2002
Durst
August 2002


Durst

Eine wahre Geschichte

Der Sommer des Jahres 1870 – das war ein herrlicher Sommer im Salzseetal. Gerade richtig für jemanden, der sechzehn Jahre alt war! Die Siedlung Salt Lake City, wie sie die Pioniere ursprünglich gegründet hatten, entwickelte sich zur geschäftigen Stadt. Jeder, der willig und geschickt war, fand dort Arbeit.

So jemand war auch der junge Robert Hemphill Gillespie. Bob, wie er genannt wurde, stand im Ruf, ein guter Pferde- und Viehkenner und ein fleißiger Arbeiter zu sein.

Bob besaß bereits ein gutes Pferd und auch das entsprechende Zaumzeug. Das war eine große Leistung für einen so jungen Mann, vor allem, wenn man bedenkt, dass er, seit er neun Jahre alt war, auf sich selbst gestellt gewesen war und weder Eltern noch Zuhause gehabt hatte. Er hatte sich als vertrauenswürdig und verlässlich erwiesen, und jeder gab ihm gerne Arbeit.

An einem schönen Junitag nahm Bob eine Arbeit an, für die er an die 160 Kilometer durch die Wüste des Großen Salzsees reiten musste. Heute kann man diese Wüste in weniger als zwei Stunden mit dem Auto durchqueren. Doch an jenem Tag vor mehr als 130 Jahren brauchte man viele Stunden, wenn man mit dem Pferd unterwegs war. Bobs Freunde legten ihm ans Herz, ja nur genug Wasser mitzunehmen, und so füllte er sein Kochgeschirr und machte sich auf den Weg.

Bob war noch nie durch die Wüste geritten, und er hatte keine Vorstellung davon, wie notwendig er Wasser brauchen und dass er nirgendwo welches finden würde. Noch ehe er die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, hatte er schon alles Wasser ausgetrunken. Als er und sein Pferd unter brennendem Durst zu leiden begannen, schätzte er die verbleibende Strecke noch auf etwa 100 Kilometer.

Er dachte: „Wenn ich doch nur sparsamer mit dem Wasser umgegangen wäre! Es war zwar warm, aber es war wenigstens nass! Wenn ich mir das Kochgeschirr doch nur nicht über die Schulter gehängt hätte, wo es so leicht zu greifen gewesen ist, dann wäre jetzt vielleicht noch etwas Wasser darin!“

Er dachte an all das Wasser, das er getrunken hatte, als er noch längst nicht so durstig gewesen war wie jetzt! Verzweifelt hielt er das Kochgeschirr über seinen Mund und drehte es um. Das Wasser war wirklich alle! Aus Angst trieb er sein Pferd schneller an – aber das ging nur eine Weile gut. Dann merkte er, dass sein Pferd zu schwitzen begann, und er ließ es wieder langsamer gehen.

Schon bald war Bobs Zunge so stark geschwollen, dass er den Mund nicht mehr schließen konnte. Auch sein Pferd litt. „Wir brauchen unbedingt Wasser!“, sagte sich Bob.

In diesem Augenblick sah er ein kleines Blockhaus ganz in der Nähe des Weges. Wo es eine Blockhütte gab, da gab es auch Wasser! Sofort lenkte er sein Pferd in diese Richtung. Doch als er das Haus erreichte, merkte er, dass es verlassen war. Ganz in der Nähe sah er aber ein tiefes Loch im Boden. Und am Grunde des Lochs meinte er Wasser zu sehen. Bob kletterte hinein. Dort gab es wirklich ein wenig Wasser! Aber darin lagen tote Vögel und ein totes Kaninchen, und alles war voller Maden! Dieses Wasser konnte man nicht trinken. Enttäuscht kletterte Bob wieder aus dem Loch heraus, bestieg sein Pferd und kehrte auf den Weg zurück.

Dann fiel ihm ein, wie seine Mutter ihn Beten gelehrt hatte, als er noch klein war. Er hatte zwar schon lange nicht mehr gebetet, aber jetzt wollte er es doch versuchen. Also schaute er sich nach einer passenden Stelle um und wich dabei wieder vom Weg ab. Er fand eine Senke, stieg ab, kniete nieder und begann zu beten und um Wasser zu bitten. „Bitte, schick mir etwas zu trinken, Herr. Ja, und auch etwas für mein armes Pferd! Mein schönes, gutes Pferd! Bitte, Herr!“

Bob dachte an Regen. „Gott, kannst du nicht bitte Regen senden?“, betete er. „Bitte vergib mir, Herr, aber wir brauchen etwas zu trinken. Bitte, lass es regnen. Ich danke dir, Herr. Amen.“

Nach diesem Gebet fühlte sich Bob ein wenig besser. Er stieg wieder auf sein Pferd und ritt weiter. Aber er konnte an nichts anderes denken als an die Hitze, seinen Durst und den Durst seines Pferdes.

Bob dachte daran, dass er um Regen gebetet hatte, und fing an, mit den Augen den Himmel nach Wolken abzusuchen. Aber er sah nur eine winzig kleine Wolke ganz weit im Südwesten. Diese Wolke betrachtete er genauer und machte sich dazu seine Gedanken. Nach einer Weile merkte er, wie ihm ein leichter Wind aus der Richtung entgegen blies, in der die Wolke stand. Trieb sie vielleicht auf ihn zu? Sie schien jetzt auch größer geworden zu sein. „Ja, Herr“, sagte er laut vor sich hin, „ich habe um Regen gebetet.“

Schon bald spürte er einen Regentropfen auf der Hand. Ein weiterer fiel auf seinen Sattel, dann einer auf sein Pferd und dann wieder einer auf seine Hand. Plötzlich brach ein Regenschauer aus dieser einen kleinen Wolke heraus! Innerhalb von nur wenigen Minuten füllte sich der Graben neben dem Weg mit Wasser. Das Pferd stand darin fast bis zu den Knien im Wasser! Es senkte den Kopf und trank. Bob stieg ab, legte sich mit dem Bauch auf die Erde und trank dankbar das trübe Wasser, bis er sich satt getrunken hatte. Dann füllte er sein Kochgeschirr. Erfrischt setzten er und sein Pferd den Weg fort.

Nachdem Bob ein wenig weiter geritten war, sah er, dass der Weg und der ganze Boden um ihn herum wieder heiß, trocken und staubig waren. Da wurde Bob erst wirklich bewusst, was geschehen war. Er hielt sein Pferd an, stieg erneut ab und kniete auf der staubigen Erde nieder. Wieder betete er aus vollem Herzen: „Ich danke dir, Herr, dass du Regen aus der kleinen Wolke in der Wüste hast strömen lassen, so dass mein Pferd und ich etwas zu trinken hatten.“

Von da an hat Bob, solange er lebte, seinen Kindern und Enkeln dieses Erlebnis immer wieder erzählt. Sie wurden es auch nie müde, diese Geschichte zu hören, und haben sie dann ihren Kindern und Enkeln weitererzählt.

Der schönste Augenblick dabei war immer der, wenn Bob am Ende der Geschichte Zeugnis gab: „Ja, Kinder, lasst euch von niemandem einreden, der Herr könne eure Gebete nicht erhören, denn ich weiß genau, dass er es kann!“