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43 Ein öffentliches Ärgernis


„Ein öffentliches Ärgernis“, Kapitel 43 von: Heilige: Die Geschichte der Kirche Jesu Christi in den Letzten Tagen, Band 1, Das Banner der Wahrheit, 1815–1846, 2018

Kapitel 43: „Ein öffentliches Ärgernis“

Kapitel 43

Brennende Druckerpresse

Ein öffentliches Ärgernis

Nachdem William Law seines Amtes in der Ersten Präsidentschaft enthoben worden war, mied er Joseph. Ende März 1844 bemühte sich Hyrum, die beiden zu versöhnen, aber William war zu keinerlei Zugeständnissen bereit, solange der Prophet an der Mehrehe festhielt.1 Zu dieser Zeit bekam Joseph mit, dass William und einige andere in der Stadt heimlich planten, ihn und seine Familie umzubringen.2

Joseph jedoch erhob selbstbewusst die Stimme gegen diese Verschwörer. „Ich werde keinen Haftbefehl gegen sie erlassen, denn ich fürchte keinen von ihnen“, sagte er den Heiligen. „Sie könnten nicht einmal eine alte Glucke in die Flucht schlagen.“3 Dennoch bereiteten ihm die zunehmenden Meinungsverschiedenheiten in Nauvoo Kopfzerbrechen, und die Todesdrohungen bestärkten ihn in dem Gefühl, dass seine Zeit als Lehrmeister der Heiligen zu Ende ging.4

Im Frühjahr berichtete ihm ein Mitglied der Kirche namens Emer Harris, die Verschwörer hätten ihn und seinen neunzehnjährigen Sohn Denison zu einer ihrer Zusammenkünfte eingeladen. „Bruder Harris“, entgegnete Joseph, „ich rate dir, nicht an diesen Treffen teilzunehmen und ihnen auch keine Beachtung zu schenken.“ Dann schlug er Emer jedoch vor, Denison hinzuschicken, um mehr über die Verschwörer in Erfahrung zu bringen.

Später traf sich Joseph mit Denison und dessen Freund Robert Scott, um die beiden auf ihren Auftrag vorzubereiten. Ihm war bewusst, dass die Verschwörer gefährlich waren, und so schärfte er den beiden jungen Männern ein, bei der Zusammenkunft nur wenig zu sprechen und bloß niemanden zu verärgern.5


Am 7. April 1844, dem zweiten Tag der Generalkonferenz der Kirche, stellte Joseph seine Sorgen wegen der Verschwörung jedoch erst einmal zurück und sprach zu den Heiligen. Als er vor seinen Zuhörern stand, blies ein starker Wind durch die Reihen. „Es wird kaum möglich sein, dass mich alle hören, wenn ihr mir nicht eure volle Aufmerksamkeit schenkt“, rief der Prophet in das Gebrause hinein. Er erklärte, er werde über seinen Freund King Follett sprechen, der vor kurzem verstorben war, und allen, die einen geliebten Menschen verloren hatten, Trost spenden.6

Auch wolle er den Heiligen einen kleinen Einblick gewähren, was sie nach diesem Leben erwartete. Er wolle den geistigen Schleier lüften, wenn auch nur einen Augenblick, und über das Wesen Gottes und das göttliche Potenzial der Heiligen sprechen.

„Was für ein Wesen ist Gott?“, fragte er sie. „Ist dies irgendeinem Menschen bekannt? Hat einer von euch ihn schon gesehen, gehört und mit ihm gesprochen?“ Joseph ließ die Anwesenden über seine Fragen kurz nachdenken. „Wenn der Schleier heute zerrisse und der große Gott, der diese Welt in ihrer Bahn hält und alles mit seiner Macht aufrechterhält – ja, wenn ihr ihn heute sehen könntet“, sagte er, „so würdet ihr ihn, in Person und Erscheinung, in menschlicher Gestalt erblicken.“

Joseph erklärte, dass die Heiligen den vollendeten Plan, den der Vater für sie bereithielt, erfüllen konnten, wenn sie sich um Erkenntnis bemühten und ihre Bündnisse einhielten. „Ihr müsst nun lernen, selbst Gott zu werden“, fuhr Joseph fort. „Und zwar indem ihr von einer kleinen Stufe zur nächsten schreitet – von Gnade zu Gnade, von Erhöhung zu Erhöhung, bis ihr imstande seid, euch in Herrlichkeit niederzulassen wie diejenigen, die in immerwährender Macht auf ihrem Thron sitzen.“

Mit diesem Plan, so rief er ihnen ins Bewusstsein, werde der Tod besiegt. „Wie tröstlich ist es doch für die Trauernden zu wissen, dass die irdische Hülle zwar zerfällt, doch dass sie wieder auferstehen werden, um in unsterblicher Herrlichkeit zu verbleiben, ohne jemals wieder betrübt sein, leiden oder sterben zu müssen“, erklärte er. „Vielmehr werden sie Erben Gottes und Miterben Jesu Christi sein.“7

Dies jedoch erfordere Zeit, viel Geduld und Glauben und sei ein Lernprozess. „Man kann nicht alles in dieser Welt verstehen“, versicherte der Prophet den Heiligen. „Es wird auch nach dem Tod noch lange dauern, bis man alles verstanden hat.“

Am Ende der Predigt wirkte Joseph nachdenklich. Er sprach von seinen Angehörigen und Freunden, die gestorben waren. „Sie sind nur einen Augenblick lang nicht bei uns“, erklärte er. „Sie befinden sich im Geistzustand, und wenn wir dahinscheiden, werden wir unsere Mütter, Väter, Freunde und alle, die wir lieben, begrüßen können.“ Er versicherte den Müttern, deren kleine Kinder gestorben waren, dass sie mit ihnen wieder vereint sein würden. In der Ewigkeit, fügte er hinzu, müssten die Heiligen keinen Pöbel mehr fürchten, sondern würden Freude und Glück erfahren.8

Als Joseph so vor den Heiligen stand, war er nicht mehr der unbeholfene, ungeschulte Farmerssohn, der in einem Hain um Weisheit gebetet hatte. Tag für Tag, Jahr für Jahr hatte der Herr ihn wie einen Stein geschliffen und so allmählich zu einem besseren Werkzeug in seiner Hand gemacht.9 Dennoch begriffen die Heiligen nur wenig von seinem Leben und seiner Mission.

„Ihr habt nie gewusst, wie es in mir aussieht“, sagte er. „Ich mache niemandem einen Vorwurf, wenn er meine Geschichte nicht glaubt. Hätte ich es nicht selbst erlebt, könnte ich es selber nicht glauben.“ Wenn eines Tages über sein Leben Bilanz gezogen würde, so hoffte er, würden ihn auch die Heiligen besser kennen.

Nach dem Ende der Predigt setzte sich Joseph, und der Chor sang ein Lied. Joseph hatte fast zweieinhalb Stunden gesprochen.10


Seine Predigt inspirierte die Heiligen und erfüllte sie mit dem Heiligen Geist. „Die Worte, die wir dort vernommen haben, erfüllen uns das Herz mit Freude“, schrieb Ellen Douglas ihren Eltern in England eine Woche nach der Konferenz. Ellen, ihr Mann und ihre Kinder waren unter den ersten britischen Bekehrten gewesen, die 1842 in Richtung Nauvoo in See gestochen waren. Die Wahrheiten in Josephs Predigt erinnerten sie daran, weshalb sie so viele Opfer gebracht hatten, um sich mit den Heiligen zu sammeln.

Vielen anderen britischen Bekehrten gleich hatten auch sie fast alle Ersparnisse aufgebraucht, um nach Nauvoo auswandern zu können, und waren seitdem verarmt. Kurz nach der Ankunft war Ellens Mann George gestorben, und sie selbst war krank geworden und hatte so hohes Fieber, dass sie ihre acht Kinder nicht versorgen konnte. Eine Freundin hatte ihr bald empfohlen, sich an die Frauenhilfsvereinigung zu wenden, der sich Ellen nach ihrer Ankunft in Nauvoo angeschlossen hatte.

„Ich lehnte dies ab“, berichtete Ellen ihren Eltern in dem besagten Brief, „aber sie sagte, dass ich dringend etwas bräuchte, denn ich sei so lange krank gewesen, und wenn ich mich nicht selbst an die Vereinigung wendete, würde sie es für mich tun.“ Ellen wusste, dass es ihren Kindern an vielem mangelte, vor allem an Kleidung, und so bat sie schließlich ein Mitglied der Frauenhilfsvereinigung um Hilfe.

„Sie fragte mich, was ich am dringendsten brauchte“, erklärte Ellen. „Dann wurde ein Wagen geholt und man brachte mir eine ganze Fuhre – so reich war ich noch nie beschenkt worden.“

Nun besaßen sie und ihre Kinder eine Kuh und hielten auf dem Grundstück, das sie gepachtet hatten, Dutzende Hühner. Außerdem legten sie Geld zurück, um ein Stück Land zu kaufen. „Noch nie ist es mir in meinem Leben so gut gegangen“, erzählte sie ihren Eltern. „Jedenfalls lobe und preise ich Gott, dass er mir die Ältesten Israels nach England gesandt und mein Herz so berührt hat, dass ich ihnen Glauben schenkte.“

Sie schloss den Brief mit ihrem Zeugnis vom Propheten Joseph Smith. „Der Tag wird kommen“, schrieb sie ihren Eltern, „da ihr erkennen werdet, dass ich euch die Wahrheit gesagt habe.“11


Im Frühjahr nahmen Denison Harris und Robert Scott an den geheimen Zusammenkünften von William Law teil und berichteten Joseph, was sie dort erfuhren.12 William sah in sich selbst inzwischen einen Reformator der Kirche. Er gab zwar immer noch vor, an das Buch Mormon und an das Buch Lehre und Bündnisse zu glauben, aber die Mehrehe und Josephs neue Lehren in Bezug auf das Wesen Gottes brachten ihn in Rage.13

Unter den Verschwörern erkannten Denison und Robert Williams Frau Jane und seinen älteren Bruder Wilson. Auch sahen sie Robert und Charles Foster, die mit Joseph befreundet gewesen waren, bis es bei der Erschließung von Grundstücken am Tempel zu Auseinandersetzungen gekommen war.14 John Bennetts alte Verbündete Chauncey und Francis Higbee waren ebenfalls anwesend, außerdem ein Raufbold namens Joseph Jackson, der aus der Gegend stammte.15

Der Prophet war sehr berührt, dass Denison und Robert bereit waren, ihr Leben für ihn zu riskieren. Nach der zweiten Zusammenkunft mit den Verschwörern bat er die beiden jungen Männer, ein weiteres Mal hinzugehen. „Haltet euch streng zurück“, riet er ihnen. „Macht keine Versprechungen, euch gegen mich oder irgendeinen Teil der Gemeinschaft zu verschwören.“ Er warnte sie außerdem, dass die Verschwörer sie möglicherweise umbringen wollten.

Am nächsten Sonntag gingen Denison und Robert zum üblichen Treffpunkt und stellten fest, dass er von Männern mit Musketen und Bajonetten bewacht wurde. Die beiden betraten das Haus und hörten den Debatten der Verschwörer schweigend zu. Alle waren sich einig, dass Joseph sterben musste, aber für einen Plan konnten sie sich nicht entscheiden.

Bevor sie auseinandergingen, verpflichtete Francis Higbee jeden Verschwörer, mit einem Eid seine Treue zu schwören. Einer nach dem anderen hoben die Männer und Frauen im Raum mit der rechten Hand eine Bibel hoch und legten den Eid ab. Als Denison und Robert an der Reihe waren, weigerten sie sich, nach vorne zu kommen.

„Habt ihr das handfeste Zeugnis aller Anwesenden gegen Joseph Smith nicht gehört?“, fragten die Verschwörer. „Wir halten es für unsere heilige Pflicht, ihn zu Fall zu bringen und die Menschen vor dieser Gefahr zu retten.“

„Wir haben an euren Treffen teilgenommen, weil wir euch für unsere Freunde hielten“, erwiderten die jungen Männer. „Wir haben uns nichts Schlimmes dabei gedacht.“

Die Anführer befahlen den Wachen, Denison und Robert zu ergreifen und sie in den Keller zu führen. Dort bekamen die beiden eine letzte Chance, den Eid abzulegen. „Wenn ihr euch immer noch weigert“, drohte man ihnen, „müssen wir euer Blut vergießen.“

Erneut lehnten die jungen Männer ab und machten sich auf ihren Tod gefasst.

„Aufhören!“, rief da plötzlich jemand. „Lasst uns die Sache noch einmal besprechen!“

Schlagartig brach unter den Verschwörern ein Streit aus. Die jungen Männer hörten, wie einer meinte, es sei zu gefährlich, sie umzubringen. „Die Eltern der Jungen“, warf er ein, „könnten sich auf die Suche machen und dann könnte es uns an den Kragen gehen!“

Die Wachen brachten Denison und Robert hinunter zum Fluss und ließen sie dort laufen. „Solltet ihr jemals den Mund aufmachen“, warnten die Wachen sie, „bringen wir euch um, wo immer wir euch aufspüren, sei es Nacht oder Tag.“16

Die jungen Männer liefen los und berichteten sofort Joseph und dessen Leibwächter, was geschehen war. Der Prophet hörte sich an, was sie zu sagen hatten, und war dankbar, dass ihnen nichts zugestoßen war, doch seine Miene verfinsterte sich. „Brüder“, sagte er, „ihr wisst ja nicht, wie dies enden wird.“

„Glaubst du, sie werden dich umbringen?“, fragte der Leibwächter. „Wird man dich ermorden?“

Joseph beantwortete die Frage nicht, versicherte den beiden Jungen jedoch, dass sich William Law und die anderen Verschwörer irrten, was ihn betraf. „Ich bin kein falscher Prophet“, bezeugte er. „Meine Offenbarungen stammen nicht aus der Finsternis. Sie stammen nicht vom Teufel.“17


Inmitten der Unruhen jenes Frühjahrs kam Joseph regelmäßig mit dem Rat der Fünfzig zusammen und besprach mit ihnen, welche Merkmale eine theokratische Demokratie idealerweise kennzeichnen sollten und welche Gesetze und Bräuche darin herrschen sollten. Bei einer Sitzung kurz nach der Frühjahrskonferenz ernannte der Rat Joseph zum Propheten, Priester und König.

Da die Männer keine politische Gewalt besaßen, zog die Entscheidung keine rechtsverbindlichen Folgen nach sich. Sie bestätigte jedoch Josephs Ämter und Aufgaben im Priestertum und dass er vor dem Zweiten Kommen an der Spitze des Gottesreiches auf Erden stand. Sie war auch eine Anspielung auf das Zeugnis von Johannes dem Offenbarer, dass Christus rechtschaffene Heilige zu Königen und Priestern vor Gott gemacht hatte, und verdeutlichte, weshalb Christus auch den Titel König der Könige trug.18

Später am Nachmittag wies Joseph darauf hin, dass einige Mitglieder des Rates nicht der Kirche angehörten. Er verkündete, im Rat der Fünfzig bespreche man keine religiösen Ansichten, ganz gleich, wie sie aussehen mochten. „Wir befolgen den allgemeingültigen, liberalen Grundsatz, dass alle Menschen gleiche Rechte haben und Respekt verdienen“, erklärte er. „In dieser Organisation genießt jeder Mann den Vorzug, sich seinen Gott und die Religion, die ihm gefällt, selbst wählen zu dürfen.“

Während er redete, nahm Joseph ein großes Lineal zur Hand und gestikulierte damit herum wie ein Schulmeister. „Wer auch nur das kleinste bisschen zur Intoleranz neigt, muss sie von sich weisen“, erklärte er dem Rat. Religiöse Intoleranz habe die Welt in Blut getränkt. „In allen Angelegenheiten des Staates und der Politik dürfen religiöse Ansichten niemals in Frage gestellt werden“, verkündete er. „Man muss nach dem Gesetz gerichtet werden, unabhängig von religiösem Vorurteil.“

Als Joseph fertig war, zerbrach er zur Überraschung aller Anwesenden das Lineal versehentlich in der Mitte.

„So wie das Lineal in der Hand unseres Vorsitzenden zerbrochen ist“, scherzte Brigham Young, „könnte jede tyrannische Regierung vor uns zerbrechen.“19


Da William und Jane Law sich öffentlich zunehmend gegen die Kirche wandten, schloss sie ein Rat von zweiunddreißig Führern der Kirche gemeinsam mit Robert Foster wegen unchristlichen Verhaltens aus der Kirche aus. William war außer sich vor Wut, weil man sie zur Anhörung nicht vorgeladen hatte und sie sich nicht verteidigen konnten. Er lehnte die Entscheidung des Rats ab.20

Als mehrere Apostel und etliche Älteste Nauvoo verließen, um eine Mission zu erfüllen oder sich für Josephs Präsidentschaftskandidatur einzusetzen, machten sich die Kritiker der Kirche wieder vermehrt ans Werk. Robert Foster und Chauncey Higbee suchten nach Beweisen, die man in einem Gerichtsverfahren gegen den Propheten verwenden könnte.21 Am 21. April brandmarkte William Law in einer öffentlichen Versammlung Joseph als gefallenen Propheten und gründete eine neue Kirche.

Bei der Versammlung bestätigten Williams Anhänger ihn als Präsidenten der neuen Kirche. Von nun an kamen sie jeden Sonntag zusammen und überlegten, wie sie andere unzufriedene Heilige für ihre Sache gewinnen konnten.22

Währenddessen sparte der junge Redakteur Thomas Sharp, der sich schon kurz nach der Ankunft der Heiligen in Illinois gegen sie gestellt hatte, in seiner Zeitung nicht mit Kritik an Joseph und der Kirche.

„Sie wissen ja gar nicht, wie unsere Bürger von den Anführern der Mormonenkirche wiederholt beleidigt und geschädigt worden sind“, verteidigte er die Angriffe auf die Heiligen. „Sie können gar nichts davon wissen, denn sonst würden Sie uns nicht vorhalten, eine solche Bande von Banditen, Betrügern und Blutsaugern entlarven zu wollen.“23

Schließlich gaben William und seine Anhänger am 10. Mai ihr Vorhaben bekannt, eine Zeitung namens Nauvoo Expositor zu veröffentlichen, in der, wie sie behaupteten, „die Fakten, wie es in der Stadt Nauvoo wirklich zugeht, kurz und bündig, vollständig und schonungslos“ aufgeführt würden.24 Francis Higbee reichte Klage gegen Joseph ein und beschuldigte ihn der öffentlichen Diffamierung, während William und Wilson seine Mehrehen zum Anlass nahmen, ihn des Ehebruchs zu bezichtigen.25

„Der Teufel richtet immer genau zur selben Zeit wie Gott sein Reich auf, um sich ihm entgegenzustellen“, erklärte Joseph den Heiligen in einer Predigt, als die falschen Anklagen gegen ihn zunahmen. Anschließend traf er sich mit den Heiligen, die das Endowment empfangen hatten, in dem Raum über seinem Laden. Gemeinsam beteten sie darum, von ihren Feinden befreit zu werden.26 Joseph wollte nicht wieder verhaftet werden, jedoch auch nicht wieder untertauchen müssen. Emma war schwanger und sehr krank, und er wollte sie nur ungern verlassen.27

Ende Mai gelangte er schließlich zu der Überzeugung, es sei wohl das Beste, nach Carthage aufzubrechen, dem Verwaltungssitz des Landkreises, und alle Anklagepunkte gerichtlich untersuchen zu lassen.28 Etwa zwei Dutzend Freunde begleiteten Joseph. Als der Fall einem Richter vorgelegt wurde, war ein Zeuge der Anklage verschwunden, sodass die Untersuchung nicht fortgesetzt werden konnte. Die Anhörung wurde um ein paar Monate vertagt, und der Sheriff gestattete Joseph, nach Hause zurückzukehren.29

Thomas Sharp war wütend, als er von Josephs Freilassung erfuhr. „Wir haben genug gesehen und gehört, was uns davon überzeugt, dass Joe Smith außerhalb von Nauvoo nicht sicher ist. Es würde uns nicht überraschen, wenn wir binnen kurzer Zeit von seinem gewaltsamen Tod hören“, verkündete er in einem Leitartikel. „Die Stimmung in diesem Landkreis ist jetzt bis aufs Äußerste gereizt, und es genügt der leiseste Anlass, die aufgestaute Wut zu entfesseln.“30


Während der Widerstand gegen Joseph immer heftiger wurde, bauten die Heiligen weiter an ihrer Stadt. Louisa Pratts Mann war noch immer auf Mission im Südpazifik, und sie wusste nicht, wie sie für die vier Töchter ausreichend Essen und ein Dach über dem Kopf beschaffen sollte. Vor der Abreise hatte Addison etwas Bauholz gekauft, aber nicht genug, dass Louisa auf ihrem Grundstück in der Stadt ein Haus bauen lassen konnte. Da sie jedoch auch ein wenig Land in einem benachbarten Bundesstaat besaß, fragte sie bei einer Sägemühle nach, ob sie nicht auf Kredit Bauholz kaufen und mit ihrem Land dafür bürgen könne.

„Zweifeln Sie nicht an dem Wort einer Frau“, sagte sie dem Besitzer, weil sie befürchtete, er würde ihr wegen ihres Geschlechts den Kredit verweigern. „Im Allgemeinen sind wir doch pünktlicher als Männer.“

Der Besitzer des Sägewerks hatte keine Bedenken wegen des Kredits, und schon bald besaß Louisa genügend Holz für ein kleines Fachwerkhaus. Leider ließen sie die Arbeiter, die sie für den Bau angeheuert hatte, immer wieder im Stich, sodass sie ständig neue anstellen musste, bis sie zuverlässige gefunden hatte.

Solange am Haus gebaut wurde, verdiente sich Louisa als Schneiderin etwas hinzu. Als ihre Töchter an den Masern erkrankten, wachte sie Tag und Nacht über sie und betete um ihre Genesung, bis es ihnen wieder besser ging. Allem Anschein nach kam sie mit den Umständen gut zurecht. Oft war sie jedoch einsam und fühlte sich unzulänglich und hilflos angesichts der Last, die sie zu tragen hatte.

Als das Haus fertig war, zog Louisa mit ihren Kindern ein. Sie verlegte einen Teppich, den sie selbst gewoben hatte, und kaufte von dem Geld, das sie verdient hatte, Möbel.

Die Monate vergingen, und Louisa und ihre Töchter kamen trotz des geringen Einkommens über die Runden. Louisa verhandelte, kaufte auf Kredit und zahlte gleichzeitig ihre Schulden beim Sägewerk ab. Als schließlich das Essen zur Neige ging und Louisa neue Schulden begleichen musste, fragten die Kinder: „Was machen wir jetzt, Mutter?“

„Wir beschweren uns beim Herrn“, erwiderte Louisa matt. Sie fragte sich jedoch, was sie im Gebet sagen sollte. Sollte sie sich über die Leute beschweren, die ihr Geld schuldeten? Sollte sie sich über diejenigen auslassen, die bei ihr Arbeit in Auftrag gegeben hatten und nicht dafür bezahlten?

Just in diesem Augenblick erschien ein Mann und brachte ihr eine Ladung Holz, die sie verkaufen konnte. Dann traf ein anderer ein, der ihr fünfzig Kilo Mehl und zehn Kilo Schweinefleisch brachte.

„O Mutter!“, rief ihre Tochter Frances aus, „bist du aber ein Glückspilz!“

Louisa war überwältigt von Dankbarkeit und beschloss, sich nicht beim Herrn zu beklagen.31


William Law hielt Wort und der Nauvoo Expositor war Anfang Juni auf den Straßen Nauvoos erhältlich. „Wir sind ernsthaft bestrebt, die unmoralischen Grundsätze Joseph Smiths zu entlarven“, stand dort im Vorwort, „von denen wir wahrhaft wissen, dass sie mit den Grundsätzen Jesu Christi und der Apostel nicht im Einklang stehen.“

William und seine Anhänger behaupteten in der Zeitung, Joseph sei vom Weg des wiederhergestellten Evangeliums abgekommen, als er das Endowment eingeführt, mit der Ausübung der Mehrehe begonnen und neue Lehren in Bezug auf die Erhöhung und das Wesen Gottes verkündet habe.32

Auch warnten sie die Bewohner des Landkreises, dass die Heiligen politisch an Einfluss gewannen. Sie beklagten sich darüber, dass Joseph die Rolle von Kirche und Staat verwische, und verurteilten seine Präsidentschaftskandidatur.

„Erheben wir uns in der vollen Größe unserer Kraft“, drohten sie, „und fegen wir den Einfluss von Tyrannen und Schurken aus unserem Land hinweg.“33

Am nächsten Tag berief Joseph den Stadtrat von Nauvoo ein, um zu besprechen, wie man gegen die Zeitung vorgehen konnte. Viele Nachbarn der Heiligen waren der Kirche bereits feindlich gesinnt, und er war besorgt, dass der Expositor zu einem Ausbruch von Gewalt führen würde. „Es ist zu gefährlich, dass es so etwas gibt“, meinte er, „denn bekanntlich kommt da schnell ein Geist auf, der zur Bildung von Pöbelhorden führt.“34

Hyrum wies den Stadtrat darauf hin, wie sie vom Pöbel aus Missouri vertrieben worden waren. Wie Joseph hatte auch er Angst, dass die Zeitung die Leute gegen die Heiligen aufhetzen würde, solange dem nicht ein Gesetz Einhalt gebot.

Man beriet sich bis in den späten Samstagabend und vertagte die Sitzung dann auf Montag.35 Am Montag kam der Stadtrat erneut zusammen und besprach den ganzen Tag lang, was zu tun war. Joseph schlug vor, die Zeitung zum öffentlichen Ärgernis zu erklären und die Druckerpresse zu zerstören.36

John Taylor stimmte zu. Als Herausgeber der Times and Seasons waren ihm Presse- und Redefreiheit wichtig, aber wie Joseph glaubte auch er, dass sie das verfassungsmäßige Recht hatten, sich gegen üble Nachrede zu wehren. Die Zerstörung des Expositors und der Druckerpresse wäre eine umstrittene Entscheidung, aber ihrer Auffassung nach mit den Gesetzen vereinbar.

Joseph las vor, was in der Verfassung des Staates Illinois zur Pressefreiheit stand, damit sich alle Anwesenden über die Rechtslage im Klaren waren. Dann las ein anderes Ratsmitglied aus einem angesehenen Gesetzesbuch vor, inwiefern es rechtmäßig war, sich eines öffentlichen Ärgernisses, das den Frieden einer Gemeinde gefährdete, zu entledigen. Nun, da die Gesetzeslage bekannt war, wiederholte Hyrum Josephs Vorschlag, die Druckerpresse und die Lettern zu zerstören.37

William Phelps berichtete dem Rat, er habe die Verfassung der Vereinigten Staaten, die Gründungsurkunde der Stadt Nauvoo sowie alle Gesetze des Landes genau studiert und es sei seiner Meinung nach von Rechts wegen völlig gerechtfertigt, die Druckerpresse zum Ärgernis zu erklären und sie umgehend zu zerstören.

Der Rat stimmte dafür, die Druckerpresse zu zerstören, woraufhin Joseph dem Marshal der Stadt den Auftrag übermittelte, die Maßnahme durchzuführen.38


Am Abend kam der Marshal von Nauvoo mit etwa einhundert Mann zum Büro des Expositors. Mit einem Vorschlaghammer brachen sie ein, zerrten die Druckerpresse auf die Straße und zerschlugen sie in Stücke. Dann leerten sie die Lettern aus den Schubladen und setzten die Trümmer in Brand. Jedes Zeitungsexemplar, das sie finden konnten, warfen sie ebenfalls ins Feuer.39

Am nächsten Tag berichtete Thomas Sharp in einer Sonderausgabe seiner Zeitung von der Zerstörung der Druckerpresse. „Krieg und Vernichtung sind unvermeidlich! Bürger, erhebt euch alle miteinander!!!“, schrieb er. „Der Worte sind genug gewechselt, soll doch jeder sagen, was er will. Jetzt lassen wir Schießpulver und Kugeln sprechen!!!“40