Generalkonferenz
Schauen Sie weit nach vorn
Herbst-Generalkonferenz 2021


9:20

Schauen Sie weit nach vorn

Den Blick auf das zu richten, was am wichtigsten ist – vor allem auf das, was „weit vorn“ liegt, Ewiges nämlich –, ist ein Schlüssel, um in diesem Leben zurechtzukommen

Zu meinem 15. Geburtstag erhielt ich einen sogenannten Lernfahrausweis, mit dem ich Auto fahren durfte, solange mich einer meiner Eltern begleitete. Als mein Vater mich fragte, ob ich mit ihm eine Runde drehen wolle, war ich begeistert.

Er fuhr ein paar Kilometer an den Stadtrand zu einer langen, geraden, zweispurigen, wenig befahrenen Straße – ich muss dazusagen, wahrscheinlich der einzige Ort, an dem er sich sicher fühlte. Er hielt am Straßenrand an, sodass wir den Platz tauschen konnten. Er gab mir noch ein paar Tipps und sagte dann zu mir: „Fahr vorsichtig auf die Straße und fahr einfach so lange weiter, bis ich dir sage, dass du anhalten sollst.“

Ich befolgte seine Anweisungen ganz genau. Doch nach etwa 60 Sekunden ordnete er an: „Alvin, halt an! Mir wird ganz übel. Du fährst ja auf der kompletten Fahrbahn in Schlangenlinien!“ Er fragte: „Wo schaust du denn hin?“

Ein wenig verzweifelt antwortete ich: „Ich schaue auf die Straße.“

Er entgegnete: „Ich sehe deine Augen; du schaust nur auf das, was direkt vor der Motorhaube ist. Wenn du nur auf das schaust, was direkt vor dir liegt, wirst du nie geradeaus fahren.“ Dann betonte er: „Schau weit nach vorn! Das wird dir helfen, geradeaus zu fahren.“

Als 15-jähriger Fahranfänger empfand ich das als hilfreiche Lektion. Inzwischen ist mir klargeworden, dass das auch eine großartige Lektion fürs Leben war. Den Blick auf das zu richten, was am wichtigsten ist – vor allem auf das, was „weit vorn“ liegt, Ewiges nämlich –, ist ein Schlüssel, um in diesem Leben zurechtzukommen.

Im Leben des Erretters gab es eine Situation, in der er sich wünschte, allein zu sein. Dazu „stieg er auf einen Berg, um für sich allein zu beten“1. Er schickte seine Jünger mit der Anweisung weg, den See zu überqueren. In der Dunkelheit der Nacht geriet das Schiff, auf dem die Jünger unterwegs waren, in einen heftigen Sturm. Jesus kam ihnen zu Hilfe, jedoch auf eine ungewöhnliche Weise. Im biblischen Bericht heißt es: „In der vierten Nachtwache kam er zu ihnen; er ging auf dem See.“2 Als die Jünger ihn sahen, fingen sie an, sich zu fürchten, denn sie dachten, die Gestalt, die auf sie zukam, sei eine Art Gespenst. Jesus, der ihre Angst spürte und sie beruhigen wollte, rief ihnen zu: „Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht!“3

Petrus war daraufhin nicht nur erleichtert, sondern wurde kühn. Er, der schon immer mutig und oft impulsiv gewesen war, rief Jesus zu: „Herr, wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme!“4 Jesus sprach daraufhin diese vertraute und zeitlose Einladung aus: „Komm!“5

Petrus, der von dieser Aussicht ganz gewiss begeistert war, stieg aus dem Boot, jedoch nicht in das Wasser, sondern auf das Wasser. Seinen Blick fest auf den Erretter gerichtet, konnte er das Unmögliche tun und sogar auf dem Wasser gehen. Zunächst ließ sich Petrus von dem Sturm nicht beirren. Doch der „heftig[e] Wind“6 lenkte ihn schließlich ab, sodass er Jesus aus den Augen verlor. Die Angst kehrte zurück. Daraufhin schwand sein Glaube und er begann unterzugehen. Er schrie: „Herr, rette mich!“7 Der Erretter, der immer darauf bedacht ist, Menschen zu retten, streckte die Hand aus und zog ihn hoch in Sicherheit.

Aus diesem wundersamen Bericht können wir unzählige Lehren ziehen; auf drei davon möchte ich heute eingehen.

Richten Sie den Blick auf Christus

Die erste Lehre lautet: Richten Sie den Blick auf Christus. Solange Petrus seinen Blick auf den Erretter gerichtet hielt, konnte er auf dem Wasser gehen. Der Sturm, die Wellen und der Wind konnten ihn nicht daran hindern, solange er nur unverwandt auf den Erretter blickte.

Wenn wir den eigentlichen Zweck unseres Daseins begreifen, können wir besser beurteilen, worauf wir unser Augenmerk legen sollen. Wir können kein Spiel erfolgreich spielen, ohne das Ziel zu kennen, und wir können auch kein sinnerfülltes Leben führen, ohne dessen Zweck zu kennen. Eine der großartigen Segnungen des wiederhergestellten Evangeliums Jesu Christi ist, dass es Antworten auf diese – und andere – Fragen bietet: „Was ist der Sinn des Lebens?“ „Der Sinn des Lebens besteht darin, dass wir Freude haben und uns darauf vorbereiten, in die Gegenwart Gottes zurückzukehren.“8 Es hilft uns, daran zu denken, dass wir zum Zwecke der Vorbereitung hier auf der Erde sind, um einst zu Gott zurückzukehren, denn so können wir uns auf das konzentrieren, was uns zu Christus führt.

Unseren Blick auf Christus zu richten, erfordert Disziplin, vor allem bei den kleinen und einfachen geistigen Gewohnheiten, die uns helfen, bessere Jünger zu werden. Ohne Disziplin können wir keine Jünger sein.

Unser Blick auf Christus wird klarer, wenn wir weit nach vorn blicken – dahin, wo wir sein und wer wir werden wollen, und uns dann jeden Tag Zeit nehmen, das zu tun, was uns hilft, dorthin zu gelangen. Wenn wir den Blick auf Christus richten, kann dies unsere Entscheidungen leichter machen und uns dahingehend anleiten, wie wir unsere Zeit und unsere Mittel am besten nutzen können.

Auch wenn viele Dinge unsere Aufmerksamkeit verdient hätten, lernen wir aus Petrusʼ Beispiel, wie wichtig es ist, Christus stets in den Mittelpunkt zu stellen. Nur durch Christus können wir zu Gott zurückkehren. Wir vertrauen in unserem Bestreben, wie er zu werden, auf die Gnade Christi, und bemühen uns um Vergebung und um seine stärkende Macht, wenn wir versagen.

Hüten Sie sich vor Ablenkungen

Die zweite Lehre lautet: Hüten Sie sich vor Ablenkungen. Als Petrus den Blick von Jesus abwandte und auf den Wind und die Wellen richtete, die gegen seine Füße peitschten, begann er unterzugehen.

„Vor der Motorhaube“ gibt es vieles, was uns davon abhalten kann, unseren Blick auf Christus und auf Ewiges „weit vorn“ zu richten. Der Satan ist meisterlich im Ablenken. Aus Lehis Traum lernen wir, dass uns die Stimmen aus dem großen und geräumigen Gebäude zu Sachen verleiten wollen, die uns davon abbringen, uns auf die Rückkehr zu Gott vorzubereiten.9

Es gibt jedoch auch andere, weniger offensichtliche Ablenkungen, die eine ebenso große Gefahr darstellen können. Wie es in dem Sprichwort heißt: „Es genügt, dass gute Menschen nichts tun, und schon triumphiert das Böse.“ Der Widersacher scheint entschlossen zu sein, gute Menschen dazu zu bringen, nichts zu tun oder zumindest ihre Zeit mit Dingen zu vergeuden, die sie von ihren erhabenen Absichten und Zielen ablenken. Manches, was in Maßen eine gesunde Abwechslung darstellt, kann bei fehlender Disziplin zu einer ungesunden Ablenkung werden. Der Widersacher weiß, dass Ablenkungen nichts Schlechtes oder Unmoralisches sein müssen, um ihre Wirkung zu erzielen.

Wir können gerettet werden

Die dritte Lehre lautet: Wir können gerettet werden. Als Petrus unterzugehen begann, schrie er: „Herr, rette mich! Jesus streckte sofort die Hand aus [und] ergriff ihn.“10 Wenn wir unterzugehen drohen, wenn wir bedrängt sind oder straucheln, können auch wir von ihm gerettet werden.

Angesichts von Bedrängnissen oder Prüfungen geht es Ihnen vielleicht wie mir: Wir hoffen, dass die Rettung sofort kommt. Denken Sie aber daran, dass der Erretter den Aposteln in der vierten Nachtwache zu Hilfe kam – nachdem sie sich den Großteil der Nacht im Sturm abgemüht hatten.11 Wir mögen darum beten, dass die Hilfe, wenn sie auch nicht sofort kommt, so doch wenigstens in der zweiten oder gar in der dritten Wache der sprichwörtlichen Nacht kommt. Wenn wir warten müssen, seien Sie versichert, dass der Erretter immer über uns wacht und dafür sorgt, dass wir nicht mehr ertragen müssen, als wir Kraft haben.12 Diejenigen, die in der vierten Nachtwache warten, vielleicht noch immer inmitten von Leid, bitte ich: Verlieren Sie nicht die Hoffnung. Die Glaubenstreuen werden immer gerettet, sei es während des Erdenlebens oder in der Ewigkeit.

Manchmal drohen wir wegen unserer eigenen Fehler und Übertretungen unterzugehen. Wenn dies bei Ihnen der Fall ist, treffen Sie die freudige Entscheidung, umzukehren.13 Ich glaube, dass dem Erretter kaum etwas mehr Freude schenkt, als diejenigen zu retten, die sich ihm zuwenden oder zu ihm zurückkehren.14 Die heiligen Schriften bieten eine Fülle von Geschichten, in denen einst gefallene und unvollkommene Menschen umkehrten und fest im Glauben an Christus wurden. Ich denke, diese Geschichten in den heiligen Schriften sollen uns daran erinnern, dass die Liebe des Erretters zu uns und seine Macht, uns zu erlösen, unbegrenzt sind. Nicht nur der Erretter empfindet Freude, wenn wir umkehren, sondern auch wir empfangen große Freude.

Zum Abschluss

Ich lege Ihnen ans Herz, ganz bewusst „weit nach vorn zu schauen“ und Ihren Blick vermehrt auf das zu richten, worauf es wirklich ankommt. Mögen wir Christus in den Mittelpunkt unseres Lebens stellen. Inmitten all der Ablenkungen, der vielen Dinge „vor der Motorhaube“ und der Wirbelstürme, die uns umgeben, bezeuge ich, dass Jesus unser Heiland, unser Erlöser und unser Retter ist. Im Namen Jesu Christi. Amen.