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46 Mit Macht ausgerüstet


„Mit Macht ausgerüstet“, Kapitel 46 von: Heilige: Die Geschichte der Kirche Jesu Christi in den Letzten Tagen, Band 1, Das Banner der Wahrheit, 1815–1846, 2018

Kapitel 46: „Mit Macht ausgerüstet“

Kapitel 46

Tempel auf einem Hügel

Mit Macht ausgerüstet

Im Herbst 1844 sandte das Kollegium der Zwölf Apostel einen Brief an alle Heiligen weltweit. „Der Tempel erfordert notwendigerweise unsere höchste und volle Aufmerksamkeit“, verkündeten sie. Sie forderten die Heiligen auf, Geld, Material und Arbeiter zu schicken, damit der Bau schneller voranging. Das Endowment, die Ausrüstung mit Macht, wartete auf sie. Sie brauchten lediglich einen Ort, wo sie es empfangen konnten.1

Die Heiligen verspürten dieselbe Dringlichkeit wie die Apostel. Ende September schrieb Peter Maughan an Willard Richards und berichtete von einer neuen Kohlegrube hundertsechzig Kilometer flussaufwärts. Peter und Mary hatten vor kurzem ihr Haus in Nauvoo verkauft und den Erlös dazu verwendet, für die Kirche diese Grube zu erwerben. Sie waren dann mit der Familie in eine einfache Hütte in der Nähe gezogen. Peter sehnte sich jedoch bereits danach, nach Nauvoo zurückzukehren und für das Haus des Herrn Steinblöcke zu schneiden.

„Ich kann nur an eines denken“, erzählte er Willard, „nämlich dass gerade der Tempel gebaut wird und mir das Vorrecht verwehrt bleibt, dabei zu helfen.“2

Nun, da die Mauern des Tempels immer höher wurden, war Brigham entschlossener denn je, das Werk, das Joseph begonnen hatte, fortzuführen. Er eiferte dem Beispiel des Propheten nach und betete oft mit den Heiligen, die das Endowment schon empfangen hatten. Er bat den Herrn, die Kirche zu schützen und zu einen. Taufen für die Verstorbenen, mit denen man nach Josephs Tod aufgehört hatte, wurden jetzt wieder im Untergeschoss des Tempels vollzogen. Älteste und Siebziger kehrten in größerer Anzahl in die Missionsgebiete zurück.3

Schwierigkeiten blieben aber nie lange aus. Im September erfuhren Brigham und die Zwölf, dass Sidney Rigdon sich gegen sie verschworen hatte und Joseph als gefallenen Propheten anprangerte. Sie beschuldigten ihn der Abtrünnigkeit, und Bischof Whitney und der Hoherat schlossen ihn aus der Kirche aus. Kurz darauf verließ Sidney Nauvoo und prophezeite, die Heiligen würden den Tempel niemals fertigstellen.4

Emma Smith, die sich nach wie vor um das Wohl ihrer Familie sorgte, verweigerte den Aposteln ebenfalls ihre volle Unterstützung. Mit den Treuhändern, die man dazu bestellt hatte, Josephs Nachlass zu regeln, arbeitete sie zwar zusammen, aber Auseinandersetzungen über Josephs Papiere und weiteres Eigentum machten ihr zu schaffen. Außerdem störte es sie, dass die Apostel immer noch insgeheim die Mehrehe lehrten und praktizierten.5

Die Frauen, die als weitere Ehefrauen an Joseph gesiegelt worden waren, erhoben keinen Anspruch auf sein Vermögen. Nach seinem Tod kehrten ein paar von ihnen zu ihrer Familie zurück. Andere heirateten den einen oder anderen von den Zwölf Aposteln, der dann gelobte, sich an Josephs statt um sie zu kümmern und sie zu versorgen. In aller Stille führten die Apostel weitere Heilige an die Mehrehe heran, heirateten selbst weitere Frauen und gründeten mit ihnen eine Familie.6

Zu Beginn des Jahres 1845 kamen die größten Schwierigkeiten allerdings von außerhalb der Kirche. Thomas Sharp und acht weitere Männer waren des Mordes an Joseph und Hyrum angeklagt, aber keiner der Heiligen rechnete damit, dass man sie für schuldig erklären würde. Unterdessen versuchten Abgeordnete des Bundesstaates Illinois, die politische Macht der Mitglieder der Kirche zu schwächen, und hoben die Gründungsurkunde der Stadt Nauvoo auf. Gouverneur Ford unterstützte diese Bemühungen. Ende Januar 1845 hob der Staat alle Rechte der in Nauvoo ansässigen Heiligen, Gesetze zu erlassen und durchzusetzen, auf. Außerdem löste er die Nauvoo-Legion und die Polizei auf.7

Brigham befürchtete, dass die Heiligen ohne diesen Schutz den Angriffen ihrer Feinde hilflos ausgeliefert waren. Allerdings war der Tempel noch lange nicht fertig, und falls die Heiligen nun aus der Stadt flohen, würden sie kaum das Endowment empfangen können. Sie brauchten Zeit, um das Werk, das der Herr ihnen aufgetragen hatte, zu vollenden. Blieben sie jedoch in Nauvoo – selbst wenn es nur ein weiteres Jahr war –, waren alle in Lebensgefahr.

Brigham ging auf die Knie und betete um Erkenntnis, was die Heiligen tun sollten. Die Antwort des Herrn war einfach: Sie sollten bleiben und den Tempel fertigstellen.8


Am Morgen des 1. März wurde der achtunddreißigjährige Lewis Dana in den Rat der Fünfzig aufgenommen – der erste Indianer im Rat. Nach Josephs Tod war der Rat nicht mehr zusammengekommen. Nachdem aber die Gründungsurkunde der Stadt aufgehoben worden war und den Heiligen bewusst geworden war, dass ihre Tage in Nauvoo gezählt waren, hatten die Zwölf Apostel den Rat einberufen, um zu besprechen, wie man die Stadt führen und deren Räumung einleiten könnte.

Lewis gehörte dem Stamm der Oneida an. Er und seine Familie hatten sich 1840 taufen lassen. Er hatte mehrere Missionen erfüllt, darunter eine im Indianerterritorium westlich der Vereinigten Staaten, und hatte sich sogar bis zu den Rocky Mountains vorgewagt. Brigham wusste, dass Lewis unter den Indianerstämmen im Westen Freunde und Angehörige hatte, und nahm ihn in den Rat auf, damit er von den Völkern und dem Land dort berichtete.

„Ich bin bereit, alles zu tun, was ich kann“, versprach Lewis dem Rat im Namen des Herrn.9

Im Laufe der Jahre war bei den Heiligen ein tiefer Groll gegen die politische Führung des Landes aufgekommen, die ihnen jede Hilfe verweigert hatte. Nun waren die Führer der Kirche entschlossen, das Land zu verlassen und Josephs Plan auszuführen, einen neuen Sammlungsort zu gründen, wo sie, wie der Prophet Jesaja einst prophezeit hatte, ein „Feldzeichen für die Nationen“ aufstellen und in Frieden nach den Gesetzen Gottes leben konnten. Wie Joseph hegte auch Brigham den Wunsch nach einem Sammlungsort im Westen, unter den Indianern, die er als Zweig des zerstreuten Israel sammeln wollte.

Brigham schlug dem Rat vor, Lewis und ein paar andere Ratsmitglieder auf eine Expedition in den Westen zu schicken. Sie sollten verschiedene Indianerstämme aufsuchen und ihnen erklären, weshalb die Heiligen in den Westen ziehen wollten. Dabei konnten sie auch mögliche Sammlungsorte ausfindig machen.10

Heber Kimball war einverstanden. „Während diese Männer nach einem Ort suchen“, sagte er, „stellen wir den Tempel fertig, und die Heiligen können das Endowment empfangen.“11

Der Rat stimmte der Expedition zu, und Lewis willigte ein, sie anzuführen. Die Monate März und April hindurch nahm er an den Ratssitzungen teil und informierte die anderen Ratsmitglieder, wie die Expedition am besten auszustatten sei, um die gesetzten Ziele zu erreichen.12 Ende April hatte der Rat vier Männer ernannt, die Lewis auf der Reise begleiten sollten, darunter Brighams Bruder Phineas und ein Neubekehrter namens Solomon Tindall aus dem Stamm der Mohegan, der von den Delaware aufgenommen worden war.13

Bald brach die Gruppe aus Nauvoo auf und zog durch den Südwesten Missouris in das dahinter liegende Territorium.14


Derweil stellte Addison Pratt auf der Insel Tubuai im Südpazifik fest, dass es bereits fast zwei Jahre her war, dass er Frau und Kinder in Nauvoo zurückgelassen hatte. Zweifelsohne hatte Louisa ihm geschrieben, so wie auch er jede Chance genutzt hatte, nach Hause zu schreiben, aber er hatte keine Briefe von seiner Familie erhalten.

Umso dankbarer war er den Bewohnern Tubuais, dass sie ihn so herzlich aufgenommen hatten. Etwa zweihundert Leute lebten auf der kleinen Insel, und Addison arbeitete hart, lernte ihre Sprache und schloss viele Freundschaften. Nach einem Jahr hatte er sechzig Leute getauft, darunter Repa, die älteste Tochter des Inselkönigs. Auch hatte er ein Ehepaar namens Nabota und Telii getauft, die all ihr Hab und Gut mit ihm teilten und ihn behandelten, als gehöre er zur Familie. Addison betrachtete es als ein geistiges Festmahl, wenn Nabota und Telii für die Heiligen in Nauvoo beteten und dem Herrn dankten, dass er Addison auf Mission geschickt hatte.15

Natürlich hatte Addison Heimweh, wenn er an Louisa und die Mädchen dachte, vergaß dabei jedoch auch nicht, weshalb sie dieses Opfer brachten. Er war nach Tubuai gekommen, weil er Jesus Christus liebte und weil ihm die Errettung der Kinder Gottes am Herzen lag. Wenn er überall auf der Insel die Heiligen von Tubuai besuchte, war oft eine solche Herzlichkeit und Liebe zu spüren, dass es Addison und diejenigen, bei denen er sich aufhielt, zu Tränen rührte.

„Meine Freundschaften hier können einzig und allein durch die Bande des immerwährenden Evangeliums entstanden sein“, schrieb er in sein Tagebuch.16

Drei Monate später, im Juli 1845, erfuhr Addison in einem Brief von Noah Rogers, seinem Missionsgefährten, der noch weiter weg auf Tahiti tätig war, von Josephs und Hyrums Tod. Als Addison von dem Mord las, gefror ihm das Blut in den Adern.17

Etwa eine Woche später schrieb Noah Addison erneut. Die Missionsarbeit auf Tahiti und den umliegenden Inseln verlief weniger ergiebig als Addisons Arbeit auf Tubuai, und die Nachricht aus Nauvoo hatte Noah bestürzt. Er machte sich Sorgen um die Sicherheit seiner Frau und seiner neun Kinder. Sie hatten bei dem Konflikt in Missouri schon genug leiden müssen, und er wollte nicht, dass sie ohne ihn weitere Prüfungen durchstehen mussten. Er nahm sich vor, das nächste Schiff Richtung Heimat zu nehmen.18

Addison hatte genug Gründe, es Noah gleichzutun. Joseph war nicht mehr da, und er machte sich Sorgen um seine Familie und die Kirche. „Wie das alles ausgeht“, schrieb er in sein Tagebuch, „weiß nur der Herr.“19

Schon ein paar Tage später reiste Noah ab. Addison hingegen beschloss, noch bei den Heiligen auf Tubuai zu bleiben. Am nächsten Sonntag hielt er drei Predigten im örtlichen Dialekt und eine auf Englisch.20


In Illinois besuchte Louisa Pratt ihre Freunde Erastus und Ruhamah Derby in Bear Creek, einer kleinen Siedlung südlich von Nauvoo.21 Während sie sich dort aufhielt, setzten Pöbelhorden eine benachbarte Siedlung der Heiligen in Brand. Erastus machte sich sofort auf den Weg, um die Siedlung zu verteidigen, und die beiden Frauen sollten das Haus bewachen, falls der Pöbel auch Bear Creek angriff.

Nachts hatte Ruhamah große Angst und konnte nicht schlafen. Sie bestand darauf, Nachtwache zu halten, während sich Louisa schlafen legte. Als Louisa morgens aufwachte, war ihre Freundin erschöpft, aber noch immer auf der Hut. Ein angespannter Tag verlief ohne Vorfälle, und als es wieder Abend war, wollte Louisa Ruhamah überreden, sie diesmal Nachtwache halten zu lassen. Zunächst war Ruhamah zu verängstigt und traute es ihr nicht zu, aber schließlich stimmte Louisa sie um, und sie ging zu Bett.

Als Erastus ein paar Tage später zurückkehrte, waren die beiden Frauen mit ihren Kräften am Ende, aber unversehrt. Erastus berichtete, die Heiligen in der Nachbarsiedlung seien in Zelten und Wagen untergebracht und dem Regen und der Nachtluft ausgesetzt.22 Die Neuigkeiten erreichten auch Brigham, und er forderte die Heiligen, die außerhalb von Nauvoo lebten, dazu auf, sich im Schutze der Stadt zu sammeln. Er versprach Gouverneur Ford, dass die Heiligen bis zum Frühjahr fortziehen würden. Damit hoffte er, die Angriffslust des Pöbels zu dämpfen und Zeit dafür zu gewinnen, das Gebot des Herrn zu erfüllen und den Tempel fertigzustellen.23

Als Louisa davon erfuhr, wusste sie nicht, was sie tun sollte. Addison befand sich am anderen Ende der Welt, und sie fühlte sich nicht in der Lage und besaß auch nicht die Mittel, allein mit der Familie fortzuziehen. Je mehr sie darüber nachdachte, Nauvoo zu verlassen, desto besorgter wurde sie.24


Nachdem es eine Woche lang geregnet hatte, klarte es über Nauvoo gerade rechtzeitig zur Generalkonferenz im Oktober 1845 auf. Der Tag war ungewöhnlich warm, und aus jedem Stadtteil strömten die Heiligen den Hügel zum Tempel hinauf und suchten sich im Erdgeschoss in dem gerade fertiggestellten Versammlungsraum einen Sitzplatz. Zwar war der übrige Innenbereich größtenteils unfertig, aber die Arbeiten an den Außenmauern des Gebäudes sowie am Dach waren abgeschlossen, und der Glockenturm mit seiner Kuppel glänzte im Sonnenlicht.25

Brigham beobachtete, wie die Heiligen den Versammlungsraum betraten, und war hin und her gerissen. Er wollte weder den Tempel noch Nauvoo zurücklassen, aber die neuerlichen Angriffe bildeten nur einen Vorgeschmack dessen, was die Heiligen erwartete, falls sie länger in der Stadt blieben.26 Auch hatte man im Frühjahr die Männer freigesprochen, die des Mordes an Joseph und Hyrum angeklagt gewesen waren, was den Heiligen noch deutlicher bewies, dass man in Illinois auf ihre Rechte und Freiheiten keinen Wert legte.27

Lewis Danas Berichte von der Expedition zu den Indianern hingegen klangen positiv, und seit ein paar Wochen erörterten die Apostel und der Rat der Fünfzig mögliche neue Sammlungsorte. Besonders interessierte sie das Tal des großen Salzsees jenseits der Rocky Mountains. Die Beschreibungen des Salzseetals klangen vielversprechend. Brigham war überzeugt, die Heiligen könnten sich dort ansiedeln und sich dann schließlich von dort aus ausbreiten und an der Pazifikküste niederlassen.28

Jedoch war das Tal zweitausendzweihundert Kilometer entfernt, und der Weg dorthin führte durch weites, wüstes, unbekanntes Land mit nur wenigen Straßen und fast keinen Geschäften, wo sie Proviant und Vorräte aufstocken konnten. Die Heiligen wussten zwar, dass sie Nauvoo verlassen mussten, aber konnten sie sich wirklich auf eine derart lange und sicherlich gefährliche Reise begeben?

Brigham war zuversichtlich, dass es mit der Hilfe des Herrn möglich war. Er wollte die Konferenz dazu nutzen, den Mitgliedern der Kirche Mut zu machen. In der Versammlung am Nachmittag sprach zuerst Parley Pratt und spielte bereits auf die Pläne der Kirche an, in den Westen zu ziehen. „Der Herr hat die Absicht, uns einem größeren Wirkungskreis zuzuführen, wo es mehr Platz gibt und die Heiligen gedeihen und an Anzahl zunehmen können“, verkündete er. „Dort können wir uns auch an den reinen Grundsätzen Freiheit und Gleichberechtigung erfreuen.“

George A. Smith trat als Nächster ans Pult und sprach von der Verfolgung, die die Heiligen in Missouri hatten erleiden müssen. Unter Androhung des Ausrottungsbefehls hatten sie gemeinsam aus dem Staat fliehen müssen und gelobt, niemanden zurückzulassen. George bat die Heiligen, sich erneut so zu verhalten und mit aller Kraft denjenigen zu helfen, die die Reise alleine nicht schaffen konnten.

Nach Georges Worten schlug Brigham vor, dass sie einander und dem Herrn gelobten, niemanden zurückzulassen, der in den Westen aufbrechen wollte. Heber Kimball legte dies zur Bestätigung vor, und die Heiligen bekräftigten mit erhobener Hand, dass sie ihr Versprechen halten wollten.

„Wenn ihr diesem Bund treu bleibt, prophezeie ich euch nun, dass der große Gott auf dieses Volk alle Mittel herabschütten lässt, die es braucht, um dieses Vorhaben buchstabengetreu auszuführen“, verhieß Brigham.29


In den Monaten nach der Konferenz setzten die Heiligen jede Säge, jeden Hammer, jeden Amboss und jede Nadel dazu ein, Wagen für den Treck nach Westen zu bauen und auszurüsten. Auch beim Tempelbau gingen die Arbeiter mit doppeltem Eifer ans Werk, damit sie vor der Abreise den Tempel so weit fertigstellen konnten, dass die Heiligen darin die heiligen Handlungen empfangen konnten.30

Die Arbeiter bereiteten das Dachgeschoss für das Endowment und die Siegelungen vor, während im Untergeschoss weiterhin Taufen für die Verstorbenen stattfanden. Auf Weisung des Herrn gab Brigham bekannt, dass sich von nun an keine Männer mehr für Frauen und keine Frauen mehr für Männer taufen lassen sollten.31

„Joseph hat zu seinen Lebzeiten nicht alles empfangen, was mit der Lehre von der Erlösung verbunden ist“, hatte Brigham den Heiligen früher im Jahr erklärt. „Doch er hat denjenigen den Schlüssel überlassen, die verstehen, wie man alles, was für die Erlösung und Erhöhung im celestialen Reich unseres Gottes notwendig ist, empfängt und diesem großartigen Volk kundtut.“

Die Änderung an dieser heiligen Handlung verdeutlichte, wie der Herr seinem Volk weiterhin seinen Willen offenbarte. „Der Herr hat sein Volk schon immer auf diese Weise geführt – er gibt ihm hier ein wenig und dort ein wenig“, erklärte Brigham. „So vermehrt er dessen Weisheit, und wer ein wenig empfängt und dankbar dafür ist, der empfängt nach und nach immer mehr.“32

Im Dezember war das Dachgeschoss des Tempels fertig, und die Apostel bereiteten es so vor, dass man dort das Endowment empfangen konnte. Mit Unterstützung anderer Heiliger hängten sie schwere Vorhänge auf und unterteilten den großen Saal damit in mehrere Räume, die sie mit Pflanzen und Wandgemälden dekorierten. An der Ostseite des Dachgeschosses trennten sie eine große Fläche für den Celestialen Saal ab, den heiligsten Ort im Tempel, und verzierten ihn mit Spiegeln, Gemälden, Karten und einer wunderschönen Uhr aus Marmor.33

Die Apostel forderten sodann die Heiligen auf, in den Tempel zu kommen und ihre Segnungen zu empfangen. Die Männer und Frauen, die das Endowment schon empfangen hatten, übernahmen nun abwechselnd verschiedene Rollen in der Zeremonie. Sie führten die Heiligen durch die verschiedenen Räume des Tempels, erläuterten ihnen den Plan Gottes für seine Kinder noch etwas eingehender und erlegten ihnen weitere Bündnisse auf, durch die sie sich verpflichteten, das Evangelium zu leben und sich dem Aufbau des Gottesreiches zu weihen.34

Vilate Kimball und Ann Whitney übernahmen die Waschung und die Salbung bei den Frauen. Anschließend führte Eliza Snow sie mit der Unterstützung weiterer Frauen, die das Endowment bereits empfangen hatten, durch die übrigen heiligen Handlungen. Brigham berief Mercy Thompson, in den Tempel zu ziehen und bei der Arbeit dort den ganzen Tag lang mitzuwirken.35

Als das neue Jahr heranbrach, begannen die Apostel damit, Ehepaare für Zeit und Ewigkeit zu siegeln. Bald schon hatten über eintausend Paare den neuen und immerwährenden Bund der Ehe empfangen, darunter Sally und William Phelps, Lucy und Isaac Morley, Ann und Philo Dibble, Caroline und Jonathan Crosby, Lydia und Newel Knight, Drusilla und James Hendricks sowie weitere Frauen und Männer, die der Kirche an jeden Ort gefolgt und Zion ihr Leben verschrieben hatten.

Die Apostel siegelten auch Kinder an ihre Eltern und Männer und Frauen an verstorbene Ehepartner. Joseph Knight Sr., der sich damals mit Joseph gefreut hatte, als dieser die Goldplatten nach Hause brachte, wurde an seine verstorbene Frau Polly gesiegelt. Sie war die erste Heilige gewesen, die im Kreis Jackson bestattet worden war. Andere Heilige nahmen an besonderen Siegelungen teil, durch die sie in die ewige Familie guter Freunde adoptiert wurden.36

Mit jeder heiligen Handlung wurde der Plan des Herrn, die Heiligen und ihre Familien kraft des Priestertums mit ihm und miteinander wie eine Kette zu verbinden, immer mehr Wirklichkeit.37


Im Winter gaben die Feinde der Kirche keine Ruhe. Sie bezweifelten, dass die Heiligen ihr Versprechen halten und im Frühjahr fortziehen würden. Brigham und andere Apostel wurden fälschlicherweise verschiedener Verbrechen angeklagt, weshalb sie gezwungen waren, unterzutauchen und sich manchmal sogar im Tempel zu verstecken.38 Gerüchte besagten, dass die Regierung der Vereinigten Staaten die Loyalität der Heiligen in Frage stellte und Truppen entsenden wollte, um sicherzustellen, dass sie nicht das Land verließen und sich womöglich mit ausländischen Mächten verbündeten, die das Land im Westen beherrschten.39

Der Druck, endlich aufzubrechen, war so groß, dass die Apostel beschlossen, dass die Führer der Kirche, deren Familien und alle, die besonders gefährdet waren, so schnell wie möglich losziehen sollten. Sie waren überzeugt, dass eine Überquerung des Mississippis ins Gebiet von Iowa ihnen die Feinde noch ein wenig länger vom Leibe hielt und weitere Gewalt verhindern konnte.

Anfang Januar 1846 schlossen sie mit dem Rat der Fünfzig die Vorbereitungen für den Auszug ab. Vor der Abreise ernannten sie Sachwalter, die sich um das zurückgelassene Eigentum kümmern und so viel wie möglich davon verkaufen sollten, um die Armen zu unterstützen, damit diese sich ebenfalls auf den Weg machen konnten. Auch sollten ein paar Männer zurückbleiben und den Tempel fertigstellen und ihn weihen.

Brigham und die Zwölf waren nun entschlossen, die Heiligen in den Tälern jenseits der Rocky Mountains zu sammeln. Nachdem Brigham gefastet und täglich im Tempel gebetet hatte, sah er in einer Vision, wie Joseph auf einen Berg zeigte, auf dessen Spitze eine Flagge als Banner gehisst worden war. Joseph beauftragte ihn, im Schatten dieses Berges eine Stadt zu bauen.

Brigham nahm an, das Gebiet sei für kaum jemanden von Interesse, da es noch unfruchtbarer war als die Prärie östlich der Berge. Außerdem hoffte er, die Berge würden sie vor Feinden schützen und ein gemäßigtes Klima bieten. Hatten sie sich erst einmal in den Tälern niedergelassen, würden sie Außenposten bis an die Pazifikküste aufstellen, wo sie Auswanderer aus England und den Oststaaten empfangen konnten, hoffte er.40

Zwei Tage später kam der Rat erneut zusammen, und Brigham dachte abermals über Josephs Wunsch nach, Jesajas Prophezeiung zu erfüllen und ein Feldzeichen für die Nationen aufzustellen. „Die Worte der Propheten werden niemals Wirklichkeit“, sagte er zum Rat, „wenn nicht das Haus des Herrn auf des Berges Höhen errichtet und das stolze Freiheitsbanner über den Tälern gehisst wird, die von den Bergen umschlossen sind.“

„Ich kenne den Ort“, verkündete er, „und ich weiß, wie man die Flagge anfertigt.“41


Nachdem tausende Heilige die heiligen Handlungen des Tempels empfangen hatten, gaben die Apostel am 2. Februar bekannt, die Arbeit im Tempel werde unterbrochen und man solle stattdessen Fähren bereitmachen, auf denen man Wagen über den eisigen Mississippi transportieren könne. Brigham schickte Boten zu den Anführern der Wagenzüge und beauftragte sie, sich innerhalb von vier Stunden abfahrbereit zu machen. Dann vollzog er bis spät abends das Endowment an den Heiligen und achtete darauf, dass die ganze Zeit jemand da war, der die heiligen Handlungen ordnungsgemäß aufzeichnete.42

Als Brigham am nächsten Tag aufstand, wartete vor dem Tempel bereits eine große Schar Heiliger, die unbedingt das Endowment empfangen wollten. Brigham erklärte, es sei nicht klug, die Abreise aufzuschieben. Wenn sie noch länger blieben und mehr Endowments vollzögen, kämen sie womöglich nicht mehr rechtzeitig aus der Stadt heraus. Er versprach ihnen, sie würden draußen im Westen noch weitere Tempel bauen und weitere Gelegenheiten erhalten, diese Segnungen zu empfangen.

In der Erwartung, die Menge würde sich auflösen, ging Brigham fort, doch stattdessen stiegen die Heiligen die Treppe zum Tempel hinauf und drängten sich in Scharen in den Räumen. Brigham wandte sich um und folgte ihnen. Als er in ihre erwartungsvollen Gesichter sah, änderte er seine Meinung. Sie wussten, dass sie das Endowment, die Ausrüstung mit Macht, brauchten, um die bevorstehenden Bedrängnisse durchstehen, den Stachel des Todes überwinden und in die Gegenwart Gottes zurückkehren zu können.

Den ganzen Tag lang halfen Tempelarbeiter, die heiligen Handlungen an hunderten Heiligen zu vollziehen.43 Am nächsten Tag, es war der 4. Februar 1846, verließen die ersten Wagen Nauvoo, während weitere fünfhundert Heilige das Endowment empfingen.

Schließlich kam Brigham am 8. Februar im Obergeschoss des Tempels mit den Aposteln zusammen. Sie knieten um den Altar und baten Gott im Gebet um seinen Segen für die Heiligen, die in den Westen zogen, und diejenigen, die in Nauvoo blieben, um den Tempel fertigzustellen und ihn Gott zu weihen.44


In den nächsten Tagen und Wochen brachten die Heiligen in Grüppchen ihre Wagen und Ochsen auf Fähren über den Fluss und schlossen sich denjenigen an, die das andere Flussufer bereits erreicht hatten. Als sie ein paar Kilometer westlich des Flusses einen Hügel erklommen hatten, blickten viele Heilige noch einmal auf Nauvoo zurück und nahmen voller Rührung Abschied vom Tempel.45

Tag für Tag sah Louisa Pratt mit an, wie ihre Freunde und Nachbarn die Stadt verließen. Ihr graute immer noch davor, ohne Addisons Hilfe und Begleitung in den Westen zu ziehen. Jeder ging davon aus, dass auf der Reise viele unerwartete Gefahren lauerten, aber bisher war sie von niemandem gefragt worden, ob sie überhaupt dafür bereit war. Und keiner der Männer, die Addison auf Mission berufen hatten, bot ihr seine Hilfe beim Auszug an.

„Schwester Pratt, sie gehen davon aus, dass du klug genug bist, die Reise allein zu meistern“, sagte ihr eines Tages eine Freundin, der sie ihre Gefühle anvertraut hatte, „und sogar anderen dabei zu helfen.“

Louisa dachte einen Augenblick darüber nach. „Nun gut“, erwiderte sie. „Dann will ich ihnen zeigen, wozu ich imstande bin.“46


Zitternd saß Emily Partridge im Schneegestöber am Westufer des Mississippis auf einem umgestürzten Baumstamm. Vor sechs Tagen hatten ihre Mutter und ihre Schwestern den Fluss überquert und in der Nähe ihr Lager aufgeschlagen, aber wo genau, das wusste Emily nicht. Wie viele Heilige, die Nauvoo verlassen hatten, war sie müde und hungrig und hatte Angst vor der bevorstehenden Reise. Nun war sie schon das vierte Mal wegen ihrer Religion von zu Hause vertrieben worden.47

So weit sie zurückdenken konnte, war sie eine Heilige der Letzten Tage gewesen. Als kleines Mädchen hatte sie mitansehen müssen, wie ihre Eltern Verfolgung und Armut erduldeten, um Jesus Christus zu dienen und Zion aufzurichten. Als der Pöbel ihre Familie aus Missouri vertrieben hatte, war sie sechzehn gewesen und hatte bereits den Großteil ihres Lebens damit zugebracht, einen Ort der Zuflucht und des Friedens zu suchen.

Nun, mit fast zweiundzwanzig, stand eine weitere Reise bevor. Nach Josephs Tod war sie eine weitere Ehefrau von Brigham Young geworden. Im Oktober war ihr Sohn zur Welt gekommen, Edward Partridge Young, benannt nach Emilys Vater. Zwei Monate später war sie in den Tempel gegangen und hatte das Endowment empfangen.

Falls ihr kleiner Sohn die Reise überlebte, würde er in den Bergen aufwachsen, wo er sicher war vor dem Pöbel, unter dem seine Mutter in ihrer Jugend gelitten hatte. Aber er würde das Leben im Kreis Jackson oder in Nauvoo, wie es seine Mutter kannte, niemals kennenlernen. Er würde niemals Joseph Smith begegnen oder an einem Sonntagnachmittag zuhören, wie er den Heiligen predigte.

Bevor Emily den Fluss überquert hatte, war sie beim Mansion House vorbeigegangen, um sich den Sohn von Joseph und Emma anzusehen, David Hyrum, der fünf Monate nach dem Tod des Propheten auf die Welt gekommen war. Emma hatte sie freundlich hereingebeten. Die unguten Gefühle, die einmal zwischen ihnen bestanden hatten, waren verflogen.

Emma und die Kinder zogen nicht nach Westen. Sie konnte sich mit der Mehrehe einfach nicht abfinden, und durch die Auseinandersetzungen über Josephs Eigentum gestaltete sich ihre Beziehung zur Kirche und zu den Zwölf Aposteln immer noch schwierig. Sie glaubte noch an das Buch Mormon und hatte ein starkes Zeugnis davon, dass ihr Mann als Prophet berufen worden war. Aber statt den Aposteln zu folgen, beschloss sie, mit Angehörigen aus Josephs Familie in Nauvoo zu bleiben.48

Als Emily am Mississippi saß, bedeckten dicke Schneeflocken ihre Kleidung, und ihr wurde immer kälter. Brigham befand sich noch in Nauvoo und überwachte den Auszug. Schließlich erhob sie sich und trug ihr Kind von einem Lagerfeuer zum nächsten, in der Hoffnung, etwas Wärme zu finden und ein vertrautes Gesicht zu entdecken. Bald schon fand sie ihre Schwester Eliza, und sie schloss sich ihr auf einem Lagerplatz der Heiligen an einem Ort namens Sugar Creek an. Sie sah, wie Familien in Zelten und Wagen zusammenkauerten und sich aneinanderschmiegten, um warm zu bleiben und einander in der Kälte und angesichts einer ungewissen Zukunft Trost zu spenden.49

Keiner im Lager wusste, was sie am nächsten Morgen wohl erwartete, und doch stürzten sie sich nicht blindlings in die Finsternis. Sie hatten im Tempel mit Gott Bündnisse geschlossen, und das stärkte ihren Glauben an seine Macht, sie auf der Reise zu führen und zu stützen. Jeder vertraute darauf, dass sie irgendwo dort im Westen hinter den Gipfeln der Rocky Mountains einen Ort finden würden, wo sie sich sammeln, einen weiteren Tempel bauen und das Reich Gottes auf Erden aufrichten konnten.50