Warum lassen wir uns für die Toten taufen?
Nach einer Ansprache bei der Herbst-Generalkonferenz 2000.
Seit langem beschäftigen sich die christlichen Theologen mit der Frage, was wohl aus den Milliarden von Menschen wird, die gelebt haben und gestorben sind, ohne von Jesus Christus zu erfahren. Mit der Wiederherstellung des Evangeliums Jesu Christi haben wir auch erfahren, wie die ungetauften Toten erlöst werden und inwiefern Gott ein „vollkommener, gerechter Gott [ist], und auch ein barmherziger Gott“ (Alma 42:15).
Noch während seines irdischen Wirkens prophezeite Jesus, er werde auch den Toten predigen. Petrus sagt uns, dass dies in der Zeit zwischen der Kreuzigung und der Auferstehung des Erretters geschah (siehe 1 Petrus 3:18,19). In einer Vision wurde Präsident Joseph F. Smith (1838–1918) Zeuge dessen, dass der Erretter die Geisterwelt besuchte, und er stellte „aus den Rechtschaffenen … seine Kräfte zusammen und bestimmte Boten, angetan mit Macht und Vollmacht, und gab ihnen den Auftrag, hinzugehen und das Licht des Evangeliums denen zu bringen, die in Finsternis waren. …
Man belehrte sie über Glauben an Gott, die Umkehr von der Sünde, die stellvertretende Taufe zur Sündenvergebung [und] die Gabe des Heiligen Geistes durch Händeauflegen.“ (LuB 138:30,33.)
Die Lehre, dass die Lebenden den Toten stellvertretend die Taufe und weitere wesentliche heilige Handlungen ermöglichen können, wurde dem Propheten Joseph Smith erneut offenbart (siehe LuB 124; 128; 132). Er erfuhr, dass den Geistern, die auf die Auferstehung warten, nicht nur Errettung ermöglicht wird, sondern dass sie im Himmel als Mann und Frau verbunden sein und an ihre Väter und Mütter aller vergangenen Generationen und an ihre Kinder aller kommenden Generationen gesiegelt werden können. Der Herr unterwies den Propheten dahingehend, dass diese heiligen Handlungen nur in einem Haus, das seinem Namen erbaut wird, einem Tempel, angemessen vollzogen werden (siehe LuB 124:29-36).
Der Grundsatz stellvertretenden Dienens dürfte keinem Christen eigenartig vorkommen. Bei der Taufe eines Lebenden handelt der Amtierende stellvertretend für den Erretter und an seiner statt. Ist es nicht auch die zentrale Lehre unseres Glaubens, dass das Sühnopfer Christi für unsere Sünden sühnt, indem es stellvertretend den Anspruch der Gerechtigkeit an uns befriedigt? Präsident Gordon B. Hinckley (1910–2008) hat darüber gesagt: „Ich glaube, die stellvertretende Arbeit für die Toten kommt dem stellvertretenden Opfer des Erretters näher als irgendeine andere Arbeit, die ich kenne. Sie wird mit Liebe verrichtet, ohne Hoffnung auf irgendeinen Lohn oder eine Bezahlung. Welch ein herrlicher Grundsatz.“1
Manche missverstehen diese stellvertretenden heiligen Handlungen und meinen, dass die Verstorbenen „ohne ihr Wissen durch die Taufe in die Mormonenkirche aufgenommen werden“.2 Sie glauben, dass wir irgendwie die Macht haben, in Glaubensfragen auf jemanden Zwang auszuüben. Natürlich ist das nicht der Fall. Seit Anbeginn gewährt Gott den Menschen Entscheidungsfreiheit. Die Kirche führt die Verstorbenen weder in ihren Listen noch betrachtet sie sie als ihre Mitglieder.
Unser Bestreben, die Toten zu erlösen, sowie die Zeit und die Mittel, die wir für dieses Engagement aufwenden, bringen vor allem unser Zeugnis von Jesus Christus zum Ausdruck. Viel deutlicher können wir uns zu seinem göttlichen Wesen und seiner göttlichen Mission nicht äußern. Damit geben wir Zeugnis davon, erstens, dass Christus auferstanden ist, zweitens, dass sein Sühnopfer grenzenlos ist, drittens, dass er die einzige Quelle der Errettung ist, viertens, dass er die Bedingungen für die Errettung festgelegt hat, und fünftens, dass er wiederkommen wird.
Die Macht der Auferstehung Christi
Im Hinblick auf die Auferstehung fragt Paulus: „Wie kämen sonst einige dazu, sich für die Toten taufen zu lassen? Wenn Tote gar nicht auferweckt werden, warum lässt man sich dann taufen für sie?“ (1 Korinther 15:29.) Wir lassen uns für die Toten taufen, weil wir wissen, dass sie auferstehen werden. „Die Seele wird dem Leib wiederhergestellt werden und der Leib der Seele; ja, und jedes Glied und Gelenk wird seinem Leib wiederhergestellt werden; ja, auch nicht ein Haar des Hauptes wird verloren sein, sondern alles wird zu seiner rechten und vollkommenen Gestalt wiederhergestellt werden.“ (Alma 40:23.) „Denn Christus ist gestorben und lebendig geworden, um Herr zu sein über Tote und Lebende.“ (Römer 14:9.)
Was wir im Hinblick auf diejenigen tun, die vor uns gelebt haben, ist also von größter Bedeutung, denn sie leben heute als Geist und werden dank Jesus Christus wieder leben – als unsterbliche Seele. Wir glauben seinen Worten: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.“ (Johannes 11:25.) Durch die Taufe, die wir zugunsten der Toten vollziehen, bezeugen wir: „Wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden. …
Denn er muss herrschen, bis Gott ihm alle Feinde unter die Füße gelegt hat.
Der letzte Feind, der entmachtet wird, ist der Tod.“ (1 Korinther 15:22,25,26.)
Jesus Christus, die einzige Quelle der Errettung
Unser Bestreben, unseren Vorfahren die Taufe im Namen Jesu zu ermöglichen, zeugt davon, dass Jesus Christus „der Weg und die Wahrheit und das Leben“ ist und dass „niemand … zum Vater [kommt] außer durch [ihn]“ (Johannes 14:6). Besorgt um das ewige Wohlergehen der Milliarden, die gestorben sind, ohne von Jesus Christus erfahren zu haben, fangen einige Christen unserer Zeit an, sich zu fragen, ob es wirklich „einen Herrn, einen Glauben, eine Taufe“ gibt (siehe Epheser 4:5). An Jesus Christus als den einzigen Erretter zu glauben, sei, so sagen sie, anmaßend, engstirnig und intolerant. Wir halten das jedoch für ein Scheinproblem. Es besteht keine Ungerechtigkeit darin, dass die Errettung nur durch einen zustande kommt, wenn dieser eine und seine Errettung jeder Seele ausnahmslos offenstehen.
Die Bedingungen für die Errettung hat Christus festgelegt
Da wir daran glauben, dass Jesus Christus der Erlöser ist, akzeptieren wir auch, dass er die Vollmacht hat, die Bedingungen, durch die wir seine Gnade erlangen können, festzulegen. Sonst würden wir uns nicht darum bemühen, uns für die Toten taufen zu lassen.
Jesus hat bestätigt: „Das Tor, das zum Leben führt, ist eng und der Weg dahin schmal.“ (Matthäus 7:14.) Er hat auch ganz deutlich gesagt: „Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen.“ (Johannes 3:5.) Das bedeutet, dass wir umkehren müssen, „und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung seiner Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen“ (Apostelgeschichte 2:38).
Ungeachtet dessen, dass Jesus Christus ohne Sünde war, ließ er sich taufen und empfing den Heiligen Geist. Er sagte: „Wer sich in meinem Namen taufen lässt, dem wird der Vater den Heiligen Geist geben gleichwie mir; darum folgt mir nach und tut das, was ihr mich habt tun sehen.“ (2 Nephi 31:12.)
Davon gibt es keine Ausnahmen, es sind nämlich keine nötig. Wer glaubt und sich taufen lässt – auch durch einen Stellvertreter – und im Glauben ausharrt, wird errettet, „nicht nur diejenigen, die glaubten, nachdem [Christus] in der Mitte der Zeit im Fleische gekommen war, sondern alle jene von Anfang an, nämlich alle, die waren, bevor er kam“ (LuB 20:26). Darum wird das Evangelium auch den Toten verkündet, „dass sie wie Menschen gerichtet werden im Fleisch, aber wie Gott das Leben haben im Geist“ (1 Petrus 4:6).
Die Verstorbenen werden aus dem Gefängnis befreit
Angefangen bei der Taufe schaffen die heiligen Handlungen, die wir stellvertretend im Tempel vollziehen, ein ewiges Bindeglied zwischen den Generationen, das den Zweck der Erschaffung der Erde erfüllt. Ohne diese heiligen Handlungen „würde die ganze Erde [beim Kommen Christi] völlig verwüstet werden“ (LuB 2:3).
In den heiligen Schriften wird von den Geistern der Toten so gesprochen, als seien sie in der Finsternis oder im Gefängnis (siehe Jesaja 24:22; 1 Petrus 3:19; Alma 40:12,13; LuB 38:5). Angesichts des herrlichen Erlösungsplanes Gottes für diese, seine Kinder, verfasste der Prophet Joseph Smith den folgenden Psalm: „Lasst euer Herz sich freuen und überaus froh sein. Lasst die Erde in Gesang ausbrechen. Lasst die Toten ewige Lobeshymnen auf den König Immanuel anstimmen, der, noch ehe die Welt war, das verordnet hat, was uns befähigen würde, sie aus ihrem Gefängnis zu erlösen; denn die Gefangenen werden freigelassen werden.“ (LuB 128:22.)
Unser Auftrag reicht so weit und so tief wie die Liebe Gottes und schließt all seine Kinder zu jeder Zeit und an jedem Ort ein. Durch unsere Arbeit für die Toten bezeugen wir, dass Jesus Christus der göttliche Erlöser der ganzen Menschheit ist. Seine Gnade und seine Verheißungen werden auch denen zuteil, die ihn im Leben nicht finden konnten. Durch ihn werden die Gefangenen in der Tat freigelassen.