Zu Hause bei den Hinckleys
Wenn Schwester Marjorie Pay Hinckley am Pult steht, um zu einer großen Anzahl von Mitgliedern zu sprechen, gibt sie uns sofort das Gefühl, wir wären zu Hause. Mit ihrem charmanten Witz und ihrer aufrichtigen Liebe schließt sie uns sanft in den Kreis ihrer Familie mit ein. Dann sagt sie uns – als wäre sie unsere Mutter oder Großmutter –, dass sie stolz auf uns ist. Und sie ermutigt uns und sagt, dass wir mit der Hilfe des Herrn die Schwierigkeiten des Lebens überwinden und Freude finden können.
Wenn ihr Mann, Präsident Gordon B. Hinckley, am Pult steht und spricht, schlüpft er oft in die Rolle des liebevollen Vaters und Großvaters und lehrt uns, wie wir bessere Kinder und Eltern, ein besserer Ehepartner, ein besseres Familienmitglied werden können.
Wo Präsident und Schwester Hinckley in der Kirche auch hingehen, sie scheinen immer auf eine „Familie“ zu treffen – zusätzlich zu ihren 5 Kindern, 25 Enkeln und 35 Urenkeln. Da sie die Lebensweise lehren, die sie in den über 90 Jahren ihres Lebens und 66 Jahren ihrer Ehe beispielhaft gezeigt haben, sind sie wirklich qualifiziert, uns im Hinblick auf die wichtigste Rolle, die wir je einnehmen werden, Rat zu geben. Kürzlich sprachen sie mit Redakteuren der Zeitschriften der Kirche darüber, wie man die Ehe und die Familie stärken kann.
„Er Liess Mir Raum Und Liess Mich Fliegen“
Redaktion: Warum sind Sie schon so lange glücklich verheiratet?
Präsident Hinckley: Die Basis einer guten Ehe ist gegenseitige Achtung – dass man einander achtet und um das Wohlergehen des anderen besorgt ist. Das ist der Schlüssel. Würde der Mann weniger an sich und mehr an seine Frau denken, hätten wir in der Kirche und auf der ganzen Welt glücklichere Familien.
Redaktion: Schwester Hinckley, Sie haben gesagt, dass Ihr Mann Ihnen freie Hand lässt. „Er hat nie darauf bestanden, dass ich etwas so mache, wie er es will. Von Anfang an ließ er mir Raum und ließ mich fliegen.“1Wie hat er das gemacht?
Schwester Hinckley: Er sagt mir nie, was ich tun soll. Er lässt mich einfach machen. Er hat mir immer das Gefühl gegeben, dass ich ein eigenständiger Mensch bin. Er hat mich immer ermutigt, das zu tun, was mich glücklich macht. Er versucht nicht, mich zu beherrschen.
Redaktion: Präsident Hinckley, Sie haben gesagt: „Mancher Ehemann hält es für sein Privileg, seine Frau zu zwingen, seinen Idealvorstellungen zu entsprechen. Das funktioniert nie.“2Wie haben Sie es vermieden, das bei Ihrer Frau zu versuchen?
Präsident Hinckley: Ich habe mich bemüht, die eigenständige Persönlichkeit meiner Frau anzuerkennen, ihre Wünsche, ihre Herkunft, ihre Ziele. Lass sie fliegen. Ja, lass sie fliegen! Lass sie ihre Talente entwickeln. Lass sie alles auf ihre Weise tun. Steh ihr nicht im Weg und staune, was sie alles schafft.
Redaktion: Was tut sie denn, was Sie zum Staunen bringt?
Präsident Hinckley: Oh, sehr vieles…
Schwester Hinckley (lächelnd): Das wird ihm nicht leicht fallen.
Präsident Hinckley: … Sie hat sich all die Jahre um die Familie gekümmert. Als unsere Kinder noch klein waren, war ich durch meine Aufgaben in der Kirche viel unterwegs. Am Anfang, als ich für die Arbeit in Asien zuständig war – viele Jahre lang –, war ich manchmal zwei Monate lang fort. Damals konnte man nicht dauernd hin- und hertelefonieren. Sie kümmerte sich um alles. Sie führte den Haushalt. Sie organisierte alles und sorgte für die Kinder.
Wir hatten einen Garten hinter dem Haus. Als ich nach einer langen Reise zurückkam, stellte ich fest, dass sie auf die ganze Fläche Rasen gesät hatte. Sie und die Kinder hatten den Garten umgegraben und Rasen gesät, und nun wuchs da ein wunderschöner Rasen! Es machte dem Garten nichts, wir konnten ja südlich vom Haus einen weiteren Garten anlegen. Aber der Garten hinter dem Haus wurde zu einem wunderschönen Rasenplatz.
Das ist typisch für ihre Vorgehensweise. Sie war unabhängig und hatte viel Sinn für Schönheit.
„Ich Lache Lieber“
Redaktion: Schwester Hinckley, Sie haben gesagt: „Wir kommen nur durchs Leben, wenn wir uns durchs Leben lachen. Entweder muss man lachen oder weinen. Ich lache lieber. Vom Weinen bekomme ich Kopfschmerzen.“3
Schwester Hinckley: Wenn wir nicht über das Leben lachen können, haben wir ein Problem.
Redaktion: Erinnern Sie sich an eine Situation, in der Lachen die beste Medizin für Sie war?
Schwester Hinckley: Das war wahrscheinlich immer so. Einmal machte ich einen Auflauf, als unsere Kinder noch jünger waren. Er war mir wirklich gut gelungen. Als ich ihn aus dem Ofen nahm, sagte unser Sohn Dick: „Wieso hast du denn den Müll gebacken?“
Redaktion: Wie alt war er damals?
Schwester Hinckley: Vierzehn – er hätte es schon besser wissen müssen!
„Wir Sind Gern Zusammen“
Redaktion: Was machen Sie beide, damit sich Ihre Familie nahe bleibt?
Präsident Hinckley: Oh, wir haben schon viel gemacht, sehr viel. Im Sommer haben wir immer versucht, mit den Kindern zu verreisen, uns etwas anzusehen, schon als sie noch klein waren. Das haben wir auch fortgesetzt, als sie größer waren, selbst nachdem sie geheiratet hatten.
Meine Frau sagte einmal, sie wünsche sich so sehr, einmal mit ihren Kindern durch die Straßen Hongkongs zu gehen. Also reisten wir alle nach Asien. Dann sagte sie, sie wolle mit ihren Kindern auf den Straßen Jerusalems gehen. Also ordneten wir unsere Finanzen so, dass wir alle nach Jerusalem reisen konnten. Das waren schöne Erlebnisse.
Ihr ist es zu verdanken, dass unsere Kinder gern zusammen sind. Wir kommen immer noch zusammen. Einmal im Monat haben wir Familienabend mit der Großfamilie – mit all unseren Kindern, Enkeln und Urenkeln, die in der Stadt sind und kommen können. Das ist nur die Fortsetzung dessen, was wir getan haben, als die Kinder noch klein waren. Wir hielten den Familienabend. Wenn ich fort war, hielt sie dennoch den Familienabend und anderes, was wichtig war. Sie hielt einfach alles am Laufen.
Redaktion: Beschreiben Sie doch einen Familienabend mit der Großfamilie.
Präsident Hinckley: Wir essen miteinander und unterhalten uns. Wir verbringen eine fröhliche Zeit miteinander und besprechen ein, zwei Gedanken. Alle sind gern zusammen. Das ist in unserer Zeit wirklich etwas Besonderes.
Redaktion: Sie haben erwähnt, dass Sie schon als Junge im Haus Ihrer Eltern den Familienabend erlebt haben.
Präsident Hinckley: Ja, seit 1915, als Präsident Joseph F. Smith das Programm bekannt gab. Mein Vater sagte: „Ab jetzt gibt es immer den Familienabend.“ Wir versuchten es und anfangs war es nicht sehr erfolgreich. Aber es wurde besser und wir hielten immer den Familienabend – zu Hause bei meinem Vater und bei uns, und nun tun es unsere Kinder in ihrer Familie.
„Man Tut Einfach Sein Bestes“
Redaktion: Was würden Sie Eltern sagen, die den Rat beachtet haben, den Familienabend zu halten, und so gut wie möglich nach ihren Bündnissen leben – und deren Sohn oder Tochter doch vom Weg abgekommen ist?
Präsident Hinckley: Nun, Sie tun einfach Ihr Bestes. Und wenn Sie das getan haben, legen Sie die Angelegenheit in die Hand des Herrn. Gehen Sie im Glauben vorwärts.
Schwester Hinckley: Geben Sie niemals auf. Geben Sie Ihre Kinder niemals auf.
Präsident Hinckley: Niemand ist verloren, solange man nicht aufgibt. Bemühen Sie sich weiter. Glücklicherweise haben wir das nie erlebt, dafür bin ich dankbar. Es ist erstaunlich, was aus unserer Familie geworden ist. Das verdanke ich alles dieser kleinen Dame.
Schwester Hinckley: Danke.
Redaktion: Was würden Sie Kindern raten, in deren Familie kein Familienabend stattfindet, obwohl sie es sich wünschen?
Präsident Hinckley: Kinder können viel erreichen. Leider gibt es diese Situation, es gibt sie wirklich. Auch Kinder können ihr Bestes geben. Sie können manchmal ihre Eltern beeinflussen. Manche Familie hat zu einer besseren Lebensweise gefunden, weil die Kinder dafür gebetet und ihre Eltern darum gebeten haben. Manche Kinder, die in sehr unglücklichen Umständen leben, können in der Familie ihrer Freunde in der Kirche aufbauende Erfahrungen machen. Aber es ist traurig, wenn Kinder nicht die Segnungen und den Nutzen einer Familie haben, die den Wunsch hat, nach dem Evangelium zu leben und die Programme der Kirche umzusetzen.
Redaktion: Sie haben einmal gesagt, dass Ihr Vater seine Kinder nie geschlagen hat, wenn er sie zurechtgewiesen hat.4
Präsident Hinckley: Das stimmt. Ich glaube nicht, dass man Kinder schlagen oder etwas dergleichen tun muss. Man kann Kinder mit Liebe zurechtweisen. Man kann ihnen Rat geben – wenn sich die Eltern nur die Zeit nehmen würden, sich in Ruhe mit ihnen hinzusetzen und mit ihnen zu sprechen. Sagen Sie ihnen, was die Folgen sind, wenn sie sich schlecht benehmen. Dann wären die Kinder besser dran und alle wären glücklicher.
Mein Vater hat uns nie angerührt. Seine Weisheit war etwas Besonderes, wenn er ruhig mit uns sprach. Er drehte uns um, wenn wir in die falsche Richtung gingen, ohne uns zu schlagen oder einen Riemen zu holen oder so etwas. Ich habe es noch nie für richtig gehalten, Kinder zu schlagen. Ich glaube auch nicht, dass es notwendig ist.
Redaktion: Schwester Hinckley, Sie haben gesagt: „Man bringt einem Kind nicht bei, nicht zu schlagen, indem man es schlägt.“5
Schwester Hinckley: Als meine Tochter Jane ein junges Mädchen war, sagte sie mir einmal, ihre Freundin hätte Hausarrest bekommen. Ich sagte: „Hausarrest? Was ist das?“ Unsere Kinder mussten alles selbst wieder in Ordnung bringen. Sie wussten, wenn Sie etwas Falsches taten, mussten sie es wieder in Ordnung bringen. Eine unserer vier Töchter wollte an einem Sonntag nicht mit in die Kirche gehen. Also blieb sie zu Hause. Sie fühlte sich sehr allein. Alle waren in der Kirche, nur sie nicht, sie saß nur auf dem Rasen. Sie versuchte es nie wieder. Sie stellte fest, dass es keinen Spaß machte. Es war einsam.
„Es Ist Besser, Als Ich Erwartet Hätte“
Redaktion: Schwester Hinckley, Sie haben Ihre Zuhörer mit der Bemerkung entzückt, dass Sie sich, als Ihr Mann Präsident der Kirche wurde, gefragt haben: „Wie konnte ein nettes Mädchen wie ich in solch einen Schlamassel geraten?“6Können Sie diese Bemerkung ins rechte Licht rücken, nachdem Sie 66 Jahre mit diesem guten Mann verheiratet sind?
Schwester Hinckley: Nun, es ist besser, als ich es erwartet hätte. Es ist ein gutes Leben gewesen.
Präsident Hinckley: Wir haben wirklich ein gutes Leben gehabt. Ja, wirklich. Es gibt kaum etwas, was wir bedauern müssten. Wir haben natürlich Fehler gemacht, hier und da, aber nichts mit schwerwiegenden Folgen. Ich denke, wir haben es soweit ganz gut gemacht.
Redaktion: Denken Sie, dass junge Leute, die heute heiraten, vor den gleichen Herausforderungen stehen wie Sie damals oder sind es andere?
Präsident Hinckley: Im Wesentlichen sind es die gleichen Herausforderungen. Wir haben während der Weltwirtschaftskrise geheiratet. Wir hatten nichts, als wir heirateten. Auch die anderen hatten nichts. Alle waren arm, so kam es mir vor.
Schwester Hinckley: Wir wussten nicht, dass wir arm waren.
Präsident Hinckley: Wir fingen ganz bescheiden an. Der Herr hat uns reich gesegnet. Ich wüsste nicht, wie jemand reichlicher gesegnet werden sollte. Wir hatten Probleme. Wir haben alles erlebt, was Eltern erleben – Krankheiten der Kinder, so etwas. Aber am Ende bleibt doch: Wenn man mit einer guten Frau an der Seite durch das Leben gehen kann und miterlebt, dass die Kinder zu glücklichen, fähigen Menschen heranwachsen, die ihren Beitrag leisten, dann kann man doch sein Leben als erfolgreich bezeichnen. Es geht nicht darum, wie viele Autos man besitzt, wie groß das Haus ist, usw. Es kommt darauf an, was für ein Leben man führt.
Redaktion: Wie gehen Sie mit Meinungsverschiedenheiten um?
Präsident Hinckley: Wir sind einfach miteinander ausgekommen und haben uns bemüht, einander anständig zu behandeln. Wie ich gesagt habe, kommt es auf die gegenseitige Achtung an – dass man einander als Persönlichkeit achtet und nicht versucht, den Partner so zu ändern, wie man ihn haben möchte. Lassen Sie sie ihr Leben so leben, wie sie es möchte, und fördern Sie ihre Talente und Interessen. Dann kommen Sie besser miteinander aus.
Wenn es etwas gibt, was mich beunruhigt, dann dies: dass manche Männer versuchen, über das Leben ihrer Frau zu bestimmen und ihr vorzuschreiben, was sie tun soll. Das funktioniert nicht. Es gibt kein Glück – weder für die Kinder noch für die Eltern – wenn der Mann versucht, alles zu kontrollieren und seine Frau zu beherrschen. Sie sind Partner. Sie sind Gefährten in diesem mutigen Unterfangen, das wir Ehe und Familienleben nennen.
Schwester Hinckley: Hab ich nicht einen guten Mann geheiratet?
Präsident Hinckley (lacht): Wir haben ein gutes Leben gehabt. Wir sind immer noch dankbar füreinander.
Das Interview führten Marvin K. Gardner und Don L. Searle.