Das Evangelium in meinem Leben
Ich gehöre zur Familie
Ich dachte, ich würde mich nie von den Mitgliedern meiner Gemeinde akzeptiert fühlen – aber es zeigte sich, dass ich mich irrte.
Im Umgang mit anderen jungen alleinstehenden Erwachsenen habe ich festgestellt, dass man manchmal dazu neigt, so auf seinen Familienstand fixiert zu sein, dass man gar nicht auf die Menschen in seiner Umgebung achtet. Als ich beispielsweise zum ersten Mal eine reguläre Gemeinde besuchte anstatt eine Gemeinde für Junge Erwachsene, glaubte ich, man müsse mir besondere Aufmerksamkeit schenken, mich bedauern und sich intensiv um mich kümmern, weil ich alleinstehend war. Bis heute habe ich noch nie erlebt, dass eine solche Einstellung gut für mich war.
In meinem ersten Jahr in dieser Gemeinde war ich überrascht, dass viele meiner Vorstellungen sich als falsch erwiesen. Ich machte die Erfahrung, dass Verheiratete durchaus mit Alleinstehenden befreundet sein können und dass ich für andere etwas tun konnte. Manche Mütter freuen sich über eine Freundin, die sie besucht, wenn ihr Mann bei der Arbeit oder im Rahmen seiner Berufung unterwegs ist. Eltern sind oft dankbar, wenn ein Erwachsener ihren Kindern zusätzliche Aufmerksamkeit schenkt, und die meisten freuen sich, wenn man ein Kind mit ins Kino nimmt oder etwas anderes mit ihm unternimmt.
Mir wurde auch bewusst, dass ich nicht die Einzige war, die alleinstehend war. Auch andere Mitglieder der Gemeinde sind allein – die Kinder sind aus dem Haus, jemand ist geschieden oder verwitwet – und müssen allein mit ihrem Leben zurechtkommen. Und obwohl ich immer angenommen hatte, Verheiratete seien glücklicher, lernte ich Menschen kennen, die mit Depressionen oder Arbeitslosigkeit fertig werden mussten, die ein behindertes Kind hatten oder ein Kind, das vom Weg abgekommen war. Wer mit solchen Problemen kämpft, ist immer dankbar, wenn ihm jemand zuhört.
Aber diese Erkenntnisse und Freundschaften entstanden nicht über Nacht. Ich musste Zeit und Mühe aufwenden. Ich besuchte regelmäßig die Versammlungen, diente in Berufungen und hielt Ausschau nach Gelegenheiten, zu helfen. Als mein Bischof mich bat, die Sechsjährigen zu unterrichten, fühlte ich mich nicht geeignet. Doch nach meinem ersten Monat als Lehrerin der Sechsjährigen dankten mehrere Eltern mir und sagten mir, wie gern die Kinder zu mir in den Unterricht gingen. Bis zum heutigen Tag gehören Angehörige dieser Kinder zu meinen besten Freunden in der Gemeinde.
Ich versuche immer, anderen in der Gemeinde zu helfen, aber hin und wieder war ich diejenige, die Hilfe brauchte. Einmal musste ich ein Zimmer streichen, bevor ich umzog. Ich steckte aber mitten in den Abschlussprüfungen und musste außerdem verreisen, weil ich zu einer Hochzeit eingeladen war. Als ich einer Schwester in der Gemeinde davon erzählte, sagte sie mir, sie werde mit einigen anderen Schwestern das Zimmer streichen. Ihre Hilfe ersparte mir viel Zeit und Geld.
Die Mitglieder meiner Gemeinde sehen nicht in erster Linie meinen Familienstand, weil ich es auch nicht tue. In Gesprächen rede ich nicht davon, dass ich keinen Mann habe, sondern rede über meine Arbeit, mein Studium, meine Hobbys und meine Eltern und Geschwister. Dadurch lernen die Menschen mich kennen und sehen nicht nur, was fehlt.
Eine kluge Freundin sagte mir einmal, dass eine Freundschaft eine wechselseitige Beziehung ist; man kann nichts geben, ohne auch etwas dafür zu bekommen. Mir ist bewusst, dass all meine Freundschaften mir nicht die gleichen Erfahrungen bringen, die ein Mann und Kinder mir bringen würden, aber ich weiß auch, dass der Vater im Himmel alle seine Kinder liebt. Ganz unabhängig von unseren Lebensumständen können wir uns geliebt und angenommen fühlen.