Das Waldhorn meines Bruders
Sandy Lauderdale Cane, Missouri, USA
Ich wuchs mit dem Klang des Waldhorns meines älteren Bruders auf, der oft darauf übte. Tag für Tag, Jahr für Jahr erklang sein Waldhorn in unserem Haus. Selbst ein paar Häuser weiter konnte ich es schon hören, wenn ich von der Grundschule nach Hause ging.
Wenn ich gefragt worden wäre, hätte ich sicher behauptet, mein Bruder sei der beste Waldhornspieler, den es je gab. Trotzdem war mir sein ständiges Spiel manchmal peinlich, und einmal bat ich meine Mutter, ihn dazu zu bringen, dass er aufhörte. Er nahm sein Waldhorn sogar in den Urlaub mit!
Jahre später nahmen mein Bruder und ich an einem Musikwettbewerb im Norden Kaliforniens teil. Er fand auf dem Campus einer großen Universität statt, wo ich nie zuvor gewesen war. Meine Madrigal-Gruppe erhielt eine sehr gute Bewertung, was bedeutete, dass wir später am Tag noch einmal auftreten sollten. Wir erhielten Anweisungen, wo und wann wir uns treffen sollten; dann ging jeder seines Weges. Bald war ich allein, stand mitten auf dem Campus und schaute auf die vielen hohen Gebäude. Ich konnte niemand entdecken, den ich kannte, aber mir fiel der Rat meiner Mutter wieder ein, was ich machen sollte, wenn ich mich verirrt hatte: „Bleib, wo du bist.“
Ich blieb, wo ich war, aber ich war zu schüchtern, um nach dem Weg zu fragen; außerdem wusste ich sowieso nicht, wo ich hinsollte. Ich wusste einfach nicht mehr, wo und wann wir uns treffen sollten. Da kam mir der Gedanke, den Vater im Himmel um Hilfe zu bitten. Ich gehörte damals noch nicht der Kirche an, aber ich war oft mit Freunden, die Heilige der Letzten Tage waren, in die Kirche gegangen und hatte gelernt, dass der Vater im Himmel unsere Gebete erhört.
Also sprach ich im Herzen ein Gebet. Noch bevor ich Amen gesagt hatte, hörte ich etwas. Weit entfernt, ganz leise, hörte ich einen vertrauten Klang – einen Klang, der mich fast mein ganzes Leben begleitet hatte. Ich ging in die Richtung, aus der die Musik kam, und sie wurde lauter. Konnte es das Waldhorn meines Bruders sein? Ich war mir sicher.
Doch dann hörte ich weitere Waldhörner. Ich zögerte. Glaubte ich wirklich, ich könnte bei all den Hörnern das Waldhorn meines Bruders heraushören? Doch immer, wenn mir Zweifel kamen, hörte ich sein Horn, als ob es mich herbeilockte. Als ich das Gebäude betrat, die Treppen hinaufging und der Musik immer näher kam, bekam ich Angst. Der Gedanke, die falsche Tür zu öffnen und vor jemandem zu stehen, den ich nicht kannte, ließ mich erröten. Als ich im zweiten Stock angelangt war, horchte ich noch einmal, traf eine Entscheidung, holte tief Luft und öffnete die Tür. Da stand mein Bruder!
Der Vater im Himmel gibt uns den Heiligen Geist, der uns lehrt, uns Zeugnis gibt, uns schützt und uns, wenn wir uns allein und verlassen fühlen, führt, bis wir sicher sind. Wir lernen seine Stimme kennen, indem wir sie oft hören und so vertraut mit ihr werden, dass wir sie inmitten vieler anderer Stimmen, die uns in die Irre führen wollen, erkennen.
Wir dürfen uns der Stimme des Geistes niemals schämen und auch nicht zögern, ihr zu folgen. Wenn wir den Vater im Himmel um seine Hilfe bitten und dann zuhören – bereit, zu gehorchen –, dann werden wir ihn hören, das weiß ich.