Der Prophet des Herrn
Wir schrieben den 30. Mai 1996. Es war drei Uhr nachmittags, als meine Freundin Lorna und ich die Reise nach Cebu, einer philippinischen Insel, begannen. Präsident Gordon B. Hinckley sollte dort nämlich am darauf folgenden Abend auf einer Fireside sprechen. Ein Motorrad mit Beiwagen brachte uns zum Hafen, wo wir gemeinsam mit vielen weiteren Mitgliedern des Pfahles Iloilo ein Schiff nach Cebu besteigen sollten. Meine Freundin und ich wussten beide, dass die Gelegenheit, den Propheten zu sehen, jede Mühe wert war, die die Reise uns bereiten mochte.
Als wir den Hafen erreichten, fing es heftig an zu regnen. Konnte es sein, dass ein Taifun im Anzug war und uns die Möglichkeit nahm, den Propheten zu sehen? „Erste Prüfung“, flüsterte Lorna mir zu. Doch im Laufe des Tages vergaßen wir den wolkenverhangenen Himmel. Die Begeisterung der Mitglieder war ansteckend. Wir konnten es kaum glauben, dass wir bald den Mann sprechen hören sollten, der den Herrn hier auf der Erde vertritt.
Unsere Reise verlief jedoch nicht ohne Unannehmlichkeiten. Lorna und ich stellten zu unserem Leidwesen fest, dass es auf dem Schiff kein Wasser gab, in dem man ein Bad hätte nehmen können. „Zweite Prüfung“, dachte ich. Später erfuhren wir noch weitere schlechte Nachrichten. Weil das Schiff so voll war, musste unser Gepäck im Eingangsbereich bleiben. Trotzdem ließen wir uns die Stimmung nicht verderben.
Nachdem unser Schiff am darauf folgenden Tag im Hafen eingelaufen war, warteten wir am Ende einer langen Menschenschlange darauf, einen der Busse zu besteigen, die uns zur Konferenzhalle bringen sollten. Ungläubig sahen wir, wie der letzte Bus – schon völlig überfüllt – ohne uns abfuhr. Lorna schaute mich mit einem Blick an, der fragte: „Noch eine Prüfung?“ Aber wir gaben nicht auf. Wir hielten ein Taxi an und waren dann auch bald unterwegs.
Als wir vor der Konferenzhalle ankamen, stand eine Menschentraube am Eingang. „Ob wir da überhaupt hineinkommen?“, fragte ich mich. Enttäuschung machte sich breit. „Vielleicht sollten wir lieber zum Schiff zurückfahren und auf die anderen warten?“, schlug Lorna vor.
Trotz meiner Zweifel gab ich mit fester Stimme zur Antwort: „Wenn wir jetzt nicht hineinkommen, bekommen wir den Propheten vielleicht nie zu sehen.“ Also drängten wir uns entschlossen durch die Menge. Die Luft in der großen Halle war so heiß und stickig, dass mir fast übel wurde. Doch schließlich fanden wir zwei nebeneinander liegende Plätze auf der Galerie. Wir setzten uns nieder, um in der schrecklichen Hitze zu warten.
Dann endlich sahen wir Präsident Hinckley und seine Frau zusammen mit Elder Joseph B. Wirthlin vom Kollegium der Zwölf Apostel und seiner Frau, Elisa, die Halle betreten. Plötzlich verschwanden die Sorgen und das Gefühl der Enttäuschung. Selbst die Hitze spürte ich nicht mehr. Alle Versammelten erhoben sich und begannen zu singen: „Wir danken, o Gott, für den Propheten, den du, uns zu führen, gesandt“ (Gesangbuch, Nr. 11). Die Tränen rollten mir die Wangen hinunter. Bis jetzt hatte ich die Worte des Propheten nur in den Zeitschriften und Büchern der Kirche gelesen. Jetzt aber sah ich ihn mit eigenen Augen!
Als ich mich umsah, merkte ich, dass alle Anwesenden das Gleiche empfanden. Alle in meiner Nähe – Männer und Frauen – wischten sich Tränen aus den Augen.
Als ich Präsident Hinckley sprechen hörte, wurde ich von einem Gefühl der Wärme und der Gewissheit durchdrungen, das mich wissen ließ, dass er wirklich heute der Prophet des Herrn ist. Da fiel mir eine Schriftstelle ein: „Was ich, der Herr, gesagt habe, das habe ich gesagt, und ich entschuldige mich nicht; mögen auch Himmel und Erde vergehen – mein Wort wird nicht vergehen, sondern wird sich gänzlich erfüllen, sei es durch meine eigene Stimme oder durch die Stimme meiner Knechte, das ist dasselbe.“ (LuB 1:38.)
In diesem Augenblick wurde mein Zeugnis von der Kirche, vom Herrn Jesus Christus und von seinem Propheten durch den Geist gestärkt. Ich bin dankbar, dass ich die Möglichkeit gehabt habe, den Propheten des Herrn zu sehen und die Kraft seines Zeugnisses zu spüren. Ja, dies war wirklich die größte Chance meines Lebens und das schönste Erlebnis überhaupt.
Maria Sonia P. Antiqueña gehört zur Gemeinde Iloilo-Stadt 1, Pfahl Iloilo, Philippinen.