2002
Ich liebe mein Kind, auch wenn es in die Irre gegangen ist name der redaktion ekannt
August 2002


Ich liebe mein Kind, auch wenn es in die Irre gegangen ist name der redaktion ekannt

Durch den Geist des Herrn ist mir bewusst geworden, dass ich meiner Tochter am besten dadurch helfen konnte, dass ich mein eigenes Leben änderte.

Vor vielen Jahren, als meine Kinder noch klein waren, brach es mir fast das Herz, als mein Mann sich erst von der Kirche abwandte und mich dann verließ. Ich zog meine beiden kleinen Mädchen dicht an mich heran und machte das Evangelium zum Mittelpunkt unseres Lebens.

Ich betete täglich für meine Kinder und bot ihnen Betätigungen, die ihrer Entwicklung dienlich waren. Heimlehrer und Bischöfe versicherten mir, dass die beiden Kleinen mir die ganze Ewigkeit hindurch gehören und die Opfer zu schätzen wissen würden, die ich für sie brachte. Ich tröstete mich damit, dass meine Kinder, die ja im Bund geboren worden waren, die verheißenen Segnungen ererben würden. Drei Jahre nach der Scheidung heiratete ich einen treuen Heiligen der Letzten Tage und war fest davon überzeugt, dass alles gut werden würde.

Doch bald machte meine jüngste Tochter uns große Probleme. Sie war ein glückliches Kind und ein richtiges Energiebündel gewesen, doch im Teenageralter fing sie an, Forderungen zu stellen, und wurde rebellisch und streitlustig. Sie begann zu rauchen, zu trinken, mit Drogen zu experimentieren und zu stehlen. Sie drückte sich ordinär aus und hatte sexuelle Beziehungen. Sie stellte jegliche Autorität in Frage und brach schließlich die High School ab.

Eine Phase Der Verzweiflung

Das war die schwierigste Situation, in der ich mich je befunden hatte. Mein Mann und ich wünschten uns, dass sie Umkehr übe, ein Zeugnis erlange und innere Ruhe finde. Ich verzweifelte und war untröstlich – ich konnte den Gedanken nicht ertragen, nun auch noch mein Kind zu „verlieren“.

Wir fasteten und beteten und baten den himmlischen Vater, es nicht zuzulassen, dass dieses Kind verloren ging. Mein Mann und ich beratschlagten, was wir tun sollten, und fragten auch den Bischof um Rat. Wir ließen ihren Namen auf die Gebetsliste im Tempel setzen. Obwohl mein Mann mir mit seiner Geduld eine große Hilfe war, hatte er bei meiner Tochter so gut wie keinen Erfolg, weil sie sich weigerte, ihn als Autoritätsperson anzuerkennen.

Während dieser Zeit habe ich zahlreiche Priestertumssegen bekommen. Viele Stunden habe ich mit dem Versuch zugebracht, mit meiner Tochter zu reden. Ich habe die heilige Schrift und auch Bücher gelesen, in denen es um den Umgang mit schwierigen Kindern ging. Ich fragte um Rat, sprach mit Freunden und Angehörigen und wandte mich um Hilfe an die Jugendführer und bat sie, auf meine Tochter Einfluss zu nehmen.

Ich fragte mich: „Wie soll das Familienleben denn so noch Freude machen? Wann hören die Probleme endlich auf?“ Wir befürchteten das Allerschlimmste – eine Teenagerschwangerschaft, eine durch sexuelle Kontakte übertragene Infektion, Drogenabhängigkeit oder den Tod durch Autofahren in betrunkenem Zustand. Weil ich keine Lösung für dieses Problem wusste, begann ich an mir zu zweifeln und konnte ich mich nicht mehr als gute Mutter betrachten. Ich war verzweifelt, traurig, hektisch, wütend und hilflos.

Selbst Etwas Verändern

Dann, nach mehreren enttäuschenden Jahren, wurde mir bewusst, dass ich in meinem eigenen Leben etwas ändern musste. Mir wurde bewusst, dass meine Versuche, meiner Tochter zu helfen, der verzweifelten Angst entsprangen und nicht dem Glauben. Panikattacken sind nicht der Weg des Herrn. Jesus Christus schenkt Hoffnung, nicht Verzweiflung. Der Satan ist der Urheber von Mutlosigkeit und Unglück. Ich hatte auf die falsche Stimme gehört.

Ich nahm mir vor, zu den Grundlagen des Evangeliums zurückzugehen und mir eine stärkere und festere geistige Gesinnung aufzubauen. Ich fragte mich beispielsweise, wann ich das letzte Mal ein Dankgebet gesprochen hatte. Hatte ich die vielen Segnungen, die mir geschenkt worden waren, denn vollständig vergessen? Hatte ich bewusst auf die guten Eigenschaften meiner mit dem Leben ringenden Tochter geachtet? Wusste ich meine gehorsamen Angehörigen zu schätzen? Machte ich mir die fröhlichen Augenblicke in meinem Tagesablauf bewusst? Freute ich mich über einen wunderschönen Sonnenuntergang oder einen sanften Regen?

Ich schämte mich. Ich war so negativ gestimmt und so unglücklich, dass meine Gedanken und mein Verhalten mein Zeugnis von Jesus Christus nicht mehr widerspiegelten. Meinem Gesicht konnte man die Liebe zum und die Hoffnung auf den Erretter nicht ansehen.

Ich nahm mir vor, mich zu ändern. Ich konzentrierte mich darauf, mir die Seele mit positiven Gedanken und Empfindungen zu füllen. Ich las erbauliche Bücher und hörte auf, geistlose Fernsehsendungen anzuschauen. Ich fing an, meinen Körper zu trainieren. Das baute Stress ab und hob die Stimmung.

Am wichtigsten aber war, dass ich nun anders an das Schriftstudium heranging. Morgens bin ich am aufnahmefähigsten; deshalb fing ich an, zu früher Stunde in der heiligen Schrift zu lesen. Manchmal las ich nur wenige Verse, ein anderes Mal mehrere Kapitel. Wenn ich mit dem Auto unterwegs war, schaltete ich das Radio aus und dachte über das nach, was ich am Morgen gelesen hatte. Die geistigen Erlebnisse, die mir in meinem Auto zuteil wurden, waren viel mehr wert als die verpassten Nachrichten und Verkehrshinweise.

Persönliche Offenbarung Empfangen

Nun nahmen erstaunliche Ereignisse ihren Anfang. Mir kamen Eingebungen in den Sinn. Ich hatte auf einmal Ideen dazu, wie ich meine alltäglichen Aufgaben bewältigen und mich auf meine Aufgaben in der Kirche vorbereiten konnte. Außerdem empfing ich Inspiration, wie ich mit meiner kostbaren Tochter umgehen solle.

Eines Tages hatte ich das Gefühl, ich solle mit meiner Tochter über das Positive sprechen, das wir gemeinsam hatten. Und wir fanden auch genug unverfängliche Themen, über die wir uns unterhalten konnten – Musik, Kunst und alte Filme. Diese Veränderung war ein erster wichtiger Schritt zur Verbesserung unserer gestörten Beziehung.

An einem anderen Morgen hatte ich eine starke Eingebung, die während der nächsten Monate anhielt: Mit Gewalt erreichst du nichts. Ich bat den himmlischen Vater unter Tränen, mir zu vergeben, denn ich hatte vergessen, dass die Entscheidungsfreiheit ja ein wichtiger Teil seines Plans ist. Mir wurde klar, dass es nicht richtig ist, jemanden zu etwas zwingen zu wollen, selbst wenn es etwas Rechtschaffenes ist. So etwas hatte nämlich auch der Satan vor.

Die Veränderung vollzog sich nicht über Nacht. Es war schwer, und ich hatte vieles zu ändern. Es kamen auch Fehlschläge, aber ich gab nicht auf. Wir Eltern legten zwar nach wie vor fest, was in unserer Familie erlaubt war, aber unsere Tochter fing nun an, positiver zu reagieren, weil ich jetzt mehr Selbstvertrauen hatte und weniger emotional reagierte.

Die fortdauernden geistigen Eingebungen, die uns zuteil wurden, erwiesen sich als große Segnung. Zeile um Zeile zeigte der Geist uns, was wir tun sollten und wann wir es tun sollten. Wenn wir gehorsam waren, wurden wir gesegnet, andernfalls bekamen wir eine sanfte Erinnerung.

Der Glaube An Jesus Christus

Einmal hielt der Geist mir vor Augen, dass wirkliche Bekehrung vom Herrn kommt. Anstatt also nur darum zu beten, dass meine Tochter tun möge, was ich ihr sagte, fing ich an, darum zu beten, dass sie eine Wandlung im Herzen erleben möge. Außerdem nutzte ich jede Gelegenheit, mit ihr über den Erretter zu sprechen. Sie stimmte mir beispielsweise zu, dass unsere gewaltbereite Welt mehr von seiner Sanftmut gebrauchen könnte.

Als der Geist mich so unterwies, wurde mir auch deutlicher bewusst, wie groß die Barmherzigkeit war, die Christus mir entgegengebracht hatte. Eines Tages dachte ich: „Vielleicht können meine Erfahrungen mit vom Weg abgeirrten Angehörigen mir auch bewusst machen, dass ich selbst vom Weg abkomme, sobald ich nicht meinen ganzen Glauben und mein ganzes Vertrauen auf den Herrn setze. Vielleicht profitieren wir letztendlich sogar von den Problemen, die wir mit diesem in die Irre gegangenen Kind hatten. Vielleicht müssen auch wir an unseren Schwächen arbeiten, die ja nicht so deutlich sichtbar sind wie die ihren.“

Als ich so zu denken begann, empfand ich mehr Dankbarkeit als je zuvor für das Sühnopfer Christi. Und je größer meine Dankbarkeit wurde, desto größer wurde auch mein Glaube daran, dass der Herr zu meiner Tochter durchdringen konnte. Ich gelangte zur festen Überzeugung, dass er sich weiterhin um sie bemühen und bestrebt sein wird, sie zurückzuführen. Er liebt sie ja noch mehr als ich! Meine Aufgabe besteht jetzt darin, ihr nahe zu sein und zu versuchen, ein Beispiel zu geben, das dem des Erretters möglichst nahe kommt.

Grosse Hoffnung Für Die Zukunft

Meine Tochter ist bis heute zwar nicht wieder in der Kirche aktiv geworden, aber sie führt ein gutes Leben. Vor kurzem hat sie einen netten Mann geheiratet, und sie ist verantwortungsbewusst und fleißig in ihrem Job. Wir beide verstehen uns gut, und ich habe die große Hoffnung, dass sie eines Tages zu den Lehren zurückkehren wird, die sie in der Kindheit gelernt hat.

In dieser schwierigen Zeit habe ich gelernt, dass wir das Recht auf Inspiration für unser Leben haben. Ich glaube fest daran, dass der Heilige Geist uns helfen kann, sofern wir uns bereitmachen, seine Eingebungen wahrzunehmen und zu befolgen.

Die Erfahrungen mit meiner Tochter haben mich näher zum Erretter geführt. Sie haben mir gezeigt: Ich muss in mich gehen, den Heiligen Geist um Führung bitten, mich auf das Sühnopfer verlassen, dankbar sein für das, was ich habe, und weiterhin Hoffnung für die Zukunft haben.

„Dass Sie sie zu sich ziehen“

„Mein Herz fühlt mit unserer Jugend, die in vielen Fällen einen sehr einsamen Weg gehen muss. Sie sind von … [Bösem] umgeben. Ich hoffe, sie können die Last mit Ihnen, den Vätern und Müttern, gemeinsam tragen. Ich hoffe, dass Sie zuhören, dass Sie Geduld und Verständnis aufbringen, dass Sie sie zu sich ziehen und ihnen in ihrer Einsamkeit beistehen und sie stützen. Beten Sie um Weisung. Beten Sie um Geduld. Beten Sie um die Kraft, sie zu lieben, auch wenn das [was sie getan haben], vielleicht schwer wiegend war. Beten Sie um Verständnis und Güte und vor allem um Weisheit und Inspiration.“ – Präsident Gordon B. Hinckley („,Groß wird der Friede deiner Kinder sein‘“, Liahona, Januar 2001, Seite 66f.)