprachen ebenfalls davon, dass sie sich nach ‚dem Weg‘ richteten [siehe Apostelgeschichte 24:14].“ (Aus: „What the Bible Says about the Way, the Truth, and the Life“, Bible Gateway, biblegateway.com/topics/the-way-the-truth-and-the-life.)

    1873 wurde in der Bibliothek des Patriarchen von Jerusalem in Konstantinopel ein altes Buch mit dem Titel Didache entdeckt. Viele Gelehrte glauben, dass es im späten ersten Jahrhundert (80 bis 100 n. Chr.) geschrieben und verwendet wurde. Die Didache beginnt mit diesen Worten: „Es gibt zwei Wege, einen zum Leben und einen zum Tod, aber es gibt einen großen Unterschied zwischen den beiden Wegen. Der Weg des Lebens ist also dieser: Erstens sollst du den Gott lieben, der dich gemacht hat; zweitens deinen Nächsten wie dich selbst.“ (Teaching of the Twelve Apostles, Übersetzung von Roswell D. Hitchcock und Francis Brown, 1884, Seite 3.)

    Andere Quellen, beispielsweise The Expositorʼs Bible Commentary, weisen darauf hin, dass „in der Frühphase des Bestehens der Kirche diejenigen, die Jesus als Messias anerkannten und ihn als ihren Herrn ansahen, sich selbst als ‚vom Weg‘ bezeichneten [siehe Apostelgeschichte 19:9,23; 22:4; 24:14,22].“ (Hg. Frank E. Gaebelein et al., 1981, Band 9, Seite 370.)

  2. Siehe Mosia 2:17

  3. Siehe Lehre und Bündnisse 88:63

  4. Siehe „Auf der Suche nach Orientierung“, 20. August 2009, Max-Plank-Gesellschaft, mpg.de

  5. „Walking in Circles“, mpg.de; siehe auch „Auf der Suche nach Orientierung“, mpg.de. Das Bild dort zeigt die GPS-Ortung von vier Studienteilnehmern. Drei von ihnen waren an einem bewölkten Tag unterwegs. Einer von ihnen (SM) ging los, während die Sonne von Wolken bedeckt war, aber nach 15 Minuten lösten sich die Wolken auf und der Teilnehmer konnte einige Blicke auf die Sonne erhaschen. Beachten Sie, dass es dem Teilnehmer viel besser gelang, in gerader Linie zu gehen, sobald die Sonne sichtbar war.

  6. Ein tragisches Beispiel dafür, wie ein Kursfehler von nur zwei Grad dazu führte, dass ein Passagierflugzeug gegen den Mount Erebus in der Antarktis prallte und 257 Menschen ums Leben kamen, finden Sie in „Nur ein paar Grad“ von Dieter F. Uchtdorf, Liahona, Mai 2008, Seite 57–60.

  7. Richter 2:10

  8. Nach dem Erscheinen Christi auf dem amerikanischen Kontinent kehrten die Menschen wahrhaftig von ihren Sünden um, ließen sich taufen und empfingen den Heiligen Geist. Wo sie einst ein streitsüchtiges und stolzes Volk gewesen waren, gab es nun „keine Streitigkeiten und Auseinandersetzungen unter ihnen, und ein jeder ging gerecht mit dem anderen um“ (4 Nephi 1:2). Diese Zeit der Rechtschaffenheit dauerte etwa zwei Jahrhunderte, bevor Stolz die Menschen dazu veranlasste, sich vom Weg abzuwenden. Ein geistiges Abweichen kann jedoch auch sehr viel schneller vonstattengehen. So gab es beispielsweise Jahrzehnte zuvor, im 50. Jahr der Regierung der Richter im Buch Mormon, „beständig Frieden und große Freude“ unter dem Volk. Aber wegen des Stolzes, der den Mitgliedern der Kirche ins Herz drang, gab es nach einer kurzen Zeitspanne von vier Jahren „in der Kirche viele Spaltungen, und es gab auch unter dem Volk einen Streit, so sehr, dass es viel Blutvergießen gab“ (siehe Helaman 3:32 bis 4:1).

  9. Lehre und Bündnisse 121:26

  10. Apostelgeschichte 3:20

  11. Lehre und Bündnisse 121:33

  12. Michael Crichton, Jurassic Park, 2015, Seite 190

  13. „Siehe, auch die Schiffe: Sie sind groß und werden von starken Winden getrieben und doch lenkt sie der Steuermann mit einem sehr kleinen Steuer, wohin er will.“ (Jakobus 3:4.)

  14. Siehe Mose 1:39

  15. Mosia 26:30

  16. Lehre und Bündnisse 58:42

  17. Deuteronomium 28:8,9; siehe auch Vers 1-7