2002
Habt keine angst
Oktober 2002


Botschaft Von Der Ersten Präsidentschaft

Habt keine angst

Wenn wir an den Propheten Joseph Smith denken, wird uns bewusst, dass er ein Mann war, der viele hervorragende Eigenschaften besaß, ganz sicher unter anderem auch Mut. Schon im zarten Alter von sechs Jahren ließ er sich nicht von Angstgefühlen beherrschen. Er war an Typhus erkrankt, der zu einer Knochenmarksentzündung führte. Besonders schlimm war das linke Bein betroffen. Um das Bein zu retten, machten die Ärzte einen tiefen Schnitt und entfernten Teile des infizierten Knochens. Zu der Zeit gab es natürlich noch keine Narkose. Schon damals wurde deutlich, was für ein besonderer Mensch der junge Joseph Smith war. Tapfer ertrug er nämlich diese schmerzhafte Operation. Er hatte nur darum gebeten, dass sein Vater ihn dabei in den Armen hielt.

Angst Vor Schmerzen

Ich kann dieses Erlebnis des Propheten Joseph Smith gut nachvollziehen, weil mir etwas Ähnliches passiert ist. Als ich noch ein Junge war, streifte ich gerne durch Felder und Wiesen und schwamm in Bächen und Teichen. Mein Vater brachte mir Jagen und Fischen bei. Einmal machte unsere Familie im Sommer einen Ausflug in die Nähe von Wanship in Utah. Wir schlugen zwischen den Bäumen am Flussufer unsere Zelte auf. Mehrere Freunde unserer Eltern waren mit ihren Kindern mitgekommen und bauten ihre Zelte ganz in unserer Nähe auf. Eines Nachmittags ging ich zusammen mit ein paar gleichaltrigen Freunden auf die Jagd. Wir wollten den Kleintieren den Garaus machen, die den Schafen das junge Weidegras wegfraßen. Wir hatten Gewehre Kaliber 22 dabei, und ich bekam versehentlich aus nächster Nähe einen Schuss ins Bein oberhalb des Knies. Als die Gewehrkugel mein Bein durchschlug, fühlte sich das an, als ob mir ein Brandeisen in die Haut gedrückt würde. Dann spürte ich, wie mir das Blut aus der Wunde, die die Kugel geschlagen hatte, warm das Bein hinunterlief. Ich rief meinen Vater, um ihm zu zeigen, was passiert war. Er und die anderen Männer leisteten erste Hilfe, um die Blutung zu stoppen, und halfen mir dann ins Auto, um mit mir zum nächsten Arzt zu fahren, der in Coalville praktizierte.

Der Arzt legte mich auf den Operationstisch und untersuchte die Wunde sorgfältig. Dann beschloss er, als erstes das Loch in meinem Bein, das die Kugel geschlagen hatte, zu desinfizieren. Als ich sah, wie er es desinfizieren wollte, bekam ich Angst, und zwar aus zwei Gründen: Erstens hatte ich Angst vor den Schmerzen und zweitens hatte ich Angst, ich könnte anfangen zu weinen. Ich wollte aber nicht weinen, denn mein Vater sollte mich doch nicht mehr für ein Kind halten. Deshalb sprach ich ein stilles Gebet und bat den himmlischen Vater darum, er möge mir helfen, nicht zu weinen – wie weh die Behandlung auch tun mochte.

Der Arzt nahm einen Stab, der so ähnlich aussah wie die Stange, mit der man einen Gewehrlauf reinigt. Am Ende des Stabs befand sich ein Loch, durch das er ein Stück Gaze zog und in eine Desinfektionslösung tunkte. Dann nahm er den Stab und drückte ihn durch das Loch in meinem Bein. Als der Stab an der anderen Seite wieder herauskam, tauschte er die Gaze aus, betupfte sie erneut mit dem Desinfektionsmittel und zog den Stab wieder durch das Loch. Dreimal zog er den Stab durch mein Bein. Es tat ziemlich weh, vor allem dann, wenn er in die Nähe des Knochens kam. Aber mein Vater hielt meine Hand und ich biss die Zähne zusammen und machte die Augen fest zu und bemühte mich, stillzuhalten. Der himmlische Vater hatte mein stilles Gebet erhört, denn es tat längst nicht so weh, wie ich es befürchtet hatte, und ich musste auch nicht weinen. Die Wunde heilte schnell und vollständig. Das Bein hat mir danach nie wieder Schwierigkeiten gemacht, selbst bei sportlichen Aktivitäten an der High School und der Universität nicht. Irgendwie fühlte ich mich dem Propheten Joseph Smith seitdem aber enger verbunden, denn ich wusste ja, dass auch er eine schmerzhafte Wunde am Bein gehabt hatte, die wieder abgeheilt war. Später sagte man über ihn, er sei ein gesunder, kräftiger Mann.

Wir Brauchen Uns Nicht Von Angstgefühlen Beherrschen Zu Lassen

Wenn ich seitdem Probleme und Schwierigkeiten habe, bin ich immer bemüht, mich ihnen so gut zu stellen wie irgend möglich. Dabei vertraue ich mehr auf die Hilfe des himmlischen Vaters und gebe mich weniger dem Selbstmitleid und den Tränen hin. Ich habe nämlich begriffen, dass die Last, die das Leben uns auferlegt, uns nicht gar so schwer erscheint, wenn wir uns nicht von Kummer und Schmerz lähmen lassen und uns ins Nichtstun flüchten. Wir sind Kinder des himmlischen Vaters und müssen lernen, glücklich zu sein, auf ihn zu vertrauen und uns nicht zu fürchten.

Die Vereinigten Staaten sowie der größte Teil der Welt sind durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 in Angst und Schrecken versetzt worden. Aber Terror ist in der Geschichte der Welt nichts Neues. Mord und Terror haben schon zur Zeit der Nephiten zur Strategie der Gadiantonräuber gehört. Der Terroranschlag im neuen Millennium ist geschickt geplant worden, um uns Angst einzujagen. Aber wir müssen uns nicht zwangsläufig von Angstgefühlen beherrschen lassen. Der auf den Anschlag folgende Milzbrandalarm hat – in psychischer Hinsicht – mehr Schaden angerichtet, denn er ist nicht so greifbar wie ein Flugzeugabsturz. Dabei haben wir es doch jeden Tag mit weitaus gängigeren Risiken zu tun wie beispielsweise ansteckenden Krankheiten. Wir sind auch viel eher bereit, Risiken zu akzeptieren, die uns vertraut sind, beispielsweise die Fahrt im Auto oder sogar das Überqueren einer Straße.

Der Satan ist unser größter Feind. Er ist Tag und Nacht darauf aus, uns zu vernichten. Aber wir müssen uns von der Angst vor seiner Macht nicht lähmen lassen. Er hat nur so viel Macht über uns, wie wir ihm einräumen. Im Grunde ist er ein Feigling, und wenn wir ihm unerschrocken ins Auge sehen, zieht er sich zurück.

In dem Kinderbuchklassiker The Secret Garden erzählt Frances Hodgson Burnett die Geschichte eines Waisen-mädchens namens Mary Lennox, das zur Familie seines Onkels gebracht wird, wo es seinen Cousin Colin kennen lernt, der sehr scheu und in sich gekehrt ist. Im Grunde fehlt ihm nichts, aber er lässt sich von der Angst lähmen, er werde einen Buckel bekommen, wenn er noch länger lebe. Er redet sich ein, er müsse bald sterben.

Mary Lennox ist ein einsames Kind. Sie ist fest entschlossen, sich für nichts zu interessieren. Als sie eines Tages auf dem Grundstück ihres Onkels umherstreift, findet sie zufällig den Schlüssel zum Tor eines Gartens, der von einer hohen Mauer umgeben ist. Sie betritt den Garten, und da vollzieht sich mit ihr eine Wandlung. In dem Bemühen, dem Garten seine frühere Schönheit zurückzugeben, findet sie neue Lebensfreude. Sie holt Colin aus seinem düsteren Zimmer hinaus in den Garten. Frances Hodgson Burnett schreibt dazu Folgendes:

„Solange Colin sich in seinem Zimmer einschloss und nur an seine Ängste und seine Schwäche und seinen Abscheu vor den Menschen dachte, die ihn anschauten, und solange er unablässig über Buckel und den frühen Tod nachdachte, war er ein hysterischer, halb verrückter kleiner Hypochonder, der weder Sonnenschein noch Frühling kannte und nicht wusste, dass er gesund und selbständig werden konnte, wenn er nur den Versuch dazu machte. Doch als schöne neue Gedanken anfingen, die alten hässlichen zu vertreiben, wurde er in gewisser Weise wieder lebendig. Das Blut strömte kräftiger durch seine Adern, und wie eine Flutwelle drang Kraft in seinen Körper ein…. Aber es kann noch viel erstaunlichere Änderungen geben, wenn jemand, in dessen Sinn sich ein unangenehmer bzw. entmutigender Gedanke drängt, genug Verstand hat, rechtzeitig daran zu denken, diesen Gedanken zu vertreiben, indem er ihn durch einen angenehmen, mutigen ersetzt. Man kann nämlich nicht zur selben Zeit zwei Gedanken hegen.

,Wo du eine Rose ziehst, mein Junge,

kann keine Distel wachsen.‘“1

Der Himmlische Vater Tröstet Uns

Denken Sie daran, dass der Herr gesagt hat: „Bei euch aber sind [für den Vater] sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. Fürchtet euch also nicht!“ (Matthäus 10:30,31.) Er kennt uns. Er liebt uns, und er weiß, was wir brauchen. Er tröstet uns, wenn wir nur auf ihn und seine Güte und Weisheit vertrauen.

Es gibt vieles, was wir nicht ändern können. Wir alle erleben Schwierigkeiten und Enttäuschungen. Doch gerade dies erweist sich oft als Chance. Daraus, wie wir mit diesen Schwierigkeiten umgehen, kann der Herr ersehen, wie stark wir sind. Der Herr hat dem Propheten Joseph Smith gesagt: „Wisse, mein Sohn, dass dies alles dir Erfahrung bringen und dir zum Guten dienen wird.“ (LuB 122:7.)

Manchmal lässt der Herr es zu, dass wir Prüfungen zu bestehen haben, um einen nützlichen Knecht aus uns zu machen. Bei unserem Streben nach Erfolg wird uns oft nämlich nicht bewusst, dass der Herr versucht, uns von falschem Stolz und nutzlosem Ehrgeiz zu befreien, damit er uns zeigen kann, wodurch sich ein Jünger auszeichnet. Sein allsehendes Auge ruht auf uns und wacht über uns, denn er ist unser Vater im Himmel. Wenn wir mit Prüfungen zu kämpfen haben – was uns allen hier auf der Erde nicht erspart bleibt –, dann wollen wir nicht in Selbstmitleid versinken, sondern daran denken, wer am Steuer steht. Er ist da, um uns durch alle Stürme des Lebens zu führen.

Lassen Wir Uns Nicht Von Angstgefühlen Leiten

Es gibt die Geschichte von einem Schiff, das vor der holländischen Küste in einem schweren Sturm in Seenot geriet.

„Ein Ruderboot fuhr hinaus, um die Besatzung des Fischfängers zu retten. Die Wellen türmten sich meterhoch auf, und die Männer am Ruder mussten alle Kraft und Energie zusammennehmen, um sich in der dichten Finsternis und dem heftigen Regen an die havarierten Seeleute heranzukämpfen.

Es gelang ihnen auch, das leck geschlagene Schiff zu erreichen. Aber das Ruderboot war nicht groß genug, um die gesamte Besatzung auf einmal aufzunehmen. Ein Seemann musste an Bord zurückbleiben, weil der Platz einfach nicht auch noch für ihn ausreichte und die Gefahr zu groß war, dass das Ruderboot kenterte. Als die Retter es zurück an den Strand geschafft hatten, warteten dort schon viele hundert Menschen auf sie. Sie trugen Fackeln, um die düstere Nacht zu erhellen. Dieselben Männer konnten nicht ein weiteres Mal hinausfahren, denn der Kampf gegen den Sturm, die Wellen und den peitschenden Regen hatte sie erschöpft.

Deshalb bat der Leiter der Küstenwache um Freiwillige für die zweite Fahrt. Zu denen, die ohne Zögern vortraten, gehörte auch ein neunzehnjähriger Junge namens Hans, der Ölzeug trug und zusammen mit seiner Mutter zum Strand heruntergekommen war, um die Rettungsaktion zu beobachten.

Als Hans vortrat, schrie seine Mutter voller Angst auf: ‚Hans, bitte fahr nicht. Dein Vater ist auf See geblieben, als du vier Jahre alt warst, und dein älterer Bruder Piet gilt jetzt schon mehr als drei Monate als vermisst. Du bist der einzige Sohn, der mir geblieben ist!‘

Doch Hans gab zur Antwort: ‚Mutter, ich habe das Gefühl, dass ich fahren soll. Es ist meine Pflicht.’ Als Hans in das Ruderboot stieg, die Ruder aufnahm und in der Nacht verschwand, weinte die Mutter und fing an, ruhelos am Strand auf und ab zu gehen.

Mehr als eine Stunde kämpften die Männer gegen die hochgehende See. (Der Mutter von Hans kam es wie eine Ewigkeit vor.) Da kam das Ruderboot wieder in Sicht. Als sich die Retter dem Strand so weit genähert hatten, dass sie dem Leiter der Küstenwache etwas zurufen konnten, hielt dieser die Hände trichterförmig an den Mund und schrie gegen den Sturm an: ‚Habt ihr ihn gerettet?‘

Da sahen die Leute, die mit ihren Fackeln aufs Meer hinausleuchteten, wie Hans sich von seiner Ruderbank erhobt und schrie, so laut er konnte: ‚Ja, und sagt Mutter, es ist mein Bruder Piet!‘“2

An einem anderen Tag, auf einem anderen See, befanden sich die Apostel in alter Zeit auf einem Boot, das „schon viele Stadien vom Land entfernt“ war und „von den Wellen hin und her geworfen“ wurde; „denn sie hatten Gegenwind.

In der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen; er ging auf dem See.

Als ihn die Jünger über den See kommen sahen, erschraken sie, weil sie meinten, es sei ein Gespenst, und sie schrien vor Angst.

Doch Jesus begann mit ihnen zu reden und sagte: Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht.“ (Matthäus 14:24–27.)

Lassen wir uns nicht von Angstgefühlen leiten. Denken wir immer daran, dass wir guten Mutes sein, auf Gott vertrauen und ein würdiges Leben führen sollen, so dass er uns leiten kann. Wir alle haben das Recht auf Inspiration, die uns durch die Bewährungszeit hier auf der Erde führt. Mögen wir so leben, dass unser Herz jederzeit für die Eingebungen und den Trost des Heiligen Geistes offen ist.

Für die heimlehrer

Im Folgenden finden Sie einige Beispiele dazu, wie Sie die Heimlehrbotschaft besprechen können.

  1. Bitten Sie die Familie, Ihnen zu schildern, was sie unter einem mutigen Menschen versteht. Bitten Sie dann zwei aus der Familie, nacheinander die Geschichte aus der Kindheit von Joseph Smith und von Präsident Faust vorzulesen.

  2. Zeigen Sie der Familie eine Pflanze und fragen Sie sie, wodurch sich ein guter Gärtner auszeichnet. Wie lässt sich der Spruch: „Wo du eine Rose ziehst,… kann keine Distel wachsen“ auf die Bewältigung von Ängsten beziehen?

  3. Zeigen Sie der Familie das Gemälde auf Seite 7 in dieser Ausgabe. Sie sollen sich vorstellen, wie ihnen zumute gewesen wäre, wenn sie sich auf dem Schiff befunden hätten. Lesen Sie Matthäus 14:22–27 vor, und erzählen Sie, wie Sie schon Ihr Vertrauen auf Gott gesetzt haben und Ihnen dies geholfen hat, guten Mutes zu sein. Vielleicht möchte jemand aus der Familie von einer ähnlichen Erfahrung berichten.

Anmerkungen

  1. The Secret Garden (1987), Seite 338f.

  2. Jacob de Jager, „You Never Know Who You May Save“, Ensign, November 1976, Seite 56f.