Generalkonferenz
Wieder Vertrauen fassen
Herbst-Generalkonferenz 2021


13:7

Wieder Vertrauen fassen

Vertrauen zu Gott und zueinander bringt Segen vom Himmel

Als ich noch ziemlich klein war, wollte ich einmal von zuhause weglaufen. In meiner Jungenseele glaubte ich nämlich, keiner hätte mich lieb.

Meine Mutter merkte das, hörte mich an und redete mir gut zu. Zuhause war ich sicher.

Bloß weg von daheim! Haben Sie das auch schon mal gedacht? Wenn jemand von zuhause weglaufen will, heißt das oft, dass Vertrauen ins Wanken geraten oder in die Brüche gegangen ist – Selbstvertrauen, Vertrauen zum anderen oder unser Gottvertrauen. Gerät Vertrauen ins Wanken, fragen wir uns, wie wir je wieder Vertrauen fassen können.

Meine Botschaft heute lautet: Ob wir nun gerade ankommen oder uns erst auf dem Heimweg befinden – Gott kommt uns in jedem Fall entgegen.1 Durch ihn finden wir Glauben und Mut, Weisheit und Urteilsvermögen, um wieder Vertrauen fassen zu können. Doch er erwartet von uns auch, dass wir füreinander das Licht brennen lassen und weitaus vergebungsbereiter und weniger kritisch uns selbst und anderen gegenüber sind, sodass seine Kirche zu einem sicheren Hafen wird, wo wir uns zuhause fühlen – ob wir nun zum ersten Mal dort eintreten oder gerade erst wieder dorthin zurückkehren.

Vertrauen ist ein Ausdruck des Glaubens. Auf Gott ist immer Verlass. Doch das Vertrauen zu einem Menschen kann ausgehöhlt werden oder in die Brüche gehen, etwa

  • wenn ein Bekannter, ein Geschäftspartner oder sonst jemand, dem wir vertraut haben, sein Wort nicht hält, uns verletzt oder übervorteilt2

  • wenn der Ehepartner fremdgeht

  • wenn einer unserer Lieben ganz unerwartet aus dem Leben scheidet, einen Unfall hat oder erkrankt

  • wenn wir vor einer unvorhergesehenen Frage zum Evangelium stehen, etwa zur Geschichte der Kirche, zu einer Richtlinie oder weil jemand uns einredet, die Kirche verheimliche etwas oder sage nicht die Wahrheit

So manche Lebensumstände können ganz allgemein schwierige Fragen aufwerfen.

Vielleicht sehen wir für uns keinen Platz in der Kirche – wir fühlen uns als Außenseiter oder meinen, abfällig beurteilt zu werden.

Wir haben vielleicht alles getan, was erwartet wurde, und doch lässt der Erfolg noch auf sich warten. Vielleicht haben wir trotz eigener Erfahrungen mit dem Heiligen Geist nicht das Gefühl, wir wüssten mit Bestimmtheit, dass Gott lebt oder das Evangelium wahr ist.

Dass zwischenmenschliche Beziehungen in der Gesellschaft heute wieder mehr von Vertrauen getragen werden sollen, ist vielerorts ein Anliegen.3

Zum Thema „Vertrauen“ ist uns jedenfalls bewusst, dass Gott „ein Gott der Wahrheit“ ist und nicht lügen kann.4 Wir wissen auch, dass Wahrheit die Kenntnis von etwas ist, „wie es ist und wie es war und wie es kommen wird“5. Wir wissen, dass sich unwandelbare Wahrheit durch fortlaufende Offenbarung und Inspiration an veränderliche Lebensumstände anpasst.

Wir wissen, dass gebrochene Bündnisse so manches Herz brechen. „Ich habe einen Fehltritt getan“, sagt er. „Kannst du mir je verzeihen?“ Vielleicht reichen Mann und Frau einander die Hand und hoffen, einander wieder vertrauen zu können. Jemand im Gefängnis denkt vielleicht: „Wenn ich nur das Wort der Weisheit gehalten hätte, wäre ich heute nicht hier.“

Uns ist bewusst: Die Freude, die wir auf dem Weg der Bündnisse verspüren, und die Berufungen zum Dienen in seiner Kirche sind eine Aufforderung, Gottes Vertrauen in uns und seine Liebe zu uns und allen Menschen zu spüren. Überall bringen sich Mitglieder – auch Alleinstehende – in der Kirche und im Gemeinwesen ein.

Durch Inspiration beruft die Bischofschaft ein jungverheiratetes Paar als Kindergartenbeauftragte. Zuerst sitzt der Mann nur zaudernd und wie unbeteiligt in einer Ecke. Mit der Zeit lächelt er den Kindern zu. Später bedankt sich das junge Paar. Die Frau hatte sich schon immer Kinder gewünscht, doch der Mann wollte keine. Die Berufung hat die beiden verändert, einander nähergebracht und letztlich auch zum ersehnten Kindersegen geführt.

In einer anderen Stadt sind eine junge Mutter mit kleinen Kindern und ihr Mann etwas überrascht und überfordert, als sie zur FHV-Präsidentin berufen wird. Die Schwester nimmt die Berufung jedoch an. Bald danach legen Winterstürme die Stromversorgung lahm, wodurch es zu einem Lebensmittelengpass kommt und es die Menschen zuhause so kalt haben wie in der Kühltruhe. Weil die junge Familie Strom hat und heizen kann, nimmt sie für die Dauer des Notstands mehrere Familien und einzelne Hilfsbedürftige bei sich auf.

Vertrauen wird zu einer realen Gegebenheit, wenn wir Schwieriges voll Glauben angehen. Dienen und Opferbereitschaft erweitern unsere Fähigkeiten und läutern unser Herz. Vertrauen zu Gott und zueinander bringt Segen vom Himmel.

Nach einer erfolgreichen Krebstherapie wird ein treuer Bruder von einem Auto angefahren. Doch statt sich zu bemitleiden, fragt er im Gebet: „Was kann ich daraus lernen?“ Auf der Intensivstation hat er eine Eingebung. Ihm fällt eine Krankenschwester auf, die sich um ihren Mann und ihre Kinder Sorgen macht. Ein Patient, der selbst Schmerzen leidet, findet für sich Antworten, weil er voll Gottvertrauen auf andere zugeht.

Während ein Bruder, der Probleme mit Pornografie hat, vor dem Büro des Pfahlpräsidenten wartet, betet dieser drinnen, um herauszufinden, wie er dem Bruder helfen kann. Der Eindruck ist deutlich: „Öffne die Tür und lass den Bruder eintreten.“ Voll Glauben und dem Vertrauen, dass Gott helfen wird, öffnet der Priestertumsführer die Tür und umarmt den Wartenden. Beide verspüren gegenseitige Liebe und Vertrauen zu Gott und zueinander, und das verändert sie. Der Bruder wird gestärkt und kann den Prozess der Umkehr und inneren Wandlung in Angriff nehmen.

Ungeachtet unserer persönlichen Lebensumstände können die Grundsätze des Evangeliums und der Heilige Geist uns konkret erkennen lassen, ob, wie und wann wir wieder vertrauen können. Wenn Vertrauen gebrochen oder missbraucht wird, sind Ernüchterung und Enttäuschung die Folge. Dann brauchen wir Urteilsvermögen, um zu merken, wann Glauben und Mut berechtigt sind, sodass wir uns wieder auf eine Beziehung einlassen können.

Was Gott und persönliche Offenbarung anbelangt, hat uns Präsident Russell M. Nelson versichert: „Sie brauchen nicht zu raten, wem Sie sicher vertrauen können.“6 Auf Gott ist immer Verlass. Der Herr kennt uns besser und liebt uns mehr als wir uns selbst. Seine unendliche Liebe und sein vollkommenes Wissen von Vergangenem, Gegenwärtigem und Künftigem machen seine Bündnisse und Verheißungen so sicher und unumstößlich.

Verlassen Sie sich auf das, was in den heiligen Schriften „im Laufe der Zeit“7 heißt. Mit Gottes Segen und dank anhaltenden Glaubens und Gehorsams finden sich im Laufe der Zeit Lösungen und wir verspüren Frieden.

Der Herr tröstet uns:

„Wenn man am Abend auch weint, am Morgen herrscht wieder Jubel.“8

„Wirf auf ihn der Sorgen Last, und folg des Geistes Trieb!“9

„Die Erde kennt keinen Schmerz, den der Himmel nicht heilen kann.“10

Setzen wir unser Vertrauen in Gott11 und seine Wundertaten. Wir können uns ändern, und Beziehungen können sich wandeln. Durch das Sühnopfer des Herrn Jesus Christus können wir unser egoistisches natürliches Wesen ablegen und ein Kind Gottes werden – sanftmütig, demütig,12 voller Glauben und angemessenem Vertrauen. Wenn wir umkehren, unsere Sünden bekennen und von ihnen lassen, dann, sagt der Herr, denkt er nicht mehr an sie.13 Es ist nicht so, dass er vergisst, sondern auf erstaunliche Weise scheint er sich nicht mehr erinnern zu wollen – und auch wir brauchen dann nicht mehr daran zu denken.

Vertrauen Sie auf göttliche Inspiration, damit Sie weise urteilen können. Wir können anderen zum rechten Zeitpunkt und auf die rechte Weise vergeben, wie es der Herr ja auch von uns verlangt,14 und dabei doch „klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“15 sein.

Wir sind mitunter gerade dann, wenn wir gebrochenen Herzens und voll Reue sind, für Trost und Führung durch den Heiligen Geist besonders empfänglich.16 Verurteilung und Vergebung nehmen beide ihren Anfang darin, dass man erkennt, dass etwas falsch gewesen ist. Bei der Verurteilung geht es oft um Vergangenes. Vergebung blickt befreiend in die Zukunft. „Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.“17

Der Apostel Paulus stellt die Frage: „Was kann uns scheiden von der Liebe Christi?“ Seine Antwort lautet: „Weder Tod noch Leben, … weder Höhe oder Tiefe … können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“18 Und doch gibt es jemanden, der uns von Gott und Jesus Christus scheiden kann, und das sind wir selbst. Schon Jesaja hat ja gesagt: „Eure Vergehen stehen trennend zwischen euch und eurem Gott.“19

Aufgrund göttlicher Liebe und göttlichen Gesetzes sind wir verantwortlich für unsere Entscheidungen und deren Folgen. Die sühnende Liebe unseres Heilands ist unbegrenzt und ewig.20 Wenn wir zur Heimkehr bereit sind, ist Gott sogar „von Weitem“21 schon gewillt, uns mitfühlend willkommen zu heißen, und bietet uns voller Freude das Beste an, was er hat.22

Präsident J. Reuben Clark hat gesagt: „Ich denke, unser Vater im Himmel möchte jedes seiner Kinder retten. … In seiner Gerechtigkeit und Barmherzigkeit gibt er uns für unsere Taten den größtmöglichen Lohn, gibt uns alles, was er geben kann, und umgekehrt erlegt er uns meinem Dafürhalten nach die kleinstmögliche Strafe auf, die er uns auferlegen kann.“23

Das barmherzige Flehen des Erretters am Kreuz war nicht ein bedingungsloses „Vater, vergib ihnen“, sondern vielmehr: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“24 Unsere Freiheit und Entscheidungsfreiheit haben deswegen Bedeutung, weil wir vor Gott und uns selbst rechenschaftspflichtig sind dafür, wer wir sind, was wir wissen und was wir tun. Glücklicherweise können wir uns auf Gottes vollkommene Gerechtigkeit und vollkommene Barmherzigkeit verlassen, sodass er uns gemäß unseren Absichten und unseren Taten auf vollkommene Weise richten wird.

Zum Abschluss kommen wir zu dem zurück, womit wir begonnen haben – Gottes Mitgefühl, wenn wir zu ihm und zu einander heimkehren.

Erinnern Sie sich an das Gleichnis Jesu von dem Mann, der zwei Söhne hatte?25 Einer ging von zuhause weg und verschleuderte sein Erbteil. Schließlich ging er in sich und machte sich auf den Heimweg. Der andere Sohn, der meinte, er habe ja „so viele Jahre schon“26 die Gebote gehalten, wollte seinen Bruder jedoch zuhause nicht willkommen heißen.

Brüder und Schwestern, bitte bedenken Sie: Jesus erwartet von uns, dass wir unser Herz öffnen und Verständnis, Mitgefühl und Demut an den Tag legen und uns in beiden Brüdern wiedererkennen.

Wie der erste Sohn oder die erste Tochter sind wir vielleicht umhergewandert und kehren erst später wieder heim. Gott wartet schon auf uns.

Und wie beim zweiten Sohn oder bei der zweiten Tochter bittet uns Gott sanft, uns miteinander zu freuen, wenn jeder von uns zu ihm zurückkehrt. Er erwartet von uns, dass unsere Gemeinden, Kollegien, Klassen und Aktivitäten jedermann offenstehen – verlässlich und sicher, wie das Zuhause eben. Freundlich, verständnisvoll und voll gegenseitiger Achtung suchen wir alle demütig den Herrn, beten um seinen Segen und erfreuen uns an den Segnungen seines wiederhergestellten Evangeliums für alle.

Jeder Lebensweg ist zwar anders, doch wir alle können wieder zu Gottvater und seinem geliebten Sohn kommen, wenn wir Gott vertrauen, einander vertrauen und uns selbst vertrauen.27 Jesus wünscht sich: „Fürchte dich nicht! Glaube nur!“28 Wie der Prophet Joseph Smith können wir unbeirrt auf Gottes Obhut vertrauen.29 Lieber Bruder, liebe Schwester, lieber Freund, liebe Freundin, bitte bemühen Sie sich um Glauben. Fassen Sie erneut Vertrauen. Dieses Wunder ist uns ja heutzutage verheißen. Im heiligen Namen Jesu Christi. Amen.